Deutschland bleibt bunt

Heute mit 16 Seiten Kulturprogramm für Berlin
DONNERSTAG, 22. JANUAR 2015 | WWW.TAZ.DE
AUSGABE BERLIN | NR. 10620 | 4. WOCHE | 37. JAHRGANG
HEUTE IN DER TAZ
taz.p an
€ 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND
Deutschland bleibt bunt
ABENDLAND Zukunft des Suhrkamp Verlags gesichert. Umwandlung in AG unter Dach und Fach. Bisherige Chefin
Ulla Unseld-Berkéwicz gibt ihr Amt ab. Kann sich der Verlag jetzt endlich wieder um Literatur kümmern? ➤ SEITE 3
RUSSLAND Für den
Oscar nominiert, zu
Hause unter Druck:
Regisseur Andrei
Swjaginzew ➤ SEITE 16
JEMEN Rebellen gegen
Präsident: Wer mischt
da noch mit? ➤ SEITE 2, 12
EZB Harter Tag für
Sparschweine ➤ SEITE 5
BERLIN Fabriken in
Tegel: Die Pläne des
Senats ➤ SEITE 21
Foto oben: ap
VERBOTEN
Guten Tag,
meine Damen und Herren!
verboten hat seine Meinung
über die Pegida-Bewegung
gestern revidiert. Alle sagen ja,
das seien platte, unreflektierte
Dumpfbacken, die kaum bis
Drei zählen können und zu
ernsthaften Diskussionen gar
nicht in der Lage sind. Von wegen! Über die an sich simple
Frage, ob ihr Organisator Lutz
Bachmann die Pegida-Proteste
auch nach seinen Hitler-Fotos
und staatsanwaltlichen Ermittlungen wegen des Verdachts
der Volksverhetzung weiter organisieren soll, mussten die Pegida-Leute, na was … richtig:
erst mal
diskutieren.
Die Einzigen, die im bitteren Verlags-Machtkampf immer ruhig geblieben sind: die guten alten Suhrkamp-Bücher, Grundausstattung in deutschen Intellektuellenhaushalten Foto: Marcus Höhn/laif
Pegida-Anführer tritt zurück
Film über Anschlag
ABGANG Bachmann in Kritik wegen Hitler-Foto und fremdenfeindlicher Posts
KINO 22 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen
BERLIN taz/afp | Der Gründer
und Organisator der Dresdner
Pegida-Bewegung, Lutz Bachmann, hat seine Führungsposten
aufgegeben. „Ja, ich trete auch als
Vorstand zurück“, wurde Bachmann von der Bild-Zeitung zitiert. Die Staatsanwaltschaft
Dresden hatte zuvor Ermittlungen gegen ihn wegen Verdachts
der Volksverhetzung aufgenom-
WIESBADEN taz | Gut 22 Jahre
nach dem Brandanschlag auf ein
Asylbewerberheim in RostockLichtenhagen 1992 kommt am
Donnerstag ein Spielfilm in die
Kinos, der sich mit den damaligen Ereignissen beschäftigt. Der
Film „Wir sind jung. Wir sind
stark“ von Regisseur Burhan
Qurban stellt die Chronologie
der historischen Ereignisse aus
men. Hintergrund sind Facebook-Posts mit menschenverachtenden Bemerkungen über
Ausländer, die von ihm stammen sollen. Dass sich Bachmann
in einer Hitler-Pose zeigte, die er
als „Scherz“ bezeichnete, stieß
auch bei Mitstreitern auf Kritik.
Bei Demos der „Legida“-Bewegung in Leipzig wurden am
Abend Zehntausende Teilneh-
mer und Gegner erwartet. Bundespräsident Joachim Gauck rief
angesichts von Terror und Islamfeindlichkeit zum Zusammenhalt der Gesellschaft auf. „Die Polarisierung schwächt, was unser
Land stabil und berechenbar gemacht und was Vertrauen zwischen den Bürgern geschaffen
hat“, sagte Gauck.
➤ Schwerpunkt SEITE 4
Sicht von Jugendlichen dar. Die
Jury der Deutschen Film- und
Medienbewertung hob in ihrer
Begründung für das höchste Prädikat „besonders wertvoll“ insbesondere den „dramaturgisch fesselnden Spannungsbogen“, das
beeindruckende Spiel der Darsteller sowie die großartige Kameraarbeit hervor.
