SWR2 Tagesgespräch

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen),
(Stellvertretender Ministerpräsident Schleswig-Holstein)
Bewerber um die Spitzenkandidatur bei der
Bundestagswahl, gab heute, 04.11.16, dem
Südwestrundfunk ein Interview zum Thema: Vor dem
Urwahl-Forum der Grünen am Wochenende in Mainz.
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Rudolf Geissler.
Mit freundlichen Grüßen
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Datum:
04.11.2016
Baden-Baden:
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Geissler: Sie sind der einzige Bewerber mit Regierungserfahrung. Müsste nicht
eigentlich alles auf Sie zulaufen, von vornherein, bei so einem Rennen?
Habeck: Das höre ich jetzt das erste Mal. Also nicht dass ich Regierungserfahrung habe, aber
Cem Özdemir ist der bekannteste Politiker von uns, von den Grünen, vielleicht nach Winfried
Kretschmann im Moment, der seit vielen vielen Jahren in der ersten Linie der Bundespolitik
steht und Anton Hofreiter hat im Bundestag damit die große Oppositionsbühne. Ich glaube, in
der Regel sagen die meisten, ich bin Herausforderer, und das stimmt ja wahrscheinlich auch.
Allerdings stimmt, ich habe Regierungserfahrung.
Geissler: Medial bekannter ist natürlich noch keine persönliche Eigenschaft. Mit welchen
Eigenschaften könnten möglicherweise die beiden anderen Bewerber mehr beeindrucken
als Sie bei dieser Urwahl, was meinen Sie?
Habeck: Ich habe ja eben schon gesagt, was sie als Lebenslauf mitbringen. Ansonsten hoffe
ich, dass ich mehr beeindrucken kann. Ich mache die Urwahl ja tatsächlich, um meine Partei zu
verändern, und von den Grünen heraus ein Angebot an die Gesellschaft auszusenden, dass die
Umfragen, wie wir eben gehört haben, auch vielleicht ein bisschen gedreht werden.
Geissler: Manche Grüne werden vielleicht auch sagen, der Habeck will ja in Kiel auf
keinen Fall mehr mitregieren, auch wenn er jetzt durchfallen sollte bei der Urwahl. Dann
hat er vielleicht gar nicht so den Antrieb zu Macht und Prestige, der zum Beispiel
Özdemir beseelt. Was wäre Ihre Antwort?
Habeck: Antrieb auf Prestige habe ich tatsächlich nicht. Nichts interessiert mich weniger, als wo
ich mein Fahrrad hinstelle, das muss nicht vor dem Bundestag sein. Aber Antrieb, jetzt die
Dinge zu verändern, jetzt zu erkennen, dass diese Zeit alle Leute, die politisch im Geschirr sind,
fordert wie vielleicht selten zuvor eine Zeit, und eben auch meine Partei, die Grünen, fordern
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
müsste, dass wir uns abgewöhnen sollten, über Nebensächlichkeiten, Kleinigkeiten, Hickhack,
was auch immer, zu streiten und uns um die wirklichen Probleme kümmern müssen…
Geissler: Was würde es denn für den Bundestagswahlkampf bedeuten, wenn Sie der
Spitzenmann werden?
Habeck: Ich würde, denke ich, die grünen klassischen Themen Energie, Agrar, Umwelt aus der
Nische befreien und deutlich machen, dass wir Fluchtursachen, Kriegsvertreibung nie
bekämpfen können, wenn wir nicht vernünftige Klimapolitik betreiben. Dann meine ich, dass
diese Wirklichkeitsorientierung, die Regierungserfahrung, das war ja Ihre erste Frage,
tatsächlich beantwortet, also dass man weiß, dass Entscheidungen eine Bedeutung haben und
auch immer Konsequenzen nach sich ziehen, zu einer Ernsthaftigkeit des Wahlkampfs führen
würde, jedenfalls von grüner Seite aus. Und drittens, das ist ja im Moment, naja, fast schlimm
zu beobachten, wie zerstritten die Partei ist. Ich würde versuchen, jenseits der Flügel die Partei
zu einen und wirklich eine Partei mit einer Stimme, mit einem Kraftimpuls herzustellen.
Geissler: Zerstrittenheit ist ein gutes Stichwort. Wenn es nach Herrn Kretschmann geht,
wissen Sie auch heute schon, wer als Kanzlerin weiterhin nicht zu überbieten ist. Das
macht Ihren Wahlkampf überschaubar, oder?
Habeck: Ja, aber Kretschmann tritt nicht zur Urwahl an.
Geissler: Ist es denn falsch, was er sagt über die Qualität der Kanzlerin?
Habeck: Ich finde es gut und richtig, dass Kretschmann ein sehr vertrautes Verhältnis zur
Kanzlerin hat in Zeiten der Flüchtlingskrise, dem Beten für die Kanzlerin des Wahlkampfs
Baden-Württemberg. Da stand sie ja auch wirklich fest auf grünem Boden. Aber jetzt habe ich
mich über diese Aussage nicht gefreut. Ich halte sie auch ein Stück weit für unpolitisch, weil ja
neben der europäischen Krise, auf die sich Kretschmann bezogen hat, viele viele andere Dinge,
Klimakonferenz in Paris, die Bundesregierung gar nichts macht, und auch, wie ich finde, das
Auseinanderfallen des Sozialstaates nicht beantwortet wird von der Regierung. Es geht also
nicht um persönliche Zuneigung, sondern es geht darum, wer macht welche Politik, und das
muss geklärt werden.
