SWR2 Tagesgespräch

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Gernot Erler (SPD) Russland-Beauftragter der
Bundesregierun, gab heute, 05.10.16, dem
Südwestrundfunk ein Interview zum Thema: „Erste
Sitzung der neu gewählten Duma/Perspektiven der
russischen Politik“. Das „SWR2 Tagesgespräch“
führte Rudolf Geissler.
Mit freundlichen Grüßen
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Datum:
05.10.2016
Russlandbeauftragter Erler: Syrien-Gespräche gehen weiter
Baden-Baden: Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), sieht
weiterhin Vermittlungschancen im amerikanisch-russischen Konflikt um eine Waffenruhe in
Syrien. Erler sagte im "SWR-Tagesgespräch", in Berlin suchten heute die politischen Direktoren
der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und Deutschlands nach einem Ausweg. Der
Versuch, jetzt "multilateral ins Gespräch zu kommen", sei von den Amerikanern ausdrücklich
gewünscht. Auch die UNO bemühe sich um Verhandlungsformate. Washington hatte die
direkten Gespräche mit Moskau über eine Waffenruhe in Syrien ausgesetzt, nachdem in Aleppo
auch zivile Einrichtungen bombardiert worden waren.
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Geissler: Präsident Putin hat jetzt sogar eine verfassungsändernde Mehrheit, eine
Dreiviertel-Mehrheit im Rücken, er und sein Premierminister Medwedew. Erwarten Sie,
dass diese Möglichkeit, die Verfassung zu ändern, auch tatsächlich genutzt wird, über
kurz oder lang?
Erler: Ich sehe im Augenblick keine Situation, wo das wahrscheinlich ist, weil auch vorher schon
Putin erreicht hat, dass das, was für ihn interessant ist, also die Frage, wie das mit der
Präsidentenwahl ist, und wie das mit der Dauer eines Mandates ist, alles schon hinbekommen
hat. Also insofern gibt es da keine aktuelle Erwartung.
Geissler: Nun gibt es ja, obwohl es zu einigen Unregelmäßigkeiten bei den
zurückliegenden Wahlen gekommen ist, kaum Zweifel soweit ich sehe, dass die
Größenordnung schon stimmt im Parlament. Diese erdrückende Mehrheit, das die
demokratische legitimiert ist. Das ist ein psychologischer Faktor. Was glauben Sie, wie
wird sich der auf die Arbeit der kritischen Öffentlichkeit außerhalb des Parlaments
auswirken?
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Erler: Man muss schon darauf hinweisen, dass diese, wie Sie sagen erdrückende Mehrheit der
Kreml-Partei etwas mit dem Wahlsystem zu tun hat. Wir haben insgesamt 450 Abgeordnete in
der Duma. 225 werden gewählt nach Liste. 225 in Direktwahlkreisen, also sogar ziemlich
ähnlich wie in Deutschland. Nur der Unterschied ist, das wird nicht verrechnet. Das heißt, eine
Partei bekommt also alle direkt gewonnenen Mandate und dann zusätzlich noch dazu diese, die
sie nach Prozentzahlen gewonnen hat. Das bedeutet zum Beispiel, dass einheitliches
Russland, die Kreml-Partei, nur 54,2 Prozent der Stimmen bekommen hat, aber 76 Prozent der
Mandate, also diese 343 Mandate, die eine verfassungsändernde Mehrheit darstellen.
Geissler: Das heißt, dann diese Mehrheit gemessen am Wahlsystem, die kritische
Öffentlichkeit, und zu meiner Frage zurückzukommen, nicht sozusagen lähmen sondern
möglicherweise eher noch motivieren in deren Widerständigkeit?
