Was hast was nicht hab? - Die Onleihe

die taz.am wochenende – eine gute Wahl
In dieser Ausgabe F wie funkelnd Daniel Kehlmanns neuer, kluger Roman
I wie Irrtum Volker Beck über sein früheres Verhältnis zu den Pädophilen bei
den Grünen Z wie Zukunft Holz war einmal. Jetzt kommt Papier aus Stein
AUSGABE BERLIN | NR. 10197 | 35. WOCHE | 35. JAHRGANG | € 3,50 AUSLAND |
€ 3,20 DEUTSCHLAND
| SONNABEND/SONNTAG, 31. AUGUST / 1. SEPTEMBER 2013
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Was
hast
Du,
Das rechte Lager
Stolz und
heimatlos
was
ich
Nation, Kirche, Familie
und Tradition: Darauf
gründeten sich einst
konservative Milieus.
Geblieben sind davon
nur kleine Reservate,
selbst bei den Christdemokraten. Eine
Deutschlandreise
➤ sonntaz SEITE 14–16
nicht
hab? b  taz.berlin
Montage taz, Fotos: Plambeck/laif; Britta Pedersen/dpa; Imagesource/Getty; Billy & Hells (oben)
Drogen Razzien zum Trotz
TV-DUELL Mit der
Begegnung am Sonntag
beginnt die heiße Phase
des Wahlkampfs
zwischen Angela Merkel
und Peer Steinbrück:
ein Paar, das ungleicher
nicht sein könnte.
Der Kandidaten-Check
➤ wahl.taz SEITE IV–V
WAHL

2013
taz
taz
60635
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NACHRICHTEN | taz
SONNABEND/SONNTAG, 31. AUGUST / 1. SEPTEMBER 2013  TAZ.AM WOCHENENDE
Bahn zeigt
sich mal
spendabel
BERLIN taz | Für die USA ein Novum: Mit der US-Geologiebehörde hat jetzt auch eine staatliche
Einrichtung vor den Gefahren
der Erdgasförderung mit der in
Deutschland hoch umstrittenen
Fracking-Methode gewarnt.
In einem Fluss in den Apalachen im US-Bundesstaat Kentucky gab es laut einer Studie der
Behörde ein Fischsterben aufgrund von Erdgasbohrungen.
Der Fall stammt aus dem Jahr
2007, erst jetzt liegen die Ergebnisse vor. Die Studie warne davor, „dass ganze Bestände gefährdet werden können, auch
wenn es nur kleine Lecks von Fracking-Flüssigkeiten gibt“, schreiben die Autoren. Bei der Bohrmethode wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in
den Untergrund gepresst, um
das Gestein poröser zu machen
und neue Öl- und Gasvorkommen zu erschließen.
Methan im Trinkwasser
In den USA mehren sich damit
auch von offizieller Seite Hinweise, dass Fracking nicht sicher ist.
Die US-Umweltbehörde EPA hat
sich bisher mit derartigen Bewertungen zurückgehalten. Erst
kürzlich ist eine interne Präsentation an die Öffentlichkeit gespielt worden, wonach in Dimock im US-Bundesstaat Pennsylvania durch Fracking gesundheitsgefährdendes Methan ins
Trinkwasser gelangt ist. Bisher
hatte die EPA öffentlich das Gegenteil behauptet. Dimock ist bekannt aus dem Dokumentarfilm
„Gasland“, der Umweltschäden
durch Fracking anprangert. Die
USA sind Vorreiter bei der Methode. Derzeit boomt die Förderung vor allem von Erdgas.
In Deutschland gibt es bisher
keine gesetzliche Regelung zum
Fracking. Umweltschützer rufen
für diesen Samstag zu einem
bundesweiten Aktionstag gegen
Fracking auf.