➤ Gesellschaft + Kultur SEITE 15
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KOMMENTAR VON BETTINA GAUS ZUM UMGANG MIT DEN KUNDGEBUNGEN IN DRESDEN UND LEIPZIG
Verfolgungswahn bitte nicht ernst nehmen
s gibt vieles, was blanke Wut auslösen
kann. Manches davon verbindet Leute, die kaum etwas gemein zu haben
scheinen. Ein Autohändler, ein arbeitsloser Jugendlicher und eine Krankenschwester mögen allesamt das Gefühl
haben, wenig – oder zumindest nicht genug – zu gelten in einer immer schwerer
durchschaubaren Welt. Dieses Gefühl ist
deprimierend, natürlich.
Wut braucht Adressaten. Wenn die
ganze Welt fremd geworden ist: Was liegt
näher, als diejenigen verantwortlich zu
machen,dieoffenkundignichtzurMehrheit gehören? Also Ausländer oder Andersgläubige? Verständlich ist das. Bedrohlich wird es erst, wenn die Gesell-
E
schaft als Ganzes den Eindruck erweckt,
es sei akzeptabel, die Enttäuschung gegen Minderheiten zu richten.
Genau das findet gegenwärtig im ZusammenhangmitPegidaundihrenAblegern statt – und genau das stand auch Pate beim Pogrom in Rostock-Lichtenhagen. Nicht nur Rechtsextremisten, sondern vermeintlich „normale Bürger“ applaudierten dem Mordanschlag.
Die meisten hätten im Einzelgespräch
ganz bestimmt versichert, sie seien keineswegs ausländerfeindlich – und gegen
Gewalt. Außer, natürlich, in diesem ganz
besonderen Fall. Man müsse doch sehen,
dass eine bestimmte Personengruppe eine Bedrohung für Deutschland sei.
Nein, das muss man eben nicht sehen.
Man muss Verfolgungswahn nicht ernst
nehmen. Wut ist nicht dasselbe wie
Angst.
Wenn jemand wirklich Angst hat,
dann möchte man hoffen, dass eine Mutter, ein Psychiater, ein Lebenspartner das
erkennt und Hilfe sucht. Aber das ist
nicht die Aufgabe der Gesellschaft. Sobald die Gesellschaft den Eindruck erweckt, weiße Mäuse seien real, wird es ge-
Das um sich greifende Verständnis für Ressentiments
jeder Art ist beängstigend
fährlich für diejenigen, die für weiße
Mäuse gehalten werden.
Gegenwärtig brennen in Deutschland
keine Flüchtlingsheime. Möge es so bleiben! Das um sich greifende Verständnis
für Ressentiments jeder Art ist jedoch beängstigend. Vor allem deshalb, weil so getan wird, als sei Fremdenfeindlichkeit
ein neues Phänomen. Als habe Lichtenhagen nie stattgefunden. Als müsse man
sich bislang unbekannten Herausforderungen stellen.
Das ist nicht der Fall. Die Herausforderungen haben sich in den letzten 20 Jahren nicht verändert.Leider offenbarauch
nicht die Hilflosigkeit, mit der die Gesellschaft ihnen begegnet.
02
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DONNERSTAG, 22. JANUAR 2015  TAZ.DIE TAGESZEITUNG
PORTRAIT
NACHRICHTEN
MINDESTLOHN
BISPHENOL A
Merkel warnt vor bürokratischer Belastung
Ex-NSA-Mann William „Bill“ Binney,
alterslos Foto: Jacob Appelbaum
Der integre
Geheimagent
pätestens seit den Enthüllungen Edward Snowdens
im Jahr 2013 ist ja auch
dies bekannt: Es gibt sie,
die guten Geheimdienstagenten,
jene mit innerem Kompass und
moralischer Richtschnur. William „Bill“ Binney, Jahrgang 1943,
galt schon vor dem Aufsehen um
Snowden als einer der ihren.
