Sitzungskalender

Heute mit 16 Seiten Kulturprogramm für Berlin
DONNERSTAG, 23. OKTOBER 2014 | WWW.TAZ.DE
AUSGABE BERLIN | NR. 10545 | 43. WOCHE | 36. JAHRGANG
HEUTE IN DER TAZ
taz.p an
€ 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND
DieHimmelsstürmer
Audienz Der FC Bayern München ist zu Gast bei Papst Franziskus und
gewinnt 7:1 gegen den AS Rom. Das ist kein Zufall – sondern das
Vorspiel für sieben Stationen auf dem Weg zum Heiligenschein
südkoreanische
Regisseurin Cho
Sung-hyung drehte
in Nordkorea ➤ SEITE 15
Vorbeter Uli Hoeneß hat die Leiden
aller Steuerzahler auf sich genommen
und übt sich in einem Festungsbau zu
Landsberg in Askese
AUSGEZEICHNET
Nirgends ist der Handel mit
Kultgegenständen besser organisiert
(www.fcbayern.de/Shop)
Sacharow-Preis für
den kongolesischen
Gynäkologen Denis
Mukwege ➤ SEITE 13
ANGEZÄHLT Lange
Leitung: Viele Berliner
Notrufe kommen
kaum durch ➤ SEITE 21
Foto: picture alliance
VERBOTEN
Devotionalien
Apostel
Die weisen Führer großer Arbeitgeber
des Landes (VW, Audi, Telekom, Adidas)
versammeln sich in der Kontrollkongregation der FC Bayern München AG
Purgatorium
Beim Champions-League-Finale
dahoam 2012 fühlen sich die Münchner
einer Aufnahme in den Fußballhimmel
noch nicht würdig und verlieren
US-Mädchen
auf dem Weg in
den Dschihad?
Wunder
Grüß Gott,
meine Damen und Herren!
„Jeder erhielt ein kleines Kreuz
an einer Kette“, heißt es in der
Pressemitteilung des FC St.
Bayern zum erhaltenen Gadget
bei der Privataudienz bei diesem Mann mit der Bäckerstracht, in dieser Stadt mit diesem großen kaputten Stadion
im Zentrum, in diesem Land,
das wo da unten ist und wo es
diese runden Teigfladen geben
tut, von wo die Bayern dann zurückgeflogen sind in so einer
Röhre mit Flügeln dran, über so
ganz hohe Steinhaufen, bis sie
wieder in ihr Heimatland gekommen sind, das einst katholisch gewesen ist.
BRÜSSEL Die EU will heute
neue Klimaschutzziele
verabschieden
BERLIN taz/dpa | Die Staats- und
Regierungschefs der EU wollen
auf ihrem Gipfel am Donnerstag
und Freitag neue Energie- und
Klimaziele bis 2030 beschließen.
Es wäre der erste große Wirtschaftsblock der Welt, der sich zu
derartigen Zielen bis zum Ende
der nächsten Dekade verpflichtet. Eine Verabschiedung könnte
an einigen osteuropäischen
Staaten wie Polen scheitern. Sie
sollen deshalb Finanzhilfen bekommen, um alte Kraftwerke zu
erneuern. „Das ist ein gutes Paket, und ich hoffe sehr, dass die
Regierungschefs es beschließen
werden“, sagt die scheidende EUKlimakommissarin Connie Hedegaard im taz-Interview. Das Paket sieht 40 Prozent weniger CO2Emissionen, 27 Prozent erneuerbare Energien und eine um 30
Prozent höhere Energieeffizienz
vor: das 40-27-30-Ziel.
➤ Interview SEITE 3
Martyrium
AUSNAHME Die
Europas
Weltformel:
40-27-30
Das Giesinger Postbeamtenkind
Franz Beckenbauer verwandelt sich
in eine Lichtgestalt
BERLIN rtr | Die USA haben alle
Staaten zu verstärkten Bemühungen aufgerufen, die Ausreise
einheimischer IslamistInnen in
den Krieg im Irak und in Syrien
zu verhindern. US-Außenminister John Kerry dankte Deutschland am Mittwoch in Berlin
speziell für die Zusammenarbeit
im Fall von Jugendlichen aus den
Vereinigten Staaten. Am Frankfurter Flughafen waren am
Sonntag drei Mädchen aus Denver aufgegriffen worden, die sich
nach Berichten von US-Medien
den Extremisten des IS in Syrien
anschließen wollten.
