SWR2 Tagesgespräch

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Robert Habeck, Stellvertretender Ministerpräsident
Schleswig-Holstein, Grüne, gab heute, 17.06.16, dem
Südwestrundfunk ein Interview zum Thema „Status der
Maghreb-Staaten in der Flüchtlingspolitik.“
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Rudolf Geissler.
Mit freundlichen Grüßen
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Datum:
17.06.2016
Habeck (GRÜNE) zum Maghreb-Disput: Kein Vertrauen in Altmaiers Zusagen
Baden-Baden: Der stellvertretende Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Habeck, verlangt
von der Bundesregierung Garantien gegen eine pauschale Abschiebung von abgelehnten
Asylbewerbern aus dem Maghreb. Der Grünen-Politiker sagte im Südwestrundfunk (SWR), in
den nächsten Wochen sei eine Einigung im Bundesrat noch nicht ausgeschlossen. Wenn für
einen Personenkreis von heute rund 4000 Asylbewerbern aus der Region eine zweifelsfreie
Regelung gefunden werde, komme man "schon einen Schritt weiter". Es müsse
ausgeschlossen sein, dass diese Flüchtlinge zwangsweise zurück geführt und damit dem Risiko
ausgesetzt würden, in ihren Heimatländern verfolgt zu werden. Kanzleramtsminister Altmaier
habe etwas "ähnliches" schon vorgeschlagen, sagte Habeck. Allerdings habe er kaum mehr
Vertrauen in Altmaiers "Protokollerklärungen", nachdem es in der Vergangenheit von dessen
Seite Zusagen gegeben habe, die dann nicht eingehalten worden seien.
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Geissler: Das Thema wird vertagt, nur wenn die Maghreb-Staaten nicht sicher sind und
auch nicht dadurch sicher gemacht werden können, dass der Bundesrat
weiterverhandelt, was macht es dann eigentlich für einen Sinn, das Thema nur zu
verschieben, statt es vollends zu kippen?
Habeck: Wir werden nicht durch die Gespräche in den nächsten drei Wochen die Staaten sicher
machen, aber man kann vielleicht eine Lösung finden, dass die Menschen, die Asyl beantragen,
aber den Bescheid noch nicht bekommen, nicht zurückgeschickt werden und dann ein
Klageverfahren weiter aus diesen Ländern raus betreiben müssen. So etwas ähnliches hat
Altmaier schon angeboten als Protokollerklärung. Nun ist mein Vertrauen in Altmeiers
Protokollerklärungen ziemlich geschrumpft im Laufe der letzten Jahre. Die Grünen haben ein
Interesse daran, wie alle anderen, die Verfahren schneller zu machen, und sie haben kein
Interesse daran, Menschen die möglicherweise verfolgt werden aus verschiedenen Gründen,
abzuschieben und möglicherweise dadurch erst Verfolgung auszulösen. Wenn man das geklärt
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
bekommt, was eigentlich im System der sicheren Herkunftsländer nicht möglich ist, weil alle
zurück müssen, dann wäre man ein Schritt weiter.
Geissler: Für ihren Parteikollegen Ministerpräsident Kretschmann ist es parteiintern
gesehen, natürlich eine Atempause, wenn er heute gar nicht in die Verlegenheit kommt,
pro Gesetz abstimmen zu müssen. Er hat ja aber die Regierungsvorlage selbst schon
durchaus für verhandlungsfähig oder ergänzungsfähig erklärt. Ganz anders als sie
gestern in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“. Wie bewerten Sie diesen
Dissens?
Habeck: Das ist eine schwierige Frage. Alle tun sich damit schwer, auch ich. Wir haben lange
versucht, die Prüfung voranzutreiben. Letztlich kann das nur die Bundesregierung tun. Es gibt
einen Beschluss des Bundesrates, der sagt: „Wir erwarten Antwort auf folgende Fragen“. Dann
kamen die ganzen Menschenrechtskriterien. Dieser Beschluss ist wirklich mau und mäßig
umgesetzt worden, und dann kam ich zu dem Entschluss, das reicht nicht, was die
Bundesregierung macht. Winfried Kretschmann hat sich genauso schwer getan, ist aber zu
einem anderen Entschluss gekommen. Ich teile in diesem Fall seine Meinung nicht, aber das ist
kein Problem für unser bilaterales Verhältnis, zumal jetzt die Ablehnung insgesamt dazu geführt
hat, dass weiter gesprochen wird, und jetzt sind wir natürlich gut beraten, wenn wir auch
möglichst eine gemeinsame gesunde Linie aufbauen. Mal gucken, ob das geht.
Geissler: Bei der Bundesratsabstimmung zuletzt über die Westbalkanländer, waren sie
noch ganz an der Seite von Herrn Kretschmann und damals dafür, diese Länder als
sichere Herkunftsstaaten auszuweisen. Warum haben sie sich damals nicht so schwer
getan?
