Neues Krankenhausfinanzierungsgesetz: eine Katastrophe! Jetzt

August 2015
und
informieren:
Baden-Württemberg
Neues Krankenhausfinanzierungsgesetz: eine Katastrophe!
Jetzt hilft nur noch unsere massive Gegenwehr.
Ein Jahr lang hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe getagt,
um eine neue Krankenhausfinanzierung auf den Weg zu
bringen. Jetzt liegt das Ergebnis als Gesetzentwurf vor. Um
es mit einem Satz zu sagen: der Entwurf des „Krankenhausstrukturgesetzes“ ist eine Katastrophe:
 Für die Beschäftigten, insbesondere die Pflege, bringt es
keine Verbesserungen.
 Der Marsch in Richtung noch mehr Markt und Wettbewerb wird ungebrochen fortgesetzt.
 Minimalen finanziellen Verbesserungen steht der Wegfall von Mitteln in höherem Ausmaß gegenüber.
 Statt die ausreichende Finanzierung der Investitionskosten zu sichern, wird eine „Abwrackprämie“ zur Schließung von Krankenhäusern eingeführt.
 Die Einführung der DRGs („PEPP“) in der Psychiatrie geht
weiter.
Nichts für die Beschäftigten
Das ist kein Pflegeförderprogramm, sondern eine Verhöhnung. Ursprünglich war im Bundesrat noch angekündigt
worden, dass man Schritte in Richtung einer gesetzlichen
Personalbemessung machen werde. Man wollte garantieren, dass das Geld, das von den Krankenkassen für Personalkosten gezahlt wird, auch tatsächlich beim Personal ankommt. Jetzt soll eine Expertenkommission gebildet werden, die eine Anschlussregelung für die 330 Mio. erarbeiten
soll. Zudem soll sie prüfen, ob der Pflegebedarf als Zuschlag
zu den DRG (wie bei PKMS) oder direkt über die DRG gezahlt
werden soll. Von Personalbemessung keine Rede.
Auch von einer Zweckbindung der gesamten Gelder für Personal (54 Mrd. Euro) ist keine Rede mehr. Es geht nur noch
um die 330 Mio. Euro. Was die Krankenhäuser mit den
„restlichen“ 53,67 Mrd. machen (neue Investitionen?),
bleibt weiterhin ihnen überlassen. Das Ganze ist ein völliger
Schuss in den Ofen und zwischenzeitlich laufen ja auch
schon viele Protestaktionen dagegen.
In der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CDU/CSU
hieß es noch:
Weiter in Richtung Markt und Wettbewerb
„Eine sichere Behandlung ist letztendlich nur dort möglich,
wo das ärztliche und pflegerische Personal nicht über Gebühr belastet wird. Wir wollen gewährleisten, dass auf
Ebene der DRG-Kalkulation die Personalkosten, insbesondere die der Pflege, in ausreichender Höhe und Gewichtung
berücksichtigt werden. Dass die Krankenhäuser diese Mittel
auch tatsächlich für Personalkosten eingesetzt haben, müssen sie in den Budgetverhandlungen in geeigneter Weise
unbürokratisch nachweisen.“
Seit Jahren wird immer deutlicher, dass das Preissystem der
DRGs verheerende Wirkungen auf die Krankenhäuser, die
PatientInnen und die Beschäftigten hat: Immer mehr
marktwirtschaftliche Konkurrenz und Wettbewerb, statt
bedarfsgerechte Versorgung der Patienten.
Im Gesetz findet sich ein „Pflegeförderprogrämmchen“
von 110 Millionen Euro pro Jahr über drei Jahre. Das sind
am Ende maximal drei Stellen pro Krankenhaus. Die Krankenhäuser müssen zudem 10% der entstehenden Kosten
selbst finanzieren, was vermutlich - wie beim letzten Programm – dazu führt, dass nur ein Teil der Krankenhäuser
überhaupt solche Stellen schafft.
Wenn ein Krankenhaus für die Behandlung einer bestimmten Krankheit eine bestimmte Summe Geld bekommt, ist es
ökonomisch rational,
 die Behandlungskosten des einzelnen Falles zu minimieren (ein klarer ökonomischer Anreiz zur Unterversorgung
und zur Arbeitsüberlastung),
 in all den Fällen, in denen ein Gewinn zu erwarten ist,
möglichst viele Behandlungen durchzuführen (also Überversorgung und Verschwendung sowie wieder Arbeitsüberlastung),
 diejenigen PatientInnen auszusondern, bei denen anzunehmen ist, dass man keinen Gewinn macht bzw. um die
zu werben, bei denen Gewinn möglich ist (Rosinenpicken).
Genau das spielt sich seit Jahren in den Krankenhäusern ab.
Statt diese Entwicklungen zurück zu drehen, legt die
SPD/CDU/CSU-Bundesregierung jetzt noch eine Schippe
drauf: Aus den Festpreisen sollen Verhandlungspreise werden. Aus den allgemeinverbindlichen Verträgen mit den
Krankenkassen sollen Selektivverträge mit einzelnen Häusern werden.
Qualitätsbezahlung – noch mehr Konkurrenz
Die Krankenkassen sollen das Recht bekommen, bei guter
bzw. schlechter Qualität Zu- oder Abschläge zu vereinbaren. Bei vier Leistungen/Leistungsgruppen sollen sie die völlige Freiheit haben, mit einzelnen Kliniken Verträge abzuschließen und mit anderen überhaupt nicht mehr.