➤ Der Tag SEITE 2
Mission 2.0
Papst Franziskus’ deutschsprachiger
Twitter-Account hat 219.000 Follower,
der des FC Bayern 1,58 Millionen
Nächstenliebe
Die Bayern befreien die besten Spieler
von den Fesseln des irdischen Klubfußballs und ermöglichen ihnen ein sorgenfreies Leben, jetzt und in alle Ewigkeit
➤ SPORT SEITE 19
Foto [Montage]: Andreas Gebert/dpa, FC Bayern München
Es war ein Rosenkranz,
ihr Heiden!
KOMMENTAR VON ULRIKE HERRMANN ÜBER DIE ENTFLECHTUNG VON GROSSKONZERNEN
TAZ MUSS SEIN
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40643
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Amazon zerschlagen! Und dann?
roßkonzerne beherrschen die Welt.
Dies macht eine einzige Tatsache deutlich:DerglobaleHandelwirdzurHälfte
nicht zwischen Staaten abgewickelt – sondern innerhalb von internationalen Unternehmen, die überall ihre Standorte haben.
Die Marktmacht der Großkonzerne erzeugtAngst.IndenUSAwirdjetztdiskutiert,
ob man nicht den Onlinehändler Amazon
und die Investmentbanken an der Wall
Street zerschlagen sollte. Berühmte Vorbilder gibt es ja. 1911 wurde Rockefellers Ölkonzern Standard Oil zerlegt und in 34 Einzelgesellschaften aufgeteilt.
Aber gerade die Geschichte von Standard
Oil zeigt auch, dass reines Zerschlagen gar
nichts bringt. Längst dominieren wieder
wenige Ölkonzerne das gesamte Geschäft.
Die anderen Firmen gingen pleite – oder
wurden später aufgekauft. Rockefeller
selbstprofitiertesogardavon,dassseineFir-
G
ma zerlegt wurde. Denn der Aktienkurs der
Einzelbetriebe fiel zunächst dramatisch, sodass Rockefeller billig zuschlagen konnte.
Als auch den anderen Anlegern dämmerte,
dass das Ölgeschäft gar nicht gestört war,
machte Rockefeller einen Kursgewinn von
200 Millionen Dollar – dies wären heute
5,7 Milliarden.
Die Entflechtung von Konzernen kann also ziemlich folgenlos sein, was auch bei den
Investmentbanken gelten dürfte. Wenn
man etwa JP Morgan in zehn kleinere Investmentbanken aufteilte, würden diese kleineren Institute trotzdem mit Derivaten spekulieren. Dies ist keine abstrakte Überlegung,
Banken zu zerlegen reicht
nicht: Man muss riskante Spekulationsgeschäfte verbieten
sondern zeigt sich täglich bei den Hedgefonds oder Geldmarktfonds, den sogenannten Schattenbanken. Sie sind viel kleiner als
normale Banken, aber ebenfalls brandgefährlich.
Es ist zwar richtig, gegen marktbeherrschende Unternehmen und Kartelle vorzugehen. Aber es reicht nicht, einfach Banken
zu zerlegen. Man muss energisch regulieren. Wenn riskante Spekulationsgeschäfte
nicht stattfinden sollen, dann muss man sie
klar und für alle verbieten; dann darf man
kein chaotisches Finanzgesetz wie den
Dodd-Frank Act in den USA erlassen, der
8.066 Seiten umfasst und vorsätzlich Verwirrung stiftet.
DerRufnachderKartellbehördeistverlockend. Aber was ist gewonnen, wenn aus einem Riesen-Amazon zehn kleine werden,
die gemeinsam den Markt beherrschen?
➤ Wirtschaft + Umwelt SEITE 9
Besuch von
Kerry: NSA
kein Thema
BERLIN taz | US-Außenminister
John Kerry hat in Berlin die deutschen Bemühungen um den
Friedensprozess zwischen der
Ukraine und Russland gewürdigt. Während eines Besuchs bei
Kanzlerin Angela Merkel (CDU)
und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) dankte er
außerdem für den Beitrag der
Bundesregierung zu den Atomgesprächen mit dem Iran. Merkel
betonte ihrerseits die „enge Partnerschaft“ mit den USA. Die NSAAffäre war dagegen offiziell
nicht Thema der Gespräche.
