Merkel und Hollande drohen Putin

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SA MSTAG , 21. FEBRUAR 2 015
Fraktionschef
Wolf will den
Soli abschaffen
D
THEMEN
CDU-Spitzenkandidat
für Länderfusionen
Ermittlungen in den
Fällen Wulff und Edathy
Wegen Geheimnisverrats in den Fällen Wulff und Edathy
hat die Staatsanwaltschaft Göttingen
Ermittlungen gegen den Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig eingeleitet. „Ihm wird vorgeworfen, als früherer Leiter der Strafrechtsabteilung im
niedersächsischen Justizministerium
sowie als Generalstaatsanwalt in acht
Fällen in strafbarer Weise Geheiminformationen an Dritte weitergegeben
zu haben“, sagte Niedersachsens Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne).
Sieben Fälle beträfen die Weitergabe von geheimen Informationen aus
dem Verfahren wegen Vorteilsannahme gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Ein Fall bezöge sich auf das noch laufende Verfahren gegen den früheren SPD-Bundestagsabgeordneten
Sebastian
Edathy. Neben Lüttig stehe noch eine
zweite Person im Fokus der Ermittlungen. Den Namen könne sie aus „ermittlungstaktischen Gründen jedoch
nicht nennen“, sagte Justizministerin
Niewisch-Lennartz.
Siehe Kommentar, Seiten 6 und 7
Seite 5
[email protected]
AP/THIBAULT CAMUS; TURISME DE FORMENTERA
Angela Merkel und François Hollande begrüßen sich vor dem Élysée-Palast. Er hält ihre linke Hand,
sie legt ihre rechte auf seine Schulter. Nachdem es lange so aussah, als würden sich die beiden nicht
recht verstehen, sind sie jetzt offenbar doch miteinander warm geworden.
Merkel und Hollande
drohen Putin
Der Frühling
auf Formentera
ist den Paddlern
vorbehalten
Beilage
Politik
Der zähe Kampf
um die Kita-Plätze
Seite 8
Literarische Welt
Milan Kunderas
neuer Roman
ist zum Heulen
komisch
Beilage
B
undeskanzlerin Angela Merkel
(CDU) und Frankreichs Staatspräsident François Hollande
haben angesichts neuer Gefechte dringend an Moskau
und Kiew appelliert, alle Friedensvereinbarungen für die Ukraine umzusetzen. Sie
drohten nach einem Treffen in Paris dem
russischen Präsidenten Wladimir Putin bei
weiteren Verstößen prorussischer Separatisten gegen das Minsker Abkommen mit
neuen Sanktionen. Die Frage stelle sich,
wenn „bestimmte Punkte einfach nicht
umgesetzt werden“, sagte Merkel. Die Separatisten und die ukrainische Armee
müssten nun den Waffenstillstand einhalten, das schwere Militärgerät abziehen und
ihre Gefangenen austauschen. „Wenn das
nicht kommt, kommen Sanktionen. Das ist
aber nicht unsere Absicht. Wir wollen
Frieden schaffen“, sagte Hollande. Auch
Merkel erklärte, sie habe nicht mit Hollande, Putin und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko eine Nacht lang im
weißrussischen Minsk über Frieden für die
Ukraine verhandelt, damit dann doch wieder Sanktionen nötig würden.