Habeck: Aus zwei Gründen: Einmal sind es andere Länder und andere Staaten. Wir sind mit
den Westbalkanstaaten in Beitrittsverhandlungen zu der EU. Es gibt da auch Probleme, die
Sinti und Roma werden nicht gut behandelt, aber die Folterverwürfe, die Diskriminierung von
Minderheiten, wie wir sie als Vorwürfe oder als bestätigte Berichte aus den Maghreb-Staaten
haben, die gibt es da so nicht. Und es gab vor allem Lösung in der Sache. Wir haben gesagt:
Das Asylrecht, Leute ist für euch der falsche Weg. Ihr kriegt kaum Chancen auf Anerkennung,
das gilt übrigens parallel tatsächlich für die Maghreb-Staaten. Aber dann haben wir auch
gesagt, es gibt eine legale, zwar regulierte, aber eine legale Zuwanderungsmöglichkeit
in den Arbeitsmarkt, und wir helfen den Sinti und Roma und den unterdrückten Minderheiten
direkt vor Ort, in dem wir da auch Programme lostreten.
Geissler: Aber einige Konzessionen hat es ja jetzt auch schon in diesem Fall gegeben.
Die Bundesregierung hat Ausnahmeregelungen für besonders gefährdete
Personengruppen vorgeschlagen, die als Flüchtlinge vom Maghreb kommen, neben
Homosexuellen vor allem für Journalisten und Politiker. Warum ist das keine Brücke,
über die auch Sie gehen können?
Habeck: Erstens formal, weil das nur eine Zusage ist. Das sollte per Protokollerklärung zur
Selbstverpflichtung der Bundesregierung eingelöst werden, und da habe ich vorhin schon
gesagt, mein Vertrauen ist sehr geschwunden. Wir sind ein paar Mal, jetzt muss ich das richtige
Wort wählen, dass ich politisch höflich bleibe, hingehalten worden, will ich mal sagen.
Geissler: Aber in dem Fall wäre es vielleicht nicht so gewesen…
Habeck: Ja, vielleicht auch nicht. Altmeiers Protokollerklärungen kann ich leider nicht trauen.
Zumal er nicht mehr alleine unterwegs ist. Das ist das Innenministerium, die CDU-Fraktion, so
geht es einfach nicht. Damals war ein fertiges Gesetzespaket da. Wir haben über alles
gemeinsam abgestimmt. Das hat auch den Unterschied ausgemacht.
Geissler: Sie selbst hatten kürzlich eine Alternative zu dieser starren Liste sicherer
Herkunftsländer vorgeschlagen. Die Idee war, immer dann, wenn sich beim
Herkunftsland dauerhaft zeigt, dass nur sehr wenige Flüchtlinge von dort bei uns
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anerkannt werden, dann kann man, haben auch Sie gesagt, bei Menschen aus diesen
Ländern das Asylverfahren tatsächlich verkürzen. Nur, Herr Habeck, genau das ist ja bei
den Maghreb-Staaten im Moment der Fall, dass die Anerkennungsquote so niedrig ist.
Das heißt, nach ihrem Konzept würde jetzt jeder Algerier und jede Marokkanerin in ein
kurzes Verfahren kommen. Nichts anderes will die Bundesregierung. Wo liegt denn dann
der Vorteil ihres Modells?
Habeck: Nur wenn man sie zusammenfasst, die Maghreb-Staaten! Die Länder sind durchaus
unterschiedlich. Tunesien, da haben sie Recht, Marokko und Algerien haben eine höhere
Anerkennungsquote. Vor allem ist mein Vorschlag mal der Versuch gewesen, etwas zu
durchbrechen. Ich wollte ohne Ausweis der sicheren Herkunftsländer ein beschleunigtes
Verfahren, das will ich noch immer. Gerade wir Grünen wollen ja, dass die Möglichkeiten, Asyl
zu beantragen wieder stärker werden. Es kommen ja im Moment gar keine Leute aus den
Maghreb-Staaten nach Deutschland und nach Europa, weil die Balkanroute, über die die
gekommen sind, auch geschlossen wurde.
Geissler: Aber wenn sie selbst für ein verkürztes Asylverfahren sind, in einigen Fällen,
dann scheinen sie doch davon auszugehen, dass man auch in einem verkürzten
Verfahren herausfinden kann, ob jemand tatsächlich schutzbedürftig ist. Sind dann ihre
Zweifel am Regierungsentwurf nicht doch übertrieben?
Habeck: Mit dem Unterschied, dass die Menschen die Asyl beantragen, das ist ungefähr ein
Viertel der Gruppe - in 2015 waren es 26.000 Leute und ungefähr 4.000 haben Asyl beantragt dass die, wenn die den Antrag abgelehnt bekommen, nicht zurückgeschickt werden dürfen.
Stellen sie sich vor, jemand sagt, ich bin ein politisch Verfolgter, wir sagen: das glauben wir dir
nicht, wir schicken ihn zurück, und dann ist er tatsächlich einer, dann wird er alleine auf Grund
seiner Anklage, ich bin politisch verfolgt, wahrscheinlich zu einem politisch Verfolgten werden.
Das muss ausgeschlossen werden.
- Ende Wortlaut -
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