Der etwas bieder wirkende
Kryptoanalytiker mit den antiquierten Krawatten arbeitete 37
Jahre beim US-Geheimdienst
NSA – zuletzt war er dort als Technischer Direktor verantwortlich
für die Datensammlung und -filterung – und hatte rund 6.000
Bedienstete unter sich. Kurz
nach den Terroranschlägen in
den USA im Herbst 2001 quittierte er seinen Dienst. Sein Motiv:
Die neuen Pläne, wonach die NSA
sämtliche weltweit verfügbaren
Daten sammeln wollte, um diese
bei Bedarf auszufiltern („Catchall“), wollte er nach eigener Aussage nicht mittragen.
Über Binneys genaue Motivlage wird bisweilen diskutiert: Einer seiner Beweggründe war zumindest, dass die NSA sich für
die Entwicklung eines aus seiner
Sicht zu teuren und uneffektiven
Programms entschieden hatte.
Er selbst hatte für die Förderung
eines alternativen Spähprogramms gekämpft. Seit 2007
aber kann über ihn die große
Agentengeschichte erzählt werden: Damals stürmten bewaffnete Spezialkräfte sein Haus. Bin-
S
Seit 2007 aber kann
über ihn die große
Agentengeschichte
erzählt werden
DER TAG
BERLIN | Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält Änderungen
am Mindestlohngesetz für möglich. Mit dem zum 1. Januar in
Kraft getretenen Gesetz „wollen
wir kleineren Unternehmen das
Leben nicht zu einer dauerhaften
bürokratischen
Herausforderung machen“, sagte Merkel am
Dienstagabend in Greifswald. Sie
sagte eine Prüfung des Gesetzes
in drei Monaten zu, um dann „gegebenenfalls Bürokratie wegzunehmen“. Merkel ging damit auf
Forderungen des Wirtschaftsflügels der Union ein. Darauf reagierte die Bundestagsfraktion
der Grünen mit scharfer Kritik.
„Unter dem Deckmantel der
Entbürokratisierung versucht
die Union, die Axt an den Mindestlohn zu legen“, sagte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin
Brigitte Pothmer gestern. Auf Ablehnung stößt insbesondere die
Forderung, Minijobs von den Dokumentationspflichten auszunehmen. Auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) warnte davor, das
Mindestlohngesetz
aufzuweichen. Schon jetzt gebe es zu viele
Ausnahmen. „Die Einhaltung des
Mindestlohns muss streng kontrolliert werden“, forderte der
AWO-Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler. (epd)
EU-Behörde
senkt Grenzwert
PARMA | Der empfohlene Grenzwert für die umstrittene Chemikalie Bisphenol A (BPA) ist deutlich gesenkt worden. Die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa setzte den Wert des Stoffes, der unter anderem in Kassenbonbeschichtungen
und
Mehrweg-Plastikgeschirr steckt,
von 50 Mikrogramm pro Kilo
Körpergewicht und Tag auf 4
herunter. Der hormonähnliche
Stoff steht im Verdacht, Erkrankungen des Hormonsystems sowie des Herz-Kreislauf- und Nervensystems auszulösen. (dpa)
WAS FEHLT …
Merkwürdige und absurde Meldungen aus dem Alltag: taz.de
setzt mit der Rubrik „Was fehlt“
eine alte Tradition der tageszeitung fort – auf taz.de/wasfehlt
Absurd
Albern
Voll daneben

www.taz.de
MALI
UN-Truppe
bombardiert Rebellen
BAMAKO | Erstmals haben UNSoldaten im Norden Malis Rebellen aus der Luft angegriffen und
mindestens vier Personen getötet. Nach Darstellung der separatistischen Tuareg-Miliz NMLA
wurden aus einem niederländischen Hubschrauber sechs Raketen auf ein Auto nördlich von
Gao abgefeuert. Die UN-Mission
Minusma erklärte, man sei bei
dem Zwischenfall am Dienstag
selbst unter Feuer geraten und
habe zurückschießen müssen.
Die Aktion sei vom Mandat der
Minusma gedeckt. (ap)
Poker um mehr Einfluss im Jemen
MACHTKAMPF Huthi-Rebellen setzen Präsident Hadi fest und fordern die Neubildung der Verfassungskommission
SANAA/BERLIN ap/afp/taz | Bei
dem Machtkampf im Jemen haben Huthi-Rebellen nach Angaben von Präsidentenberatern
Staatschef Abed Rabbo Mansur
Hadi festgesetzt. Der Präsident
könne seine Residenz in der
Hauptstadt Sanaa nicht verlassen, nachdem die Rebellen Kontrollposten davor errichtet und
Kämpfer in dem Anwesen stationiert hätten, sagten zwei Berater
am Mittwoch.