➤ Inland SEITE 6
➤ Meinung + Diskussion SEITE 12
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DONNERSTAG, 23. OKTOBER 2014  TAZ.DIE TAGESZEITUNG
NACHRUF
NACHRICHTEN
KANADA
USA
Schüsse im Parlamentsgebäude von Ottawa
Ben Bradlee, 1921–2014
Foto: getty images
Legendärer
Zeitungsmacher
en Bradlees Name wird
immer mit der Washington Post verbunden bleiben. Der Mann, der am
Dienstag mit 93 Jahren gestorben ist, war 26 Jahre lang Chefredakteur der Zeitung. Erst unter
seiner Ägide und mit Rückendeckung der Verlegerin Katharine
Graham, wurde die Post zu einer
der führenden Zeitungen.
Es war sein Verdienst, die Zeitung von einer Washingtoner Lokalzeitung zu einem landes- und
weltweit führenden Medium zu
machen. Dafür steht nicht nur
sein hemdsärmliger, fordernder
und motivierender Stil, wie ihn
nahezu alle Post-Mitarbeiter beschreiben, die dort unter ihm gearbeitet haben. Es sind vor allem
zwei Ereignisse, die das Ansehen
Bradlees und der Washington
Post in schwindelnde Höhen haben schießen lassen: der Watergate-Skandal, der den beiden
jungen Reportern Bob Woodward und Carl Bernstein zu Weltruhm und der Post zu einem Pulitzerpreis verhalf und schließlich 1974 Präsident Richard Nixon zu Fall brachte. Es war der
erste und einzige Rücktritt eines
US-Präsidenten bis heute. Bradlee hatte seinen Reportern gegen
alle Anfeindungen immer den
Rücken gestärkt. Mit Erfolg.
Und da waren die Pentagon
Papers, jene von dem Whistleblower Daniel Ellsberg geleakten
Dokumente über die US-Lügen
im Vietnamkrieg, die 1971 zuerst
B
OTTAWA | Im Regierungsviertel
der kanadischen Hauptstadt Ottawa hat ein Bewaffneter um sich
geschossen. Mindestens 20
Schüsse wurden laut Augenzeugen im Parlamentsgebäude
abgefeuert. Gepanzerte Fahrzeuge und schwer bewaffnete Polizisten gingen vor dem Parlament
in Stellung, das Viertel wurde
weiträumig abgeriegelt. Zuvor
war ein Wachsoldat vor einem
Denkmal nahe dem Parlamentsgebäude durch Schüsse schwer
verletzt worden. Augenzeugen
berichteten daraufhin, sie hätten
einen bewaffneten Mann mit
langen schwarzen Haaren, der
von der Polizei verfolgt wurde, in
das Parlamentsgebäude rennen
sehen. Ein Regierungsvertreter
sagte, Premierminister Stephen
Harper sei in Sicherheit gebracht
worden.
Erst am Montag hatte ein mutmaßlicher Islamist nahe Montréal zwei kanadische Soldaten
überfahren, einer starb. Der 25jährige Täter, ein Konvertit namens Martin Couture-Rouleau,
wurde nach einer Verfolgungsjagd erschossen. Nach diesem
Anschlag hatte die Regierung die
Terror-Alarmstufe für Kanada
von „niedrig“ auf „mittelhoch“
hochgestuft. (afp, dpa, rtr)
Rente für flüchtige
NS-Täter im Ausland
OSIJEK | Dutzende mutmaßliche
NS-Kriegsverbrecher und frühere SS-Wachleute haben noch
nach ihrer Ausweisung aus den
USA aufgrund einer Gesetzeslücke US-Sozialleistungen in Millionenhöhe kassiert. Mindestens
vier der Leistungsempfänger leben noch, darunter Jakob Denzinger, ehemaliger Wachmann
in Auschwitz. Er floh 1989 von
Ohio nach Deutschland, ließ sich
wenig später in Kroatien nieder
und lebt heute in Osijek. Er erhält
monatlich rund 1.500 Dollar. (ap)
Meinung + Diskussion SEITE 12
WAS FEHLT …
Merkwürdige und absurde
Meldungen aus dem Alltag:
taz.de setzt mit der Rubrik
„Was fehlt“ eine alte Tradition
der tageszeitung fort – auf
taz.de/wasfehlt
Absurd
Albern
Voll daneben

www.taz.de
EUROPA PRÜFT
11 Banken fallen
bei Stresstest durch
FRANKFURT/MAIN | Mindestens
11 Banken aus 6 Euro-Ländern
haben einem Medienbericht zufolge den seit Monaten laufenden Fitnesscheck der Aufseher
nicht bestanden. Wie die spanische Nachrichtenagentur EFE am