INGO ARZT
Foto: Polaris/laif
ARBEITSLOSIGKEIT IN EUROPA
27,6%
11,0%
26,3%
DEUTSCHLAND
Gasförderung sorgt
für Öko-Desaster
ÖSTERREICH
ENERGIE US-Behörden:
MAINZ afp/dpa | Die Bahn will
Stammkunden für die wochenlangen massiven Zugausfälle am
Mainzer Hauptbahnhof mit Reisegutscheinen und Gutschriften
entschädigen. Inhaber von Abo-,
Jobticket- oder Zeitkarten aus
dem Raum Mainz sollen bis zu
50 Euro erstattet bekommen,
teilte die Deutsche Bahn am Freitag in Berlin mit. „Mit dem Angebot einer freiwilligen Kulanzleistung wollen wir unseren Stammkunden etwas Gutes tun und verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückgewinnen“, erklärte
der Vorstand Personenverkehr,
Ulrich Homburg. Nach dem
Chaos der vergangenen Wochen
soll der Zugverkehr am Mainzer
Hauptbahnhof ab diesem Wochenende endlich wieder normal rollen.
Unterdessen wurde bekannt,
dass Bundesregierung und Deutsche Bahn AG 36 Millionen Euro
in den Ausbau und die Modernisierung der Videoüberwachung
von Bahnhöfen investieren wollen. Eine entsprechende Grundsatzvereinbarung schlossen sie
am Freitag in Berlin, wie die
Deutsche Bahn und das Bundesinnenministerium mitteilten.
SPANIEN
Fracking ist
schuld an
Fischsterben
EIN GEDICHT DES VERSTORBENEN IRISCHEN
LITERATURNOBELPREISTRÄGERS SEAMUS HEANEY.
NACHRUF AUF SEITE 5
EU gesamt
MAINZ Bis zu 50 Euro
für genervte Pendler
angeboten
„Alles kann geschehen, die
höchsten Türme können / Umgestürzt, die Hochstehenden
eingeschüchtert, / Die Übersehenen beachtet werden“
GRIECHENLAND
02
4,8%
5,3%
USA Budget und Personal
der US-Geheimdienste
erstmals öffentlich
WASHINGTON afp | Neue Enthüllungen des Informanten Edward
Snowden geben einen Einblick in
den streng vertraulichen Haushalt der US-Geheimdienste. Die
Washington Post veröffentlichte
am Donnerstag in Auszügen das
unter Verschluss gehaltene
„Black Budget“ der US-Regierung. Dass Gesamtbudget von
52,6 Milliarden Dollar (knapp
40 Milliarden Euro) 2013 war bekannt – nicht aber, wie die Mittel
im Detail verwendet wurden. Die
16 Geheimdienste der USA beschäftigen demnach insgesamt
107.035 Mitarbeiter. Die größte
Summe (14,7 Milliarden Dollar)
erhalte die CIA, gefolgt von der
NSA mit 10,8 Milliarden Dollar.
USA Vergewaltiger einer
14-Jährigen zu milder
Strafe verurteilt
SAN FRANCISCO dpa | Der Richterspruch, einen Lehrer wegen
der Vergewaltigung einer 14-Jährigen nur mit 30 Tagen Haft zu
bestrafen, hat in den USA heftige
Proteste ausgelöst. Tausende
Menschen forderten die Entlassung des Richters G. Todd Baugh
in Billings, Montana. Er hatte den
heute 54-jährigen Lehrer, der
2008 eine Schülerin sexuell
missbraucht hatte, am Montag
zu einer einmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Grund für
die Milde: Das Mädchen habe älter gewirkt als 14. Es habe die Situation „genauso unter Kontrolle
gehabt“ wie der Lehrer. Das Opfer nahm sich drei Jahre nach der
Tat das Leben – nach Überzeugung der Mutter als Folge der
Vergewaltigung. Die Begründung des Urteils rief landesweit
Empörung hervor. Schon mehr
als 35.000 Menschen unterschrieben bis Freitag die Forderung, den Richter zu entlassen.
Agrarreform?
Nach der Wahl!
