Körperverletzungsdelikte

WissMa’in Dr. Anja Schmidt
AG Strafrecht III (BT 1), WS 2015/16
Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit §§ 223 ff.
Definitionen gefährliche Körperverletzung § 224:
Nr. 1 Gift = jeder organische oder anorganische Stoff, der durch chemisch oder chemischphysikalische Wirkungen in der konkreten Verwendungsweise ernsthafte gesundheitliche Schäden
verursachen kann; andere gesundheitsschädliche Stoffe = auf mechanischem oder thermischen Weg
wirkend; Beibringen = Einführen in oder Auftragen auf den Körper, so dass der Stoff seine
schädigende Wirkung entfalten kann
Nr. 2 Waffe = ihrer Art nach dazu bestimmt, erhebliche Verletzungen von Menschen zu verursachen
und sie dieser Bestimmung gemäß eingesetzt werden; Gefährliches Werkzeug = bewegliche Sache,
wobei konkrete Verwendungsweise geeignet, erhebliche Verletzungen hervorzurufen; mittels = mit
Hilfe des Werkzeugs, von außen auf den Körper des Opfers bewirkt
Nr. 3 Überfall = plötzlicher Angriff auf einen Ahnungslosen, hinterlistig = Vorgehen in planmäßig
verdeckender Weise, um Angegriffenen Verteidigung zu erschweren (Ausnutzen eines
Überraschungsmoments, also vorgefundener günstiger Situation genügt nicht)
Nr. 4 gemeinschaftlich mit anderen Beteiligten = einverständliches Zusammenwirken mind. zweier
Personen am Tatort (Teilnahme reicht aus, h.M.), wenn dies erhöhte Gefährlichk. für Tatopfer
begründet
Nr. 5 lebensgefährdend = nach konkreten Umständen des Einzelfalles ist Bhdlg. objektiv-generell
(h.M.), dazu geeignet, Leben zu gefährden; MM: konkreter Lebensgefährdungserfolg erforderlich;
mittels = unmittelbar durch die Behandlung, nicht erst als deren mittelbare Folge
§ 228 Begriff der Sittenwidrigkeit:
Problem: Unbestimmtheit des Begriffs (vgl. dazu Köhler AT S. 247; Paeffgen in
Kindhäuser/Neumann/Paeffgen4 § 228 Rn. 33, der aber die Rechtsfolgen offen lässt; vgl. SK 7Horn/Wolters (Stand 8/2003) § 228 Rn. 8)
h.M.: = allgemein gültige moralische Maßstäbe = unbestimmter Rechtsbegriff, Rückgriff auf klare
rechtliche Wertungen, d.h. Abstellen auf Art und Gewicht des Erfolges und Rückgriff auf den
systematischen Normzusammenhang, genauer: Sittenwidrigkeit wegen § 216, wenn Einwilligung in
KV-Handlung, die mit konkreter Todesgefahr verbunden ist, und wenn Umstände vorliegen, die zu
einer allgemeinen Gefährdungssteigerung führen wie bei § 231 StGB (vgl. Fischer 62 § 228 Rn. 8 ff.;
BGH NJW 2015, 1540 (1542 f., Rn. 41 ff.))
Fall 1 Match (BGH NJW 2015, 1540 ff.):
A und B gehören einer Hooligangruppe mit vielen weiteren Beteiligten an. Ihre Begeisterung für
Gewalt leben sie nicht nur bei Gewalttätigkeiten im Zusammenhang mit Fußballspielen aus, sondern
auch bei sogenannten „Matches“, bei denen sich Hooligangruppen verschiedener Städte miteinander
verabreden, um gegeneinander zu kämpfen. Für diese Kämpfe gelten unter diesen Gruppierungen
anerkannte Regeln. Ein solches „Match“ wurde von B, der als „Chef“ der Hooligangruppe agiert,
verabredet und organisiert. Erlaubt waren Faustschläge und Tritte gegen den Oberkörper, das Gesicht
und den Kopf, wobei nur leichtes Schuhwerk getragen werden durfte. Auf der Seite von B kämpften,
wie auf der anderen Seite, ca. 20 Personen, darunter auch der A, mit. B selbst beobachtete den Kampf
und filmte ihn. X, ein Angehöriger der gegnerischen Gruppe, ging nach wenigen Sekunden zu Boden.