Mittwoch ohne Angabe von
Quellen berichtete, dürften drei
griechische, drei italienische,
zwei österreichische, eine zyprische, eine portugiesische und
womöglich eine belgische Bank
den Test nicht erfolgreich absolviert haben. Insgesamt wurden
130 Institute geprüft. (rtr)
Auf dem Weg nach Syrien abgefangen
USA Polizei in Frankfurt hindert drei Teenager aus Colorado an Weiterreise. Die Mädchen wollten zur IS-Miliz
VON BERND PICKERT
BERLIN taz | Am vergangenen
Freitag waren sie losgezogen. Ihren Eltern hatten die drei 15-, 16und 17-jährigen Mädchen aus
dem kleinen Arapahoe County
im US-Bundesstaat Colorado erzählt, sie seien auf dem Weg zur
Schule. Als die zwei Töchter einer
aus Somalia stammenden Familie und ihre Freundin, Kind einer
Familie aus dem Sudan, dort
nicht ankamen und abends auch
nicht nach Hause zurückkehrten, gaben die Eltern eine Vermisstenanzeige auf. Zu diesem
Zeitpunkt saßen die drei bereits
in einem Flugzeug nach
Deutschland. Laut US-Ermittlern
wollten sie von Frankfurt aus
über die Türkei nach Syrien
weiterreisen und sich dort dem
„Islamischen Staat“ (IS) anschließen.
Die Eltern hatten Verdacht geschöpft, als sie feststellten, dass
alle drei ihre Reisepässe mitge-
nommen hatten. Die somalische
Familie bemerkte darüber hinaus, dass auch noch 2.000 Dollar
verschwunden waren.
In Frankfurt verbrachten die
Mädchen einen ganzen Tag am
Flughafen, bevor sie von der
deutschen Polizei in Gewahrsam
genommen wurden. Begleitet
von FBI-Ermittlern sind die drei
inzwischen wieder in den USA
gelandet und zurück bei ihren Eltern. Ob gegen die Mädchen Anzeige erstattet wird, ist derzeit
noch unklar. Die Ermittler versuchen nach eigenen Angaben herauszufinden, ob die Mädchen in
den USA oder in Deutschland
Mittelsmänner hatten und ob
sich in ihrem Freundeskreis
Islamisten finden. Auch ob die
drei sich zum Vorwurf, in den
Dschihad ziehen zu wollen,
geäußert haben, ist derzeit noch
unklar.
Aus den wenigen öffentlichen
Stellungnahmen der Familien
geht jedenfalls bislang nicht her-
vor, dass sie an ihren Kindern eine Radikalisierung bemerkt hätten. Seine Tochter sei „immer ein
gutes Kind gewesen, mit dem er
nie größere Probleme“ gehabt
habe, soll der aus dem Sudan
stammende Vater den Ermittlern gesagt haben.
Vor wenigen Monaten war eine 19-jährige junge Frau aus Colorado in den USA unter dem
Vorwurf festgenommen worden,
sich zum IS aufzumachen. Sie bekannte sich schuldig.
Justin Bieber auf Salafistisch
DEUTSCHLAND Was zieht junge Frauen in den Dschihad? Oft sind es Männer, sagen Experten. In unserer komplexen Welt wirke auf
manche auch die klare Rollenzuschreibung der Salafisten attraktiv. Aus Deutschland reisten mindestens 40 Frauen Richtung Syrien
Watergate und Pentagon Papers machten
Bradlee zum Idol der
„vierten Gewalt“
die New York Times gedruckt hatte, die aber auch Bradlee veröffentlichte, als die Times zusehends stärker unter den Druck
der Regierung geriet.
Beide Ereignisse zusammen
machten aus Bradlee das Idol
der „vierten Gewalt“ im Staat und
prägten lange Zeit das Selbstverständnis des US-Journalismus. Dabei war Bradlee nicht
zuletzt jemand, dem es auch ums
Geldverdienen ging. Seinen Einstieg in die Führungsriege der
Post verdankte er, damals noch
Newsweek-Reporter, seiner Idee,
der Post vorzuschlagen, Newsweek zu übernehmen. Das klappte – Ben Bradlee kassierte eine
hübsche Provision und stieg
auf.
Er verließ die Zeitung 1991 mit
siebzig Jahren. Die Krise der
Printmedien in den letzten Jahren, die auch die Washington
Post ergriff, hatte er nicht zu verantworten.