UMWELT Bund und Länder
QUELLE: EUROSTAT
107.000
Schnüffler
Opfer „wirkte
älter“: Nur
30 Tage Haft
„Ich schäme mich dafür, dass
2013 in Deutschland Kinder
angezogen im Bett liegen
müssen, weil sie Angst haben,
in einem Haus
zu schlafen“
DUISBURGS OBERBÜRGERMEISTER SÖREN LINK (SPD) ÜBER DROHUNGEN GEGEN EIN VON ROMA BEWOHNTES HAUS
Foto: Bleicker/Caro
einigen sich nicht über
Subventionen für Bauern
BERLIN taz/dpa | Die Verhandlungen zur Umsetzung der EUAgrarreform in Deutschland
sind vorerst gescheitert. „Die Bereitschaft, Kompromisse zu finden, war noch zu gering“, sagte
Bayerns Agrarminister Helmut
Brunner (CSU) am Freitag zum
Abschluss der Herbsttagung der
Ressortchefs von Bund und Ländern in Würzburg. Die Minister
der Grünen wollen kleine Höfe
stärker fördern als Bundesressortchefin Ilse Aigner (CSU) und
die Ostländer. Zudem fordern die
Grünen mehr Geld etwa für den
Ökolandbau. Nun soll eine Sonderkonferenz nach der Bundestagswahl eine Einigung bringen.
Zu einer Demonstration gegen die aktuelle Agrarpolitik und
die Agrarindustrie werden am
Samstag 3.000 bis 5.000 Teilnehmer erwartet. Sie wollen
Europas
größten
Geflügelschlachthof im niedersächsischen Wietze „umzingeln“. JMA
Neue Studie:
Geldsorgen
machen dumm
ABSCHIEBUNG Israels geistiger Gründer Theodor Herzl wollte vor über 100 Jahren in Uganda Juden
WASHINGTON ap | Finanzielle
Sorgen beeinträchtigen die Gehirnleistung. Zu diesem Ergebnis
kommt eine neue wissenschaftliche Studie, die am Freitag in der
Zeitschrift Science veröffentlicht
wurde. Menschen, die nicht genug Geld zum Begleichen ihrer
Rechnungen zur Verfügung hatten, schnitten in der Untersuchung um 13 IQ-Punkte schlechter ab als andere. Die These der
amerikanischen
Psychologen
und Wirtschaftswissenschaftler
lautet: Finanzieller Stress beherrscht das Denken, verlangsamt damit andere Operationen
im Gehirn und macht sie schwieriger – etwa so wie der Effekt von
zu wenig Schlaf.
JERUSALEM taz | Im LevinskyPark, unweit von Tel Avivs zentralem Busbahnhof, stehen immer
ein paar hundert Männer und
warten auf einen Gelegenheitsjob für den Tag. Hier treffen sich
die Ärmsten, die letzten Flüchtlinge, die es geschafft haben, sich
den Weg nach Israel zu bahnen,
bevor neu errichtete Trennanlagen an der Grenze zu Ägypten
den Strom der „Infiltranten“, wie
sie hier genannt werden, abreißen ließen.
Gleich im Anschluss an die jüdischen Feiertage im September
will Israel die ungewollten Gäste
abschieben. Uganda ist ein mögliches Ziel. Ausgerechnet Uganda, das Land, das Israels Urvater
Jetzt streiten
Gerichte über
Suhrkamp
VERLAG Frankfurter Justiz
versus Berliner Justiz
zum Thema Insolvenz
BERLIN taz | Drei Dinge geschehen derzeit gleichzeitig bei Suhrkamp. Erstens und für einen
wichtigen Verlag nicht unwesentlich: Die neuen Bücher erscheinen wie geplant und gewohnt. Marion Poschmanns Roman „Die Sonnenposition“ wird
schon sehr gelobt. Und es gibt
viele Verheißungen mehr, etwa
Neues von Detlef Kuhlbrodt.
