Leseprobe zu Leibholz/Rinck, Grundgesetz Kommentar

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Leseprobe zu Leibholz/Rinck Grundgesetz (Grundwerk mit Fortsetzungsbezug für mindestens 2 Jahre)
Kommentar – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 3 Bände, Ordner Leinen, Kommentar, 14,5 x 20,5cm ISBN 978‐3‐504‐10593‐8 129,00 € Art. 54
1Art. 54 Wahl und Amtsdauer;
Bundesversammlung
V. Der
Bundespräsident
Art. 54
(Wahl und Amtsdauer; Bundesversammlung)
(1) Der Bundespräsident wird ohne Aussprache von der Bundesversammlung gewählt. Wählbar ist jeder Deutsche, der das Wahlrecht zum
Bundestage besitzt und das vierzigste Lebensjahr vollendet hat.
(2) Das Amt des Bundespräsidenten dauert fünf Jahre. Anschließende
Wiederwahl ist nur einmal zulässig.
(3) Die Bundesversammlung besteht aus den Mitgliedern des Bundestages und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt
werden.
(4) Die Bundesversammlung tritt spätestens dreißig Tage vor Ablauf
der Amtszeit des Bundespräsidenten, bei vorzeitiger Beendigung spätestens dreißig Tage nach diesem Zeitpunkt zusammen. Sie wird von dem
Präsidenten des Bundestages einberufen.
(5) Nach Ablauf der Wahlperiode beginnt die Frist des Absatzes 4
Satz 1 mit dem ersten Zusammentritt des Bundestages.
(6) Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder der Bundesversammlung erhält. Wird diese Mehrheit in zwei Wahlgängen von
keinem Bewerber erreicht, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigt.
(7) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Übersicht
Rz.
Rz.
I. Bundespräsident
1. Amt und Aufgabe . . . . . . . . . .
2. Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
GG Lfg. 69 · September 2015
1
16
II.
1.
2.
3.
Bundesversammlung
Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zusammensetzung (Abs. 3) . . .
Mitglieder der Bundesversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Verfahren (Abs. 4 bis 6) . . . . . .
21
26
31
36
1
Art. 54
2Art. 54 Wahl und Amtsdauer; Bundesversammlung
Stichwortregister
Die fetten Zahlen verweisen auf die Randzahlen.
Aufgabe der Bundesversammlung 21
Mitglieder der Bundesversammlung 31 ff.
Ausspracheverbot 42
Mitwirkungsrechte 31
Beschlussfähigkeit 41
Neutralität 7 f.
Geschäftsordnung 37
Rederecht 43
Gestaltungsspielraum 6, 10
Repräsentations- und Integrationsaufgaben
2, 6, 9, 10
Immunität 32
Indemnität 32
Leiter der Bundesversammlung 38 ff.
2
Staatsoberhaupt 2
Zusammensetzung 26
Bundespräsident
Rz. 1–6
Art. 54
3Art. 54 Wahl und Amtsdauer;I.BundesversammlungBundespräsidentRz.
1–6
Bundespräsident
1.
Amt und Aufgabe
Der Bundespräsident repräsentiert Staat und Volk der Bundesrepublik Deutsch- 1
land nach außen und innen und soll die Einheit des Staates verkörpern (BVerfGE 136, 323, 332).
Der Bundespräsident sollte gegenüber anderen Organen möglichst unabhängig, 2
insbesondere nicht verantwortlich im parlamentarischen Sinne sein und
eine ausgleichende Stellung haben. Der Bundespräsident lässt sich nach der
Ausgestaltung seines Amtes nicht einer der drei klassischen Gewalten zuordnen. Er verkörpert die Einheit des Staates. In diesem Sinne ist er das
Staatsoberhaupt. Ihm kommen über die ihm von der Verfassung ausdrücklich
zugewiesenen Befugnisse hinaus (vgl. insbesondere Art. 59 Abs. 1 – völkerrechtliche Vertretungsmacht –; Art. 60 Abs. 1 – Ernennung der Bundesbeamten
und Soldaten –; Art. 63 Abs. 1, Art. 64 – Vorschlag zur Wahl und Ernennung
des Bundeskanzlers, Ernennung und Entlassung der Bundesminister; Art. 82
Abs. 1 Satz 1 – Ausfertigung von Gesetzen) vor allem allgemeine Repräsentations- und Integrationsaufgaben zu. Im Krisenfall ist er zu politischen Leitentscheidungen berufen (vgl. Art. 63 Abs. 4, Art. 68 – Bundestagsauflösung;
Art. 81 GG – Erklärung des Gesetzgebungsnotstands). Autorität und Würde
seines Amtes kommen indes gerade auch darin zum Ausdruck, dass es auf vor
allem geistig-moralische Wirkung angelegt ist (BVerfGE 136, 277, 310).