Die Huthi-Rebellen festigten
nach zweitägigen schweren
Kämpfen ihre Kontrolle über die
Hauptstadt und stellten Forderungen nach mehr Beteiligung
an der Macht. Sollte Hadi darauf
nicht eingehen, lägen in einer
„revolutionären“ Situation alle
Optionen auf dem Tisch, sagte
ihr Führer Abdel-Malek al-Huthi
am Dienstagabend in einer Fernsehansprache.
Al-Huthi machte klar, dass er
aus einer Position der Stärke mit
Hadi zu verhandeln gedenke. AlHuthi verlangte die Neubildung
der Verfassungskommission. Im
neuen Grundgesetz müsse eine
stärkere Beteiligung der Schiiten
verankert werden. Einer seiner
Berater sagte, die Huthi verlangten den Posten des Vizepräsidenten. Eine neun Seiten lange Liste
mit Forderungen nach hohen
Ämtern sei vorgelegt worden,
sagte der Gewährsmann.
In der Hauptstadt Sanaa
herrschte am Mittwoch angespannte Ruhe. Huthi-Rebellen
waren vor allem an Stellen postiert, an denen es am Montag
und Dienstag Kämpfe gegeben
hatte. Im Südjemen schlossen
die Behörden am Mittwoch den
zweitgrößten Flughafen des Landes in Aden, um Hadi zu unterstützen. Auch der Hafen wurde
dichtgemacht. Damit protestierte der Sicherheitsausschuss der
südlichen Provinz Aden nach eigenen Angaben gegen die „Angriffe auf das Symbol der nationalen Souveränität und konstitutionellen Rechtmäßigkeit“, den
Präsidenten.
Die Huthi, die in einer seit
Jahrzehnten vernachlässigten
armen Region im äußersten Norden des Landes leben, sind nach
Hussein Badr al-Din al-Huthi benannt, den Führer ihres ersten
Aufstandes im Jahr 2004. Sie fir-
Bislang haben die
Huthi nicht den
Rücktritt des
Präsidenten gefordert
mieren aber auch unter dem Namen Ansar Allah, was „Partisanen Gottes“ bedeutet. Sie sind
Zaiditen, eine Minderheitenströmung des schiitischen Islam. Etwa ein Drittel der Jemeniten gehört dieser Glaubensrichtung
an. Bis zur Revolution im Jahr
1962 waren in Sanaa fast 1.000
Jahre lang zaiditische Herrscher
an der Macht. Bei dem aktuellen
Konflikt geht es in erster Linie
aber um die Forderung der Huthi
nach mehr politischem Einfluss.
Den Jemen kontrollieren sie
heute allerdings ebenso wenig
wie die Regierung, die Separatisten im Süden oder al-Qaida, hin-
zu kommen einflussreiche Stämme mit unterschiedlichen Loyalitäten.
Der aktuelle Streit geht letztlich zurück auf das arabische Revolutionsjahr 2011, als der Langzeitpräsident Ali Abdullah Saleh
im Zuge von Verhandlungen in
Saudi-Arabien zum Rücktritt gezwungen wurde; bis heute lebt er
aber weiter im Jemen und hat
politischen Einfluss. Im Rahmen
eines Nationalen Dialogs, der vor
einem Jahr beendet wurde, ging
es unter anderem um eine
stärkere Föderalisierung des
Landes. Vorgesehen sind sechs
halbautonome Regionen. Dies
lehnen die Huthi ab, weil sie darin eine Schwächung ihres Einflusses sehen. Auch die Separatisten im Süden sind dagegen,
weil ihre beiden Regionen dann
vier anderen gegenüberstünden,
die sie leicht überstimmen könnten.
Nach einer Streichung von
Subventionen marschierten etwa 30.000 Anhänger der Huthi
auf die Hauptstadt zu und übernahmen dort im September de
facto die Kontrolle. Sie forderten
die Rücknahme der Kürzungen
und den Rücktritt der Regierung.
