16-01-04 Praesentation Staatsrecht II

Staatsrecht II-2
Grundrechte
Dr. Peter Becker
Gliederung
I. Menschenwürde
II. Politische Grundrechte
III. Wirtschaftliche Grundrechte
IV. Vereinigungsfreiheit
V. Freie Entfaltung der Persönlichkeit
VI. Gleichheitsrechte
VII. Schutz von Ehe und Familie
I. Menschenwürde
Art. 1 Abs. 1
Art. 1 Abs. 1 – Menschenwürde
1. Allgemeines:
 Sonderstellung von Art. 1 GG wegen Art. 79 Abs. 3 GG (Ewigkeitsgarantie)
 Ist Menschenwürde überhaupt ein Grundrecht?
Vgl. die Formulierung in Abs. 3 „nachfolgende Grundrechte ….“
-> Entstehungsgeschichte spricht nach h.M. nicht gegen die Einordnung als Grundrecht.
-> BVerfGE 15; 283, 286: „Eine unzutreffende Feststellung ehewidriger Beziehungen im
Scheidungsurteil berührt die Ehre des genannten Dritten und damit sein Grundrecht aus
Art.1 Abs.1 GG.”
Art. 1 Abs. 1 Menschenwürde
2. Dogmatische Begründung
a) Positive Definitionsversuche
Für die „Mitgifttheorie“ ist die Menschenwürde der dem Menschen von Gott oder der
Natur mitgegebene Eigenwert, der von nichts als der puren Existenz abhängig ist.
Nach der „Leistungstheorie“ gewinnt der Mensch seine Würde aufgrund seines eigenen
selbstbestimmten Verhaltens (vgl. auch mirandolisches Freiheitsaxinom*). Würde ist
danach weder eine vom Nichtmenschlichen unterscheidende Eigenschaft oder ein Wert.
Sie ist eine Leistung, die der Einzelne erbringen kann, die aber auch verfehlt werden kann
und damit Resultat erfolgreicher Identitätsbildung. Jeder Einzelne bestimme damit selbst,
was seine Würde ausmacht.
„Kommunikationstheorien“ sehen Würde nicht in der Qualität, Eigenschaft oder Leistung
des Individuums, sondern in der “sozialen Anerkennung durch positive Bewertung von
sozialen Achtungsansprüchen” (vgl. schon bei Hegel und Kojev: Thymos). Menschliche
Würde hängt deshalb immer von der konkreten „Anerkennungsgemeinschaft” zusammen
(keine Universalität!).
b) Negativdefinition der Menschenwürde
Um verfehlende Definitionen zu vermeiden, wird vielfach darauf verzichtet, den Begriff
positiv zu definieren. Stattdessen bedient man sich einer negativen
Interpretationsmethode, die am Verletzungsvorgang ansetzt. Die Garantie der
Menschenwürde wird als Tabugrenze für Eingriffe der Öffentlichen Gewalt verstanden.
Dies ist auch der Ansatz der Verfassungsrechtsprechung.
*) Pico della Mirandola, Giovanni (1463-1494) : Oratio de hominis dignitate. Über die Würde des Menschen (lat.-deutsch), 1990
Art. 1 Abs. 3 - Funktion
3. Abwehr- und Schutzrecht
a) Abwehr verletzender staatlicher Maßnahmen
Verpflichtung aller staatlichen Gewalt zur „Achtung” der Menschenwürde
BVerfGE 45, S.187 - Lebenslange Freiheitsstrafe; BVerfGE 80, S.367 - Verwertung von tagebuchähnlichen
Aufzeichnungen eines Beschuldigten für die Urteilsfindung in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren
b) Verpflichtung der staatlichen Gewalt zum Schutz der Menschenwürde
-> Anspruch auf positives Tun
BVerfGE 35, S.205 - Resozialisierung
c) I.V.m. Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG)
-> Anspruch auf Gewährleistung des Existenzminimums
d) Schutz vor Verletzung durch Andere
z.B. Menschenhandel, Zwang zur Prostitution
4. Ausdruck der Werteordnung
Hilfsmittel bei der Auslegung der Reichweite anderer Grundrechte, vielfach im
Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit)
Art. 1 Abs. 1 - Schutzbereich
3. Schutzbereich
a) Persönlich
• alle Menschen
• bereits vor Geburt (BVerfGE 39, S.1, 41 f. - Schwangerschaftsabbruch I: Schutz des sich
entwickelnden Lebens durch Art. 1 Abs. 1 GG) und
• auch nach dem Tod (allerdings abnehmend mit Verblassen der Erinnerung an den
Verstorbenen; BVerfGE 30, S.173 - Mephisto)
b) Sachlich
Eine griffige positive Definition fällt schwer. Definitionsversuche in der Rechtsprechung:
- Bürger darf nicht zum Objekt (Gegenstand) staatlichen Handelns degradiert werden
- Unanfechtbarkeit des Eigenwerts des Menschen als Person
- Mensch muss Zweck an sich selbst bleiben
- Recht auf Bestimmung über das eigene Ich
- Garantie eines (Menschenwürde-) Minimums
- Wert, der dem Menschen kraft seines Personenseins zu kommt, darf nicht verachtet werden
Aber Vorsicht: Schutzbereich wegen fehlender Einschränkbarkeit nicht zu weit fassen!
Wichtige Bereiche mit Relevanz für die Menschenwürde
Rechtliche
Gleichheit des
Menschen
Achtung und
Schutz der
körperlichen
Integrität
Wahrung der
personalen
Identität
Menschengerechte Lebensgrundlagen
Postmortaler
Schutz
Sklaverei,
rassische
Diskriminierung
demütigende
Ungleichbehandlung
Folter, Problem:
„Rettungsfolter“
grausame
Behandlung,
„unmenschliche”
Unterbringung (z.B.
Haftbedingungen)
Misshandlung,
körperliche Strafen,
Verabreichung von
Brechmitteln
Fortpflanzungsmedizin und
Gentechnik
Postmortaler
Organhandel
psychische, seelische
und intellektuelle
Integrität, also, wie
sich der Mensch “in
seiner Individualität
selbst begreift”.
Problem:
Leistungstheorie: Sind
auch selbst
entwürdigende
Selbstdarstellung von
diesem Schutz
umfasst oder darf der
Mensch vor sich
selbst geschützt
werden?
Mindestvoraussetzungen für ein
menschliches Dasein
(Sozialstaatsprinzip)
Sozialhilfeleistungen
sozio-kulturelles
Existenzminimums
menschenwürdige
Unterbringung
bedürftiger
Personen.
Postmortaler
Ehrschutz
(grundlegend:
Mephisto, BVerfG 30,
177)
Austellung von
Leichen
würdige Bestattung
Art. 1 Abs. 1 – Schranken
4. Schranken
Nicht einschränkbar (= auch keine „Schranken-Schranken“)
Aber: Eingriff muss eine gewisse Erheblichkeit besitzen
Übungsfall 1: Menschenwürde
X hat ein elfjähriges Kind in seine Gewalt gebracht, um für die Freilassung
des Opfers ein hohes Lösegeld zu erpressen. Bei der Abholung des Geldes
wird er beobachtet und später festgenommen. Um das Leben des Kindes zu
retten, wird ihm im Rahmen seiner anschließenden Vernehmung auf
Weisung der Polizeiführung die Zufügung von Schmerzen angedroht, falls er
den Aufenthaltsort des Entführungsopfers nicht preisgebe.
Aus Angst vor den angedrohten Maßnahmen gesteht X die Tat und führt die
Polizei zu dem Kind. Im späteren Strafverfahren wird er zu einer langjährigen
Freiheitstrafe verurteilt. Er wehrt sich gegen seine Verurteilung mit der
Begründung, die Beweise gegen ihn seien aufgrund einer Androhung von
Folter, und damit unter Verstoß gegen die Menschenwürde, erlangt worden.
1. War die Verhörmethode der Polizei verfassungsrechtlich gerechtfertigt?
2. Sofern nein, war es verfassungsrechtlich zulässig, die durch die Androhung
von Schmerzen erlangten Beweise gegen X zu verwenden.
II. POLITISCHE GRUNDRECHTE
Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit (Art. 5 Abs. 1 und 2 GG)
Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG)
Asylrecht (Art. 16a GG)
Politische („bürgerliche“) Grundrechte - Überblick
Zu den politischen Grundrechte gehören all diejenigen Rechte, die die
Möglichkeit der Bürgers auf Teilnahme am gesellschaftlichen und staatlichen
Meinungs- und Willensbildungsprozess betreffen, also neben den
 Freiheiten bzw. Freiheitsrechten nach Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungsäußerungs- Presse-, Rundfunk-, Film-, Informations- und Zensurfreiheit)
auch das
 [Asylrecht, Art. 16a GG]
 Petitionsrecht, Art. 17 GG
 staatsbürgerliche Gleichheit, Art. 33 Abs. 1 GG
 Zugang zu den öffentlichen Ämtern, Art. 33 Abs. 2 und 3 GG
 Wahlrecht, Art. 38 GG
Daneben können auch andere Grundrechte in bestimmten Konstellationen
politische Wirkungen haben, z.B. die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG),
das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG), die Freizügigkeit (Art. 11 GG).
Zusammenhang zwischen bürgerschaftlichen Grundrechte
Informationsfreiheit
Presse-/Rundfunkfreiheit
Wissenschaft-/Kunstfreiheit
Art. 21
Art. 9 Abs.3
Kommunikation
(Private) Institutionen der Politik
Institution in der Wirtschaft
Politische Parteien
Koalitionsfreiheit
(Gewerkschaften AG-Verbände ….)
