You It`s my party andI`llcry ifIwantto would crytoo

Oscar-Favorit: Diesseits von Gut und Böse
Der Kriegsfilm „American Sniper“ spaltet die USA wie der echte Irakkrieg ➤ Seite 13
MITTWOCH, 18. FEBRUAR 2015 | WWW.TAZ.DE
AUSGABE BERLIN | NR. 10643 | 8. WOCHE | 37. JAHRGANG
HEUTE IN DER TAZ
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It’s my party and I’ll
to
t
n
a
cry if I w
Klingt wie Athens
Finanzminister
Janis Varoufakis: Der Welthit
„It’s My Party“
der US-Sängerin Lesley Gore,
die jetzt im Alter
von 68 Jahren
gestorben ist.
„Das ist meine
Party und ich werden weinen, wenn
ich will. Du würdest
auch weinen, wenn
es dir passieren
würde.“ Auch in Gores Nachfolge-Hit
„You Don’t Own
Me“ ging es um ein
Mädchen, das sich
nicht alles gefallen
lässt Fotos: dpa, reuters,
BUNDESWEHR Ursula
von der Leyen feilt an
neuer Strategie –
dabei soll es „kein
Tabu“ geben ➤ SEITE 6, 12
BRUTAL Wahnsinns-
Konkurrenz: IS und
al-Qaida ➤ SEITE 14
BERLIN Wuff, wuff,
wuff: Der Senat
nimmt die Hunde
und ihre Halter an
die Leine ➤ SEITE 21
Montage: taz
You would cry too, if it happen
Fotos oben: ap; Keith Bernstein
EURO-KRISE Trotz des EU-Ultimatums im Schuldenstreit
VERBOTEN
Guten Tag,
meine Damen und Herren!
So wünscht sich verboten seine
EU und ihre führungsstarke
Führung: Angesichts der zunehmenden Bedrohungen aus
allen Richtungen (Putin-Vormarsch im Osten, IS-Terror im
Süden mit Ankündigung eines
Angriffs auf Rom) arbeiten die
Staats- und Regierungschefs
mit Hochdruck daran, die Gefahren für Europa zu verringern
und die Angriffsfläche zu verkleinern. Wenn Putin und der IS
nicht bis Freitag mit ihren aggressiven Aktivitäten aufhören, so das neueste Ultimatum
aus Brüssel, dann, ja dann
reicht’s wirklich, dann wird
Griechenland aus der EU
geschmissen!
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lehnt Griechenlands Regierung bisher alle Forderungen aus Brüssel ab.
Am Freitag soll eine Entscheidung fallen ➤ SEITE 2, 3
ed to you
KOMMENTAR VON ULRIKE HERRMANN ÜBER DIE VERHANDLUNGEN MIT GRIECHENLAND
Gefährliches Spiel mit Maximalforderungen
s war ein Eklat mit Ansage: Die griechische Zeitung Kathimerini meldete
bereits am Sonntag, dass der Gipfel
der Eurofinanzminister am Montag
scheitern dürfte. Genauso kam es. Nach
kürzester Zeit endete das Treffen, bei
dem über die griechischen Schulden beraten werden sollte. Anschließend waren
beide Seiten nur noch damit beschäftigt,
wüste Beschimpfungen auszustoßen.
Die Griechen nannten die Ideen der anderen Eurostaaten „absurd“, während die
Eurogruppe damit drohte, dass sie sich
„nicht mehr herumschubsen lässt“.
Doch inmitten der verbalen Keilerei
wurde bereits angekündigt, dass man in
den nächsten Tagen weiterverhandelt –
E
was Kathimerini übrigens auch schon geschrieben hatte. Ebenfalls am Sonntag,
noch vor dem neuesten Eklat. So sieht eine Gipfelshow fürs Publikum aus.
BeidenallseitigenDrohgebärdengeht
unter, wie seltsam diese Verhandlungen
sind. Denn eigentlich geht es um – nichts.