Zweitens geht die Insolvenz
des Verlags seinen Gang. Soeben
lief die Frist ab, in der die Gläubiger ihre Ansprüche anmelden
können. Angang Oktober wird eine Gläubigerversammlung stattfinden – alles im Rahmen des
ordnungsgemäß von einem Berliner Gericht eingeleiteten Insolvenzverfahrens, dem ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen der
Mehrheitsbesitzerin Ulla Unseld-Berkéwicz und dem Minderheitenanteilseigner Hans Barlach vorausging.
Drittens gibt es noch die
Frankfurter Richterin Claudia
Müller-Einsing. Sie wirft, wie am
Donnerstag bekannt wurde, der
Verlegerin Unseld Berkéwicz in
einer Urteilsbegründung vor,
sich „grob treuwidrig“ gegenüber den Mitgesellschaftern zu
verhalten. Und zwar mit der Insolvenz, die das Berliner Gericht
aber gerade durchführt. „Durch
das Insolvenzverfahren droht
der Gesellschaft ein schwerer,
nicht wiedergutzumachender
Schaden“, schreibt Müller-Einsing. Dieser Vorwurf ist keine
Kleinigkeit: Die Feststellung einer groben Treuwidrigkeit kann
staatsanwaltschaftliche Ermittlungen nach sich ziehen.
Also: Business as usual, ordnungsgemäße Durchführung
der Insolvenz und mögliche Ermittlungen wegen genau dieser
Insolvenz. Irre. Aber ein ganz
normaler Verlag war Suhrkamp
ja noch nie. Wäre allerdings
schon gut, wenn wenigstens die
Gerichte sich einigten.
DRK
ansiedeln. Jetzt sollen dorthin Tausende ungeliebte eingewanderte Afrikaner verschwinden
Israels „Infiltranten“ sollen das Land verlassen
Theodor Herzl zu Beginn des
20. Jahrhundert erfolglos als Alternative zu Palästina als zionistisches Projekt ins Spiel gebracht
hatte. Zeitungsberichten zufolge
hat die dortige Regierung der
Aufnahme zugestimmt – im Gegenzug zu Rüstungslieferungen
und Wirtschaftshilfe. Am Freitag
hieß es dann allerdings, die Regierung Ugandas in Kampala
wisse von keinem Vertrag.
Tel Aviv ist einer der Hauptanziehungspunkte für die Afrikaner, die zu 90 Prozent aus Eritrea
und dem Sudan kommen. Viele
sind Opfer von Menschenhändlern im Sinai, skrupellosen Beduinen, die sie foltern und hohe Lösegelder für ihre Befreiung for-
dern. Israel traf der Strom von
Tausenden Menschen seit 2006
unvorbereitet. In den sozial ohnehin schwachen Wohlvierteln
gab es Zusammenstöße mit der
lokalen Bevölkerung. Um rasche
Abhilfe ringend, zog Israel als
erstes die Grenze dicht, damit
neue Flüchtlinge ferngehalten
werden. Wer doch noch durchkam, landete in der Regel in dem
Auffanglager Saharonim in der
Negev-Wüste. Aus dem Reservoir
dieses Lagers will sich das Innenministerium zuerst bedienen,
um die Abschiebungen in Angriff zu nehmen.
Offiziell soll das Verfahren
freiwillig verlaufen. Allerdings
kündigte Innenminister Gidon
Sa’ar (Likud) bereits Maßnahmen an, sollte er auf mangelnde
Kooperationsbereitschaft stoßen. Der Mehrstufenplan des Innenministers sieht zunächst vor,
ein Bewusstsein bei der Zielgruppe zu schaffen, „indem man bei
der Logistik für ihre Abreise
hilft“. Dazu gehöre die Aufklärung über die 1.500 US-Dollar,
die Israel jedem Ausreisewilligen
zahlt, über das freie Flugticket
„Lebe, aber hör
auf zu atmen“
DER ERITREER AMANUEL JAMANE
ZU DEN GEPLANTEN ABSCHIEBUNGEN
VON ISRAEL NACH AFRIKA
sowie die Möglichkeit, „den während des Aufenthaltes in Israel
angehäuften Besitz mitnehmen
zu dürfen“.