Putin verschärfte aber sofort den Ton:
„Niemand sollte die Illusion haben, dass
sie eine militärische Überlegenheit gegenüber Russland haben könnten oder Russland unter Druck setzen könnten“, zitierte
die Agentur Interfax am Abend den russi-
schen Präsidenten. „Wir werden immer eine adäquate Antwort auf solche Abenteuer
haben.“
Trotz des vereinbarten Waffenstillstands lieferten sich Regierungstruppen
und prorussische Separatisten wieder heftige Kämpfe. Die Rebellen hätten innerhalb von 24 Stunden 49-mal Stellungen der
„REALITÄTSCHECK“
Mit einer Argumentationshilfe für
seine Mitarbeiter reagiert das Auswärtige Amt (AA) auf 18 „Behauptungen“ Russlands in der Ukraine-Krise. Der
„Realitätscheck: Russische Behauptungen
– unsere Antworten“ wurde an das Sekretariat und die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag
versandt. Laut Anschreiben soll so versucht werden, „in der öffentlichen Diskussion häufig verwendeten Behauptungen“ entgegenzuwirken, „die auf unrichtigen oder nur teilweise richtigen
Fakten beruhen“. Eine AA-Sprecherin
sagte, solche Argumentationshilfen seien
„im Auswärtigen Amt nichts Ungewöhnliches“. Das Papier enthalte keine Geheimdienstinformationen.
Seite 6
Die
Steherin
Regierung mit Artillerie, Raketen und gepanzerten Fahrzeugen angegriffen, teilte
ein Sprecher der ukrainischen Streitkräfte
mit. Zudem seien aus Russland etwa 20
Panzer in die Ostukraine gerollt. Nach
ukrainischen Angaben wurden auch Ziele
in der Region Mariupol beschossen. Die
Hafenstadt im Südosten der früheren Sowjetrepublik ist strategisch wichtig, weil sie
zwischen Russland und der Krim liegt. Bereits im vergangenen Jahr hatte die ukrainische Regierung gewarnt, die Separatisten
könnten mit russischer Hilfe versuchen,
eine Landverbindung zur annektierten
Halbinsel zu erobern. Die EU hat für diesen Fall mit scharfen Wirtschaftssanktionen gegen Russland gedroht.
Zahlreiche Ukrainer gedachten in Kiew
auf dem zentralen Maidan-Platz der fast
100 Toten, die bei den proeuropäischen
Massenprotesten vor einem Jahr erschossen worden waren. Viele verharrten weinend vor den Fotos der Toten, welche die
„himmlischen Hundert“ genannt werden.
In die Trauer mischte sich Wut darüber,
dass die Verantwortlichen immer noch
nicht zur Rechenschaft gezogen wurden.
Die tödlichen Schüsse sollen Sicherheitskräfte des damals noch amtierenden Präsidenten Viktor Janukowitsch abgefeuert haben. Nur zwei einfache Polizisten sind
aber bisher angeklagt.
Der baden-württembergische CDU-Spitzenkandidat Guido
Wolf hat sich für eine Abschaffung des
Solidaritätszuschlags ausgesprochen.
„Ich würde mir wünschen, dass die
Bundesregierung zu dem Schluss
kommt: Der Aufbau Ost ist abgeschlossen, der Soli fällt weg“, sagte er
der „Welt“. „Einer solchen Haltung
würde ich mich anschließen. Das wäre
eine politische Botschaft, mit der man
demonstrieren könnte, wir stehen zu
unserem Wort.“ Bisher dringen Union
und SPD darauf, den Solidaritätszuschlag über das Ende des Solidarpakts
2019 hinaus fortzuführen.
Zugleich sprach sich Wolf für die
Zusammenlegung von Bundesländern
aus. „Es ist notwendig, darüber zu
sprechen, ob das Bundesgebiet mit 16
Ländern effizient genug strukturiert
ist“, sagte er. „Voraussetzung für Länderfusionen ist allerdings die Zustimmung der Bevölkerung.“ Der Zusammenschluss von Berlin und Brandenburg sei an einer Volksabstimmung
gescheitert, erinnerte Wolf. „Vielleicht
erzeugt die Schuldenbremse ja einen
größeren Handlungsdruck.“
BERLIN –
Eingespieltes Paar
MIC HAE L STÜRME R
ie Kraft liegt in der Ruhe. Wer
in den vergangenen Wochen
der ukrainischen Tragödie und
des Euro-Dramas den Wegen der
Kanzlerin zu folgen versuchte, konnte
leicht außer Atem geraten angesichts
dieses Marathons. Angela Merkel
nicht. Sie hat ein geradezu übermenschliches Stehvermögen gezeigt
und, durch die Not der Dinge mehr
gezwungen als durch die Macht verführt, Führung gezeigt, wo niemand
sonst es konnte, kein französischer
Präsident, kein britischer Premier.