Institutionalisierung
Art. 9 Abs. 1
Unorganisierte Gruppe
Art. 8 Abs. 1
Einzelner
Art. 5 Abs. 1
Vereinigungsfreiheit
Versammlungsfreiheit
Meinungsfreiheit
„Kommunikations“-Freiheitsrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG
Art. 5 Abs. 1 GG enthält folgende Grundrechte
 Meinungsfreiheit
 Informationsfreiheit
 Pressefreiheit
 Freiheit des Rundfunks
 Filmfreiheit
 Freiheit vor Zensur
(nach h.M. allerdings kein selbständiges Grundrecht, sondern nur
Schranken-Schranke)
Quelle: FH Schmalkalden
Kommunikationsfreiheit
I. Funktion:
Abwehrrecht, wichtig für die Auslegung einfachen Rechts (z.B.
Beleidigung, § 185 StGB), Drittwirkung (z.B. Parabolantennen an
Mietshäusern)
II. Schutzbereich:
a) Persönlich:
 Jeder, auch juristische Personen
b) Sachlich:
 Meinungsäußerung,
 Information aus allgemein zugänglichen Quellen,
 Medienfreiheit von der Informationsbeschaffung bis zur Verbreitung
III. Schranken:
Allgemeines (nicht gegen Art. 5 Abs. 1 GG gerichtetes) Gesetz
Sonderfragen zur Meinungsfreiheit
I. Schutzbereich
Bildung, Äußerung und Verbreitung von Meinungen (einschließlich Werbung
für die eigene Meinung)
Begriff: Meinung = Werturteil
Äußerungen, die geprägt sind durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und
Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung. Auf die Richtigkeit oder
Vernünftigkeit der Äußerung kommt es nicht an.
Abgrenzung: Tatsachenbehauptung:
Tatsachen sind Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die im Prinzip
dem Beweis zugänglich sind.
Bsp.: Die Äußerung von Studentin X gegenüber Kommilitonen, Studentin Y habe die Prüfung nur deshalb
bestanden, weil sie ein Techtelmechtel mit Prof. Z habe, ist keine Meinung, sondern eine Tatsachenbehauptung.
Art. 5 Abs. 1 schützt nur Meinungen (BVerfG: enger Meinungsbegriff). Anderes gilt
ausnahmsweise nur, wenn die Tatsachenbehauptung untrennbar mit dem Werturteilen
verbunden ist.
Eine bewusst unwahre Tatsachenbehauptung ist allerdings auch dann nicht geschützt (und
kann ggf. straf- und zivilrechtliche Folgen haben).
Sonderfragen Meinungsfreiheit
Ehrschutzproblematik
Menschenwürde
Art. 1 I GG
Schutz z.B. nach §§ 185 ff.
StGB (vor Beleidigung
usw.)
Potentieller Konflikt
Auslegung von §§ 185 ff.
StGB im Lichte der
Meinungsfreiheit
(Wechselwirkung)
Eingriff
Meinungsfreiheit
Art. 5 I GG
Eingriffsvorbehalt
nach Art. 5 II GG
Sonderfragen Meinungsfreiheit
Verhältnis von Meinungsfreiheit
und Persönlichkeitsschutz nach der
Rechtsprechung des BVerfG
Sonderfragen zur Meinungsfreiheit
Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde) als Schranke der Meinungsfreiheit
Von einer Formalbeleidigung spricht man,
wenn sich die Beleidigung nicht erst aus
dem Inhalt der Äußerung ergibt ("Sie sind
nicht in der Lage, auf meine einfachsten
Fragen zu antworten"), sondern aus
deren Form oder den äußeren
Umständen der Äußerung. Das ist
regelmäßig der Fall bei Schimpfworten,
die eine selbständige Herabsetzung
enthalten ("Sie sind ein Vollidiot") oder
bei Schmähkritik.
(vgl. auch lexexakt Rechtslexikon).
Von einer Schmähkritik spricht man,
wenn nicht mehr die Auseinandersetzung
mit der Sache, sondern die Diffamierung
der Person im Vordergrund steht
(BVerfGE 82, 284).
Übungsfall 2: Meinungsfreiheit
Die Flüchtlingsorganisation X hat einer namentlich genannten
Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde anlässlich eines Aktionstags gegen
Rassismus einen „Preis für strukturellen und systeminternen Rassismus"
verliehen und die Preisverleihung im Internet öffentlich gemacht. Zur
Begründung wurde vorgetragen, sie hätte einem Flüchtling wider besserem
Wissen die Vortäuschung von Gehörlosigkeit unterstellt, um seinen Antrag
auf Aufenthaltserlaubnis ablehnen zu können.
Dem verantwortlichen Mitarbeiter der Organisation X wird daraufhin übler
Nachrede (§ 186 StGB) zu Lasten der Sachbearbeiterin vorgeworfen, weil die
bei der Preisverleihung aufgestellte Tatsachenbehauptung nicht erweislich
wahr sei. Der Sachbearbeiterin hatte eine ärztlichen Stellungnahmen zur
Gehörlosigkeit des Flüchtlings nicht vorgelegen, weshalb nicht erwiesen war,
dass sie absichtlich und bewusst Fakten ignoriert hat. Die Organisation X und
der Mitarbeiter berufen sich dagegen auf Meinungsfreiheit.
Zu Recht?
Vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13
Informationsfreiheit
1. Recht auf ungehinderte und freie Informationsbeschaffung
Nicht nur durch endgültige Vorenthaltung einer Information, sondern auch durch die
auf einer Kontrolle beruhende Verzögerung erfolgen" (BVerfGE 27, 88).
2. Allgemein zugänglich Quelle
Wenn sie dazu bestimmt ist, einem nicht bestimmbaren Personenkreis die
Möglichkeit zu bieten, sich Informationen beschaffen zu können.
"Allgemein zugänglich ist eine Informationsquelle, wenn sie technisch geeignet und
bestimmt ist, der Allgemeinheit Informationen zu verschaffen. Sie verliert diesen
Charakter nicht durch rechtliche, gegen die Verbreitung gerichtete Maßnahmen"
(BVerfGE 27, 71).
Aus „bestimmt sein“ folgt, dass ein Anspruch auf Einblick bestehen. Das
rechtswidrige Beschaffen von Informationen (etwa durch Einschleichen in
einen Betrieb) wird damit nicht geschützt.
Info-Anspruch ggü. Behörden: Vgl. Informationsfreiheitsgesetz Bund/M-V
Begriffsbestimmung bzgl. Information usw. : § 2 IFG M-V
Aber: Die Verbreitung rechtswidrig beschaffter Informationen ist in den
Grenzen des Art. 5 Abs. 2 zulässig (BVerfGE 66, 137; Wallraff).
Pressefreiheit
I. Funktion
1. Die Pressefreiheit ist ein reines Abwehrrecht gegen den Staat und entfaltet keine Wirkung gegenüber
Privaten.
2. Der Staat hat aber die Pflicht, Gefahren abzuwehren, die einem freien Pressewesen aus der Bildung von
Meinungsmonopolen erwachsen können (BVerfG 12; 113, 130)
II. Schutzbereich
1. Persönlich: Grundrechtsinhaber sind alle im Pressewesen tätigen Menschen sowie Personenvereinigungen
des Privatrechts (i.S.v. Art. 19 Abs. 3 GG).
2. Sachlich: Herstellung und Gestaltung von Presseerzeugnissen. Der Schutzbereich umfasst den gesamten
Prozess, angefangen von der Informationsbeschaffung bis zur Informationsverbreitung. Eingeschlossen sind
das Redaktionsgeheimnis (Informantenschutz) und presseintern notwendige Hilfstätigkeiten.
Merke:
1. Der Pressebegriff umfasst alle zur Verbreitung geeigneten unbestimmten Druckwerke und Informationsträger die nicht unter den
Film- und Rundfunkbegriff fallen. Internet-Nachrichtendienste sind damit eingeschlossen, so weit die redaktionelle Arbeit leisten.
Leserbriefschreiber und „Internet-Blogger“ können sich dagegen zwar auf Ihre Meinungsfreiheit berufen, nicht jedoch auf
Pressefreiheit.
Vgl. auch § 6 LPrG bzgl. Druckwerke
2. Problem "Inneren Pressefreiheit“: Unabhängigkeit von Redakteuren, Journalisten und Berichterstattern von Zeitungsverlegern, die
eine bestimmte politische Richtung verfolgen und deshalb ihre Zeitung als Instrument nutzen, um dieser politischen Richtung
Ausdruck zu verleihen (str.)
Pressefreiheit
Die Pressefreiheit bietet
 Schutz gegen Beschlagnahme (Presseerzeugnisse, Rechercheunterlagen….)
 Schutz gegen Durchsuchungen (insbesondere Redaktionsräume)
Grundlegend: Spiegelurteil; BVerfGE 20, 162
 Zeugnisverweigerungsrecht (insbesondere bzgl. Informanten) vgl. § 53
Absatz 1 Nr. 5 StPO, § 383 Absatz 1 Nr. 5 ZPO, § 102 Absatz I Ziffer 4 AO.
 Besonderer Informationsanspruch
 das Recht, Örtlichkeiten aufzusuchen, die im „öffentlichen Interesse“ stehen.
Beschränkung nur bei höherwertigen öffentlichen Interessen das
rechtfertigen.
Umgekehrt ist die Presse ist
 zur wahrheitsgemäßen Berichterstattung verpflichtet (Sorgfaltspflicht)
 darf wesentliche Sachverhalte, die die ihr bekannt sind, der Öffentlichkeit
nicht unterschlagen
 Betroffener hat Anspruch auf Gegendarstellung (vgl. § 10 LPresseG)
-> Einzelregelungen durch Landespressegesetze
-> Verhaltensgrundsätze des Landespresserat
Rundfunkfreiheit
I.