BERND PICKERT
DER TAG
Mädchen aus vielen Ländern der Welt reisen Richtung Syrien. Die 15-jährige Nora verließ ihre Familie in Frankreich bereits im Januar Foto: Hartmann/reuters
BERLIN taz | Über „Sarah O. aus
Konstanz“ spricht Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen
inzwischen auch öffentlich – und
man merkt, dass ihn die Geschichte des Mädchens nicht
kaltlässt. Die Gymnasiastin war
gerade 15 Jahre alt, als sie vergangenen Oktober nach Syrien zog,
um auf der Seite der Islamisten
zu kämpfen. „Sie ist ausgereist
und hat dann ein Foto, auf dem
sie mit einer Kalaschnikow vor
der Fahne des Islamischen Staates posiert, nach Deutschland geschickt“, sagte Maaßen jüngst bei
einer Anhörung im Bundestag.
Die Eltern, der Vater gebürtiger Algerier, die Mutter deutsche
Konvertitin, hatten nichts geahnt. Das Mädchen fälschte die
Unterschrift des Vaters auf einer
Einverständniserklärung
und
kaufte damit ein Ticket von Stuttgart nach Istanbul und weiter ins
türkische Gaziantep. Von dort
gelangte sie ins syrische Aleppo,
wo sie sich zunächst al-Qaida angeschlossen haben soll.
Aus Deutschland sind bis jetzt
mehr als 450 IslamistInnen in
Richtung Syrien gezogen. Mindestens 40 davon sind Frauen,
weiß man beim Bundesamt für
Verfassungsschutz. Nicht weniger als 54 der Ausgereisten sind
Konvertiten. Was treibt Mädchen
und Frauen, die in Deutschland
geboren und aufgewachsen sind,
dazu, nach Syrien zu gehen und
dort für einen islamischen Staat
zu kämpfen?
Claudia Dantschke von der Beratungsstelle Hayat steht immer
wieder vor dieser Frage. Sie berät
Familien, deren Kinder sich radikalisieren und auszureisen drohen. Ein Drittel ihrer Fälle betrifft Töchter.
Manche von ihnen stammen
aus traditionellen Familien, die
den Freiraum der Töchter stark
einschränken. „Für diese Mädchen ist Salafismus fast wie eine
Befreiung, so merkwürdig das
klingen mag“, sagt Dantschke.
Männer wie der Rapper Denis Cuspert, der
nun für den IS kämpft,
sind ihre Helden
„Dort gelten Einschränkungen
für beide Geschlechter, was die
Mädchen als gerechter empfinden. Sie emanzipieren sich mit
ihrem neu erworbenen islamischen Wissen von autoritären Vätern.“
Götz Nordbruch vom Verein
Ufuq, der Präventionsarbeit in
Schulen macht, verweist auf die
Zerrissenheit der Mädchen:
„Wenn man als 14-Jährige zum
Beispiel in Berlin-Neukölln aufwächst, gibt es viele Möglichkei-
ten für Frauen – Minirock oder
vollverschleiert, Karriere oder
ein Leben für die Familie.“ Manche überfordert das. Die Salafisten nehmen den Mädchen die
Entscheidung ab, sie bieten ganz
klare Geschlechterrollen an.
Um Sarah soll ein Mann im Internet geworben haben, der sie
nach Syrien lockte. Die Zehntklässlerin nennt sich jetzt Amatul’ Aziz, Dienerin Gottes. Im Januar, kurz vor ihrem 16. Geburtstag, heiratete sie Ismail S., einen
Dschihadisten aus Köln. Das postete sie auf Facebook. Und: „Wenn
unsere Löwen schlafen, tragen
wir die Verantwortung für die
Ummah“, für die islamische Gemeinschaft also. Die beiden
schlossen sich dem IS an.
Mädchen wie Sarah schwärmen für IS-Kämpfer wie andere
für Popstars, sagt IslamismusExpertin Dantschke. Männer wie
Denis Cuspert, der sich früher als
Rapper Deso Dogg nannte, zum
Islam konvertierte und nun für
den IS kämpft, sind ihre Helden.
„Da gibt es eine richtige Fangemeinde pubertierender Mädchen“, sagt Dantschke. „Das ist
deren Justin Bieber.“
„Junge Frauen, die ausreisen,
haben meist partnerschaftliche
Beziehungen zu Männern, die
schon drüben sind“, hat auch
Thomas Mücke vom Violence
Prevention Network beobachtet.
