SWR2 Tagesgespräch

SÜDWESTRUNDFUNK
Anstalt des öffentlichen Rechts
Radio  Fernsehen  Internet
PRESSE Information
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Michael Link, Direktor der OSZE-Behörde für
demokratische Institutionen und Menschenrechte,
gab heute, 01.09.16, dem Südwestrundfunk
ein Interview zum Thema: „OSZE-Sonderkonferenz in
Potsdam“. Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte
Rudolf Geissler.
Mit freundlichen Grüßen
Zentrale Information
Chefredaktion Hörfunk
Zentrale Information
SWR Tagesgespräch
Postadresse 76522 Baden-Baden
Hausadresse Hans-Bredow-Straße
76530 Baden-Baden
Telefon
Telefax
07221/929-23981
07221/929-22050
Internet
www.swr2.de
Datum:
01.09.2016
OSZE schickt Wahlbeobachter in die USA / "Massive Beschwerden"
Baden-Baden: Die OSZE-Behörde für demokratische Institutionen und Menschenrechte
(ODIHR) schickt im November Wahlbeobachter zu den Präsidentschaftswahlen in die USA.
ODIHR-Direktor Michael Link sagte im "SWR-Tagesgespräch" des Südwestrundfunks, auch
entwickelte Demokratien müssten zeigen, dass sie "mit gutem Beispiel vorangehen". In den
USA gebe es ein "entsetzlich kompliziertes Wahlsystem" mit 50 einzelstaatlichen Regelungen.
In der Vergangenheit habe es so viele "massive Beschwerden" und Zweifel an den Ergebnissen
gegeben, dass die OSZE Grund habe, "hinzugehen und hinzuschauen". Zu den bevor
stehenden Parlamentswahlen in Russland sagte Link, den OSZE-Beobachtern sei zugesichert,
das sie sich "frei und ohne jegliche Behinderung bewegen" könnten. Allerdings sei die Lage der
Menschenrechte in Russland nach wie vor in vielen Bereichen "in einem kritischen Zustand".
Unter den inzwischen 54 Staaten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa stelle sich das Grundproblem heute anders da als bei der Gründung der OSZE vor
mehr als 40 Jahren. Die damalige Konfrontation der Blöcke sei heute von einer "Konfrontation
nationaler Egoismen" abgelöst worden. Einige Länder versuchten, aus dem Regelwerk der
Gründerzeit auszuscheren oder sich gar nicht erst darin einzuordnen, sagte Michael Link.
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Geissler: Was sind denn Ihre größten Sorgenkinder im Moment unter den 54
Mitgliedsstaaten?
Link: Es gibt einige Fälle, die uns wirklich sehr beschäftigen. Aber lassen Sie mich eines kurz
vorausschicken, als die OSZE gegründet wurde 1974, war sie aktuell. Walter Scheel übrigens
damals, diese Woche verstorben, ganz aktiv dabei als einer der Väter. Damals gab es eine
Konfrontation der Blöcke. Heute haben wir eher eine Konfrontation nationaler Egoismen
einzelner Staaten, die hier sozusagen sich nicht einordnen wollen in das Regelwerk, was wir
international haben. Und da gibt es in der Tat einige mit denen wir sehr intensiv arbeiten, und
wo wir immer wieder daran erinnern müssen, dass diese internationalen, rechtlichen und
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
menschenrechtlichen Regeln eingehalten werden müssen. Zum Beispiel die Türkei, wenn jetzt
die Prozesse gegen die Putschisten gemacht werden. Wir wollen diese Prozesse beobachten,
weil wir denken, es ist wichtig, dass die Türkei zeigt, dass sie sich an die Regeln hält.
Geissler: Haben Sie dazu schon ein Signal aus Ankara erhalten, ob sie das bekommen,
diesen Zugang?
Link: Noch nicht. Das Angebot liegt auf dem Tisch. Es ist bisher noch nicht angenommen
worden. Bisher hieß es, wir brauchen das nicht. Wir bleiben aber dabei, dass es wichtig wäre,
diese Prozesse zu beobachten, denn es wird ja international diskutiert, ob die Türkei nicht
überverhältnismäßig hier reagiert auf diesen Putsch, der als solcher zweifelslos zu verurteilen
ist.
Geissler: Russland stand ja immer an einer der vorderen Stelle auf der Liste der
rechtsstaatlichen Problemländer, sage ich einmal. Das haben Sie jetzt noch nicht
erwähnt. Hat sich da etwas verbessert, in dieser Hinsicht?
Link: Russland bleibt in vielerlei Hinsicht natürlich ein Land, in dem Menschenrechte in weiten
Bereichen auch durchaus in einem kritischen Zustand sind. Wenn Sie sich nur einmal eben das
Thema auch der Medienfreiheit nehmen. Aber wir haben mit Russland eine gute und
konstruktive Zusammenarbeit. Beispielsweise beobachten wir jetzt die Duma-Wahlen am 18.
September. Und unsere Beobachter können sich frei und ohne jede Behinderungen im Land
bewegen.