Institutsgarantie
Der Staat (Ländersache) hat dafür Sorge zu tragen, dass die Vielfalt der
bestehenden Meinungen im Rundfunk möglichst vollständig Ausdruck findet
und umfassende Informationen angeboten werden.
Früher: Keine privaten Anbieter vorhanden, Staat musste Rundfunk selbst betreiben.
Heute: Grundversorgungsauftrag (insbesondere für Themen, die kommerzielle
Anbieter nicht abdecken)
Aber: Grundsatz der Staatsferne (Deutschland GmbH, BVerfGE 12, 205–264)
Kein Staatsrundfunk, sondern Freiheit von staatlicher Beherrschung und
Einflussnahme trotz öffentl.-rechtl. Organisation von Rundfunkanstalten.
Personell: Rundfunkräte (Vertreter der Zivilgesellschaft), Binnenpluralität
Finanziell: Keine direkte Staatsfinanzierung z.B. durch Steuern (->Rundfunkbeiträge)
Prozessual: Grundrechtsfähigkeit und Recht zur VB der ör. Rundfunkanstalten
II. Rundfunkberichterstattungsfreiheit
Gründung und Betrieb von Rundfunksendern und die Gestaltung deren
Programme. Inhaltliche Berichterstattung ähnlich wie Pressefreiheit.
Fall 2a
A ist Chefredakteur und Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes eines monatlich erscheinenden
Politmagazins. Im April 2005 veröffentlichte das Magazin einen Artikel des freien Journalisten X über den
Terroristen Abu Mousab al Zarqawi. In diesem Beitrag wird aus einem internen, als Verschlusssache
gekennzeichneten Bericht des Bundeskriminalamtes ausführlich zitiert.
Nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft gegen A und den Journalisten X
ordnete das Amtsgericht Potsdam die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des X in Berlin sowie
der Redaktionsräume der Zeitschrift in Potsdam an. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass der X
als Journalist ein Geheimnis im Sinne des § 353 b Strafgesetzbuch veröffentlicht und hierdurch Beihilfe zur
Verletzung des Dienstgeheimnisses begangen habe. Ihm sei bekannt gewesen, dass die Weitergabe des
Berichts durch einen Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes an ihn in der Absicht erfolgt sei, den geheimen
Inhalt der Mitteilung in der Presse zu veröffentlichen. Dies gelte auch für A als Chefredakteur und
Verantwortlichen des Magazins, da ihm der Sachverhalt bekannt und der Artikel mit seinem Wissen
veröffentlicht worden sei.
Anlässlich der Durchsuchung der Redaktionsräume wurden verschiedene Datenträger sichergestellt sowie
eine Datenkopie der Festplatte des Computers erstellt, mit welchem der seinerzeit für den Artikel
zuständige Redaktionsmitarbeiter gearbeitet hatte. Die Beschwerden von A und B gegen den
Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss wurde vom Landgericht Potsdam verworfen.
Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde von A und X ?
(Vgl. BVerfG 1 BvR 2045/06, 1 BvR 538/06 vom 27. 02.2007)
Übungsfall 3: Medienfreiheit
Das Landgericht L hat den ehemaligen Innenminister X des Freistaates T. und
Beigeordneten der Stadt E. wegen Vorteilsannahme in zwei Fällen und
Abgeordnetenbestechung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei
Monaten zur Bewährung verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die Z-GmbH ist Herausgeber einer Tageszeitung und begehrte die Übersendung
einer anonymisierten Kopie des im Strafverfahren ergangenen Urteils. Dies wird
vom Präsidenten des Landgerichts im Hinblick auf den Persönlichkeitsschutz von X
abgelehnt.
Im Rahmen des einstweilige Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht den
Präsidenten des Landgerichts zunächst antragsgemäß verpflichtet, Z Auskunft über
die schriftlichen Urteilsgründe durch Übersendung einer anonymisierten Kopie des
vollständigen Urteils zu erteilen. Auf die Beschwerde des Beigeladenen X änderte
das Oberverwaltungsgericht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ab und
lehnte den Antrag der auf Auskunftserteilung ab.
Dürfte eine Verfassungsbeschwerde der Z-GmbH Aussicht auf Erfolg haben?
Vgl. Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 14. September 2015 1 BvR 857/15
Kunstfreiheit Art. 5 Abs. 3 GG
Kunst ??….. freiheit
"The PlopEgg Painting– A birth of a Picture"
Die Schweizerin Künstlerin Milo Moiré hat
in Köln am 17.4.2014 Aufsehen erregt,
indem sie nackt Eier legte. Es gehe ihr
darum, den "weiblichen Schöpfungsakt
künstlerisch verdichtet zu verkörpern.“
Laut
Umfrage
der
Online-Zeitung
„Tageblatt“, an der über 11.000 Leser
teilnahmen, sind 9 Prozent der Meinung,
das sei Kunst, für 62 Prozent ist es "pure
Provokation". 18 Prozent finden, es sei
beides, 11 Prozent wissen gar nicht, was sie
davon halten sollen.
„Der Lebensbereich "Kunst" ist durch die vom Wesen der
Kunst geprägten, ihr allein eigenen Strukturmerkmale zu
bestimmen. Von ihnen hat die Auslegung des Kunstbegriffs
der Verfassung auszugehen. Das Wesentliche der
künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische
Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des
Künstlers durch das Medium einer bestimmten
Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht
werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von
bewußten und unbewußten Vorgängen, die rational nicht
aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken
Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist
primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar
unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit
des Künstlers" (BVerfGE 30, 189).
Kunstfreiheit
I. Kunstbegriff
Kunst
formeller
Kunstbegriff
materieller
Kunstbegriff
Martin Luther:
„Kunst kommt von Können“
Kunst ist, was einem anerkannten Werktyp
unterfällt.
Kunst ist jede freie schöpferische Gestaltung, in
der Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen durch
das Medium einer gewissen Formen-sprache zum
Ausdruck gebracht werden.
Malerei, Bildhauerei, Schriftstellerei,
Theaterspielen, auch Satire
Keine starren Werktypen. Problem: Kunst fordert ein
Mindestmaß an „schöpferischer Gestaltung“, der durch
moderne Kunstwerke bewusst in Zweifel gezogen wird
(vgl. etwa Beuys)
II. Reichweite des Schutz
Werkbereich
III. Gesetzesvorbehalt
Art. 5 Abs. 2 (-) aber: Grundrechtsimmanente Schranke
Wirkbereich
Fall 3a: Straßenkunst in Schwerin:
… und wo ist Ihre
Sondernutzungserlaubnis???
Fall 3a
M ist Straßenmusikant. Wenn die Sonne scheint, liebt er es, sich in die
Fußgängerzone zu setzen und auf seiner Gitarre zu spielen und dazu zu
singen. Manchmal halten ein paar Passanten an und hören ihm ein
paar Minuten zu. Zu Behinderungen anderer Passanten ist es dadurch
aber noch nie gekommen.
Seit neue Mitarbeiter beim städtischen Ordnungsdienst eingestellt
wurden, wurde er bereits mehrfach aufgefordert mit dem Musikspielen
aufzuhören. Er wurde daraufhin gewiesen, dass er nach der
Straßensondernutzungssatzung der Stadt 2 Wochen vor seiner
Aufführung einen Antrag auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis
stellen müsse. Die Erlaubnis würde ca. 20 EUR kosten. M hielt sich nicht
daran. Deshalb wurde ihm zuletzt ein Bußgeld angedroht. M ist
empört.
Nachdem er mit dem Antrag, festzustellen, dass er auch ohne eine
Genehmigung spielen darf, vor den Verwaltungsgerichten erfolglos
bliebt, erhebt er Verfassungsbeschwerde beim BVerfG und beklagt eine
Verletzung seiner Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG.
Hat seine Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?
Straßen- und Wegegesetz M-V
§ 21 Gemeingebrauch
(1) Der Gebrauch der öffentlichen Straßen ist jedermann im Rahmen
der Widmung und der Straßenverkehrsvorschriften zum Verkehr
gestattet (Gemeingebrauch). Kein Gemeingebrauch liegt vor, wenn die
Straße nicht vorwiegend zum Verkehr, sondern zu anderen Zwecken
benutzt wird.
§ 22 Sondernutzung
(1) Die Benutzung der öffentlichen Straßen über den Gemeingebrauch
hinaus (Sondernutzung) bedarf der Erlaubnis des Trägers der
Straßenbaulast. Die Erlaubnis darf, soweit es sich nicht um Zufahrten
im Sinne des § 26 handelt, die der land- und forstwirtschaftlichen
Nutzung dienen, nur auf Zeit oder auf Widerruf erteilt werden. Für die
Erlaubnis können Bedingungen und Auflagen festgesetzt werden. [….]
§ 24 Sondernutzung an Gemeindestraßen und sonstigen öffentlichen
Straßen
(1) Die Gemeinden können den Gebrauch der Gemeindestraßen über
den Gemeingebrauch hinaus sowie die Benutzung der
Gemeindestraßen für die Zwecke der öffentlichen Versorgung
abweichend von § 22 Abs.1 bis 6 und § 30Abs. 1 Nrn. 1 und 2 durch
Satzung regeln.
§ 25 Unerlaubte Benutzung einer Straße
(1) Wird eine Straße ohne die nach § 22 erforderliche Erlaubnis benutzt
oder werden Autowracks, Schutt, Müll oder andere Gegenstände
verbotswidrig abgestellt bzw. abgelegt oder kommt ein
Erlaubnisnehmer seinen Verpflichtungen nicht nach, so kann die für die
Erteilung der Erlaubnis zuständige Behörde die erforderlichen
Maßnahmen zur Beendigung der Benutzung oder zur Erfüllung der
Auflagen anordnen.