Die Griechen wollen nur, dass der Status
quo anerkannt wird. Sie wollen, dass der
Rest der Welt versteht, dass sie ihre Schulden nicht bedienen können. An Rückzahlung ist sowieso nicht zu denken, und
auch Zinsen sind nicht drin.
Die Chancen stehen daher bestens,
dass die Eurozone irgendwann nachgeben wird, weil sie sowieso nichts verliert.
Die Frage ist nur noch, wie man dann die-
se neueste Wendung inszeniert. Vielleicht können sich die Finanzminister
nicht mehr einigen, weil sie alle wie die
Gorillas auf den Bäumen sitzen und heftig mit den Armen wedeln. So schnell
kann man gar nicht wieder zum Boden
der Tatsachen absteigen.
Aber es gibt ja noch eine Crew, die bisher nur im Hintergrund agiert: EU-Kommissionspräsident Juncker sowie die Regierungschefs, inklusive Kanzlerin Mer-
So lächerlich die Gipfelshow
auf beiden Seiten ist:
Die Risiken sind erheblich
kel und Premier Tsipras. Die Chefs nehmen die Chance bestimmt gern wahr,
sich doch noch zu einigen und sich als diplomatische Genies zu profilieren.
SolächerlichdieGipfelshowist:DieRisiken sind erheblich. Viele Griechen räumen ihre Konten – was wiederum die Europäische Zentralbank unter Druck setzt,
weil sie griechischen Konkursbanken
mit immer neuen Notkrediten helfen
muss. Dies ruft wiederum europäische
Populisten auf den Plan, die eine Inflation selbst dann wittern, wenn man
mitten in der Deflation festsitzt. So bequem die Gipfelshow für die Politiker der
Eurozone ist: Man muss sie dringend beenden.
Offensive statt Waffenruhe in der Ostukraine
KRIEG Wenige Tage nach dem Gipfel von Minsk erobern prorussische Kämpfer die Stadt Debalzewe. EU und Nato zunächst abwartend
BERLIN/LUGANSK ap/afp/taz |
Die prorussischen Separatisten
in der Ostukraine haben nach eigenen Angaben den strategisch
wichtigen Verkehrsknotenpunkt
Debalzewe unter ihre Kontrolle
gebracht. Dies meldeten die Rebellen am Dienstag über ihre
Nachrichtenagentur. Die ukrainische Regierung bestätigte die
weitgehende Einnahme von Debalzewe. „Straßenkämpfe dauern an“, teilte das Verteidigungsministerium in Kiew mit.
Zuvor hatte es heftige Kämpfe
um die Stadt gegeben, obwohl
seit Sonntag ein Waffenstillstand
für die gesamte Ostukraine gilt.
Beide Seiten warfen sich gegenseitig Verstöße gegen die Feuerpause vor.
Eigentlich hätten nach der vorige Woche bei dem Gipfeltreffen
in Minsk ausgehandelten Waffenstillstandsvereinbarung auch
beide Seiten ab Dienstag ihre
schweren Waffen aus einer Pufferzone an der Front zurückzie-
hen müssen. Die Frist verstrich
jedoch, ohne dass der Rückzug
begann. Die prorussischen Separatisten kündigten am Dienstag
den Abzug schwerer Waffen für
jene Frontabschnitte an, an denen der Waffenstillstand eingehalten wird.
Debalzewe ist ein wichtiger
Bahnknotenpunkt und verbindet die Rebellenhochburgen Donezk und Lugansk. Die prorussischen Kämpfer argumentieren,
Debalzewe sei von der Waffenru-
he entlang der Frontlinien nicht
betroffen, da der Ort vollständig
eingekesselt und somit Teil des
Rebellengebiets sei. Die Regierung in Kiew dagegen fordert ein
Ende aller Kämpfe um die Stadt,
da der Zugang zu ihr noch offen
und sie damit Teil der Front sei.