Einem Abkommen, das den Abzug aller bewaffneten Kräfte außerhalb der staatlichen Organe
vorsah, folgten sie nicht. Bislang
haben sie aber auch nicht den
Rücktritt des Präsidenten gefordert. Daher kann es sein, dass es
sich bei den Ereignissen der letzten Tage und bei der Festsetzung
Hadis um einen weiteren Baustein im Poker um Macht und
Einfluss handelt.
B.S.
ney war wegen seines Kampfes
gegen Totalüberwachung zum
Ein Mitglied der schiitischen Huthi-Rebellen steht bewaffnet an einem
Staatsfeind geworden.
Checkpoint nahe dem Präsidentenpalast in Sanaa, der jemenitischen
In Deutschland genießt er daHauptstadt Foto: Mohammed Huwais/afp
für eine seit Jahren steigende Beliebtheit. Als Vortragsredner
hielt er etwa 2012 beim Jahres........................................................................................................................................................................................................
kongress des Chaos Computer
Der Jemen
Clubs einen Vortrag über Mas- ........................................................................................................................................................................................................
senüberwachung – später bestä200 km
tigten die Snowden-EnthüllunJEMEN In dem Land im Süden der Arabischen Halbinsel konkurriert
SAUDIgen seine Ausführungen. Als eiOMAN
ARABIEN
eine Vielzahl von Organisationen und Staaten um Macht und Einfluss
SAADA
ner der führenden Kritiker geSaada
gen die Totalüberwachung durch
BERLIN taz | Der Jemen mit sei- gend ist aus saudischer Sicht zuFür die USA wie auch für die
JEMEN
JAWF
AMRAN
US-Behörden ist Binney nun ein
nen
26
Millionen
Einwohnern
ist
dem,
dass
die
Gebiete
der
Huthikonservativen
Golfstaaten stellt
Amran
ERITREA
gebuchter Vortragsreisender. Als
das ärmste Land in der arabi- Rebellen unmittelbar an das Kö- die Präsenz von Al-Qaida auf der
Al Mukalla
Sanaa
der Bundestags-Untersuchungsschen Welt. Dennoch ist die Ent- nigreich grenzen. Die Vorstel- Arabischen Halbinsel (Aqap) eiausschuss zur NSA-Affäre seine
wicklung am südwestlichen Zip- lung eines schiitischen Ministaa- ne zusätzliche Bedrohung dar.
Aden
Arbeit aufnahm, war dort auch
fel der Arabischen Halbinsel tes im Süden mögen die Herr- Die USA betrachtet Aqap inzwiAden
n
Binney geladen – und zeichnete,
über seine Grenzen hinaus von scher in Riad gar nicht. Denn im schen als gefährlichsten Ableger
o
v
Jemen
Golf
ÄTHIOPIEN DSCHIBUTI
im Rollstuhl sitzend, ein düsteres
strategischer Bedeutung. Die ölreichen Osten Saudi-Arabiens von al-Qaida. Die Gruppe ist in
AFRIKA
Bild vom aus seiner Sicht „totaliMeerenge Bab al-Mandab ver- lebt eine schiitische Bevölke- mehreren jemenitischen ProvinSOMALILAND SOMALIA
tären Charakter“ der NSA-Datenbindet das Rote Meer mit dem rungsminderheit, die sich als zen aktiv und Ziel amerikanitaz.Grafik: infotext-berlin.de/P. Sobotta
sammlung, gegen die er noch
Golf von Aden und dem Indi- Bürger zweiter Klasse sieht. Gele- scher Drohnenangriffe, bei deimmer entschieden kämpft.
schen Ozean und ist eine wichti- gentlich aufflammende Proteste nen auch Zivilisten sterben. Aqap
■ Die Republik Jemen mit ihren
arbeitslos (Männer: 26 Prozent,
Am Donnerstag erhält der 528.000 Quadratkilometern ist
ge Schifffahrtsroute. Das Nach- werden von der saudischen Re- hatte sich letzte Woche zum AnFrauen 74 Prozent). Die durchMann, der sein Geburtsdatum ein heißes, trockenes Land, das
schlag auf das französische Satischnittliche Lebenserwartung be- barland Saudi-Arabien, das von gierung niedergeschlagen.
geheim hält, in Berlin einen zum größten Teil aus Wüste beeinem konservativen sunnitiAußerdem werfen die Gegner reblatt Charlie Hebdo bekannt.
trägt 65 Jahre.
