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SWR Tagesgespräch
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76530 Baden-Baden
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Klaus Ernst, (DIE LINKE), stellvertretender
Telefon
Vorsitzender der Bundestagsfraktion,
Telefax
gab heute, 06.07.16, dem Südwestrundfunk ein Interview zum
Thema: „Bundeskabinett berät Schäubles Haushaltspläne“. Internet
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Rudolf Geissler.
Mit freundlichen Grüßen
Zentrale Information
Datum:
07221/929-23981
07221/929-22050
www.swr2.de
06.07.2016
Ernst (LINKE): Schwarze Null werden künftige Generationen bezahlen müssen
Baden-Baden: Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Klaus Ernst,
hält den Sozialetat im Haushaltsentwurf für 2017 für nicht ausreichend. Im Südwestrundfunk
(SWR) sagte Ernst, Finanzminister Schäuble habe dort allenfalls "die richtige Richtung"
eingeschlagen. Die Ansätze für Hartz-IV-Empfänger, Rentner und beim Wohngeld seien aber
zu gering. Das gelte auch für die Haushaltsposten für Infrastruktur. Dort hätten
Wirtschaftsforscher einen Investitionsbedarf von 100 Milliarden Euro errechnet. In einer Zeit, in
der angesichts niedrigster Zinsen "das Geld umsonst" zu haben sei, mache es keinen Sinn, am
Ziel eines ausgeglichenen Haushalts festzuhalten, sagte Ernst. Die "schwarze Null" werde dazu
führen, dass die Versäumnisse von heute von künftigen Generationen bezahlt werden müssten.
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Geissler: Zum Ritual gehört, dass die Opposition und die größte Oppositionsfraktion erst
recht, kein gutes Haar lässt an einem Haushaltsentwurf der Regierung. Gibt es dennoch
jenseits des Rituals einen Punkt, den Sie wirklich gut finden in Schäubles Entwurf?
Ernst: Zumindest in die richtige Richtung gehend, dass wir mehr Geld im sozialen Bereich
brauchen, angesichts dessen, was die Zuwanderung und die Flüchtlinge bei uns im Lande
bedeuten.
Geissler: Kommt das Soziale dennoch zu kurz in diesem Entwurf?
Ernst: Es kommt eindeutig zu kurz, denn das, was nun vorgesehen ist, wird nicht dazu führen,
dass die dringend notwendigen Aufgaben, die in dem Bereich anstehen, erfüllt werden können.
Wir haben es ja nicht nur mit denen zu tun, die neu in unser Land kommen. Wir haben es auch
mit denen zu tun, die schon hier sind. Also wir haben deutlich zu geringe Sätze im
Arbeitslosengeld-II-Bereich, im so genannten Hartz-System. Wir haben die Aufgabe, dass wir
über das Wohngeld nachdenken müssen. Es ist viel zu gering, Sie wissen, wie die Mietpreise
explodieren in den Städten. Ich würde gerne in dem Zusammenhang noch was Allgemeines
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
zum Sozialhaushalt sagen, weil man immer so tut, als wäre das so überflüssig. Der
Sozialhaushalt der Bundesregierung Deutschland ist Ausdruck, dass das System selbst
Ungleichheit hervorruft. Hätten wir das nicht, würden bei uns die Leute unter den Brücken
schlafen, hätten keine Wohnung oder müssten auf der Straße verhungern. Dieses System neigt
eben nicht zur Gleichheit, es neigt zu Ungleichheit und Verwerfungen, die muss der
Sozialhaushalt ausgleichen.
Geissler: Dennoch ist es ja so, der Etat für Arbeit und Soziales steigt stetig seit
Jahrzehnten. Der Anteil der Sozialausgaben liegt jetzt bei über 50 Prozent und das ist
dann schon eine Quote, die fast doppelt so hoch liegt wie nach der Deutschen Einheit.
Wenn das stimmt, wie kann das noch zu wenig sein?
Ernst: Weil das Ausdruck ist, dass die soziale Ungleichheit zunimmt, wenn bei uns die Löhne so
niedrig waren, dass sie staatlich ausgeglichen werden mussten über das Hartz-System.
Solange wir den Mindestlohn nicht hatten. Und selbst jetzt, wo wir ihn haben, bedeutet es, dass
die Sozialausgaben steigen müssen. Also die Sozialausgaben sind Ausdruck dessen, was in
dieser Wirtschaft falsch läuft, und wenn er steigt, sieht man, dass offensichtlich mehr falsch
läuft, sonst müsste er ja nicht steigen.
