9.2015 das Krankenhaus Editorial DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum Neustes von der Mengendiskussion M an kann es nicht mehr hören. Krankenhäuser würden zu viele und nicht notwendige Leistungen erbringen. Inzwischen Standardargumentation und scheinbar unbestrittene Rechtfertigung für Stimmungsmache und alle denkbaren Restriktionen und Sanktionen gegen die Krankenhäuser. Zweitmeinungen, Mindestmengen, erweiterte MDK-Kontrollbefugnisse, Abstaffelungen, Mehrleistungsabschläge, überzogene Degressionsabschläge bis hin zu Warnungen im Gesetz vor ökonomisch begründeten Fallzahlsteigerungen und bonusgetriebenen Chefärzten. Der Gesetzgeber bedient die Vorurteile und inspiriert zur Fortsetzung der Hatz gegen die Krankenhäuser. Der Barmer GEK Report Krankenhaus 2015 nimmt das willig auf und verkündet im Sommerloch als wichtigste Erkenntnis „deutliche Fehlversorgung bei Kreuzschmerzen“. Begründet wird dies damit, dass im Krankenhaus bei gut einem Drittel der Kreuzschmerz-Patienten weder eine Operation an der Wirbelsäule noch eine spezifische Schmerztherapie stattfand, sondern überwiegend bildgebende Diagnostik. Daraus wird dann weiter gefolgert, „Kreuzschmerz-Patienten sollten im Krankenhaus auch tatsächlich eine Behandlung erhalten, ansonsten gehören sie dort nicht hin“. So werden aus 140 000 Patienten, die nach Diagnostik durch das Krankenhaus – entgegen vorurteilsbehafteter Erwartungen – nicht operiert oder schmerztherapiert werden, fehlversorgte Patienten. Zu vermuten, dass im Krankenhaus sehr sorgfältig mit Indikationsstellungen vor invasiven Behandlungen umgegangen und eben doch nicht jeder operiert wird, das darf offensichtlich nicht sein. Ein weiterer Aspekt aus dem Report lässt aufhorchen. Die operierten Patienten sind mit dem Ergebnis einer im Krankenhaus durchgeführten Behandlung deutlich zufriedener (jeder 2.) als die nur schmerztherapierten (jeder 4.) und am unzufriedensten waren die Patienten, bei denen nichts gemacht wurde (nur Diagnose). Alles hochinteressante Beiträge zur sogenannten Mengendiskussion bei Krankenhausleistungen. Erheblich klarer sind da die nackten Zahlen aus der amtlichen Statistik. 33 000 mehr Geburten im Jahr 2014. Damit verbunden ist ein finanzieller Mehrbedarf von ca. 100 Mio. € in den Krankenhäusern. Insgesamt meldet die Bundesstatistik für das Jahr 2014 350 000 mehr stationäre Behandlungsfälle; ca. 1 Mrd. € finanzieller Mehrbedarf. Rechnet man den Kostenzu- wachs für die Bestandsleistungen hinzu, dürfte leicht nachvollziehbar sein, dass Erlöszuwächse von 2 Mrd. € zu niedrig sind, um die Kosten zu decken – während Politik und Kassen bei solchen Ausgabenzuwächsen von Ausgabenexplosion sprechen. Mit dem Strom 100 000er Flüchtlinge wird die Zahl der Behandlungen in den Krankenhäusern völlig unabhängig von der demographischen Entwicklung weiter steigen. Das alles zeigt deutlich: Leistungsbekämpfung, wie sie mit dem Versorgungsstärkungsgesetz und der geplanten Reform gezielt betrieben wird, geht an den medizinischen Versorgungsrealitäten vorbei. Die Inkaufnahme von Krankenhaussterben durch aktive Mittelverknappung gefährdet die Versorgungssicherheit und nimmt keine Rücksicht auf den zukünftigen Versorgungsbedarf. Vielleicht wäre es doch besser, die Mittel aus dem Strukturfonds, statt für die Schließung von Krankenhäusern zur Unterstützung der Krankenhäuser einzusetzen. Wie jedes Jahr werden im Vorfeld der jährlichen Anpassungen der Mittelzuweisungen aus dem Gesundheitsfonds an die Krankenkassen vom Spitzenverband die erwarteten Ausgaben für die Krankenhäuser überzogen hoch prognostiziert. Würden die Krankenhäuser die Mittel immer tatsächlich erhalten, müssten viele Diskussionen nicht geführt werden. Dieses Jahr werden die erwarteten Mehrausgaben durch die Krankenhausreform ergänzend ins Feld geführt und mit Anhebungen des Zusatzbeitrages der Versicherten gedroht. Damit soll die Politik eingeschüchtert werden, das KHSG nicht nachzubessern. Sie kann das Gesetz aber guten Gewissens nachbessern. 2016 und 2017 kostet die Reform die Krankenkassen so gut wie gar nichts – im Gegenteil, die geplante Abschaffung des Versorgungszuschlages führt zu Einsparungen. Ungelöste Milliardenprobleme bei den Krankenhäusern und prall gefüllte Reserven im Gesundheitsfonds und bei den Kassen sowie weiter steigende Überschüsse im Bundeshaushalt, das sind die Fakten. Die Nachbesserungen, die der Bundesrat für das KHSG vorschlägt und die die Krankenhäuser berechtigt erwarten, bedeuten nicht mehr als die verantwortliche Ausfüllung gesundheitspolitischer Gestaltungsmöglichkeiten, die die Bürger und noch mehr die Patienten erwarten. 801
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