Preis, der wie ein schnöder Ker- steht. Lediglich 2,2 Prozent des
schen Königshaus beherrscht den Huthi-Rebellen vor, vom Der Internetdienst Site, der Akti■ 32 Prozent der Bevölkerung lebt
zenständer aussieht: den Sam- Bodens sind landwirtschaftlich
wird, ist einer der größten Ölex- Iran, dem regionalen Rivalen vitäten von Terrororganisatioin Städten. 65 Prozent der über
Adams-Award. Mit der Auszeich- nutzbar. Neben Erdöl verfügt das
porteure.
Saudi-Arabiens, militärisch und nen im Netz beobachtet, berich15-Jährigen können lesen und
nung zeichnet ein Gremium ehe- Land über geringe Mengen an
Saudi-Arabien und den USA finanziell unterstützt zu werden. tete, dass Aqap in einem neuen
schreiben, bei den Männern sind
maliger Geheimdienstler beson- Kohle, Gold, Nickel und Kupfer.
es 82 Prozent, während der Anteil ist daher an Stabilität im Jemen Der Iran und die Huthis streiten Video Muslime zu „Einsamer
ders integere Genossen aus – um ■ Von den 26 Millionen Einwohgelegen. Beide unterstützen wie dies ab. Die Regierung in Teheran Wolf“-Angriffen in westlichen
der Frauen bei 48 Prozent liegt.
so auch andere Agenten zum nern sind 62 Prozent zwischen
die anderen Golfstaaten den je- rief am Mittwoch die jemeniti- Ländern aufrief – gemeint sind
Das durchschnittliche JahresWhistleblowing zu ermutigen.
menitischen Präsidenten Abed schen Konfliktparteien zu Mäßi- von Einzelpersonen ausgeführte
0 und 24 Jahre alt. Von den 15einkommen lag 2013 bei etwa
Rabbo Mansur Hadi. Beunruhi- gung und Besonnenheit auf.
Anschläge.
MARTIN KAUL
BEATE SEEL
bis 24-Jährigen sind 34 Prozent
2.500 US-Dollar. (taz)
Von strategischer Bedeutung
SCHWERPUNKT
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Suhrkamp
DONNERSTAG, 22. JANUAR 2015  TAZ.DIE TAGESZEITUNG
03
Nach zwölf Jahren verlässt Ulla Unseld-Berkéwicz die
Verlagsleitung. Jonathan Landgrebe übernimmt eine AG
Der neue Chef
setzt auf seine
Autoren
LEITUNG Jonathan
Landgrebe: Nicht
Technologie entscheidet
Geht: Ulla Unseld-Berkéwicz zieht sich aus der Verlagsleitung zurück Foto: Andreas Pein/laif
Kommt: Jonathan Landgrebe (re.) wird Vorstandschef der Suhrkamp AG Foto: Andreas Pein/laif
Für Suhrkampf stehen die Aktien gut
LITERATUR Die gute Nachricht: Der berühmte deutsche Literaturverlag bleibt als Ganzes erhalten und wird nicht
zerschlagen. Als Aktiengesellschaft will Suhrkamp den Kampf gegen den Zeitgeist des Kapitalismus beleben
VON JÖRG SUNDERMEIER
BERLIN taz | Suhrkamp bleibt am
Leben. Die Insolvenz ist abgeschlossen, und der Verlag hat
sich erfolgreich in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Am
Mittwoch wurde bekannt, dass
sich die Verlegerin Ulla UnseldBerkéwicz aus der Verlagsleitung
zurückzieht. In der Zeit erklärt
sie, dass sie „nach 12 Jahren und
53 Tagen“ ihr Werk getan habe:
„Die Krisen sind gemeistert, die
Gefahr ist vorüber, die Nachfolge
geregelt, das Versprechen, das
ich Siegfried Unseld gegeben habe, erfüllt. Die Zeit ist da. Wären
die letzten acht Jahre nicht gewesen, hätte ich schon fünf Jahre
früher, mit dem Umzug nach
Berlin, die Verlagsleitung an Jonathan Landgrebe übergeben.