Er hatte durch kräftige Fußtritte des A, der nur leichtes Schuhwerk trug, mehrere Brüche im Gesicht
erlitten, die eine umfangreiche medizinische Behandlung notwendig machten. Wie durch ein Wunder
verheilten die Brüche so, dass die Verletzungsspuren nur bei genauerem Hinsehen im Gesicht des X
erkennbar waren. Wie hat sich A strafbar gemacht?
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WissMa’in Dr. Anja Schmidt
AG Strafrecht III (BT 1), WS 2015/16
Aufbau erfolgsqualifiziertes Delikt am Bsp. von §§ 227, 2261
allg. zu erfolgsqual. Delikten: Kühl, AT, § 17a
I. vollständige Prüfung des Grunddelikts (§§ 223, 224; bei § 227 auch §§ 225, 226), insb. hins. TB,
Rewi, Schuld
II. Prüfung erfolgsqual. Delikt (§ 227 oder § 226)
1. Verweis auf tbmä, rewi und schuldhafte Verwirklichung des Grunddelikts (I.)
2. Verursachung der qualifizierenden Folge (bei § 227 Todesverursachung, vgl. 226 I Nr. 1-3)
3. tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang (nähere Best. str.)
4. § 18 mind. Fahrlä. hinsichtlich Tatfolge (f. jeden Beteiligten gesondert zu prüfen)
obj. und subj. Sorgfaltspflichtverl.
obj. und subj. Vorhersehbark.
Oder 4. § 226 II d.d.1 oder 2 (beachte etwa bei § 251 Leichtfertigkeit = gesteigerte, grobe
Fahrlässigkeit)
Fall 2 Pistolenschlag (Abwdlg. BGHSt 14, 110):
T schlägt O absichtlich mit einer geladenen und entsicherten Pistole kräftig auf den Kopf, so dass eine
Platzwunde entsteht. Dabei löst sich ein Schuss, der O tötet. T ist entsetzt. Wie hat sich T strafbar
gemacht?
Fall 2 Hochsitzfall (BGHSt 31, 96):
N wirft den 3,5 m hohen Hochsitz um, auf dem sein Onkel O sitzt, um dem O einen Denkzettel
erteilen. O fällt herunter und bricht sich den Knöchel. Der Bruch wird operiert und O nach einiger Zeit
aus dem Krankenhaus entlassen. Zu Hause bleibt O fast ausschließlich im Bett. Ihm war nicht gesagt
worden, dass er durch Bewegung der Gefahr einer Lungenembolie vorbeugen müsse. O stirbt an einer
Lungenembolie infolge der fehlenden Bewegung. Wie hat sich T strafbar gemacht?
Fall 3 Schöpfkelle (vgl. BGH NStZ 1994, 394):
T schlägt der, wie er weiß, alkoholkranken H mit einer schweren Schöpfkelle drei Mal wuchtig auf
den Kopf. Diese lösen eine Blutung unter der Hirnhaut aus. Im Krankenhaus wird H darüber belehrt,
dass Lebensgefahr besteht und sie stationär behandelt werden muss. Dennoch verlässt sie nach einigen
diagnostischen Maßnahmen, bei denen die Gehirnblutung noch nicht erkannt wurde, das Krankenhaus,
um zu Hause weiter Alkohol zu sich zu nehmen. Dort stirbt sie nach drei Tagen an einer zentralen
Lähmung, die durch die Hirnblutung ausgelöst worden war. Wäre sie im Krankenhaus geblieben, wäre
letztere mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erkannt worden und das Leben der H gerettet
worden. Wie hat sich T strafbar gemacht?
Fall 4 Rötzel / Guben (vgl. BGH NJW 1971, 152 ff. (Hausgehilfin / Rötzel), NStZ
1992, 335 ff., BGHSt 48, 34-39 (Guben):
T will im Obergeschoss des Hauses seiner Mutter die 40jährige Haushaltsgehilfin R tätlich
angreifen. T läuft dicht hinter R her. Er will sie gerade ergreifen und zuschlagen, als es R in ihrer
panischen Flucht gelingt, auf den Balkon zu laufen. Dort verliert sie das Gleichgewicht und stürzt
ab. R stirbt an den Sturzverletzungen. Wie hat sich T strafbar gemacht?
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Aufbau erfolgsqual. Delikt nach h.M. vgl. Wessels/Beulke/Satzger AT Rn. 879, vgl. auch Klesczewski AT S.
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