Die Initiative gehe meist von den
Männern aus. Mit jungen Frauen
und insbesondere Mädchen gebe
es aber wenig Erfahrungen,
räumt er ein. „Letztlich ist uns
das auch ein Rätsel.“
Auch bei Karolina R. ging es
um einen Mann. Farid S., der Lebensgefährte der 25-Jährigen aus
Bonn, kämpft in Syrien für den
IS. Sie selbst soll ihn mit Kameras
und Geld unterstützt haben – für
Propagandazwecke. S. posierte
im Juli nach einem mutmaßlichen IS-Massaker in Syrien in einem Internetvideo vor einem
Leichenberg.
SABINE AM ORDE
SCHWERPUNKT
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Klimapolitik
DONNERSTAG, 23. OKTOBER 2014  TAZ.DIE TAGESZEITUNG
03
Die Amtszeit der ersten EU-Klimakommissarin, Connie
Hedegaard, endet. Und die EU steht schwächer da als zuvor
Schlecht: Klimaschädliches Öl aus Teersänden kommt nach Europa. Auch nicht so gut: Erneuerbare Energien sollen weiterhin gefördert werden – aber leider nicht verbindlich Fotos: Marc Ralston/afp; Paul Langrock/Agentur Zenit
„Ich hasse Klimakonferenzen“
BILANZ Klimakommissarin Connie Hedegaard über die morgigen Klimaverhandlungen, nationale Interessen und ihre Frustration
INTERVIEW BERNHARD PÖTTER
taz: Frau Hedegaard, Sie blicken
auf fünf Jahre als EU-Klimakommissarin zurück. Jetzt will
die EU ein neues Klimapaket beschließen, das bis 2030 eine Reduktion der Emissionen um
40 Prozent vorsieht. Klingt gut,
ist aber nur Business as usual,
oder?
Connie Hedegaard: Einspruch.
Das ist ein gutes Paket, und ich
hoffe sehr, dass die Regierungschefs es beschließen werden. Sie
haben keine Vorstellung, wie
ehrgeizig die 40 Prozent sind.
Mitten in der Wirtschaftskrise, in
der sich viele EU-Länder noch befinden, beschließen wir, die Reduzierungen zu verdoppeln, und
zwar in nur zehn Jahren. Bei den
ersten 20 Prozent hatten wir viel
mehr Zeit, wir hatten die Reduktionen durch den Zusammenbruch der Industrien in den ehemaligen Ostblockstaaten, und
wir konnten einen Teil der Minderung außerhalb der EU erbringen. Jetzt haben wir das nicht
mehr und gehen auf 40 Prozent,
das ist ein großer Schritt.
Aber wir erreichen damit nicht
die Reduktion um 95 Prozent,
die wir bis 2050 brauchen, um
die globale Erwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen.
Wir haben 80 bis 95 Prozent zugesagt, und wir sind mit diesem
Paket auf dem Weg, die 80 Prozent zu erreichen.
Ein weiteres Ziel des Pakets: eine Steigerung der erneuerbaren
Energien auf 27 Prozent für die
gesamte EU. Jedoch gibt es keine
nationalen Quoten, die einklagbar wären.
In der entscheidenden Phase der
Verhandlungen darüber gab es
einen Brief der acht Länder, die
am meisten für Erneuerbare plädieren, auch Deutschland war
dabei. Es fehlte darin ein winziges Wort: verbindlich. Die Staaten haben das Wort nicht einfach
vergessen. Es war nicht gewollt.
Warum ist die EU gegenüber
Kanada beim Import von Öl aus
Teersänden eingeknickt? Jetzt
kann dieser extrem klimaschädliche Treibstoff nach
Europa kommen.
Nicht die EU ist eingeknickt, sondern die Mitgliedstaaten. Wir als
Kommission hatten 2011 einen
viel besseren Vorschlag, aber für
den gab es keine Mehrheit. Deshalb haben wir nun einen anderen Vorschlag vorgelegt, der wenigstens eine Methodologie einführt, nach der man die Teersandöle erkennen kann.
Aber man kann sie nicht bis in
die Ölfirmen zurückverfolgen
und diese damit in Haftung
nehmen.
Es war nichts Besseres möglich.
Wir mussten etwas vorlegen,
denn ohne eine Regelung käme
das Teersandöl völlig ohne Regeln nach Europa.
Die EU hat ihre Vorreiterrolle
beim internationalen Klimaschutz verloren.