Der Bundespräsident übt Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 Abs. 2 aus und 3
ist gemäß Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden, was in der Eidesformel (Art. 56), mittelbar in den
Immunitätsregeln (Art. 60 Abs. 4 iVm. Art. 46 Abs. 2) sowie in den Voraussetzungen einer Anklage gemäß Art. 61 Abs. 1 Satz 1 wiederholten Ausdruck findet. Der Bundespräsident steht in keinerlei Hinsicht „über dem Gesetz“
(BVerfGE 136, 323, 333).
Einstweilen frei.
4–5
Wie der Bundespräsident seine Repräsentations- und Integrationsaufgaben mit 6
Leben erfüllt, entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst. Besteht eine
wesentliche Aufgabe des Bundespräsidenten darin, durch sein öffentliches Auftreten die Einheit des Gemeinwesens sichtbar zu machen und diese Einheit mittels der Autorität des Amtes zu fördern, muss ihm insoweit ein weiter Gestaltungsspielraum zukommen. Der Bundespräsident kann den mit dem Amt
verbundenen Erwartungen nur gerecht werden, wenn er auf gesellschaftliche
GG Lfg. 69 · September 2015
3
Art. 54
Rz. 6–9
Bundespräsident
rt. 54 Wahl und und
Amtsdauer;
BundesversammlungBundespräsidentRz.
6–9
4A
Entwicklungen
allgemeinpolitische
Herausforderungen entsprechend
seiner Einschätzung eingehen kann und dabei in der Wahl der Themen ebenso frei
ist wie in der Entscheidung über die jeweils angemessene Kommunikationsform. Der Bundespräsident bedarf daher, auch soweit er auf Fehlentwicklungen
hinweist oder vor Gefahren warnt und dabei die von ihm als Verursacher ausgemachten Kreise oder Personen benennt, über die seinem Amt immanente Befugnis zu öffentlicher Äußerung hinaus keiner gesetzlichen Ermächtigung
(BVerfGE 136, 323, 332).
7 Es ist ausschließlich Sache des Bundespräsidenten selbst, darüber zu befinden,
wie er seine Amtsführung gestaltet und seine Integrationsfunktion wahrnimmt.
Inwieweit er sich dabei am Leitbild eines „neutralen Bundespräsidenten“ orientiert, unterliegt weder generell noch im Einzelfall gerichtlicher Überprüfung.
Andererseits widerspräche es rechtsstaatlichen Grundsätzen, wären politische
Parteien, deren Recht auf Chancengleichheit ein wesentlicher Bestandteil der
demokratischen Grundordnung ist, im Verhältnis zum Bundespräsidenten
rechtsschutzlos gestellt. Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, aber
auch ausreichend, negative Äußerungen des Bundespräsidenten über eine Partei
gerichtlich daraufhin zu überprüfen, ob er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion und damit willkürlich Partei ergriffen hat
(BVerfGE 136, 323, 336).
8 Es entspricht den verfassungsrechtlichen Erwartungen an das Amt des Bundespräsidenten und der gefestigten Verfassungstradition seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland, dass der Bundespräsident eine gewisse Distanz zu Zielen und Aktivitäten von politischen Parteien und gesellschaftlichen
Gruppen wahrt (BVerfGE 136, 277, 311; 136, 323, 332). Daraus allein folgen
indes keine justiziablen Vorgaben für die Amtsausübung. Insbesondere ist
der Bundespräsident nicht etwa von Rechts wegen gehalten, seinen Äußerungen
stets eine umfassende und nachvollziehbare Abwägung zugrunde zu legen und
darüber in seinen Verlautbarungen Rechenschaft zu geben (BVerfGE 136, 323,
332 f.).