Straßensondernutzungssatzung der Stadt Schwerin
§ 2 Grundsatz und Erlaubnispflicht
(1) Die Benutzung der in § 1 bezeichneten Straßen über den Gemeingebrauch
hinaus (Sondernutzungen) bedarf, soweit nicht § 3 greift oder in dieser Satzung
anderes bestimmt ist, der Erlaubnis der Landeshauptstadt Schwerin.
(2) ….
(3) Die Benutzung ist erst nach schriftlicher Erteilung und nur im festgelegten
Umfang der Erlaubnis zulässig. Darüber hinaus darf die Sondernutzung erst
nach Vorliegen anderer erforderlicher Genehmigungen, Erlaubnisse und/oder
Bestimmungen ausgeführt werden.
§ 5 Antrag auf Sondernutzungserlaubnis
(1) Die Sondernutzungserlaubnis wird auf Antrag erteilt. Er ist schriftlich zu stellen
und soll in der Regel spätestens 14 Tage vor der beabsichtigten Ausübung der
Sondernutzung bei der Landeshauptstadt Schwerin eingehen.
(2) Der Antrag muss mindestens die Angaben über
1. den Ort
2. Art und Umfang
3. Dauer der Sondernutzung sowie
4. Angaben über die Maßnahmen zur Beseitigung der durch die Sondernutzung entstandenen
Verunreinigungen enthalten
Aus der Ordnungsfibel der Stadt Schwerin S. 27/28:
Straßenmusikanten
Straßenmusiker(innen) bevorzugen stark frequentierte Orte, zum Beispiel Einkaufsstraßen,
Fußgängerzonen oder touristische Sehenswürdigkeiten. Leider hat Straßenmusik nicht nur
Anhänger. In der Vergangenheit kam es häufig zu Beschwerden von Anwohnerinnen und
Anwohnern sowie Gewerbetreibenden über zu langes Musizieren an einem Standort.
Die Landeshauptstadt Schwerin verzichtet in der Zeit von 10 bis 19 Uhr darauf, dass sich
Straßenmusikanten eine Genehmigung zum Musizieren einholen müssen. Im Gegenzug dazu
sind jedoch folgende Regeln zu beachten:
 An ein und demselben Standort darf, jeweils beginnend mit der vollen Stunde, maximal eine
Stunde musiziert werden. Danach gilt für diesen Standort eine einstündige Ruhezeit.
 Der nächste Standort muss beim Wechsel mindestens 200 Meter und außerhalb der
Hörweite des bisherigen Standortes liegen.
 Elektroakustische Verstärker, sehr laute Trommeln sowie laute Rhythmusinstrumente sind
nicht zu verwenden.
 Die genutzte Straßenfläche ist sauber zu halten, Straßenbeläge dürfen nicht beschädigt
werden.
 Es dürfen keine Tonträger und sonstige Waren verkauft werden.
Rechtsquelle: Straßensondernutzungssatzung
IV. VERSAMMLUNGS- UND VEREINIGUNGSFREIHEIT
Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG)
Allgemeine Vereinigungsfreiheit (Art.9 Abs.1 GG)
Koalitionsfreiheit (Art.9 Abs.3 GG)
Vereinigungsfreiheit
Versammlungsfreiheit
Art. 8
I.
Versammlung
=/= Ansammlung/Volksbelustigung
Örtliche Zusammenkunft mehrerer
Personen (2 oder 3?)
Gemeinsamer Zweck (Kundgebung)
Ziel: Teilhabe an der öffentlichen
Meinungsbildung
Meinungsfreiheit + kollektives Element
Vereinigungsfreiheit
Art. 9
Allgemeine
Vereinigungsfreiheit
Art. 9 Abs. 1
Vereinigung iSd. Art. 9 Abs. 1
 Freiwilliger Zusammenschluss
II. In Räumen: Unter freien Himmel:  für längere Zeit
Voraussetzungslos Anmeldung erforderlich  gemeinsamer Zweck
gewährleistet
(VersammlungsG)
 Mindestmaß an Organisation
Ausnahme:
Geschütze Handlung:
Spontandemonstration  Zusammenschluss
 Eintritt in Vereinigung
 Austritt aus Vereinigung
III. Friedlich und ohne Waffen
(Schutzbereichsmerkmal)
Koalitionsfreiheit
Art. 9 Abs. 3
Gemeinsamer Zweck:
Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen
-> Gewerkschaften und AG-Verbände
Individuell:
Gründung,
Eintritt, Austritt
Kollektiv:
Tarifautonomie
 Rahmenbedingungen
für Arbeitskämpfe (+)
 Eingriff in lfd.
Arbeitskämpfe (-)
Versammlungsfreiheit
Abs. 2: Einschränkung aufgrund einfachen Gesetzes -> Versammlungsgesetz
Problem: Das Versammlungsgesetz wurde bereits in der ersten Legislaturperiode des Bundestags
verabschiedet. Dem Gesetzgeber stand damals das Bild von friedlichen und straff organisierten
Versammlungen (zum Beispiel Gewerkschaften) vor Augen, aber nicht die heute typischen
Erscheinungsformen und daraus resultierenden Gefahrenlagen. Das Versammlungsrecht ist daher stark
durch die Rechtsprechung geprägt.
BVerfG 69, 315 (Brokdorf-Beschluss):
 Art. 8 beschränkt sich nicht nur auf argumentative Versammlungen, sondern auch auf plakative und
aufsehenerregende Meinungskundgabe
 dient als Abwehrrecht vor allem auch andersdenkender Minderheiten
 Organisatoren können selbst über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Versammlung bestimmen
 unentbehrliches Funktionselement des demokratischen Gemeinwesens
 größere Demonstrationen gelten erst dann als unfriedlich, wenn sie insgesamt einen gewalttätigen Verlauf
nehmen
Schutz des Art. 8 bezieht sich auf alle Phasen einer Versammlung:
Ansammeln – Versammeln – Auflösen/Verlassen der Versammlung
Versammlungsfreiheit
Bedeutung für die Auslegung des VersG:
• Die Anmeldepflicht greift nicht bei Spontandemonstrationen
• Die Verletzung der Anmeldepflicht berechtigt nicht automatisch zur
Auflösung und zum Verbot der Versammlung
• Auflösung und Verbot sind im übrigen nur zum Schutz gleichwertiger
Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen
herleitbaren Gefährdung dieser Rechtsgüter zulässig.
> Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts (kein Rückgriff auf Polizeirecht)
> keine faktischen Behinderungen (z.B. Anfahrtsbehinderung durch
schleppende vorbeugende Kontrollen, Polizeikessel)
> keine Reglementierungen z.B. durch exzessive Observation oder
Registrierung der Teilnehmer, auch nach Auflösung der Versammlung
Übungsfall 3a
Lieschen Müller aus Hinterposemuckel wollte auch einmal an einer Demonstration teilnehmen und begab
sich deshalb spontan zu einer von ATTAC organisierten Protestaktion gegen TTIP. Gegen 12.15 Uhr hatten
sich dort etwa 800 Personen eingefunden. Die Protestkundgebung war zwar nicht angemeldet, die Polizei
war aufgrund eigener Ermittlungen aber über das geplante Treffen informiert und zog daher erhebliche
Polizeikräfte zusammen. Wie in der Einsatzplanung vorgesehen, ordnete der Leiter des Polizeieinsatzes um
12.30 Uhr an:
„Abteilungen fertigmachen zum Einschließen, Versammlung ist notfalls unter Benutzung des Schlagstockes
einzuschließen.“
Daraufhin rückten Polizeiketten von vier Seiten gegen die Teilnehmer vor und schlossen sie ein. Von dem
Kreis der nunmehr eingeschlossenen Teilnehmer gingen weder vor dem Einsatz noch im weiteren Verlauf
des Geschehens Gewalttätigkeiten aus. Die Einschließung war in 6 Minuten vollzogen. Um 12.40 Uhr wurde
durch Polizeifunk gemeldet:
„Es fliegen Steine aus rückwärtigem Raum in die Kräfte, Versammlung selbst wirft nicht."
Gegen 14.30 Uhr machte die Polizei den Eingeschlossenen durch Lautsprecher das Angebot, die
Einschließung einzeln und nach Überprüfung der Personalien zu verlassen. Lieschen Müller hatte aber
Angst in einer Verbrecherkartei zu landen und harrte deshalb mit dem größten Teil der Eingeschlossenen
aus. Erst in den Abendstunden, als es kalt wurde und weil sie Durst und Hunger hatte und dringend zur
Toilette musste, ließ sie sich abtransportieren.
Der Abtransport zog sich hin. Lieschen Müller wurde gegen 22:00 Uhr wegen Teilnahme an einer nicht
genehmigten Demonstration gemäß § 55 SOG in Gewahrsam genommen, auf die Revierwache verbracht
und dort gegen 4:00 Uhr des folgenden Tages auf freien Fuß gesetzt.
War das Verhalten der Polizei im Lichte von Art. 8 GG rechtmäßig?
Vgl. VG Hamburg Urteil vom 30.10.1986 (12 VG 2442/86) NVwZ 1987, 829
III. WIRTSCHAFTLICHE GRUNDRECHTE
Berufsfreiheit (Art. 12 GG)
Eigentum (Art. 14 GG)
A. Berufsfreiheit Art. 12 GG
Berufsfreiheit Art. 12 GG
I. Schutzbereich:
Geschützt ist die Berufswahl und Berufsausübung.
Merke: Nach heutiger Auffassung bilden Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG ein einheitliches
Grundrecht. Der Regelungsvorbehalt in Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG wird als Gesetzesvorbehalt für beide
Alternativen verstanden.