In Donezk schien die Waffenruhe zu halten. Aus Lugansk meldete ein Separatistenführer den
Abzug von Panzern und Artillerie. Allerdings konnte der Bericht
zunächst nicht bestätigt werden.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko forderte EU und
die Nato auf, die Separatisten wegen Verstoßes gegen den Waffenstillstand zu verurteilen. Diese
äußerten sich jedoch bis zum
Abend nicht zur aktuellen Entwicklung. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte: „Wir müssen jetzt dafür
sorgen, dass der ermutigend begonneneProzessnichtentgleist.“
➤ Reportage SEITE 5
➤ Wirtschaft + Umwelt SEITE 9
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MITTWOCH, 18. FEBRUAR 2015  TAZ.DIE TAGESZEITUNG
Griechenland
SCHWERPUNKT
Bis Freitag muss Athen entscheiden, ob es eine Verlängerung
des laufenden Rettungsprogramms beantragt
Das will Europa
Das wollen die Griechen
PERSPEKTIVE I Die Euro-Finanzminister fordern konkrete Vorschläge – und
PERSPEKTIVE II Die Sparauflagen müssen gekappt werden, fordert Finanzminister
Zahlen: Griechenland soll zeigen, wie hoch seine Steuereinnahmen sind
Varoufakis. Bis zu einer Einigung müsse es eine Übergangsfinanzierung geben
Die Eurozone hat Griechenland
ein Ultimatum gestellt. Bis Mittwochabend soll Finanzminister
Varoufakis einen Vorschlag liefern, wie er sich neue Hilfen für
sein Land vorstellt. Dann könnte
ein weiterer Sondergipfel der
Euro-Finanzminister stattfinden, wahrscheinlich am Freitag.
Die Zeit drängt, weil ein griechischer Staatsbankrott droht.
Ende Februar läuft das bisherige
Rettungsprogramm aus, und ohne neue Hilfen hätte Griechenland nicht das Geld, um fällige
Schulden und Zinsen zu zahlen.
Die Euro-Finanzminister sind
bereit, eine Übergangsfinanzierung von sechs Monaten zu gewähren. Konkret geht es um etwa
18 Milliarden Euro, die aus den
Die griechische Regierung wehrt
sich gegen das Ultimatum der
Eurogruppe. Die Vorschläge der
anderen Finanzminister seien
„absurd“ und „inakzeptabel“. Die
Eurozone würde „nur ihre Zeit
verschwenden“, wenn sie die bisherigen Vereinbarungen verlängern wolle. „Ein bisschen Flexibilität reicht nicht“, sagte der
griechische Finanzminister Varoufakis, als er das Treffen am
Montag platzen ließ.
Die Griechen verlangen eine
sechsmonatige Übergangsfinanzierung, wollen aber auf keinen
Fall, dass das bisherige Hilfsprogramm einfach „technisch“ verlängert wird. Denn sie fürchten,
dass dann die Sparauflagen unverändert gelten würden.
bisherigen Rettungsprogrammen stammen und nicht ausgegeben wurden. Gleichzeitig würde in aller Ruhe über ein neues
langfristiges
Hilfsprogramm
mit den Griechen verhandelt.
Der Streit dreht sich jetzt darum, wie diese Übergangsfinanzierung heißt und was sie enthält. Beim letzten Treffen am
Montag legten die Euro-Finanzminister ein Dokument vor, in
dem von der „technischen Verlängerung des laufenden Programms“ die Rede war – was von
den Griechen prompt abgelehnt
wurde.
In der Tat ist etwas unklar, was
die Euro-Finanzminister eigentlich meinen. Ihre Wortwahl
könnte so verstanden werden,
dass die bisherigen Sparauflagen
unverändert weiter gelten sollen.
Allerdings versicherte Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem,
dass es „innerhalb des Programms Raum für Diskussionen“ gebe. Auch Luxemburgs Finanzminister Pierre Gramegna
sagte: Es gibt Flexibilität in dem
Programm, wir müssen sie nutzen.“
Die Euro-Finanzminister verlangen jedoch, dass Griechenland konkrete Zahlen vorlegt. Im
Detail ist nicht bekannt, wie sich
die
Steuereinnahmen
seit
Herbst entwickelt haben – und es
gibt auch keine Angaben aus
Athen, welche Reformen genau
geplant sind. Bekannt ist nur, was
die Griechen ablehnen.