In späterer Stufe werde es eine
„Deadline“ geben, einen festgelegten Termin für die „freiwillige“ Ausreise. Hat man diesen Termin einmal verpasst, wird das
Visum nicht mehr verlängert.
Ausreise oder illegaler Aufenthalt ist die Alterative. Amanuel
Jamane aus Eritrea empfindet
das, „als sagten sie uns: ‚Lebe,
aber hör auf zu atmen‘, zitiert ihn
die Zeitung Ha’aretz. Viele
Flüchtlinge fürchten, dass Uganda nur Zwischenstation auf dem
Weg zurück in ihre Heimatländer ist.
SUSANNE KNAUL
taz | NACHRICHTEN
SONNABEND/SONNTAG, 31. AUGUST / 1. SEPTEMBER 2013  TAZ.AM WOCHENENDE
03
FOTO DER WOCHE
Ein viel
zu heißer
Sommer
Im portugiesischen
Caramulo wehrt
sich ein Einwohner
verzweifelt gegen
das Ausbreiten der
Flammen. Wind und
extreme Trockenheit
machen die
Bemühungen der
Feuerwehr zur
Sisyphusarbeit.
Foto: Patricia de Melo Moreira/afp
Frankreich:
„Wir sind
dabei“
SYRIEN US-Präsident Barack Obama strebt für den Syrien-Einsatz eine internationale Koalition an.
UN-Waffeninspekteure verlassen am Samstag Damaskus. Bericht über Brandbomben auf Schule
USA können ohne London losschlagen
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SYRIEN Präsident
Rot-Grün
gegen Waffengang minister Chuck Hagel sagte am auf chemische Substanzen gesto- ter Berufung auf Aktivisten und
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Freitag in Manila, Obama wolle ßen und Dämpfen ausgesetzt ge- Twitter-Accounts von Aufständi- Hollande ist zum
BERLIN taz | Nach der Absage des
britischen Unterhauses an einen
Militärschlag gegen Syrien beharrt das Weiße Haus darauf, Präsident Barack Obama könne
auch ohne Beteiligung Londons
und des US-Kongresses „handeln“, wenn es um Fragen der nationalen Sicherheit gehe. Ohne
Kritik blieb das nicht: Über 200
Abgeordnete des Repräsentantenhauses aus beiden Parteien
haben inzwischen schriftlich
den Präsidenten aufgefordert,
mögliche Militäraktionen vor
den Kongress zu bringen. Noch
am Donnerstagabend telefonierte Obama mit dem republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, um ihn
über den Stand der Debatte in
Kenntnis zu setzen. Noch immer
sei, hieß es nach außen, über keinerlei konkrete Maßnahmen
entschieden. US-Verteidigungs-
Die SPD lehnt einen Militäreinsatz gegen Syrien nach Worten ihres Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück ab. Zugleich schlug Steinbrück am Freitag in Berlin vor, dass
der G-20-Gipfel in der kommenden
Woche Verhandlungen über eine
schnellstmögliche Waffenruhe
anschieben sollte. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sagte im tazInterview: „Hundert Stunden Verhandlungen sind besser als eine
Minute schießen“ – dieses Zitat
stammt von Exkanzler Helmut
Schmidt (SPD).
■ Grünen-SpitzenkandidatJürgen
Trittin warnte vor einem Alleingang der USA in Syrien. Wahrscheinlich richte eine militärische
Antwort mehr Schaden als Nutzen
an, sagte Trittin. (dpa, afp)
Interview mit Sigmar Gabriel
auf der wahl.taz SEITE I
■
nicht im Alleingang vorgehen.
Ziel des Präsidenten sei es vielmehr, jede Entscheidung auf der
Basis internationaler Zusammenarbeit zu treffen.