 Beruf ist jede auf Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung
einer Lebensgrundlage dient und nicht schlechthin sozialschädlich ist.
 Keine Festlegung auf typische, sozial tradierte Berufsbilder. Auch neue oder
untypische Tätigkeiten können Beruf im Sinne von Art. 12 Abs. 1 GG sein
 Bsp.: Reputationsmanager, Traumdeuter, Ringkämpferin
 Art. 12 GG enthält keine Festlegung auf eine bestimmte Wirtschaftsordnung.
 Schützt „Etablierte“ nicht vor „Newcomern“ oder Konkurrenten, wohl aber vor
einer ungerechtfertigten staatlichen Subvention von Konkurrenten.
 Im Bereich des öffentlichen Dienstrecht wird Art. 12 GG nach h. M. zwar nicht
völlig verdrängt, Art. 33 GG erlaubt aber weitreichende Sonderregelungen.
 Bsp.: Zugangs im Rahmen von Art. 33 Abs. 2 GG auf die im Haushaltsplan verfügbaren Stellen.
 Ähnliches gilt auch für die sog. staatlich gebundenen Berufe, bei denen
öffentliche Aufgaben in privater Hand liegen.
Bsp.: Notare, „TÜV“, öffentlich bestellte Vermessungsingenieur
Berufsfreiheit Art. 12 GG
II. Eingriffe
1. Ein Eingriffe wird nur angenommen, wenn die entsprechende Norm
„berufsregelnde Tendenz“ hat. Dazu muss die Norm entweder
 gerade auf die Regelung des Berufs als solche abzielen oder
 mittelbar für die Berufsausübung von einigem Gewicht sein.
Bsp.: Die Einrichtung von Fußgängerzonen bringt Beschränkung für die Geschäfte in
solchen Zonen und für die Zulieferer mit sich. Ein Eingriff in die Berufsfreiheit ist
trotzdem zu verneinen, da der Beschränkung für den Kraftfahrzeugverkehr keine
berufsregelnde Tendenz innewohnt. Eine völlige Sperrung der Fußgängerzonen für den
Lieferverkehr, die Zulieferungen praktisch unmöglich machen würde, hätte dagegen für
Berufsausübung der betroffenen Geschäfte hinreichendes Gewicht und wäre
unzulässig.
2. Der Gesetzgeber kann Berufsverbänden zwar die Befugnisse zur Regelung
von Angelegenheiten ihrer Berufsausübung delegieren. Die wesentlichen
Regelungen jedoch wegen des Parlamentsvorbehalt.
Bsp.: Die Bundesrechtsanwaltskammer kann mit der Regelung der Einzelheiten für die
Führung von Fachanwaltsbezeichnungen beauftragt werden, nicht aber mit der Frage
der Zulassung zur Anwaltschaft. (Wesentlichkeits-theorie) vom Gesetzgeber selber
getroffen werden.
Berufsfreiheit Art. 12 GG
III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung - „Dreistufentheorie“ des BVerfG
1. Stufe: Berufsausübungsregelungen („wie“ der Berufsausübung)
Bsp.: Ladenschlusszeiten, Berufskleidung, Hygienevorschriften, Anmeldepflichten
Berufsausübungsregelungen stellen nur einen geringen Eingriff in die Berufsfreiheit dar.
-> Aufgrund vernünftiger Erwägungen des Gemeinwohls zulässig.
2. Stufe: Subjektive Berufswahlregelungen („ob“ Zugang und Verbleib)
Zugangsvoraussetzungen die in der Person des Berufsanwärters liegen und die er im Prinzip erfüllen kann.
Bsp.: Berufsabschlüsse, Mindest- oder Höchstlebensalter als Zugangsvoraussetzungen für einen Beruf
-> Nur zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter zulässig
3. Stufe: Objektive Berufszulassungsbeschränkungen („ob“ Zugang und Verbleib)
Berufszulassungsbeschränkungen unabhängig von den Kenntnissen oder Eigenschaften des Bewerbers.
Bsp.: Bedürfnisklauseln, Kontingentierungen, numerus clausus (str.)
-> Nur zum Schutz konkreter Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut
Merke: Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgt zudem, dass eine Regelung auf der höheren Stufe ist immer dann
unzulässig, wenn das Problem auch durch eine Regelung auf einer niedrigeren Stufe ausreichend gelöst werden kann.
Übungsfall 4: Apothekenurteil
Nach dem LandesapothekenG des Landes B. bedarf der Erlaubnis, wer eine Apotheke neu
errichten will. Voraussetzung für die Erteilung der Betriebserlaubnis ist nach § 2 in allen Fällen
die Bestallung (Approbation); außerdem muss der Bewerber Deutscher im Sinne des Art. 116
GG und gewisse Zeit als approbierter Apotheker tätig gewesen sein; endlich muss er
bestimmten Anforderungen an seine persönliche Zuverlässigkeit und Eignung genügen.
Zudem lautet § 3 Abs. 1 des Gesetzes:
„(1) Für eine neuzuerrichtende Apotheke darf die Betriebserlaubnis nur erteilt werden, wenn
…
b) anzunehmen ist, das ihre wirtschaftliche Grundlage gesichert ist und durch sie die wirtschaftliche
Grundlage der benachbarten Apotheken nicht soweit beeinträchtigt wird, dass die Voraussetzungen für den
ordnungsgemäßen Apothekenbetrieb nicht mehr gewährleistet sind.
A, der alle persönlichen Voraussetzungen erfüllt, will eine neue Apotheke eröffnen. Die
erforderliche Betriebserlaubnis wird jedoch von der zuständigen Behörde versagt, weil es im
selben Ort bereits eine Apotheke gibt und die Behörde der Ansicht ist, dass sich dort zweit
Apotheken nicht wirtschaftlich betreiben lassen.
Frage:
Sind §§ 2 und 3 des Gesetzes mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar? (bitte getrennt prüfen)
B. Eigentums- und Erbrecht Art. 14,
Überführung in Gemeineigentum (Sozialisierung) Art. 15
Überblick
Art. 14
Abs.1 S.1
1.
2.
Abs. 1
S. 2
Inhalts- und Schrankenbestimmung
Was ist Eigentum? Welche Rechte (und Pflichten) leiten sich daraus ab?
-> Vgl. im Gegensatz dazu Konstruktion der property-rights im common law.
Problem:
Keine vorrechtlichen Leitbegriffe wie Freiheit, Körper, Ehe, aber Leitbild aus dem Zivilrecht.
Jedoch:
Eigentumsbegriff des Art. 14 geht jedoch deutlich weiter als das Zivilrecht. Nicht nur körperliche
Gegenstände (Sachen) sondern auch private vermögenswerte Recht und bestimmte öffentlicherechtliche Ansprüche
Abs. 2
Allgemeinwohlbindung des Eigentums
Sonderfall des Sozialstaatsprinzips und Einfallstor für Eingriffe
Abs. 3
1.
2.
3.
4.
Art. 15
Ermächtigung zur Sozialisierung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln (bisher
bedeutungslos)
Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe
Bestands- und Institutionsgarantie: Schutz vor Abschaffung von Eigentums- und Erbrechts
Möglichkeit und Voraussetzungen für Enteignung
Junktim-Klausel (Enteigungsgesetze müssen Entschädigung regeln)
Grundsätze zur Bemessung der Entschädigung (kein Schadensersatz!)
Rechtsweg wegen Entschädigung zu den ordentlichen Gerichten (Zivilgerichte)
Einzelfragen
Was ist Eigentum?
I. Definition: (1) Ausschließliche Zuordnung (2) einer vermögenswerten Position (3)
durch einfaches Gesetz (4) zu einem bestimmten Zeitpunkt.
- Vermögen als Ganzes (-) => Steuererhebung ist keine Enteignung
- Einzelne Vermögensrechte (+) jedoch nicht Chancen, Erwartungen und Aussichten.
II. Grundsatz: Geschützt ist das Erworbene, nicht der Erwerb.
III. Fallgruppen:
1. Neben Sacheigentum auch Vermögens- und Besitzrechte (z.B. Mietwohnung des
Mieters)
2. Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (sonstiges Recht iSd.
§ 823 I BGB), aber nur unmittelbare betriebsbezogene Eingriffe
3. Anliegerrechte
4. Öffentlich-rechtliche Vermögenspositionen, sofern sie
a)
b)
auf erheblichen Eigenleistungen beruhten
der Sicherung der Existenz dienen (z.B. Anwaltschaft auf Sozialversicherungsrente, bei
Beamten dagegen Art. 33 Abs. 5 GG)
Dient der
Freiheitssicherung
des Einzelnen
Hoher Schutz
gegen gesetzliche
Beschränkungen
Nutzung und Verfügung
bleibt innerhalb der
Sphäre des Eigentümer
Eigentum ist nicht
gleich Eigentum !!
Eigentum
Inhalts- und Schrankenbestimmungen
sind zwar keine Eingriffe, sondern
Ausformungen eines Rechts, jedoch
ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
auch dort zu beachten
Hat sozialen Bezug
oder soziale
Funktion
Geringerer Schutz
gegen gesetzliche
Beschränkungen
(Art. 14 Abs. 2 GG)
Nutzung und Verfügung
hat Wirkungen auf
Dritte oder die
Allgemeinheit
Eigentumsbeschränkungen
Inhalts- und
Schrankenbestimmung
durch einfaches Gesetz
Die Umdeutung einer
unzulässigen Inhalts- und
Schrankenbestimmung in
eine Enteignung nach dem
Grundsatz „Dulde und
liquidiere“ ist nicht
zulässig.