So ist bisher vorgesehen, dass
die Griechen in diesem Jahr einen Primärüberschuss von 3 Prozent der Wirtschaftsleistung in
ihrem Staatshaushalt erzielen
sollen. Ein Primärüberschuss ist
das Plus, das erreicht wird, wenn
man die Zinszahlungen abzieht.
Varoufakis hält jedoch nur einen
Primärüberschuss von 1,5 Prozent für möglich. Dies bedeutet
einen Unterschied von etwa 2,8
Milliarden Euro.
Zudem will die griechische Regierung 30 Prozent der bisher
vereinbarten Spar- und Reformauflagen nicht umsetzen und
stattdessen durch „maßgeschneiderte“ Schritte ersetzen.
Allerdings hat Varoufakis bisher
keinerlei konkrete Vorschläge
oder Zahlen vorgelegt, wie diese
„maßgeschneiderten“ Programme aussehen sollen, sodass unklar bleibt, wie Griechenland seine Verpflichtungen erfüllen will.
Bisher hat Varoufakis nur zugesichert, dass die neue Linksregierung zunächst darauf verzichtet, ihre Wahlversprechen umzusetzen, die etwa 11 Milliarden Euro kosten würden. Dieses Geld
hat Griechenland jedoch sowieso nicht.
Die Griechen haben zudem
verlangt, dass die Europäische
Zentralbank (EZB) weiterhin Notkredite für die griechischen Banken bereitstellt. Doch das konnten die Euro-Finanzminister gar
nicht zusichern: Die Zentralbank
agiert unabhängig.
Die
Pokerrunde
GELD Wird das internationale
Hilfsprogramm nicht verlängert,
droht Griechenland die Pleite. Doch
Athen will das Programm gar nicht
wie bisher beibehalten. Die EuroGruppe wiederum will Angebote
vonseiten der Griechen. Und nun?
VON ULRIKE HERRMANN
Symbolischer Schuldenschnitt: ein Tsipras-Unterstützer vor dem griechischen Regierungssitz Foto: Orestis Panagiotou/ANA-MPA/dpa
Der Weg zum Kompromiss
Letzter Ausweg: Grexit
SZENARIO I Den Grexit scheinen die wenigsten zu wollen. Um ihn zu
SZENARIO II Wenn die Europäische Zentralbank die Notkredite nicht verlängert,
verhindern, muss auch eine gemeinsame Sprache gefunden werden
droht der griechische Bankrott – und der Austritt aus der Eurozone. Und dann?
Obwohl die Fronten verhärtet
sind, ist ein Kompromiss zwischen der Eurozone und Griechenland wahrscheinlich. Der
italienische Finanzminister Pier
Carlo Padoan sagte, dass er „unbesorgt“ sei und es „gar nicht infrage“ käme, dass Griechenland
die Eurozone verlässt. „Ich bin
überzeugt, dass wir am Ende eine gemeinsame Grundlage und
eine gemeinsame Entscheidung
finden.“ Aber wie könnte dieser
Kompromiss aussehen?
Wichtig ist zunächst, dass die
Eurozone den Griechen semantisch entgegenkommt. Die neue
Linksregierung hat ihren Wählern versprochen, dass sie das alte Hilfsprogramm aufkündigt
und dass viele Sparauflagen zu-
Die griechischen Bürger haben
Angst um ihr Geld. Sie fürchten,
dass ihr Land aus dem Euro ausscheiden könnte, und räumen
daher die Konten. Seit November
sind schon zwanzig Milliarden
Euro abgehoben worden – und
der Ansturm auf die Banken geht
weiter. Inzwischen werden pro
Tag etwa 500 Millionen Euro abgehoben.