Erler: Nein, also es ist natürlich so, dass die Hoffnung von Opposition sich zerschlagen hat bei
diesen Wahlen. Man hatte gehofft, dass wenigstens einige über die Direkt-Wahlkreise
hereinkommen. Das ist nicht der Fall. Wir haben ein Vier-Parteien-System. Die anderen drei
Parteien nennt man die sogenannten System-Opposition. Also keine davon ist wirklich eine
kritische, gegen den Kreml gerichtete Partei. Wir haben die Kommunisten, die
Liberaldemokraten und die zweite Kreml-Gründung Gerechtes Russland mit zwischen 23 und
42 Mandaten. Von dort aus ist keine Opposition zu erwarten. Dann gibt es noch drei direkt
gewählte Abgeordnete, aber keiner davon ist ein wirklicher Oppositioneller. Also in der Duma
findet Opposition nicht statt.
Geissler: Dass Putin weithin im Lande beliebt ist, das sagen alle Umfragen und in der
Außenpolitik scheint ja die große Mehrheit der Russen ganz besonders überzeugt auf der
Seite des Präsidenten zu stehen. Das war ja auch immer in Umfragen zu sehen. Was
meinen Sie, ist dieser Kredit für eine Politik der Stärke unbegrenzt, oder ist da auch eine
Wende denkbar?
Erler: Das ist schon keine so einfache Geschichte für die Zukunft, weil, Sie haben völlig recht,
die Außenpolitik ist sozusagen das Pfund von der Führung von Putin. Was er gemacht hat mit
der Krim-Annexion, ist sehr populär. Es ist auch sehr populär, dass er es geschafft hat, bei
internationalen Fragen, vor allen Dingen bei dem Syrien-Konflikt auf gleicher Augenhöhe mit
dem amerikanischen Präsidenten zu kommen und auch anerkannt zu werden hier als
Gesprächspartner. Das hat auch die Kreml-Partei genutzt, diese Popularität von Putin, die über
80 Prozent liegt, um ihre Ziele zu erreichen. Aber im Hintergrund schwelt natürlich die soziale
und wirtschaftliche Frage. Durch den niedrigen Ölpreis gibt es Reallohneinbußen seit längerer
Zeit und die Frage ist, wie lange noch Gehälter und auch Renten ausgezahlt werden können.
Man schätzt, dass die Reservefonds spätestens im ersten Halbjahr nächsten Jahres leer sein
werden. Dann kommt in gewisser Weise die Stunde der Wahrheit, und dann ist die Frage, ob es
sich nicht an dieser Popularität auch etwas ändern kann.
Geissler: Die Meldungen der letzten Tage lesen sich ja nun wirklich wie die aus den
Hochzeiten der alten ideologischen Blockkonfrontation. Die USA haben die Gespräche
über Waffenruhe in Syrien, Sie haben es ja erwähnt, ausgesetzt. Putin sagt, er hält sich
so lange nicht mehr an den Plutoniumvertrag, solange die USA nicht aus Ost-Europa
wieder abgezogen sind. Wer oder was ist da in der Lage, her Erler, überhaupt noch zu
vermitteln?
Erler: Das Problem ist, dass es eigentlich dringend notwendig ist zu vermitteln, weil wir doch
erschüttert sind über das, was wir aus Aleppo hören über die täglichen Luftangriffe und sogar
auf Krankenhäuser, sogar auf Kinderkrankenhäuser. Fast 300-taused Menschen leiden dort
unsäglich, so dass es so schnell wie möglich zu einer Verständigung hier eigentlich kommen
muss.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Geissler: Nur wer könnte vermitteln?
Erler: Es muss weitergehen mit diesen Versuchen, nachdem die direkten bilateralen
Verhandlungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten abgebrochen worden sind.
Heute treffen sich zum Beispiel in Berlin die fünf politischen Direktoren der Staaten USA,
Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland. Das bedeutet, jetzt werden Versuche
gemacht, multilateral ins Gespräch zu kommen. Das ist auch ausdrücklich von amerikanischen
Politikern gesagt worden, diese Ebene soll weiter genutzt werden. Auch die UNO bemüht sich
um Gesprächsformate. Also es wird nicht aufhören die Bemühungen, die dürfen gar nicht
aufhören, um zu einem Ergebnis zu kommen.
- Ende Wortlaut -
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)