Enteignung
- finale (zielgerichtete), konkrete, individuelle Entziehung
- einer eigentumsrechtlichen Position
- zur Inanspruchnahme für öffentlicher Zwecke
(Die Enteignung zugunsten Privater im öffentlichen Interesse
ist zulässig, aber es gelten besonderes hohe Anforderungen)
Legalenteignung
Administrativenteignung
= durch Gesetz
= aufgrund eines Gesetzes
Nur ausnahmsweise zulässig, weil
Rechtsschutz nur beim BVerfG
Erbrecht
Die Erbrechtsgarantie umfasst insbesondere die Gewährleistung
 des Instituts der Privaterbfolge
 die Testierfreiheit
 das Erwerbsrecht des Erben und
 das Pflichtteilsrecht (vgl. auch Art. 6 Abs. 5)
Ausgleichsansprüche
Rechtsweg zum VG
Alle übrigen Fälle zu den
ordentlichen Gerichten
Entschädigungsansprüche
wegen
Vermögenschaden
durch
Nichtvermögensschaden
Enteigung
Art. 14 III GG
Ausgleichspflichte ISB
Enteigungsgleicher
Eingriff
Enteignender
Eingriff
Finale
Entziehung des
Eigentums
(Gütertransfer)
Pflichtexemplarfall
(BVerfG 1BvL 24/78)
Denkmalschutzfall
(BVerfG 1BvL 7/91)
rechtswidriger
faktischer
Eingriff
in das Eigentum
rechtmäßiger
faktischer Eingriff
in das Eigentum
z.B. §§ 72 ff. SOG
Aufopferungsanspruch
Art. 74, 75 ALP
Beispiel:
Impfschaden
aufgrund Impfung
bei Impfpflicht
Entschädigungsansprüche wegen Inhalts- und Schrankenbestimmung
A. Grundlage
1. Einfachgesetzliche Entschädigungsregelung
2. Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift
B. Voraussetzung
1. Regelung beinhaltet eigentumsrechtlichen Ausgleichsanspruch, weil Eigentum i.S.d. Art. 14
Abs. 1 GG betroffen ist
2. Die Eingriffsmaßnahme stellt aber keine Enteignung i.S.d. Art. 14 Abs. 3 GG darstellt
3. Eingriffsmaßnahme ist formell rechtmäßig (z.B. Vorbehalt des Gesetzes, Bestimmtheit,
Kompetenzen)
4. Die Eingriffsmaßnahme führt beim Betroffene zu einer besonderen und unzumutbaren
Belastung
5. kein Bestehen von den Bestand des Eigentums sichernden Möglichkeiten
(Problem: Salvatorische Entschädigungsregelung)
D. Rechtsfolge
Entschädigung (kein voller Schadensersatz)
E. Rechtsweg
str.: BGH = Zivilgerichte; BVerwG = Verwaltungsgerichte
Übungsfall 5:
A ist Eigentümer eines Einfamilienhauses, dessen Kaufpreis er aus seinem
Arbeitslohn finanziert hat und das den wesentlichen Teil seines Vermögens
ausmacht. Der nahe dem Grundstück liegende Flughafen soll nun erweitert
werden. Das Grundstück des A wird danach direkt in der Einflugschneise liegen
und ist wegen des zu erwartenden Fluglärms für Wohnzwecken nicht mehr
geeignet. Die Planungsgesetze sehen deshalb vor, dass der Flughafenträger
Grundstücke wie die des A den Eigentümer auf Antrag zum Verkehrswert
abkaufen muss. Als Kaufpreis soll allerdings der Verkehrswert zugrunde gelegt
werden, den das Grundstück zu dem Zeitpunkt hatte, zu dem der
Flughafenausbau bereits beschlossen und die Lärmbelästigung damit absehbar
war. Der so ermittelte Verkehrswert liegt bei ca. 40 % des Kaufpreises eines
vergleichbaren Gebäudegrundstücke außerhalb der Einflugschneise und auch
deutlich unter dem Kaufpreis den A vor Jahren selbst bezahlt hat.
A hält die Regelung für verfassungswidrig, weil er sich mit dem Geld kein
Ersatzobjekt beschaffen könne und damit teilweise entschädigungslos enteignet
würde. Zurecht?
Vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 2010 - 1 BvR 2736/08 (lesen)
V. GRUNDRECHTE ZUM SCHUTZ DER PERSON
Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG)
Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 104 GG)
Freizügigkeit (Art. 11 GG)
Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 GG)
Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG)
Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG)
I. Schutzbereich:
Leben, Gesundheit, körperliches Wohlbefinden, körperliche Integrität
Problem:
Beginn und Ende des Lebens, insbesondere pränataler Schutz
(vgl. dazu umfassend Müller-Terpitz: Der Schutz des pränatalen Lebens)
Schutz vor direkten staatlichen Eingriffen
Schutzpflichten des Staates als Folge des staatlichen
Gewaltmonopols:
• Schutz vor Übergriffen Dritter, wie z.B.
Nichtraucherschutz, Abtreibungsverbot
• weites gesetzgeberisches Ermessen
• Aber: Untermaßverbot
II. Eingriff
• Insbesondere: Tötung (Verbot der Todesstrafe ausdrücklich in Art. 102), Zufügung von Schmerzen,
Gesundheitsbeeinträchtigungen, psychische Beeinträchtigung falls physische Folgen, Impfzwang
• Konkrete Gefährdung der Rechtsgüter genügt, da Schutz sonst oft zu spät kommen würde
Merke: Gefahr = Geschehen oder Verhalten, das bei ungehindertem Vorgang mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in
einen Schaden für das geschützte Gut umschlagen würde)
• Kein Eingriff bei wirksamer Einwilligung
Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG)
III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
1. Schranken:
Einfacher Gesetzesvorbehalt: Eingriffe aufgrund jedes förmlichen Gesetzes
2. Schranken-Schranken:
a) Todesstrafe und Folterverbot (Art. 102, 104 Abs. 1 GG)
b) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
3. Einzelfälle:
•
•
•
•
Gezielte Tötung eines Amokläufer (h.M.: +)
Abschließen eines von Terroristen entführten Passagierflugzeugs (BVerfG 115, 118: -)
I.d.R keine Blutentnahme bei Kraftfahrer, wenn Alkoholtest über Atemluft möglich
Keine Einflößung von Brechmittel bei Drogen-Kleindealern
FREIE ENTFALTUNG DER PERSÖNLICHKEIT (ART. 2 ABS. 1 GG)
Allgemeine Handlungsfreiheit
Allgemeines Persönlichkeitsrecht
Freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG)
Art. 2 Abs. 1 GG:
„Jeder hat das Recht auf
freie Entfaltung seiner
Persönlichkeit.“
Allgemeine
Handlungsfreiheit
„Jeder kann tun und lassen
was er will“
 Generalklausel, geht sehr
weit
 Subsidiär ggü. speziellen
Freiheitsrechten (idR.
zuletzt prüfen)
 Institutsgarantie für
Vertragsfreiheit
Allgemeines
Persönlichkeitsrecht
(iVm. Menschenwürde,
Art. 1 Abs. 3 GG)
Schutz der engeren
persönlichen Lebensphäre,
z.B.:
Recht am eigenen Bild
Recht auf informationelle
Selbstbestimmung
A. Allgemeine Handlungsfreiheit
I. Schutzbereich
1. Persönlich
„Jeder“: Alle natürlichen und juristischen Personen (soweit auf jP anwendbar)
2. Sachlich
Umfassend: Alle Verhaltensweisen, soweit nicht durch speziellere Freiheitsrechte
geschützt, also auch Verhalten, das nach einfachem Recht „illegal“ ist.
II. Eingriff
 Jedes Gebot oder Verbot inkl. Bestrafung
 Faktische Eingriffe oder mittelbare Beeinträchtigungen oberhalb der
Bagatellgrenze (z.B. Vergabe von Subventionen an unmittelbaren Konkurrenten)
A. Allgemeine Handlungsfreiheit
III. Schranken
Aus dem weiten Schutzbereich folgen weite Einschränkungsmöglichkeiten,
sogenanntes „Schrankentrias“
Verfassungsgemäße Ordnung und Sittengesetze:
1. Alle ordnungsgemäß zustande gekommenen Normen
(im formellen und materiellen Sinne)
3. Rechte Dritter
(subjektive Rechte des Privatrechts und des öffentlichen Rechts)
2. Sittengesetze
Keine Moralvorstellungen, sondern nur normierte Anstandsgebote
IV. Schranken-Schranken
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Durch weiten den Schutzbereich und die weiten
Einschränkungsmöglichkeiten gewährleistet die AHF letztlich vor allem, dass jeder Akte
staatlicher Gewalt am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geprüft werden muss.
V. Zitiergebot
Nicht notwendig da sinnlos: Wegen Weite der Vorschrift fällt faktisch jeder Eingriff in den
Schutzbereich der AHF
B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht
I. Allgemein
Ursprünglich: kein eigenständiges Grundrecht
-> Zivilrechtsprechung bzgl. Recht am eigen Bild (§ 7 KunstUrhG)
-> BVerfG ( 32, 373 Beschlagnahme vs. ärztliche Schweigepflicht; 54, 148 Eppler)
Heute:
APR folgt aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 3 (Menschenwürde)
Zweck:
Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre, die durch den technischen
Fortschritt immer mehr gefährdet wird.
B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht
II. Schutzbereich
1. Persönlich:
Nur natürliche Personen
2. Sachlich:
 Privat- und Intimsphäre
Sphärentheorie (Intimsphäre genießt absoluten Schutz, die Privatsphäre darf nur aus zwingenden
Gründen verletzt werden, die Individualsphäre genießt einen geringeren Schutz); Recht auf sexuelle
Selbstbestimmung, Kenntnis der eigenen Abstammung.