9 In Erfüllung seiner Repräsentations- und Integrationsaufgabe obliegt es dem
Bundespräsidenten, im Interesse der Wahrung und Förderung des Gemeinwesens das Wort zu ergreifen und die Öffentlichkeit durch seine Beiträge auf von
ihm identifizierte Missstände und Fehlentwicklungen – insbesondere solche, die
den Zusammenhalt der Bürger und das friedliche Zusammenleben aller Einwohner gefährden – aufmerksam zu machen sowie um Engagement bei deren
Beseitigung zu werben. Er kann in diesem Sinn integrierend nur wirken, wenn
es ihm freisteht, nicht nur die Risiken und Gefahren für das Gemeinwohl, son-
4
Bundespräsident
Rz. 9–21
Art. 54
rt. 54auch
Wahlmögliche
und Amtsdauer;
BundesversammlungBundespräsidentRz.
9–21 Risiken
5A
dern
Ursachen
und Verursacher zu benennen. Gehen
und Gefahren nach Einschätzung des Bundespräsidenten von einer bestimmten
politischen Partei aus, ist er nicht gehindert, die von ihm erkannten Zusammenhänge zum Gegenstand seiner öffentlichen Äußerungen zu machen. Dem steht
die verfassungsrechtliche Erwartung nicht entgegen, dass der Bundespräsident
– insbesondere zu Wahlkampfzeiten – eine gewisse Distanz zu Zielen und Aktivitäten von politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen wahrt, weil mit
ihr nicht die Vorstellung eines politisch indifferenten Amtswalters verbunden
ist. Äußerungen des Bundespräsidenten sind dabei verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden, solange sie erkennbar einem Gemeinwohlziel verpflichtet und
nicht auf die Ausgrenzung oder Begünstigung einer Partei um ihrer selbst willen
angelegt sind (BVerfGE 136, 323, 335).
Entsprechend diesen Grundsätzen kann der Bundespräsident auch weitgehend 10
frei darüber entscheiden, bei welcher Gelegenheit und in welcher Form er sich
äußert und in welcher Weise er auf die jeweilige Kommunikationssituation eingeht. Er ist insbesondere nicht gehindert, sein Anliegen auch in zugespitzter
Wortwahl vorzubringen, wenn er dies für angezeigt hält. Mit der Repräsentations- und Integrationsaufgabe des Bundespräsidenten nicht mehr im Einklang
stehen Äußerungen, die keinen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung liefern, sondern ausgrenzend wirken, wie dies grundsätzlich bei beleidigenden, insbesondere solchen Äußerungen der Fall sein wird, die in anderen Zusammenhängen als „Schmähkritik“ qualifiziert werden (BVerfGE 136, 323, 335 f.).
11–15
Einstweilen frei.
2. Wahl
16–20
Einstweilen frei.
II. Bundesversammlung
1.
Aufgabe
Die Bundesversammlung hat ausschließlich die Aufgabe, den Bundespräsi- 21
denten zu wählen. Sie ist ein reines Kreationsorgan (BVerfGE 136, 277, 309).
Der Gegenstand, mit dem sich die Bundesversammlung ausschließlich zu befassen hat, ist durch das GG festgelegt. Ihre Aufgabe besteht allein in der Kür des
Bundespräsidenten (BVerfGE 136, 277, 318).
GG Lfg. 69 · September 2015
5
Art. 54
Rz. 22–32
Bundespräsident
54 Wahl und
BundesversammlungBundespräsidentRz.
22–32
22 6Art.
Um einerseits
den Amtsdauer;
Bundespräsidenten
von den Organen der Legislative
abzuheben und andererseits die Wurzeln seiner Wahl so tief wie möglich in das Volk
hineinreichen zu lassen und die Wahl auf eine möglichst breite Basis zu stellen,
wurde mit der Bundesversammlung ein besonderes, großes und mit Absicht
nicht homogen zusammengesetztes Wahlgremium geschaffen (BVerfGE 136,
277, 312).
23–25 Einstweilen frei.
2. Zusammensetzung (Abs. 3)
26 Die Zusammensetzung der Bundesversammlung dient dazu, bei der Wahl des
Bundespräsidenten die Einheit des Staatsvolks auch in seiner föderalen Gliederung zu repräsentieren. Die Länder sind zu diesem Zweck in der Bundesversammlung genauso stark vertreten wie der Bund (BVerfGE 136, 277, 306).