Die griechischen Banken wären längst pleite, wenn sie nicht
Notkredite von der griechischen
Zentralbank erhalten würden,
die von der EZB genehmigt werden müssen. An diesem Mittwoch berät die EZB, ob die Notkredite für die griechischen Banken verlängert und aufgestockt
werden dürfen.
rückgenommen werden, die sich
im „Memorandum“ finden. Also
dürfen weder das Wort „Programm“ noch „Memorandum“
irgendwo vorkommen.
EU-Währungskommissar
Pierre Moscovici hat am Montag
bereits ein Papier präsentiert,
das auf diese Formulierungswünsche eingeht. Er vermeidet
das Wort „Programm“ und
schlägt stattdessen vor, die „laufende Kreditvereinbarung“ zu
verlängern. Diesen Vorschlag
hätte der griechische Finanzminister Janis Varoufakis akzeptiert, wie er zu Protokoll gab.
Auch beim Streitthema „Primärüberschuss“ gibt es Bewegung. Der französische Finanzminister Michel Sapin sagte am
Dienstag, dass 1,5 Prozent in Ordnung seien – übernahm also die
griechische Position.
Bleibt das Problem, dass die
Griechen nur 70 Prozent der Reformen umsetzen wollen. Moscovici sagte am Montag, man
könne sich darauf verständigen,
die anderen 30 Prozent durch
neue Maßnahmen zu ersetzen –
„aber sie müssen voll finanziert
sein“. Übersetzt: Die Griechen
werden kein neues Geld aus der
Eurozone bekommen.
Der Kompromiss wäre also im
Kern einfach: Die Eurozone zahlt
den Schuldendienst für die Kredite, die die Griechen schon haben – und ansonsten können die
Griechen selbst sehen, wie sie
überleben.
Die EZB kann den Griechen
nur helfen, solange ein Hilfsprogramm läuft und kein Staatsbankrott droht. Sollte es in den
nächsten Tagen nicht zum Kompromiss der Finanzminister
kommen, muss die Notenbank
die Notkredite streichen – und alle griechischen Banken wären
pleite.
Es käme zum „Grexit“: Griechenland müsste die Eurozone
verlassen, obwohl dies in den europäischen Verträgen nicht vorgesehen ist. Denn es könnte seine Banken nur mit neuem Geld
ausstatten, indem es Drachmen
druckt.
Es ist noch immer unwahrscheinlich, dass es zum Grexit
kommt – aber es ist nicht un-
denkbar. Denn sowohl die Eurozone wie Griechenland könnten
einen Grexit überleben.
Die Eurozone würde zwar alles Geld verlieren, das nach Griechenland verliehen wurde, weil
die Griechen mit einer schwachen Drachme ihre Euroschulden nicht zurückzahlen könnten.
Aber faktisch ist dieses Geld sowieso weg, weil die Griechen
auch jetzt nicht in der Lage sind,
ihre Schulden abzubauen.
Die Rückkehr zur Drachme
würde für die Griechen bedeuten, dass alle Importe sehr viel
teurer würden. Aber es könnte
auch eine Chance sein, eine eigene Exportindustrie aufzubauen
und stärker auf Selbstversorgung zu setzen.
SCHWERPUNKT
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Reparationszahlungen
an Griechenland
MITTWOCH, 18. FEBRUAR 2015  TAZ.DIE TAGESZEITUNG
03
Regierungschef Tsipras fordert einen Ausgleich dafür, dass Nazis
Griechenland von 1941 bis 1944 ausplünderten. Berlin lehnt ab
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Die
deutsche Besatzung
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Oberbefehlshaber des Heeres, Walther von Brauchitsch (links), besichtigt im Mai 1941 mit dem Landesgruppenleiter der NSDAP, Walther Wrede (rechts), die Akropolis in Athen Foto: akg
■ Der Überfall: Am 28. Oktober
1940 fielen italienische Truppen in
Griechenland ein, sie wurden aber
zurückgeworfen. Daraufhin kam
die deutsche Wehrmacht im April
1941 den Italiener zur Hilfe. Das
Festland wurde besetzt, die Insel
Kreta folgte im Juni 1941.