 Persönliche Ehre und Recht auf Selbstdarstellung
 Passivität als Beschuldigter
keine Pflicht zur Mitwirkung an der Aufklärung vorgeworfener Straftaten
 Recht am eigenen Bild und Wort
 Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Volkszählungsurteil 1983, BVerfGE 65,1 [41]: Der Einzelnen hat die Befugnis, grundsätzlich selbst zu
bestimmen, wann und in welchem Umfang er persönliche Lebenssachverhalte preisgeben möchte
 Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer
B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht
III. Eingriff
Insbesondere Ausforschung der Privatsphäre und die Verarbeitung
personenbezogener Daten durch staatliche Stellen ohne Einwilligung des
Betroffenen.
§ 3 LDSG M-V: „Personenbezogene Daten sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche
Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person.“
IV. Rechtfertigung
Einfacher Gesetzesvorbehalt
Aber erhöhe Anforderungen des BVerfG an die hinreichende Bestimmtheit von
Gesetzen:
 Voraussetzung und Umfang der Datenerhebung müssen sich aus dem Gesetz und für den
Bürger klar erkennbar ergeben.
 Zwang zur Abgabe personenbezogener Daten setzt voraus, dass der Gesetzgeber den
Verwendungszweck bereichsspezifisch und präzise bestimmt
Vgl. dazu beispielsweise Regelungen über Eingriffsbefugnisse der Polizeibehörden
und Rechten der Betroffenen in §§ 26 - 49 SOG.
B. Allgemeines Persönlichkeitsrecht
IV. Schranken-Schranken
1. Unantastbar:
Kernbereich (Intimsphäre) des Einzelnen, z.B.:
 Rundumüberwachung
 Ausforschung höchstpersönlicher Computerinhalte
 Auswertung des codierten Teils der DNA (Informationen über Erbanlagen,
Charaktereigenschaften, Krankheiten und dgl.
 Zulässig dagegen: Auswertung von Tagebuchaufzeichnungen des
Beschuldigten im Strafverfahren wegen sexuellem Missbrauchs (
2. Im Übrigen:
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Übungsfall 6: Intime Fotos
A ist freiberuflicher Kunstfotograf, der sich auf Aktfotos spezialisiert hat. Er
führte über mehrere Jahre eine Beziehung mit B. Während dieser Zeit hat er
auch von B Aktfotos gefertigt, die B nackt vor, während und nach dem
Geschlechtsverkehr zeigen. Die Fotos kamen zwar mit ausdrücklicher
Einwilligung von B zustande, sie waren aber nur für die private Verwendung
von A und B bestimmt. A besitzt diese Fotos in digitaler Form.
Nachdem die Beziehung zwischen A und B zerbrochen war, fordert B von A,
die Fotos zu löschen bzw. zu vernichten.
A will dem nicht nachkommen. Er trägt vor, B habe in die Entstehung der
Fotos eingewilligt. Sie seien deshalb ohne Verletzung der
Persönlichkeitsrechten von B zustande gekommen. Die Fotos stehen deshalb
zurecht in seinem Eigentum. Außerdem seien die Fotos Ausdruck seiner
Passion als Kunstfotograf. Eine gerichtliche Verpflichtung zur Löschung würde
deshalb sowohl gegen die Kunst- wie auch gegen die Berufsfreiheit
verstoßen.
Wer hat Recht?
Vgl. Urteil des BGH vom 13. Oktober 2015 VI ZR 271/14
Glaubens- und Gewissenfreiheit
Glaubensfreiheit (Religionsfreiheit)
Gewissensfreiheit
Recht auf Kriegsdienstverweigerung (Art. 4 Abs. 1)
Glaubens- und Gewissensfreiheit
Laizistischer Staat
„Kirchenstaat“
Bundesrepublik Deutschland
Grundgesetz,
christlich geprägte Werteordnung
Religion ist die
Privatangelegenheit
jedes Einzelnen
Art. 140 GG, WRV, staatl. Anerkennung
Religionsgemeinschaft
Religionsgemeinschaft
Religionsausübung entsprechend den
jeweiligen religiöse Regeln
Andersdenkende
Gegenseitiger
Respekt
Religionsanhänger
Vermittlung in
Konflikten
Staat
Religiöse Neutralität
Problem: Einige religiöse Theoretiker (z.B. Ruhollah Chomeini in: Hokumat-e eslami; Der islamische Staat) erkennen
die staatliche Gesetzgebung und damit die Autorität gesetzlicher Regeln nicht an, sondern nur göttliches Recht.
Einheitlicher Schutzbereich
Glaubens- und Gewissensfreiheit
Glaubensfreiheit
Gewissensfreiheit
Art. 4 Abs. 1
Art. 4 Abs. 1
BVerwGE 90, 112:
„eine mit der Person des Menschen verbundene Gewissheit
über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft
und zum Ziel des menschlichen Lebens“ also auch
Gedankensysteme, die keinen Gottesbegriff kennen
Religionsausübungsfreiheit
Art. 4 Abs. 2
Kulte, Riten, Symbole und dgl.
Problem der praktischen
Konkordanz *)
Andersgläubige, Atheisten
Ernsthalte Überzeugungen im
Hinblick auf Gut und Böse, die der
Einzelne befolgen zu müssen glaubt
und die bei Forderungen nach
abweichendem Verhalten zu
Gewissensnot führen.
Sondertatbestand:
Kriegsdienstverweigerung
Art. 4 Abs. 3
*) Konkordanzdemokratie: [lat./griech.] K. bezeichnet eine demokratische
Regierungsform, in der (gesellschaftliche und) politische Konflikte nicht primär
über politische Mehrheiten und (einfache) Mehrheitsregeln, sondern über
Verhandlungen, Kompromisse und möglichst breite Übereinstimmung gelöst
werden.
Glaubensfreiheit
I. Schutzbereich
1. Personeller Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG
a) Natürliche Personen
 individuelle Religionsfreiheit
 kollektive Religionsfreiheit
 religiöse Vereinigungsfreiheit (Art. 4 Abs. 1, 2 GG; Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 WRV)
b) Juristische Personen
 Religionsgemeinschaften (korporative Religionsfreiheit, d.h. Religionsfreiheit als eigenes Recht
der jeweiligen Religionsgemeinschaft)
 Vereinigung zur partiellen Pflege der Religion bzw. Weltanschauung
(z.B. Krankenhäuser, Kindergärten, soziale Einrichtungen)
 Sonstige juristische Personen i.S.d. Art. 19 Abs. 3 GG.
c) Grundrechtsfähigkeit von Religionsgemeinschaften i.S.d. Art. 137 Abs. 5 WRV
Sie sind zwar Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie sind jedoch keine staatlichen oder vom
Staat geschaffenen Einrichtungen, sondern gesellschaftliche Vereinigungen mit unbegrenzter
Grundrechtsfähigkeit (BVerfGE 102, 370 [387])
Glaubensfreiheit
2. Sachlicher Schutzbereich
Grds. weites Schutzbereichsverständnis; Schutzgegenstände nach dem Wortlaut
des Art 4 GG:
 Freiheit des Glaubens: Freiheit der Bildung und Beibehaltung einer inneren
religiösen Vorstellung (Ausbilden und Haben des Glaubens)
 Freiheit des Bekenntnisses: Recht, den eigenen Glauben nach außen kundzutun
in Wort, Schrift, Bild o.ä. (Spezialfall der Meinungsfreiheit)
 Freiheit der Religionsausübung: sämtliche Erscheinungsformen der religiösen
Betätigung und Zwecke, unter Berücksichtigung des Selbstverständnisses
Insbesondere Kultusfreiheit: Abhalten von Gottesdiensten, sakrales Glockengeläut, Ruf
des Muezzins, Gebete etc.
 Negative Religionsfreiheit
Abwehr klerikaler oder staatlicher Machtansprüche, insbesondere das Recht:
o nicht zu glauben
o religiöse Auffassung zu verbergen,
o an kultischen Handlungen nicht teilzunehmen (z.B. Schulgebet, „Lernen unterm Kreuz“)
Glaubensfreiheit
II. Eingriffe
1. Besonderheiten der Grundrechtsbindung Privater bzw. von
Religionsgemeinschaften
Eine Grundrechtsbindung ist ausnahmsweise zu bejahen, soweit sie „Hoheitsgewalt“
ausüben (z.B. bei Privatschulwesen oder durch Kirchenbeamte)
2. Eingriffsbegriff
Auch mittelbare Einwirkungen mit einiger Relevanz für die Religionsfreiheit wie
 Aufhängen von Kruzifixen im Klassenzimmer
 Staatliche Warnung vor Jugendsekten
3. Leistungsansprüche gegenüber dem Staat aus Art. 4 GG
a) Leistungsansprüche aus Bestimmungen des Grundgesetzes
 Religionsunterricht, Art. 7 Abs. 3 GG
 Sonn- und Feiertagsschutz, Art. 139 WRV iVm. Art. 140 GG
 Schutz des Kirchenguts Art. 138 Abs. 1 WRV iVm. Art. 140 GG
b) Leistungsansprüche aus Gedanken der objektiven Wertordnung der Grundrechte
 Schutzpflicht des Staates gegen Beeinträchtigungen durch Dritte
 Auslegung von Rechtsvorschriften iSd. Wahrung der Religionsfreiheit
Glaubensfreiheit
III. Schranken
Die Religionsfreiheit ist ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht -> nur
verfassungsimmanente Schranken
Beispiele mit Bezug zu Art. 4 Abs. 1 und 3 GG:
Grundrechte Dritter
Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 GG (Beschneidung?),
Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG etc.