Die Situation aber hat das damals nicht zugelassen.“
Der bisherige Geschäftsführer Jonathan Landgrebe wird also
fürderhin den Traditionsverlag
führen, ihm steht ein Team als
erweiterte Geschäftsleitung zur
Verfügung, das sich aus bewährten Kräften zusammensetzt. Der
Schritt von Ulla Unseld-Berkéwicz wurde schon länger erwartet, da sie sich nach geltendem
Recht entscheiden musste, ob sie
in der Suhrkamp AG nun dem
Vorstand oder dem Aufsichtsrat
angehören werde.
Der jetzige Gründungsaufsichtsrat, dem Gerhart Baum,
Hans Magnus Enzensberger und
Marie Warburg angehören, wird
demnächst komplett durch einen neuen Aufsichtsrat abgelöst.
In diesem wird neben UnseldBerkéwicz auch die Wella-Erbin
Sylvia Ströher sitzen, die gemeinsam mit ihrem Mann Ulrich den
Suhrkamp Verlag bereits in der
Insolvenzphase finanziell unterstützt hat und nun Aktionärin
der frischgebackenen AG werden
wird. Wer den dritten Platz im
Aufsichtsrat besetzen wird,
bleibt vorläufig noch das Geheimnis der Verlegerin. Man
weiß in dem Verlag eben sehr genau, wie man immer wieder
Schlagzeilen macht.
Somit aber ist der Verlag – in
den Worten Unseld-Berkéwicz’ –
endgültig „gerettet“. Der Mitbesitzer, die Medienholding Win-
terthur, die dem Hamburger Unternehmer Hans Barlach gehört,
ist von nun an zu einem passiven
Verhalten gezwungen. Eine ungewohnte Rolle.
Barlach und Unseld-Berkéwicz sind in den letzten Jahren zu
Intimfeinden geworden. Seit sie
gemeinsam den dritten Besitzer,
Joachim Unseld, den Stiefsohn
Unseld-Berkéwicz’, aus dem Unternehmen gekauft hatten und
Barlach, dem 39 Prozent des Verlags gehören, im Zuge dieses Geschäftes umfangreiche Mitspracherechte erlangen konnte,
zankten sich beide Verlagsbesit-
„Die Krisen sind
gemeistert, die Gefahr
ist vorüber, die
Nachfolge geregelt.
Die Zeit ist da“
ULLA UNSELD-BERKÉWICZ
Bleibt: Die berühmte Reihe Edition Suhrkamp ist seit 1963 in über 2.400 Bänden erschienen Foto: Susanne Schleyer
zer immer wieder öffentlich und
überzogen sich gegenseitig mit
Klagen.
Der Literaturbetrieb war dabei
stets gespalten – einerseits wurde Unseld-Berkéwicz’ zum Teil
recht herrischer Führungsstil
verdammt. Ihr, die zuvor als
Schauspielerin und besonders
als Autorin des Verlages bekannt
war, wurde nicht zugetraut, das
Erbe ihres Gatten, des großen
Verlegers Siegfried Unseld, antreten zu können. Üble, oft hanebüchene Gerüchte machten die
Runde, und manch ein Feuilletonist konnte sich nicht entblöden
und unterstellte Unseld-Berkéwicz sogar ein Bündnis mit
„Hexen“.
Auf der anderen Seite konnten
sich viele aber auch nicht mit der
Idee anfreunden, den Verlag, der
noch immer als der Hort der
deutschen Literatur gilt, einem
kühl kalkulierenden Geschäftsmann anzuvertrauen, dem die
Autoren öffentlich die Gefolgschaft verweigern und der selbst
keine wahrnehmbaren literarischen Interessen hat. Dieser
Kampf ist nun entschieden. Mit
dem Einstieg der Ströhers vermindert sich zugleich der Anteil,
den Barlachs Holding am Verlag
hat. Nun wird diese über Vorgänge lediglich informiert und kann
kaum noch etwas bestimmen.