■ Die Besatzung: Viele Griechen
gingen in den Untergrund und lieferten SS und Wehrmacht einen
Partisanenkrieg. Die Deutschen
ermordeten als Revanche für
Überfälle ganze Dorfgemeinschaften wie in Distomo, wo 218
Menschen ums Leben kamen. Ab
März 1943 ermordeten die Nazis
etwa 54.000 griechische Juden,
größtenteils in Auschwitz.
■ Die Befreiung: Im Oktober 1944
eroberten britische Truppen das
griechische Festland. (klh)
Über deutsche Halbwahrheiten
SCHULDEN Die Nazis nahmen während der Besatzung griechische Kredite auf. Die heutige Bundesregierung will diese nicht zurückzahlen
VON NIELS KADRITZKE
BERLIN taz | Ermäßigte Bustickets und ärztliche Versorgung
für Arbeitslose hat Alexis Tsipras
in seiner Regierungserklärung
angekündigt. Die Bild-Zeitung
vom 9. Februar fand das nicht
lustig: „Finanzieren will Tsipras
die Wohltaten – zumindest zum
Teil – mit deutschem Geld.“ Gemeint waren die Reparationszahlungen, die Athen vom Nachfolgestaat des Dritten Reiches
fordert, das Griechenland von
April 1941 bis Oktober 1944 besetzt, terrorisiert und ausgeplündert hat.
Die Behauptung im SpringerBlatt gehört zu den Halb- und
Unwahrheiten, die der deutschen Öffentlichkeit in Sachen
„griechische
Reparationsansprüche“ aufgetischt werden.
Denn Tsipras betonte ausdrücklich, seine Forderung habe nichts
mit dem akuten Finanzbedarf
Griechenlands zu tun. Natürlich
weiß man auch in Athen, dass in
absehbarer Zeit keine Wiedergutmachungsgelder
aus
Deutschland fließen werden, mit
denen man die griechische
Staatskasse auffüllen könnte.
Dass die Athener Reparationsansprüche nicht nur bei Bild-Lesern Empörung auslösen, zeugt
auch von mangelnden Kenntnissen über ein höchst komplexes
Thema. Wer wirklich verstehen
will, welche Summen für Griechenland letztlich einklagbar
wären, muss zunächst einige
Dinge auseinanderhalten.
Erstens gibt es Klagen von individuellen Opfern des Nazi-Terrors. Die Überlebenden des Massakers von Distomo stehen hier
stellvertretend für viele Überlebende. Die Kläger hatten in Griechenland ein Urteil letzter Instanz zugunsten ihrer Entschädi-
gungsansprüche erwirkt, bei
deutschen Gerichten wurde ihre
Klage jedoch abgewiesen. Auch
auf internationaler Ebene blieben sie ohne Erfolg. Der Haager
Internationale Gerichtshof (IGH)
entschied im Januar 2012, das
Prinzip der „Staatenimmunität“
schließe Klagen von Privatpersonen gegen die Bundesrepublik
Deutschland grundsätzlich aus.
Das Argument der DistomoOpfer, das dürfe bei schweren
völkerrechtswidrigen Kriegsverbrechen nicht gelten, wurde explizit zurückgewiesen: Dieses
Prinzip sei im Völkergewohnheitsrecht noch nicht verankert.
Mit diesem Urteil, bedauerte
Amnesty International, habe der
IGH die Interessen der Staaten
über den Schutz der Menschenrechte gestellt. Für die DistomoKläger heißt das, dass sie ihre
moralisch berechtigten Ansprüche juristisch nicht durchsetzen
können. Jedenfalls nicht als Individuen. Ihre Hoffnung bleibt eine Verständigung auf einer anderen Ebene – von Staat zu Staat.
