Pressefreiheit, Art. 5 I 2 Fall 1 GG 1. Begriff der Presse: weit und

Prof. Dr. Christoph Gröpl
Universität des Saarlandes
Presse- u. Rundfunkrecht
Pressefreiheit, Art. 5 I 2 Fall 1 GG
1. Begriff der Presse: weit und (technisch-)formal, entwicklungsoffen =
alle zur Verbreitung geeigneten Druckerzeugnisse und anderen verkörperten/
körperhaften Informationsträger: Zeitungen, Zeitschriften und Bücher, Schallplatten, Videobänder, CompactDiscs, Digital Versatile Discs, Disketten usw. (BVerfGE 95, 28 [35])
2. Individualrechtliche Komponente = individuelles Abwehrrecht:
Pressefreiheit = Druckfreiheit i.w.S.
− unerheblich: Seriosität, Wertigkeit, Vernünftigkeit (Wertfreiheit)
− geschützt: alle wesensmäßig mit der Pressearbeit zusammenhängenden Tätigkeiten
von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung (BVerfGE 10, 118 [121]),
insb. freie Gründung von Presseunternehmen, freier Zugang zu Presseberufen;
publizistische Vorbereitungstätigkeit; Zugangsrecht zu öffentlichen Veranstaltungen (BVerfGE 50, 234 [239, 241 f.] – Gerichtsverhandlungen), auch bei privaten
Veranstaltern (str.); Versand von Druckwerken
− Schutz auch vor mittelbaren staatl. Einwirkungen (Erwähnung im Verfassungsschutzbericht, BVerfGE 113, 63 [76 ff.] – Junge Freiheit)
− grdsl. auch Anzeigenteil geschützt (str. – i.E. (+), da verkörperte Aussagen),
Schutz jedoch nicht zwingend so weit wie der des redaktionellen Teils (BVerfGE 64,
108 [114]; vgl. § 102 I Nr. 4 AO: insoweit kein Auskunftsverweigerungsrecht);
NB: keine Verpflichtung, Anzeigen (Inserate) aufzunehmen (BVerfGE 21, 271 [278];
str. bei politischen Anzeigen und Monopolstellung)
PRR05/1
Gröpl · Presse- und Rundfunkrecht
2
3. Institutionelle Komponente = objektive Einrichtungsgarantie:
Presse = entscheidende Rolle in der modernen Demokratie, umfassende Teilnahme
an der Bildung der öffentlichen und individuellen Meinung (BVerfGE 50, 234 [239])
⇒ Garantie der privatrechtlichen und privatwirtschaftlichen Ausrichtung der Presse
⇒ Garantie der Staatsfreiheit der Presse = genereller medienrechtlicher Grundsatz,
insb. keine berufsständischen Zwangskörperschaften (Verbot der „Verkammerung“);
Tendenzschutz (BVerfGE 52, 283 [296]); Redaktionsgeheimnis (BVerfGE 66, 116
[133 ff.]); Informantenschutz
Pressefreiheit kein normgeprägtes Grundrecht, das auf Ausgestaltung durch Gesetzgeber angewiesen wäre, insoweit kein Parlamentsvorbehalt (anders: Rundfunkfreiheit);
aber: Schutzpflicht des Staates für Presse → gesetzliche Regelung der
Funktionsbedingungen für ein freies Pressewesen
4. Grundrechtsträger
Verleger, Journalisten, Redakteure, Drucker, Vertriebsunternehmer, Grossisten, auch als
inländische jur. Personen des Privatrechts (Art. 19 III GG); nicht: Leser u. dgl.;
keine innere Pressefreiheit der Journalisten ggü. dem Verleger (keine Drittwirkung – str.)
5. Idealkonkurrenz mit Art. 4, 12 I, Art. 13, 14 GG;
Verhältnis zur Meinungsfreiheit: Meinungsäußerungen in Presseerzeugnissen
• Vorrang der Meinungsfreiheit bei redaktionellen (publizistischen) Meinungsäußerungen
(BVerfGE 85, 1 [11 f.] – Bayer; BVerfGE 86, 122 [128] – Schülerzeitung)
• Vorrang der Pressefreiheit, soweit Presse Meinungen Dritter vermittelt (auch bei
Werbeanzeigen), aber: Umfang und Inhalt der Pressefreiheit bemessen sich nach
Umfang und Inhalt der Meinungsfreiheit (BVerfGE 102, 347 [359] – Benetton I)
PRR05/2