das Krankenhaus 03/2017

Editorial
DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum
Schluss mit AlternativFakten!
„Kliniken überbelegt“, „Patienten auf den Gängen“, „verschobene Operationen“, „Rettungswagen können nicht anfahren“,
so lauten derzeit sehr viele Meldungen. Sie beschreiben, was
zurzeit in der Gesundheitsversorgung los ist – Grippewelle in
Deutschland. Stau vor Kreißsälen ist ein anderes derzeit viel
zitiertes Szenario zum Beispiel in Berlin. Die Geburten steigen
deutlich. Und schon lange nichts Neues mehr: Rettungsfahrzeuge auf der Suche nach aufnehmenden Krankenhäusern.
Und dann noch die Dauerproblematik der hoffnungslos überlasteten Notfallambulanzen abends, an Wochenenden und zunehmend auch zu den regulären Tageszeiten.
Alles Lageberichte, die aufhorchen lassen und vor allem in frage stellen, ob die, die von zu vielen Krankenhäusern reden und
den Abbau von Krankenhauskapazitäten propagieren, nicht
doch falsch liegen oder zu kurz denken. Die Realität der medizinische Hilfe suchenden Patienten in den überbelegten Krankenhäusern führt vor Augen, dass Krankenhäuser Daseinsversorgung sicherstellen. Und es wird deutlich, welch ein hohes
Gut ausreichende und gute Krankenhauskapazitäten sind.
Deutlich wird aber auch, welche beunruhigenden Vorstellungen
die Empfehlungen für auf Kante genähte Kapazitäten auslösen.
Auch zeigt die derzeitige Lage, wie wenig aussagekräftig die
durchschnittliche Bettenauslastungsquote ist: Sie liegt seit Jahren knapp über 77 % und gibt keine Hinweise auf zu viel oder
zu wenig Krankenhäuser. Denn es kommt auf die Spitzenbelastungen an. Und da muss gelten, dass Daseinsvorsorge in der
Medizin nicht vom Zufall abhängen darf.
All das heißt nicht, dass jedes Krankenhaus, jeder Standort unantastbar ist. Die Krankenhausstatistik zeigt seit Jahren einen
kontinuierlichen Rückgang der Krankenhäuser an. Wo Krankenhäuser effektiv nicht mehr gebraucht werden, können sie
auch nicht fortbestehen. Umso zwingender ist aber der umgekehrte Gedanke. Wo sie gebraucht werden, müssen sie gesichert werden. Dabei stellt sich aber die Frage, funktionieren
Sicherungsinstrumente im System?
Der Sicherstellungszuschlag sollte Krankenhäusern, die unverzichtbar sind, die Deckung der Kosten gewährleisten, wenn dies
über das DRG-System nicht möglich ist. Er wurde im G-BA von
der dort waltenden Mehrheit in die Wirkungslosigkeit geschickt.
| 3.2017
Geburtsabteilungen wurden nicht berücksichtigt. Der gesetzliche Auftrag, die Leistungen der Notfallambulanzen der Krankenhäuser sachgerecht zu vergüten, ist von der Mehrheit von
Kassen und KBV im Bewertungsausschuss ins Gegenteil verkehrt worden – 4,75 € für Registrierung und ärztliche Begutachtung von Patienten, die vom Krankenhaus weggeschickt werden sollen. Für die KBV, jene Körperschaft, die der Gesetzgeber
mit der Vergütungsfestsetzung für die Krankenhäuser (!) beauftragt, „saugen“ sich Krankenhäuser ohnehin nur mit nicht behandlungsbedürftigen Patienten voll (KBV-Staubsaugerthese).
Noch größere Respektlosigkeit gegenüber den Leistungen und
der Kompetenz der Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern ist kaum vorstellbar.
Aber auch in den höchsten Rängen der politischen Entscheidungsträger ist immer wieder die Auffassung zu hören, dass
zwar anerkannt werde, dass die Investitionsmittel der Länder
zu gering seien. Solange es aber zu viele Krankenhäuser gebe,
gibt es keine zusätzlichen Mittel. Kollektivhaftung also. Auch
diese leider sehr verbreitete Fehleinschätzung in der Politik
hält der Begegnung mit der Realität nicht stand. Selbst wenn
100 Krankenhäuser in einem Jahr geschlossen würden, würden
weniger als 200 Mio. € Investitionsmittel für die verbleibenden
1 900 Kliniken zur Verfügung stehen; gebraucht werden aber
zusätzlich 3 Mrd. € jährlich. Sicher ist allerdings, die 100 wegfallenden Krankenhäuser würden die einleitend dargestellten
Probleme bei der Versorgung der Patienten noch deutlich verschärfen.
Aus alldem wird deutlich: Mit den leichtfertigen Einschätzungen, es gäbe zu viele Krankenhäuser oder es würden nicht notwendige Leistungen erbracht, muss Schluss sein. Denn dies
sind tatsächlich nur Scheinfakten (neuamerikanisch: „Alternativ-Fakten“), die dazu führen, dass Realitäten verkannt und
Weiterentwicklungen blockiert werden, die dringend gebraucht
werden, um die medizinische Versorgung der Bevölkerung zu
sichern.
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