Sonstige Verfassungsgüter
 Art. 20a GG: Tierschutz (Schächten)
 Art. 7 Abs. 1 GG: staatlicher Bildungsauftrag (ggf. Schulfrieden, BVerwG, 30.11.2011, Az. 6 C
20/10; Schulfrieden als Schranke des Rechts der Schüler, in der Schule außerhalb der
Unterrichtszeiten zu beten)
 Art. 20 Abs. 3; Art. 28 Abs. 1 GG: Rechtsstaatsprinzip; Funktionsfähigkeit der
Rechtsordnung
IV. Grenzziehung durch praktischen Konkordanz
Die Grenze der Einschränkungsmöglichkeit ist dort erreicht, wo die sich
gegenüberstehenden Verfassungswerte ihre größtmögliche Entfaltung und
Wirksamkeit erlangen. Diese Grenze ist nach den Grundsätzen der
Verhältnismäßigkeit zu ermitteln.
Übungsfall 7: Tendenzbetrieb
Nach katholischer Glaubenslehre hat die Ehe dauerhaften Bestand. Die
Scheidung vor einem staatlichen Gericht gilt als unwirksam und die
Wiederheirat nach einer Scheidung vor staatlichen Gerichten als Sünde.
A ist Chefarzt in einem von einer Organisation der Katholischen Kirche
betriebenen Krankenhauses. In seinem Arbeitsvertrag hat sich A zum Verbot des
Lebens in kirchlich ungültiger Ehe sowie zur Grundordnung des kirchlichen
Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse bekannt.
Nachdem bekannt wird, dass A sich nach Scheidung seiner ersten Ehe
wiederverheiratet hat, wird der Arbeitsvertrag vom Träger des Krankenhauses
im Hinblick auf die Verletzung seiner vertraglichen Verpflichtungen gekündigt.
A klagt form- und fristgerecht vor dem Arbeitsgericht gegen seine Kündigung.
Die Kirche verteidigt die Kündigung im Prozess mit Verweis auf ihr kirchliches
Selbstbestimmungsrecht bei der Auswahl der kirchlichen Mitarbeiter und bei
der Gestaltung der Beschäftigungsbedingungen.
Wie wird das Arbeitsgericht voraussichtlich entscheiden?
Vgl. dazu auch Beschluss des 2. Senats des BVerfG vom 22. Oktober 2014 2 BvR 661/12
VI. Gleichheitsrechte
Allgemeiner Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1)
Spezielle Gleichheitsgebote:
 Geschlechtergleichheit (Art. 3 Abs. 2)
 Gleichstellung ehelicher und unehelicher Kinder (Art. 6 Abs. 5)
 Wahlgleichheit (Art. 38 Abs. 1
Spezielle Diskriminierungsverbote (Art. 3 Abs. 3 S. 1 und 2; Art 33 Abs. 3)
Gleichheitsgebote und Diskriminierungsverbote bzgl. staatsbürgerlicher Rechte und
dem Zugang zu öffentlichen Ämter (Art. 33 Abs. 1 und 2)
Problem: Vergleichsgruppenbildung
Freiheitsrechten:
Eingriff liegt in der Beschneidung der Rechte einer Person durch dem Staat
Gleichheitsrechte:
„Eingriff“ liegt in einer Ungleichbehandlung von Personen durch den Staat
-> Prüfung muss deshalb mit der Bildung von Vergleichsgruppen beginnen
Problem: Lebensachsverhalte sind in der Regel nicht eindimensional
Beispiel:
Die ABC-Partei fürchtet um die abendländische Kultur und fordert daher eine Erziehungsprämie i.H.v.
monatlich 200 EUR für in Deutschland lebende Kinder ab dem 3. Kind , wenn beide Elternteile in der
zweiten Generation EU-Europäer sind, mindestens seit 5 Jahren legal in Deutschland leben, der Vater
berufstätig ist, alle Familienmitglieder ohne staatlichen Sozialleistungen (Harz IV und dgl.) auskommen
und die Eltern nicht vorbestraft sind.
Die ABC-Partei tritt Diskriminierungsvorwürfen mit dem Argument entgegen, der Gleichheitsgrundsatz
sei offensichtlich nicht verletzt, da ja alle, die die genannten Voraussetzungen erfüllen würden, die
gleiche Prämien erhalten sollen. Die Prämien würde daher nach gleichen Maßstäben ausbezahlt.
Niemand würde zudem schlechter gestellt als vorher.
Allgemeiner Gleichheitssatz
Gleichheitsgrundsatz
Gleichheit bei der
Rechtsanwendung
Rechtscharakter:
(subjektives) Grundrecht
(objektives) Gleichheitsgebot
Diskriminierungsverbot
Gleichheit bei der
Rechtssetzung
Das Gesetz gilt für alle gleich
Willkürverbot
Verhältnismäßigkeits
grundsatz ??
Im wesentlichen Gleiches ist gleich,
im wesentlichen Ungleiches ist ungleich
zu behandeln, sofern nicht sachlicher
Grund für Differenzierung vorhanden.
Problem: Auswahl der zum Vergleich
herangezogenen Aspekte
Kritik:
Verhältnismäßigkeitsprüfung passt nicht
Aber:
• „Neue Formel“ BVerfG
• Theorie der internen und externen
Zwecke
Allgemeiner Gleichheitssatz
Sogenannte „Neue Formel“ des BVerfG:
Verhältnismäßigkeitsprüfung ist erforderlich, wenn Ungleichbehandlung
die Betroffenen besonders intensiv trifft
Zwei Fallgruppen:
1. Kriterium für die Ungleichbehandlung ist
 nicht verhaltensbezogen (objektive Kriterien)
 sondern personenbezogen (subjektive Kriterien)
und damit für den Einzelnen nicht steuerbar
2. Ungleichbehandlung wirkt sich auf die Ausübung grundrechtlich geschützter
Freiheiten aus.
Allgemeiner Gleichheitssatz
Theorie der internen und externen Zwecke:
1. Ungleichbehandlung wegen interner Zwecke
Differenzierung wegen Merkmalen der Vergleichspersonen
Beispiel:
A bezahlt aufgrund der Progression im Steuertarif 40 % Einkommensteuer, während B, der deutlich weniger als A
verdient, nur 20 % Steuer bezahlt.
Die Ungleichbehandlung zwischen A und B anhand ihrer jeweiligen finanzieller Leistungsfähigkeit
dient dem Ausgleich von Ungleichheiten, die aus der Höhe des Einkommens resultieren (-> interner
Zweck). Die Ungleichbehandlung wird nur am Willkürverbot (Verhältnis A - B!) gemessen.
2. Ungleichheit wegen externer Zwecke
Differenzierung wegen externer öffentlicher Interessen
Beispiel: B erhält eine Steuersubvention für Investitionen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus. B erhält für
andere Investitionen in gleicher Höhe keine Subventionen.
Der soziale Wohnungsbau betrifft nicht das Verhältnis zwischen A und B sondern allgemeinen
Gemeinwohlinteressen (-> externer Zweck)
Verhältnismäßigkeitsprüfung:
1. Legales gesetzgeberisches Ziel, 2. Geeignetheit, 3. Erforderlichkeit und 4. Angemessenheit
(Sonderbehandlung B - Erreichung des Gemeinwohlziels!)
Übungsfall 8:
In § 622 Abs. 2 S. 1 BGB (alte Fassung) lautete wie folgt:
„Das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters kann unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von
zwei Wochen gekündigt werden.“
§ 622 Abs. 1 BGB lautete dagegen wie folgt:
„Das Arbeitsverhältnis eines Angestellten kann unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von
sechs Wochen zum Schluß eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Eine kürzere
Kündigungsfrist kann einzelvertraglich nur vereinbart werden, wenn sie einen Monat nicht
unterschreitet und die Kündigung nur für den Schluß eines Kalendermonats zugelassen
wird.“
Arbeiter A klagt erfolglos vor den Arbeitsgerichten gegen seine auf § 622 Abs. 2
S. 1 gestützte Kündigung mit Kündigungsfrist von zwei Wochen. Gegen das
Urteil des Landesarbeitsgericht, das keine Revision zulässt, erhebt er beim
BVErfG Verfassungsbeschwerde mit der Begründung, die Regelung verstoße
gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil sie ihn gegenüber Angestellten grundlos
benachteilige.
Hat die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?
Vgl. dazu BVerfGE 82, 126 (Beschluss des Ersten Senats vom 30. Mai 1990- 1 BvL 2/83, 9, 10/84, 3/85, 11, 12,
13/89, 4/90 und 1 BvR 764/86)
Übungsfall 9:
Die X-Fraktion beklagt, dass der Frauenanteil in Führungspositionen in
der Landesverwaltung viel zu gering sei. Dieser Zustand sei
verfassungswidrig. Im Hinblick auf die Zielsetzung in Art. 3 Abs. 2 S. 2
GG sei deshalb folgende Vorschrift in das LGB aufzunehmen:
„Frauen sind bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung
bevorzugt zu befördern, soweit im Bereich der für die Beförderung zuständigen
Behörde im jeweiligen Beförderungsamt der Laufbahn weniger Frauen als
Männer beschäftigt sind und sofern nicht in der Person des Mitbewerber
liegende Gründe überwiegen.“
Der entsprechende Gesetzentwurf der X-Fraktion wird von der YFraktion abgelehnt, mit dem Argument, die Regelung stelle eine
unzulässige Diskriminierung von Männer dar.
Zurecht?
VII. EHE, FAMILIE UND SCHULE
Schutz von Familie und Ehe (Art.6 GG)
Schulwesen und Privatschulfreiheit (Art.7 GG)