Geissler: Bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren war hinterher auf Seiten der russischen
Opposition von den schmutzigsten Wahlen seit dem Ende der Sowjetunion die Rede. Wie
sind denn die Ausgangsbedingungen dieses Mal, nach dem was Sie wissen?
Link: Es gibt durchaus die Möglichkeit, verschiedener, ganz unterschiedlicher Parteien
anzutreten. Auch Parteien, die nicht dem Kreml nahestehe. Insofern ist in weiten Bereichen
Pluralismus da. Allerdings sind die administrativen Hürden in der Wahl teilweise schon sehr
hoch für kritische Parteien. Aber wie gesagt, unsere Beobachter können frei und ungehindert
arbeiten und das ist ein guter Schritt.
Geissler: In Ungarn und Polen haben die Regierungen massiv eingegriffen in die
Unabhängigkeit der Justiz und der Medien auch in den letzten Jahren. Was Polen angeht,
hat die EU-Kommission kürzlich sogar ein Ultimatum bis Oktober gesetzt, wegen der dort
geschassten Verfassungsrichter. Aber die Regierung gibt sich unbeeindruckt. Ihre OSZEBehörde hat ja in Warschau ihren Sitz. Haben Sie dort Zugang? Werden Sie gehört?
Link: Ja, wir sind in intensiven Gesprächen mit dem polnischen Parlament, der polnischen
Regierung. Wir glauben, dass auch so genannte entwickelte Demokratien, und davon kann man
ja bei EU-Mitgliedern reden, mit gutem Beispiel vorangehen sollten. Deshalb, diese
Tätigkeit, die wir machen, hat nicht nur zu tun mit sozusagen Ländern der ehemaligen
Sowjetunion und Staaten, die in irgendeiner Weise von uns auf die Anklagebank gesetzt
würden. Das ist nicht unser Punkt. Nein, unser Punkt ist, alle, auch Polen, auch Ungarn daran
zu erinnern, dass sie als Rechtsstaaten, die sei sein wollen, Verpflichtungen haben, die sie
einhalten müssen. Die sie nicht eben einmal mit einer Parlamentsmehrheit ändern können, wie
zum Beispiel in Polen die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts.
Geissler: Sie sagen, Sie erinnern daran. Wie groß ist eigentlich generell Ihr Spielraum als
OSZE-Behörde, direkt Einfluss zu nehmen auf Missstände, sie möglicherweise sogar
abstellen zu können?
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Link: Wir haben keine Sanktionen. Wir haben keine Druckmittel. Aber unsere schärfste Waffe ist
das Wort, der unabhängige Bericht, die Tatsache, dass wir nicht schweigen, sondern
hinschauen und hingehen und beobachten. Das ist ein ganz starkes Instrument, was
insbesondere auch eine Zivilgesellschaft, eine kritische Zivilgesellschaft in dem betroffenen
Land unterstützt und ermuntert, ihre eigenen Rechte bei der nächsten Wahl wahrzunehmen.
Geissler: Die Ukraine, ist ja sicher ein Sonderfall wegen des Krieges, des Bürgerkrieges,
im Osten. Aber das Problem Korruption, das Ihre Behörde auch immer schon attackiert
hat, hatte dieses Land ja schon in friedlicheren Zeiten. Und über die relativ neue AntiKorruptionsbehörde hieß es im letzten Jahr noch, die schafft das nicht. Wie sieht es
heute damit aus?
Link: Das Land Ukraine hat enorme Probleme. Ja, man darf nicht vergessen, dass es sich
weiterhin im Krieg befindet. Ein großer Teil des Landes, ein bedeutender Teil des Landes, ist
besetzt und Truppen stehen im Land. Also bei aller Kritik und berechtigter Kritik an manchmal
zu langsamen Reformen in der Ukraine muss man eben feststellen, dass es gelungen ist, einige
Dinge zu reformieren. Gerade im Bereich Polizei, Justizwesen geht es jetzt voran. Aber es
stimmt, es ist noch viel zu tun. Insbesondere die Beschränkung der Macht der Oligarchen steht
noch aus.
Geissler: Ganz kurz noch. Wir haben vorhin über Russland und die Wahlen dort
gesprochen. In den USA sind ja Präsidentenwahlen im November und ich höre dieser
Tage, dass Ihre Behörde da auch nach dem Rechten sehen will. Ist das Routine oder
haben Sie Anhaltspunkte für Machenschaften?
Link: Nein, keine Anhaltspunkte für Machenschaften. Aber, wie gesagt, auch entwickelte
Demokratien müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Und die USA gehört zweifellos dazu.
Außerdem hat die USA das komplizierteste Wahlsystem in der gesamten OSZE. In keinem
anderen Staat haben sie 50 verschiedene Wahlsysteme nach Staaten, nämlich nach
Bundesstaaten getrennt. Es ist ein entsetzlich kompliziertes System, wo teilweise sehr
unterschiedlich ausgezählt wird. Wo es in der Vergangenheit auch immer wieder nationale,
massive Beschwerden und Anzweiflungen der Auszählung gab, also Grund genug für uns,
hinzugehen und hinzuschauen.
- Ende Wortlaut -
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)