Bis Ende der Woche wollte die
Regierung auch Beweise vorlegen; es gebe „kaum Zweifel“ daran, dass syrische Regierungstruppen hinter dem mutmaßlichen Giftgasangriff vom Mittwoch vergangener Woche steckten. Eine zusammenfassende,
nicht als geheim eingestufte Version sollte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
In Syrien selbst haben die UNInspektoren am Freitag, ihrem
letzten Tag im Land, Soldaten in
einem Militärkrankenhaus besucht, die nach Regierungsangaben bei der Durchsuchung eines
von Rebellen genutzten Tunnels
wesen seien. Laut der amtlichen
Nachrichtenagentur Sana soll
sich der Vorfall am vergangenen
Samstag in Dschobar ereignet
haben, einem Vorort von Damaskus. Die Inspektoren wollten Syrien am Samstagmorgen verlassen. Über Erkenntnisse ist bislang nichts verlautbart worden.
Allerdings haben sie nur die Aufgabe, herauszufinden, ob und
womöglich mit welchen Substanzen Giftgas eingesetzt wurde, nicht aber, wer es angewendet hat. Medien spekulierten
über einen US-Angriff kurz nach
Abreise der UN-Inspektoren.
In Erwartung dieser Militärschläge bereiten sich sowohl Syriens Regierung als auch islamistische Rebellengruppen auf
mögliche US-Militärschläge vor,
berichtet die New York Times un-
schen. Die Armee habe begonnen, schweres Gerät aus bekannten Militäreinrichtungen in
Wohnviertel zu verlegen, und
auch die Islamisten hätten in Erwartung, ebenfalls zum Ziel von
US-Raketen zu werden, Truppen
und Ausrüstung verlegt.
Der britische Fernsehsender
BBC berichtete unterdessen am
Donnerstagabend aus einem
nicht näher benannten Ort im
Norden Syriens, wo BBC-Reporter eine Schule besuchten, die
laut Augenzeugen von aus
Kampfflugzeugen abgeworfenen Brandbomben getroffen
wurde. Sie filmten auch die
schlimmen Brandverletzungen
der Opfer, die, so berichten interviewte Ärzte, auf den Einsatz von
Napalm oder ähnlichen Stoffen
hindeuteten.
BERND PICKERT
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SYRIEN Großbritanniens Parlament lehnt Beteiligung an einem Militärschlag ab – gegen den Willen des
konservativen Premiers Cameron. Manche Abgeordnete fühlten sich an Tony Blair und den Irak erinnert
Britisches Militär darf nicht in den Krieg
DUBLIN taz | Wenn es um einen
Militärschlag gegen Syrien geht,
müssen die USA ohne ihre britischen Verbündeten in den Krieg
ziehen. Das Londoner Unterhaus
stimmte in der Nacht zu Freitag
überraschend dagegen. Der
sichtlich schockierte Premierminister David Cameron versicherte nach der Abstimmung, dass er
auf sein Vorrecht verzichten und
das Votum des Parlaments respektieren werde. „Es ist mir klar,
dass das britische Parlament, das
die Meinung des britischen Volks
widerspiegelt, keinen britischen
Militäreinsatz wünscht“, sagte er.
„Ich habe das verstanden, und
die Regierung wird entsprechend handeln.“
Cameron verlor das Votum
sehr knapp, mit 285 zu 272 Stim-
men. 30 seiner eigenen Konservativen und rund 20 Abgeordnete des liberalen Koalitionspartners stimmten gegen ihn, gemeinsam mit der Opposition.
Zwei Kabinettsmitglieder, unter
anderen Entwicklungsministerin Justine Greening, waren gar
nicht erst zur Abstimmung erschienen, weil sie angeblich die
Glocke nicht gehört hatten. Der
erregte Bildungsminister Michael Gove rief den Tory-Rebellen zu: „Schande!“ Seine Frau Sarah Vine twitterte: „Armselige
Verlierer, die nicht über ihren eigenen Tellerrand schauen können.“ Der frühere Chef der Liberalen, Menzies Campbell, sagte,
er könne sich an keine vergleichbare Niederlage einer Regierung
bei einem solch bedeutenden au-
ßenpolitischen Thema erinnern.