Dabei ist es schlechterdings unmöglich, exakt zu bestimmen, welches Krankenhaus welche Qualität erbringt und inwieweit es an einer schlechten/guten Qualität selbst schuld
ist. Auch ist es ja wohl absurd, einem Krankenhaus mit
schlechter Qualität dann nochmals Geld wegzunehmen.
Eine solche Krankenhausfinanzierung bewirkt, dass die Kassen deutlich mehr Macht bekommen, um über die Existenz
von Krankenhäusern zu entscheiden. Der Konkurrenzkampf
der Krankenhäuser untereinander wird nochmals verstärkt.
Es ist auch nicht abwegig zu vermuten, dass die Krankenhäuser alles tun werden, um zumindest in ihren Qualitätsstatistiken gute Werte vorzuweisen. So wird keine bessere
Versorgung erreicht werden. Insbesondere auch, weil eine
solche Regelung die Bedarfsplanung durch die Länder unterläuft: Was macht es für einen Sinn, ein Krankenhaus als
bedarfsnotwendig in den Krankenhausplan aufzunehmen,
wenn die Krankenkassen über Zu- und Abschläge oder Selektivverträge dieses Krankenhaus „austrocknen“ können?
Wenn die Bundesregierung ehrlich wäre, würde sie auch zugeben, dass es gar nicht um mehr Qualität geht, sondern
nur darum, möglichst viele Betten zu schließen und Krankenhäuser „aus dem Markt zu drängen“.
Viele Verschlechterungen im Detail
Hinzu kommen viele weitere Verschlechterungen:
 Der sog. Versorgungszuschlag (0,8 % der Vergütung), erst
vor 2 Jahren eingeführt, um die prekäre finanzielle Lage
der Krankenhäuser zu lindern, wird wieder abgeschafft.
Für Baden-Württemberg bedeutet das ein Minus von 60
Mio. Euro.
 Die Regelung über Mehrleistungsabschläge für die Behandlung von mehr Fällen (bisher 25 % für zwei Jahre)
auf drei Jahre verlängert. Ab 2017 gibt es einen sogenannten „Fixkostendegressionsabschlag“ (quasi einen
Rabatt für die Behandlung von mehr PatientInnen mit
derselben Diagnose), dessen Mindesthöhe zwischen den
Krankenkassen und den Krankenhäusern auf Landesebene festgelegt wird und jeweils fünf Jahre wirksam
wird. Zusätzlich können die Krankenkassen bei den Verhandlungen mit dem einzelnen Krankenhaus noch höhere Mengenabschläge fordern.
V. i. S. d. P.: Irene Gölz, ver.di Baden-Württemberg/FB 3,
Theodor-Heuss-Str. 2, 70173 Stuttgart
 Der sog. Orientierungswert (die vom Statistischen Bundesamt ermittelte Preissteigerungsrate für Krankenhäuser) darf von den Kassen nur maximal zu einem Drittel
ausgeglichen werden.
 Eine bessere Finanzierung von Extremkostenfällen soll
nicht eingeführt, sondern nur geprüft werden.
 Die doppelte Degression (Mehrleistungen werden sowohl auf Landesebene als auch beim einzelnen Krankenhaus abgezogen) wird - entgegen allen Zusagen - nur zum
Teil abgeschafft. Gleichzeitig wird den Kassen ermöglicht, weitere Abzüge beim Landesbasisfallwert z.B. für
die Produktivitätsentwicklung zu fordern. Zuerst zwingt
die Finanznot zu Sparmaßnehmen und dann dient genau
dies der Rechtfertigung von weiteren Kürzungen.
 DRGs mit „wirtschaftlich begründeten“ Fallzahlsteigerungen sollen gezielt abgesenkt werden.
 Statt einer ausreichenden Investitionsfinanzierung (notwendig wären hier nach eigener Berechnung der Bundesregierung 6 Mrd. Euro pro Jahr, die Länder geben
aber nur 2,8 Mrd. Euro) wird einmalig maximal
1 Milliarde zur Verfügung gestellt. Diese Gelder dürfen
aber nicht für „normale“ Investitionen verwendet werden, sondern nur für Investitionen, die zu einem Abbau
von Krankenhausbetten und Strukturveränderungen
führen. Zusätzlich wird den Kassen bei der Verwendung
der Mittel ein Vetorecht eingeräumt.
 Die Einführung der DRG in der Psychiatrie (PEPP) wird entgegen den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag nicht noch einmal überprüft, sondern weiter vorangetrieben.
BIV und ver.di sprechen sich klar dagegen aus, dass das Gesetz verabschiedet wird. Eine erste Welle von Protestaktionen („162.000 für 162.000“) hat schon stattgefunden. Bei
der Konferenz der Gesundheitsminister der Länder in Bad
Dürkheim haben wir für eine gesetzliche Personalbemessung demonstriert und eine Erklärung übergeben.
Unsere Ablehnung zeigt Wirkung. Die Sozialministerin von
Baden-Württemberg hat den Gesetzentwurf abgelehnt.
Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft wendet sich
ebenfalls vehement dagegen und ist zu gemeinsamen Aktionen bereit.
Die weitere Behandlung des Gesetzentwurfes im Bundestag und Bundesrat ist nach der Sommerpause geplant.
Wir alle müssen dafür sorgen, dass die Bundesregierung
mit diesem Gesetzentwurf nicht durchkommt. Dazu wird
es ab September weitere ver.di-Aktionen geben, z.T. gemeinsam mit den Krankenhausträgern und weiteren Verbänden.