Geissler: Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft sagt aber, wenn die
Wirtschaft brummt, wie jetzt im Moment, sollten die Sozialausgaben eigentlich sinken
können, eben weil es weniger Arbeitslose gibt und mehr Steuereinnahmen. Wohin fließt
denn der stetige Zuwachs, der ja jetzt im kommenden Jahr auch wieder vier Prozent
beträgt im Sozialetat, wohin fließt der, wenn er immer noch nicht an die richtige Stelle
kommt?
Ernst: Nun er kommt natürlich schon auch an die richtige Stelle. Es ist nur zu wenig. Ich mache
ein Beispiel: Wir wissen, dass die Renten in unserem Lande so niedrig sind, dass viele
Rentnerinnen und Rentner, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben, unterhalb der Grenze
sind, wo man Sozialhilfe beantragen kann, wenn sie alt sind. Also wird deshalb auch die
Sozialleistung für die Rentner steigen müssen, weil die Renten insgesamt nicht mehr
ausreichen, dass man seinen Lebensunterhalt im Alter finanzieren kann. Ein Ausdruck zu
geringer Renten. Das ist übrigens eine politische Entscheidung von rot-grün gewesen, die
Renten so weit abzusenken. Wenn wir merken, wir brauchen jetzt mehr Geld, um die
Eingliederung von Flüchtlingen zu organisieren, dann heißt es eben auch, dass dieses Geld zur
Verfügung gestellt werden muss, weil sonst in unserem Land sozialer Sprengstoff entsteht, der
kaum auszuhalten ist. Wenn wir wissen, dass wir auf der anderen Seite eben Menschen haben,
die ihre Wohnungen nicht finanzieren können, ich habe es vorhin angesprochen, weil die
Mietpreise so steigen, dann ist es logisch, dass in dem Bereich auch mehr Geld zur Verfügung
gestellt werden muss, wenn man nicht will, dass Leute reihenweise ihre Wohnungen verlieren
und nicht wissen, wo sie hin sollen. Das ist das Ergebnis von Verwerfungen, dass wir so einen
Sozialhaushalt brauchen.
Geissler: Mit der viel gescholtenen schwarzen Null, einem ausgeglichenen Haushalt
dürfte in ein paar Jahren immerhin das wohl erreicht werden, was ja eigentlich zum
Eingemachten der Europäischen Union gehört, dass nämlich der Schuldenstand eines
Mitgliedslandes unter 60 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen sollte. Ist das ein Ziel,
von dem Sie sagen, das sollte man ganz streichen, weil es nicht mehr in die Zeit passt,
oder hat es durchaus noch einen europapolitischen Wert für Sie?
Ernst: Also wenn man in Zeiten, wo der Staat dringend auch öffentliche Investitionen braucht, in
Straßen, in Infrastruktur - das DIW schätzt, dass 100 Milliarden Euro fehlen - wenn man in der
Zeit eine schwarze Null propagiert, wo man das Geld umsonst kriegt - wenn Leute Geld in
Staatsanleihen anlegen, müssen sie sogar noch etwas zahlen, damit sie die Staatsanleihen
bekommen, wir haben null Zinsen - wenn man in dieser Zeit sagt, wir machen eine schwarze
Null, dann ist es einfach nicht mehr zu verstehen, da langt man sich eigentlich nur noch an den
Kopf. Das sind die Dinge, die unsere Generationen teuer bezahlen müssen, was heute nicht
geleistet wird. Jedes Unternehmen würde das anders machen, nur Herr Schäuble macht es so.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Geissler: Wir sind jetzt auf die europäische Ebene gelangt. Ganz kurz noch, wo wir
schon mal da sind, sollten wir kurz das Thema CETA noch ansprechen, das geplante
Freihandelsabkommen mit Kanada. Die Linke lehnt das ab. Immerhin bekommen Sie jetzt
das, was sie gefordert haben, Mitwirkung der nationalen Parlamente. Nur, wird der Deal
damit scheitern? Womit rechnen Sie?
Ernst: Also es ist erst mal unglaublich, dass angesichts der Krise der Europäischen Union, die
Kommission einen Vorschlag gemacht hat, der letztendlich auf die Entmündigung der
nationalen Parlamente hinausgelaufen wäre. Das haben sie Gott sei Dank noch geändert. Jetzt
kommt es natürlich darauf an, dass man auch in der Bundesrepublik Deutschland ein Gesetz
macht, in dem deutlich wird, nicht nur der Bundestag, auch die Länder, wir sind ja ein föderales
System, auch die Länder mitwirken können und ich hoffe, dass, und das zeichnet sich ja ab, die
Bürgerinnen und Bürger Europas diese Handelsabkommen CETA und auch TTIP mit den USA
ablehnen. Es nützt nur den großen internationalen Unternehmen und geht zu Lasten der
Bürgerinnen und Bürger.
- Ende Wortlaut -
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)