Falsch. Fast alle Vorschläge, die
die Klimaverhandlungen in den
letzten Jahren vorangebracht haben, stammen aus Europa. Wir
gehören zu den wenigen, die eine
zweite Verpflichtungsperiode
des Kioto-Protokolls unterzeichnet haben. Wir haben unsere Klimaschutzziele erreicht, das können sonst nicht viele andere
Staaten von sich sagen. Wir haben in Durban 2011 eine Koalition aus Industrieländern und
Entwicklungsländern
zusammengebracht, die beschlossen
hat, dass sich ab 2020 alle Staaten zum Klimaschutz verpflichten sollen. Schauen Sie auf die
anderen Länder. Ich begrüße
sehr, wie die USA das Klimathema inzwischen ernst nehmen.
Aber diese Anstrengungen sind
im Vergleich zu unseren Erfolgen
sehr gering. Während wir seit
1990 unsere Emissionen um
8 Prozent gesenkt haben, sind sie
in den USA trotz Schiefergasbooms in dieser Periode um 8
Prozent gestiegen.
Aber die USA und China nähern
sich an. Die EU wird an die Seitenlinie gedrängt.
Davon haben wir doch seit Jahren geträumt, dass endlich auch
die beiden CO2-Supermächte
Verantwortung übernehmen!
Beim Ban-Ki-moon-Gipfel in
New York haben nun beide klargemacht, dass sie ihre Verantwortung sehen. Das können wir
nur begrüßen. Europa macht nur
noch 14 Prozent der weltweiten
Emissionen aus, da ist es gut,
dass sich die großen Verschmutzer endlich für das Thema erwärmen.
China hat erklärt, sie wollten
den Höhepunkt ihrer Emissionen „so schnell wie möglich“
erreichen. Das kann alles und
nichts bedeuten.
Sie müssen die Entwicklung
sehen. Als ich vor ein paar Jahren
in China bei einem offiziellen
Treffen diesen Höhepunkt ihrer
Emissionen angesprochen habe,
herrschte eisiges Schweigen, und
das Treffen war praktisch vorbei.
Jetzt erklärt der Vizepremier öffentlich vor den UN, dass sie das
so schnell wie möglich anstreben.
Sie waren die erste Klimakommissarin der EU. Und trotzdem
steht die europäische Klimapolitik heute schlechter da als vor
fünf Jahren.
Vor der UN-Konferenz in Kopenhagen gab es sicher mehr Aufregung und Bewegung in der Öffentlichkeit. Aber Sie dürfen
nicht vergessen, dass erst danach
bei uns die Wirtschafts- und
dann die Eurokrise zugeschlagen
haben. Da waren Fortschritte bei
der Klimapolitik sehr schwer.
Dafür gibt es aber heute viel
mehr Akteure: die OECD und die
Weltbank, die deutlich sagen,
wer Wachstum will, muss Klimaschutz betreiben. Positiv ist auch
der Zubau an erneuerbaren Energien, auch bei Ihnen in Deutschland.
Aber in der Klimapolitik gibt es
keine Europäische Union, sondern eine europäische Trennung. Seit Jahren gibt es keinen
Fortschritt, weil zum Beispiel
Polen alles blockiert.
Das ist nicht meine Erfahrung.
Polen war zum Beispiel bei der
Energieeffizienz sehr eifrig dabei. Aber es ist auch klar, dass einzelne Länder sich nach ihren nationalen Interessen verhalten.
Also ihren nationalen Industrien?
Natürlich. Das hat man ja auch in
Ihrem Land gesehen, als es um
die CO2-Grenzwerte für Autos
ging, wo die deutsche Autoindustrie betroffen war. Und in Ländern, wo große Biotreibstofffabriken stehen oder die Landwirtschaft wirklich wichtig ist, ist der
Druck größer, noch mehr Biotreibstoffe zuzulassen, was ich
aus Klimagründen falsch fände.
Europa ist als Wirtschaftsunion
gegründet worden. Im Zweifel
stören da soziale und ökologische Belange.
Das sehe ich anders. Wir sind der
einzige Kontinent, der in den
letzten Jahrzehnten sein Wachstum vom Energieverbrauch entkoppelt hat. Unsere Wirtschaft
wächst, und wir verbrauchen
trotzdem weniger Energie. Aber
man kann auch nicht immer nur
auf den Klimaschutz verweisen –
wenn in Spanien die Hälfte aller
jungen Menschen keine Arbeit
hat, ist das erst mal ein soziales
Problem.
Sie scheiden nun aus dem Amt.