Durch die Zusammensetzung der Bundesversammlung sollen Bund und Länder
in gleicher Weise an der Wahl des Bundespräsidenten mitwirken (BVerfGE 136,
277, 315).
27–30 Einstweilen frei.
3. Mitglieder der Bundesversammlung
31 Zur Bestimmung der Rechte der Mitglieder der Bundesversammlung kann nicht
auf die Rechte der Abgeordneten des Deutschen Bundestages zurückgegriffen
werden. Die ihr angehörenden Mitglieder des Bundestages handeln nicht in dieser Funktion, sondern als Wahlmänner (BVerfGE 136, 277, 312). Über das eigentliche Wahlrecht hinausgehende Mitwirkungsrechte kommen allenfalls in geringem Umfang in Betracht, soweit sie zur Wahrnehmung des Wahlrechts
erforderlich sind (BVerfGE 136, 277, 316).
32 Das Recht, an der Wahl teilzunehmen, setzt voraus, dass die Mitglieder am Erscheinen in der Bundesversammlung nicht durch Strafverfolgungsmaßnahmen
oder auf andere Weise gehindert sind. Auch die den Mitgliedern der Bundesversammlung zustehende Immunität und Indemnität dient dem Schutz des Rechts
auf eine ungehinderte Teilnahme an der Wahl. Die entsprechende Anwendung
der Art. 46, 47 und 48 Abs. 2 (§ 7 Satz 1 BPräsWahlG) ist zur Durchsetzung des
Teilnahmerechts aus Art. 54 daher schon von Verfassungs wegen geboten
(BVerfGE 136, 277, 314 f.).
6
Bundespräsident
Rz. 33–39
Art. 54
7Art. 54
Wahl undder
Amtsdauer;
33–39
Dem
Wahlrecht
MitgliederBundesversammlungBundespräsidentRz.
der Bundesversammlung ist es zudem immanent,
33
dass diese einen Anspruch auf ein Wahlverfahren haben, das diesen Namen verdient, mithin inhaltlich-qualitativ eine echte Wahl ermöglicht. Insbesondere haben sie einen verfassungsmäßig verbürgten Anspruch auf die Freiheit und die
Gleichheit der Wahl. Art. 54 Abs. 3 geht davon aus, dass die vom Bundestag
und die von den Volksvertretungen der Länder entsandten Mitglieder in der
Bundesversammlung die gleiche Stellung haben (BVerfGE 136, 277, 315). Diesen steht ein Recht nicht nur auf gleiche Wertung ihrer Stimmen, sondern auch
auf gleiche Teilhabe an der Ausgestaltung des Wahlverfahrens zu (BVerfGE
136, 277, 318).
Einstweilen frei.
34–35
4. Verfahren (Abs. 4 bis 6)
Die Bundesversammlung hat nicht nur zur Aufgabe, den Bundespräsidenten zu 36
wählen, sondern sie soll zugleich in ihren Abläufen die besondere Würde des
Amtes unterstreichen (BVerfGE 136, 277, 312).
Der Gang ihrer Geschäfte ist weitgehend vorbestimmt und insoweit der Rege- 37
lung durch die Bundesversammlung entzogen. Damit fügt es sich, dass das GG
keine Regelung zu einer Geschäftsordnungsautonomie der Bundesversammlung enthält. Die Bundesversammlung hat auch kein Selbstversammlungsrecht wie der Bundestag (Art. 39 Abs. 3 Satz 1), sondern wird vom Präsidenten des Bundestages einberufen (Art. 54 Abs. 4 Satz 2), dem durch das
Bundespräsidentenwahlgesetz weitere Organisationsaufgaben zugewiesen sind
(BVerfGE 136, 277, 314).
Der Präsident des Bundestages hat als Leiter der Bundesversammlung die 38
Aufgabe, für eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahl Sorge zu tragen. Da
die Bundesversammlung nicht wie der Bundestag Ort der politischen Auseinandersetzung ist, sondern den Bundespräsidenten in einer Weise in sein Amt setzen soll, die der diesem Amt zukommenden Würde entspricht, stehen dem
Leiter der Bundesversammlung weitergehende Kompetenzen zu als dem Präsidenten des Bundestages bei der Leitung von Sitzungen des Bundestages (BVerfGE 136, 277, 317).