Niemand in Europa wäre fähig gewesen, ihr diese Führungsrolle, die sie
nicht gesucht hat, abzunehmen – und
bei alledem auch noch gute Figur zu
machen und so zu tun, als mache ihr
die schiere physische Strapaze wenig
aus. Die Doppelkrise im Osten Europas und im Süden, militärisch-strategisch die eine, wirtschaftlich-politisch
die andere, hat sie bisher eingedämmt.
Die Zeiten, da irgendjemand die
Frau aus dem Osten als Leichtgewicht
und vor allem Meisterin der Taktik denunzieren konnte, sind lange vorbei.
Das gilt für Koalitionsgenossen und
Oppositionsredner, russische Machthaber und griechische Flegel. Sie bewegt sich souverän auf der Weltbühne, die sie sich nicht gewählt hat, und
hatte dafür keine lange Lehrzeit. Sie
erlaubt es dem französischen Präsidenten, die Grande Nation ins Spiel
zu bringen, wie andere Kanzler in vergleichbaren Prüfungszeiten zuvor.
Nur war damals, ob unter Helmut
Schmidt oder unter Helmut Kohl, die
deutsche Dominanz nicht so unübersehbar wie in der Gegenwart.
Jetzt ist sie es, die, wie nebenstehendes Bild zeigt, den Präsidenten der
stolzen französischen Republik zum
Tanz einlädt. Ihr Krisenmanagement
verrät nicht nur feste Hand, sondern
auch die Fähigkeit zum Abwarten des
richtigen Moments, Geduld und Augenmaß. Sie weiß die Dinge beim Namen zu nennen. Sie weiß aber auch,
wann es besser ist, zu schweigen und
die apokalyptischen Perspektiven –
die sie kennt und wahrscheinlich
nicht unterschätzt – anderen zu überlassen. Wer die Kanzlerin unterschätzt, tut dies auf eigene Gefahr. Bei
alledem entwickelt sich die Tektonik
Europas nicht entlang der komplizierten Brüsseler Gebrauchsanweisungen,
sondern – wie de Gaulle es gesagt hätte – „par la force des choses“: nach
dem Gewicht der Tatsachen.
Die Kanzlerin wird dies nüchtern
und ohne Triumphgefühl zur Kenntnis nehmen: nicht nur die Verantwortung, die ihr daraus erwächst weit
über Deutschland hinaus, sondern
auch die Notwendigkeit, die anderen
Europäer auf Reisen mitzunehmen,
die unausweichlich an Abgründen vorbeiführen. Vertrauen zur Führungskunst der Regenten ist ein durch
nichts zu ersetzendes moralisches Kapital. Dank Angela Merkel.
Seite 4
Staatsanwalt
soll Geheimnisse
verraten haben
Neue Sanktionen, wenn die Separatisten den Waffenstillstand nicht
einhalten. Scharfe Antwort aus dem Kreml. Gefechte bei Mariupol
Reise
HANNOVER –
D
Motor
Skodas neuer
Top-Designer
begann mit einem
Bobbycar
Wenig verändert
Seite 20
EURO
DOW
Xetra-Schluss
EZB-Kurs
17.45 Uhr
11.050,64
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Kühe müssen wie Menschen riechen
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Wissenschaftler will Malariamücken mit einem Parfüm austricksen
er US-Unternehmer Agenor MafraWie wichtig auch ungewöhnliche Ansätze
Neto aus Riverside in Kalifornien
zur Malariabekämpfung sind, zeigt eine
hat ein Parfüm entwickelt, das
aktuelle Warnung. Wissenschaftler sehen
Rinder wie Menschen riechen lässt. Damit
mit großer Sorge die Ausbreitung resistensollen Malariamücken so abgelenkt werter Malariaerreger in Birma und im benachden, dass sie eher eine Kuh stechen als
barten Indien. Die gegen das Malariaeinen Menschen, berichtet „Geo“. Denn:
medikament Artemisinin resistenten Parasiten stellten eine ernste Bedrohung dar,
Malariamücken leben nur etwa 20 Tage
heißt es in einer Studie.