Kann man ein guter Klimakommissar sein, wenn man enge
persönliche Verbindungen in
die Ölindustrie hat – wie Ihr designierter Nachfolger Miguel
Arias Cañete?
Das kann man, wenn man die
persönliche Integrität hat. Ich
kenne Miguel Cañete aus seiner
Zeit als spanischer Umwelt- und
Agrarminister und von einigen
Klimakonferenzen. Ich traue
ihm das zu.
Was war in der Zeit als Kommissarin Ihr größter Erfolg?
Die Klimakonferenz von Durban
2011 mit dem Durchbruch hin zu
Paris. Das hat gezeigt, wozu wir
Europäer fähig sind, wenn wir einig sind. Und die neue EU-Budgetplanung, die inzwischen vor-
...............................................................................
sieht, dass 20 Prozent aus allen
EU-Klimagipfel
.................................................Ressorts für Klimaschutz eingeTermin: An diesem Donnerstag
(und vermutlich auch Freitag) wollen die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel ihre neuen
Klimaziele beschließen.
■ Ziele: Bisher galt als Ziel, bis
2020 jeweils 20 Prozent zu erreichen – und zwar bei der Minderung der Treibhausgasemissionen
gegenüber 1990, beim Anteil der
Erneuerbaren am Strom und bei
der Steigerung der Energieeffizienz. Der neue Entwurf hat einen
Horizont bis 2030 und verlangt
Emissionsreduzierungen von
40 Prozent, die in der EU selbst erbracht werden müssen. Der Anteil
der Erneuerbaren soll auf 27 Prozent EU-weit steigen, hat aber keine nationalen Quoten, die einklagbar wären. Auch die Steigerung der Energieeffizienz um
30 Prozent soll nicht rechtlich verbindlich sein.
■ Streit: Einzelnen Ländern, auch
Deutschland, gehen die Ziele teilweise nicht weit genug, andere
halten sie für zu ambitioniert und
wollen etwa das Effizienzziel absenken. Vor allem die osteuropäischen Staaten wollen dem Gesamtpaket zudem nur zustimmen,
wenn für sie weitreichende Ausnahmen gelten.
plant werden müssen.
Und die größte Niederlage?
Der Rückschlag beim Versuch,
die nichteuropäischen Fluglinien in den Emissionshandel
einzubeziehen (Der Vorstoß wurde im Frühjahr 2014 ausgesetzt
und gilt als erledigt; d. Red.). Und
sicher auch die Treibstoffrichtlinie mit den Teersänden. Das
zeigt, was passiert, wenn wir uns
auseinanderdividieren lassen.
Bedauern Sie es, dass Sie 2015 in
Paris nicht mehr im Amt sind,
wenn das Klimaabkommen geschlossen werden soll?
Nein, ich hasse Klimakonferenzen. Es ist ein enormer Stress, alles ist inzwischen sehr groß und
komplex, und jedes Wort in einem Text kann eine unglaubliche Bedeutung haben. Außerdem geht da nichts so schnell
und effektiv, wie ich es zum Leidwesen meiner Mitarbeiter gern
habe. Aber ich habe gelernt, wie
wichtig es ist, in diesem Rahmen
Geduld zu haben. Auch wenn ich
manchmal schon gedacht habe,
ich erzähle immer und immer
wieder das Gleiche.
Viele Leute haben auch deswegen inzwischen alle Hoffnung
aufgegeben, dass die Klimadiplomatie noch zu einem echten
...............................................................................
Ergebnis führen kann.
Connie
Hedegaard
.................................................
Ich verstehe alle diese Frustratio54, wurde von Kommissionspräsi- nen. Mir geht es manchmal genauso. Aber man muss auch sedent Barroso 2010 zur ersten EUKlimakommissarin berufen. Sie ist hen, wie viel sich in letzter Zeit
bewegt. Noch vor ein paar Jahren
Mitglied der Konservativen Volksgab es viele Staaten und Einrichpartei Dänemarks. Von 2004 bis
tungen, die sich dem Thema völ2009 war sie Umweltministerin
lig verschlossen haben. Das ist
Dänemarks und
leitete den UN- nun vorbei. Auch viele Unternehmen machen Druck, 73 Staaten
Klimagipfel
haben in New York unterschriein Kopenben, dass sie einen Preis für Kohhagen.
lenstoff fordern, darunter China.
Die Entwicklung braucht eben
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Zeit.
Haben wir diese Zeit?
Was sollen wir denn sonst machen? Uns zurücklehnen und resignieren? Das ist die falsche
Antwort.
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