Reparationen werden in der
Regel in – bilateralen oder multilateralen – Abkommen ausgehandelt. Auch der IGH verweist
auf diesen Weg. In seinem Urteil
vom 3. Februar im Streitfall Kroatien gegen Serbien legt er beiden Parteien nahe, ihre Reparationsansprüche untereinander zu
regeln. An dieser Stelle stellt sich
die Frage, warum es zu einem
solchen Reparationsabkommen
nach 1945 nie gekommen ist.
Bekanntlich endete die Londoner Schuldenkonferenz mit
dem Abkommen vom 27. Februar 1953, das eine Regelung der Reparationen für die von NaziDeutschland besetzten Länder
bis zu einer „endgültigen Friedensregelung“ vertagte. Als diese 37 Jahre später in Form der
deutschen Vereinigung erfolgte,
tat die deutsche Regierung alles,
um die Erinnerung an die Vereinbarung von London zu löschen. Die deutsche Einheit wurde mit dem 2+4-Vertrag besiegelt. Warum die Regierung Kohl/
Genscher den Begriff „Friedensvertrag“ vermied, stand in der
FAZ vom 12. Februar 1990: „Für
Bonn gilt es, eine Form zu finden,
die einen Friedensvertrag – der
nach dem Londoner Schuldenabkommen gewaltige Schadenersatzzahlungen an zahlreiche
Staaten der Welt zur Folge hätte –
überflüssig macht.“
Wie wichtig dieses terminologische Tabu für die Bundesregierung war, hat mir ein Zeitzeuge
erzählt, der 1990 im DDR-Außenministerium arbeitete. Der letzte
Den heutigen
Wert dieser
Kredite schätzen
Experten auf 7 bis 11
Milliarden Euro
Außenminister Meckel und sein
Team hatten damals die naive
Idee, das 2+4-Format zu erweitern und Nachbarländer wie Polen und die Niederlande einzubinden. Die Genscher-Leute reagierten panisch: Ihr seid wohl
verrückt, das würde ja nach einem Friedensvertrag aussehen.
Und dieses Wort sei ohnehin
streng verboten.
Diese taktierende Begriffspolitik wurde allerdings von den
Partnern des 2+4-Vertrags abgesegnet. Genscher vermerkt in
seinen Memoiren ein „stillschweigendes
Einverständnis
der Vier“ und folgert: „ […] damit
war uns auch die Sorge vor unübersehbaren Reparationsforde-
rungen von den Schultern genommen“.
Das stimmt nur bedingt. Zwar
wurde 1990 ein multilaterales
Abkommen vermieden, aber das
würde bilaterale Reparationsansprüche nur dann hinfällig machen, wenn der 2+4-Vertrag alle
ehemals okkupierten Länder
binden würde. Das aber bestreitet Griechenland. Seit 1990 hat
fast jede Athener Regierung erklärt, man habe keinesfalls auf
Reparationen verzichtet.
Dem setzt die Berliner Regierung eine verwegene Argumentation entgegen. Auf eine Anfrage der Linken antwortet sie im
Februar 2014, die KSZE-Staaten,
und damit Griechenland, hätten
1990 den 2+4-Vertrag „zur
Kenntnis genommen“, mithin
dessen „Rechtswirkungen auch
für sich anerkannt“. Dieser Vertrag enthalte bekanntlich „die
endgültige Regelung der durch
den Krieg entstandenen Rechtsfragen“ – also auch der Reparationsfrage. Dabei ficht die Bundesregierung nicht an, dass man das
F-Wort gerade vermieden hatte,
um die R-Frage nicht aufkommen zu lassen. Das ist nun wirklich ein dreistes Stück. Nachdem
man 1990 den Begriff Friedensvertrag tabuisiert hat, um sich
auf Zehenspitzen am Reparationsproblem vorbeizuschleichen, erzählt man 15 Jahre später,
natürlich habe 2+4 die Wirkung
eines Friedensvertrags. Das hätten alle wissen müssen. Und da
Griechenland sich damals nicht
gemeldet habe, sei die R-Frage erledigt. Ätsch.