Das letzte Mal, dass das britische
Parlament einen von der Regierung gewünschten Kriegseinsatz
niederstimmte, war im 18. Jahrhundert – gegen die USA.
Verteidigungsminister Philip
Hammond befürchtete am Freitag, das Votum werde die „besondere Beziehung“ zwischen den
USA und Großbritannien belasten. „Aber die Amerikaner verstehen den parlamentarischen
Prozess, den wir durchlaufen
müssen“, fügte er hinzu. Finanzminister George Osborne sagte,
das Votum werde eine Debatte
auslösen, ob Großbritannien
weiterhin eine wichtige internationale Rolle spielen oder lediglich Zuschauer sein wolle. Cameron hatte zu Beginn der Debatte
eine Einschätzung des Generalstaatsanwalts Dominic Grieve
verlesen, der einen Militäreinsatz auch ohne UN-Beschluss
„unter der Doktrin der humanitären Intervention“ für legal hält.
Außerdem legte der Premierminister ein Dokument des Geheimdienstes vor, worin es hieß,
das
Assad-Regime
stecke
„höchstwahrscheinlich“ hinter
dem Giftgasangriff von voriger
Woche.
Cameron vermied dafür das
Wort „Dossier“, wohl weil es einen schlechten Beigeschmack
hat, seit der damalige Premier
Tony Blair dem Parlament vor
zehn Jahren ein „Dossier“ des Geheimdiensts über Massenvernichtungswaffen im Irak vorlegte, das sich später als teilweise ge-
fälscht herausstellte. Viele Abgeordnete führten das jetzt auch
als Grund für ihre Ablehnung
des Militäreinsatzes gegen Syrien an. Man wolle sich nicht ein
zweites Mal hinters Licht führen
lassen, sagte eine Abgeordnete.
RALF SOTSCHECK
Meinung + Diskussion SEITE 4
Waffengang bereit
PARIS taz | Frankreich ist bereit,
trotz der Vorbehalte aus London
und Berlin mit den USA und einer internationalen Koalition in
Syrien zu intervenieren. Das bestätigt Staatspräsident François
Hollande ein einem Interview
mit Le Monde: „Falls der Weltsicherheitsrat weiter am Handeln
gehindert bleibt, wird sich eine
möglichst breite Koalition bilden. Frankreich wird dabei sein.“
Er hatte wiederholt gefordert,
das Assad-Regime müsse für seine Verantwortung für die Giftgasangriffe bestraft werden:
„Das Massaker kann und darf
nicht ungesühnt bleiben“, sagte
er. Ziel einer „angemessenen“
militärischen Aktion sei es aber
nicht, Syrien zu „befreien“, sondern im Sinne der Abschreckung
zu zeigen, dass eine solche
„monströse Verletzung der Rechte der menschlichen Person“
und der internationalen Ächtung von C-Waffen nicht unbeantwortet bleibt.
Laut Hollande könnten erste
militärische Schläge erfolgen, sobald die UNO-Experten mit eindeutigen Beweisen für den Gaseinsatz Syrien verlassen hätten.
Frankreich verfügt in der Region
nur über ein beschränktes Arsenal: rund ein Dutzend in Abu
Dhabi und Dschibuti stationierte
Kampfflugzeuge, mit Kurzstreckenraketen ausgerüstete atomare U-Boote und eine fabrikneue Fregatte mit Luftabwehrwaffen. Inzwischen wächst auch
in Frankreich, wo die Bevölkerung in der Regel Auslandseinsätze im Namen der Menschenrechte eher billigt, die Skepsis.
Eine parlamentarische Zustimmung braucht Hollande nicht.
Für Mittwoch ist darum in Paris
lediglich in beiden Kammern eine Debatte ohne Abstimmung
vorgesehen.
RUDOLF BALMER