lang. In dieser Zeit trinken sie nur zweiDie Wissenschaftler hatten Blutproben
bis dreimal Blut. Wenn das Insekt nur eine
von 940 Malariapatienten in Birma sowie
seiner Mahlzeiten auf einer Kuh einnehme, US-Forscher Agenor Mafra-Neto
den Grenzregionen in Thailand und Bansinke die Wahrscheinlichkeit stark, dass es
gladesch untersucht. Dabei fanden sie bei 39 Prozent der Proben
noch einen Menschen steche, sagt Mafra-Neto. Der spezifisch
Mutationen, die die Resistenz hervorrufen. Resistenzen gegen
menschliche Duft erinnere entfernt an Hühnersuppe und besitze
Artemisinin wurden in den vergangenen Jahren zunächst voreine starke Milchsäurenote. Mücken seien beim Geruch sehr
nehmlich in Kambodscha beobachtet, von wo aus sie sich Richwählerisch und verschmähten normalerweise Tiere. Den Kühen
tung Westen ausbreiteten.
seien die Stiche egal: Rinder erkranken nicht an Malaria.
ISCA/ISCA
Dax
DAX
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Seite 16
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KOMMENTAR
Zippert zappt
ie Kosten für die Betreuung von Haustieren sind steuerlich
absetzbar. Und zwar als haushaltsnahe Dienstleistung. Das
hat das Finanzgericht Düsseldorf entschieden. Die Kosten
für Hundesitter, Pudelpsychiater, Hamsterfitnesstrainer,
MeerschweinchenpilatesInstructor oder für den Papageilogopäden können steuerlich geltend gemacht werden.
Es geht allerdings nicht, die
Betreuungskosten für zwei
Millionen Hühner abzusetzen,
vor allem, wenn die Tiere in
regelmäßigen Abständen getötet werden. Ein Schwein gilt
als Haustier, zwei Schweine
mit Sondergenehmigung vielleicht auch noch, aber 10.000
Schweine können nicht als
Haustiere anerkannt werden,
sondern nur als Schlachtvieh.
Hier dürfen aber die Hinterbliebenen eine Rente beantragen. Als Haustiere im Sinne
des Gesetzes gelten Dobermänner, Zwergpinscher, Frettchen, Rennmäuse und Königskobras. Rein fiskalisch zählen
Kinder ebenfalls zu den Haustieren, allerdings nur, wenn sie
halbwegs niedlich sind, den
Eltern morgens die Zeitung
bringen, Männchen machen
und draußen an der Leine
gehen.
B
DIE WELT, Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Redaktion: Brieffach 2410 Täglich weltweit in über 130 Ländern
verbreitet. Pflichtblatt an allen deutschen Wertpapierbörsen. Tel. 030/25910, Fax 030/259171606, E-Mail:
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Brieffach 2440, 10867 Berlin, Tel. 0800/9 35 85 37, Fax 0800/9 35 87 37, E-Mail [email protected]
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FIN 3,50 & / GB 3,30 GBP / GR 3,20 & / H 920 FT / I 3,50 & / IRL 3,50 & / KRO 29 KN / L 3,50 & / MLT 3,50 & / MA 53 DH /
N 43 NOK / NL 3,50 & / PL 16 PLN / S 48 SEK / SK 3,50 € / SLO 3,20 &
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ISSN 0173-8437
44-8
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