Für Ulla Unseld-Berkéwicz ist
damit aber nicht nur Barlach besiegt, sie sieht es als ein Zeichen
im Kampf des Geistes gegen den
Kapitalismus. Der Zeit sagte sie:
„Seit die Internationale der Abgefeimten sich eine konstruierte
Welt und die totale Kontrolle
über sie zum Ziel gesetzt hat,
wird die geistige Auszehrung
doch systematisch betrieben, die
Kapitalisierung unserer Innenwelt, die organisierte Entmündigung.“
Jetzt also kann es endlich ruhiger werden um den Verlag. Ulla
Unseld-Berkéwicz tritt als Siegerin ab, sie übergibt einen stabilen
und in den letzten Jahren auch
modernisierten Verlag und kann
wieder als Autorin wirken. Ob Jonathan Landgrebe es allerdings
vermag, so wie Unseld-Berkéwicz immer wieder die ganz großen Themen für sich zu reklamieren, wird abzuwarten sein.
BERLIN taz | Jonathan Landgrebe
war schon in den vergangenen
Jahren der Mann, zu dem man
von wohlmeinenden Geistern
gern hingeschoben wurde, wenn
es darum ging zu zeigen, dass der
altehrwürdige Suhrkamp-Verlag
eine Zukunft hat. Bei all den Auseinandersetzungen und Seltsamkeiten der letzten Zeit musste man als Beobachter ja gelegentlich seine Zweifel hegen.
Bei Landgrebe, 37 Jahre alt, so
belesen wie (was durchaus nicht
für alle Suhrkamp-Mitarbeiter
gilt) in der Realität geerdet, konnte man sich dann aber immer
wieder gut den Eindruck abholen, dass es immer noch so etwas
wie verlegerische Vernunft bei
dem so renommierten wie wichtigen deutschen Verlag gibt. Und
in den langjährigen Gerichtsschlachten mit dem Minderheitsgesellschafter Hans Barlach
hat Landgrebe letzten Endes
auch gehörige Nerven bewiesen.
Der neue Verleger hat einen
bildungsbürgerlichen Hintergrund, studierte BWL und tummelte sich dann erst einmal im
Internet. Die Legende besagt,
dass irgendwann einem Suhrkamp-Mitarbeiter auffiel, dass
sie jemanden brauchen, der dem
Verlag einmal das Internet erklärt. Dieser Job fiel Jonathan
Landgrebe zu. Ulla Unseld-Berkéwicz war so beeindruckt, dass sie
ihm bald einen festen Job anbot,
seit 2008 arbeitet Landgrebe, neben Thomas Sparr, als Geschäftsführer des Hauses.
Es wäre falsch, ihn nur als „Ritter“ der Altverlegerin zu sehen –
solche Begriffe kursieren in der
Branche. Vielmehr ist Landgrebe
jemand, der Berkéwicz auch unangenehme Wahrheiten sagen
konnte und überhaupt Ratio in
die Geschäftsführung brachte.
Zum Geschäftsleitungsgremium – mit Landgrebe an der Spitze
– werden auch die Unternehmenssprecherin Tania Postpischil sowie der Cheflektor Raimund Fellinger gehören. Fellinger steht für die Kontinuität des
Hauses, das inzwischen in Berlin
angesiedelt ist, aber einen Großteil seiner Geschichte aus Frankfurt am Main mitgenommen
hat. Autorenlegenden wie Thomas Bernhard, Uwe Johnson und
Peter Handke wurden und werden von Fellinger betreut, seit
1979 ist er bei Suhrkamp.
Befragt über das Schicksal des
Buches in den Zeiten der Digitalisierung, sagte Landgrebe in einem Interview: „Ich glaube nicht,
dass die Technologie die Zukunft
solcher Verlage wie Suhrkamp
entscheiden wird. Wenn irgendetwas das entscheiden wird,
dann die Qualität des Schreibens
derjenigen Autoren, die wir veröffentlichen und in ihrer Arbeit
unterstützen.“
Landgrebe, der nun in den
großen Schuhen der Verlegerlegende Siegfried Unseld steht, hat
recht. Man soll sich nicht irremachen lassen, weder von technologischen Verheißungen noch von
Schwanengesängen.
Letztlich
entscheidet die Qualität der Bücher über die Zukunft von Suhrkamp und damit ein Stück weit
über die deutsche Geisteslandschaft im Ganzen. DIRK KNIPPHALS