Geissler: Vor diesem politischen Hintergrund: Wem würden Sie denn zutrauen, es
zumindest besser zu können als Merkel, im Kanzleramt?
Habeck: Aus den Reihen der CDU fällt mir da wirklich niemand ein.
Geissler: Es kann ja auch eine andere Partei sein, aber nach Lage der Arithmetik wird es
kaum eine grüne Persönlichkeit sein.
Habeck: Die Analyse muss doch sein, dass jetzt alle Parteien aufhören, taktisch zu denken.
Dass es eben nicht um Prestige und Macht geht, wie Sie vorhin gefragt haben, sondern um die
Inhalte. Und jede Partei muss wissen, dass sie am Ende des Tages vielleicht nicht in dem
gewünschten Bündnis aufwacht und Politik betreiben kann. Wenn wir jetzt also wieder so tun
wie in den letzten 10, 20 Jahren, als ob es alles nur ein Rechenspiel ist, als ob es nicht darum
geht, Vertrauen zu Politikgestaltung wieder herzustellen und jede Partei für sich wirbt, und dann
am Ende des Tages zugeben muss, dass man gucken muss, wie man es umsetzen kann, aber
dass man erst mal das klare konzeptionelle Denken nach vorne stellt.
Geissler: Dann gucken wir auf Konzepte. Im Wahlkampf müssten Sie natürlich das
Steuerkonzept verkaufen, das die Grünen beschließen werden auf ihrem Parteitag in
einer Woche. Werden Sie das eigentlich in jedem Fall tun oder kann es sein, dass Sie Ihre
Bewerbung noch zurückziehen, wenn Ihnen dieser Beschluss nächste Woche nicht
passen sollte?
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Habeck: Über Rückzug hab ich noch nie nachgedacht, nicht nur bei der Urwahl nicht, sondern
ich versuche dafür zu sorgen, dass wir gute Beschlüsse fassen, und da es die Partei ist, in der
ich bin und für die ich Wahlkampf machen will, werde ich mich dann ihren Beschlüssen
selbstverständlich schon unterordnen.
Geissler: Sie haben selbst schon gewarnt, dass die Grünen wie 2013 wieder als
Steuererhöhungspartei wahrgenommen werden, aber das kann ja schon deshalb der Fall
sein, weil nämlich mit Frau Göring-Eckardt ausgerechnet eine der Hauptverantwortlichen
für die grüne Pleite von vor vier Jahren wieder vorne steht bzw. stehen muss, weil die
Quote nichts anderes zulässt. Wie problematisch ist denn das aus Ihrer Sicht?
Habeck: Im Moment ist das erst einmal ein kommunikatives Problem, was die
Steuererhöhungen angeht. Wenn wir streiten, dann nur über die Vermögenssteuer. Das heißt,
Superreiche, also Besitz ab eine Million Euro pro Person, jetzt rechne ich mal das mit Frauen
und Kindern und wem auch immer, Lebenspartnern, durch, die sollen einen höheren Beitrag
leisten. Wir sind lange nicht mehr da, wo wir waren, ab 60-, 80-tausend ist man reich, die
Progression wird angezogen usw. Das machen wir uns aber alles kaputt wegen dieser
dusseligen Streiterei. Alle denken, vielleicht auch die Radiosender, die Grünen haben ja nichts
gelernt. Wir haben unendlich viel gelernt, wir sind nur zu blöd, dieses auf die Platte zu bringen.
Geissler: Aber Frau Göring-Eckardt haben sie jetzt geschickt umschifft, die kommt jetzt
wieder vorne hin, anders als Herr Trittin beispielsweise, obwohl vielleicht zwei
unbelastete Männer an der Spitze das Ganze glaubwürdiger machen können. Ist das für
Sie eigentlich ein Tabu anzudenken, dass die Quote relativiert werden könnte für
Sonderfälle dieser Art?
Habeck: Es mag irgendwann Zeiten geben, wo es möglich ist, darüber anders nachzudenken.
Im Moment nicht, und zwar aus Gleichstellungsgründen. Wir haben an so vielen Stellen –
gehen Sie mal zu irgendeiner beliebigen Energiekonferenz – immer noch eine männliche
Domäne in der Führungspolitik, und da sollte durch die Quote konterkariert werden. Insofern
finde ich das völlig richtig.
Eines darf ich vielleicht noch sagen: Politik handelt davon, dass Leute kandidieren. Wer also
immer sagt, da fehlt ja Auswahl bei der Frauenseite, der muss sich fragen, ob er selber
kandidieren will. Und gerade in dieser Zeit sollte sich keiner hinter dem Ofen verstecken, wenn
er findet, er kann einen Beitrag leisten.
- Ende Wortlaut -
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)