Griechenland hätte allerdings
ohnehin kaum Chancen, Reparationsforderungen gegen den
Rechtsnachfolger des Dritten
Reiches auf dem juristischen
Weg durchzusetzen. Eine günstigere Rechtsposition hat Athen je-
doch in einer anderen Frage. Die
deutsche Besatzungsmacht hat
bei der griechischen Zentralbank
zinslose „Zwangsdarlehen“ aufgenommen. Dabei unterschrieb
sie eine Verpflichtung auf Rückzahlung, die nach griechischer
Auffassung bis heute gültig ist.
Eine Klage, die auf unterschriebenen Kreditverträgen mit konkreten Summen basiert, ist viel
aussichtsreicher als Reparationsforderungen, deren Höhe siebzig
Jahre später schwer zu erfassen
sind.
Das hat die Bundesregierung
auch erkannt. Deshalb versucht
sie verzweifelt, die Besonderheit
dieser Anleihe zu leugnen. Auf
eine Anfrage der Linken antwortete sie: „Infolge des historischen
und sachlichen Zusammenhangs der Zwangsanleihe […] ist
diese formal ohne Weiteres als
Reparationsforderung zu klassifizieren.“
Betrachtet man die „weiteren“
Zusammenhänge jedoch nicht
„formal“, sondern inhaltlich,
bleibt von dieser Verteidigungsposition nichts übrig. Und der
Kredit bleibt ein Kredit, den die
deutsche und die italienische Besatzungsmacht
ausdrücklich
von den „normalen“ Besatzungskosten unterschieden haben. Mit
den Geldern wurde nicht die Besatzungsverwaltung finanziert,
sondern der Nachschub für das
deutsche Afrikakorps und militärische Befestigungen auf griechischem Boden. Der endgültige
Beweis: Mit der Kreditvereinbarung vom März 1942 wurden
nicht nur die Abzahlungsmodalitäten unterschrieben, die Rückzahlung hatte bereits während
der Besatzungszeit begonnen.
Deshalb waren beim Abzug der
Nazi-Wehrmacht im Oktober
1944 von der Darlehenssumme
von 568 Millionen Reichsmark
nur noch 476 Millionen zu begleichen.
Den heutigen Wert dieser
Summe schätzen Experten auf 7
bis 11 Milliarden Euro. Einige
griechische Autoren kommen
auf eine hohe zweistellige Milliardensumme, indem sie Zinsen
dazurechnen. Doch die Höhe der
Summe ist im Grunde sekundär.
Wichtiger ist ein anderer Befund:
Während Nazideutschland die
Pflicht zur Bedienung der
Zwangsanleihe – durch Unterschrift und Rückzahlung – anerkannt hat, wird diese Verpflichtung von der heutigen Regierung
geleugnet. Das irritiert sogar den
Wissenschaftlichen Dienst des
Bundestags, der in einem vertraulichen Gutachten (WD 2,
093/13) feststellt, die Zuordnung
des Darlehens zu den griechischen „Reparationsansprüchen“
sei keineswegs zwingend.
Die deutsche Seite hat sich in
der gesamten Reparationsdebatte immer wieder halsbrecherisch gerechtfertigt. Jahrzehntelang haben deutsche Diplomaten in Athen die griechischen
Forderungen mit den zig Milliarden an EU-Hilfen aufgerechnet,
als kämen diese Gelder direkt
aus deutschen Kassen. Nach
1990 sattelte man dann auf ein
anderes Argument um: Deutschland könne angesichts der Vereinigungslasten nicht auch noch
Reparationszahlungen leisten.
Im Rückblick ist das ein zwiespältiger Einwand. Man könnte die
Rechnung auch anders aufmachen: Hätte man nur ein Fünftel
der innerdeutschen „Vereinigungstransfers“ von mindestens
1,5 Billionen Euro für Reparationszahlungen abgezweigt, wären die Griechen und andere Opfer der Nazi-Okkupation schon
längst zu ihrem historischen
Recht gekommen.