Der Leiter der Versammlung stellt jedenfalls solche Anträge, die nicht die 39
Durchführung der Wahl an sich betreffen oder offensichtlich nicht im Einklang
mit der Verfassung stehen, nicht zur Abstimmung und bewahrt damit die zeremonielle, symbolische Bedeutung des Wahlakts. Der Leiter der Bundesver-
GG Lfg. 69 · September 2015
7
Art. 54
Rz. 39–44
Bundespräsident
rt. 54 Wahlistund
Amtsdauer;
BundesversammlungBundespräsidentRz.
39–44
8A
sammlung
befugt,
die Prüfung
der Zulässigkeit der Anträge nach
diesen Maßstäben vorzunehmen, ohne dem jeweiligen Antragsteller zuvor das Wort zu
erteilen (BVerfGE 136, 277, 318).
40 Der Leiter der Bundesversammlung muss allerdings die grundsätzlich gleiche
Stellung der Mitglieder der Bundesversammlung beachten. Diesen steht ein
Recht nicht nur auf gleiche Wertung ihrer Stimmen, sondern auch auf gleiche
Teilhabe an der Ausgestaltung des Wahlverfahrens zu. Für die Leitungsbefugnisse des Präsidenten des Bundestages bedeutet dies insbesondere, dass er über
die Behandlung von Anträgen eine willkürfreie – das heißt nicht von sachfremden Erwägungen geleitete – Entscheidung treffen muss (BVerfGE 136, 277,
318).
41 Die Beschlussfähigkeit der Bundesversammlung ist lediglich festzustellen;
dies obliegt ihrem Leiter. Hierzu ist zu ermitteln, ob eine hinreichende Anzahl
der Mitglieder der Bundesversammlung zur Wahl erschienen ist. Dies umfasst
nicht die Prüfung, ob die Wahl ihrer Mitglieder frei von Rechtsfehlern durchgeführt worden ist (BVerfGE 136, 277, 316).
42 Nach Art. 54 Abs. 1 findet die Wahl „ohne Aussprache“ statt. Zu einer Personal- oder Sachdebatte über oder mit den Kandidaten sind die Mitglieder der
Bundesversammlung danach nicht berechtigt. Das Ausspracheverbot dient
dem Schutz der Würde des Wahlakts, der dem parteipolitischen Streit enthoben
sein soll. Es richtet sich deshalb nicht nur an die Mitglieder der Bundesversammlung, sondern auch an die Kandidaten – unabhängig davon, ob sie der Bundesversammlung angehören; es schließt daher auch eine Vorstellung der Kandidaten durch diese selbst aus (BVerfGE 136, 277, 315 f.).
43 Das GG weist den Mitgliedern der Bundesversammlung ein Rederecht grundsätzlich nicht zu (BVerfGE 136, 277, 320). Die Abgabe der Stimmen und ihre
Auszählung bedürfen eines Rede- und Antragsrechts grundsätzlich nicht. Etwas
anderes könnte allerdings für den Fall in Betracht kommen, dass in der Bundesversammlung begründete Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung der
Wahl aufgeworfen werden (BVerfGE 136, 277, 316).
44 Ein durch das GG übertragenes Recht, als „Wahlbeobachter“ an der Auszählung der Stimmen und der Ermittlung des Wahlergebnisses teilzunehmen, existiert nicht. Dieses Recht kann nicht aus Art. 54 Abs. 7 iVm. § 8 Satz 2
BPräsWahlG abgeleitet werden. Soweit § 8 Satz 2 BPräsWahlG auf die Geschäftsordnung des Bundestages verweist, kennt diese ein entsprechendes Recht
des einzelnen Bundestagsabgeordneten nicht. Soweit § 8 Satz 2 BPräsWahlG die
8
Bundespräsident
Rz. 44
Art. 54
rt. 54 Wahl und
Amtsdauer;
BundesversammlungBundespräsidentRz.
44 Geschäfts9A
Möglichkeit
eröffnet,
dass die
Bundesversammlung sich eine eigene
ordnung gibt, wären dort möglicherweise geregelte Rechte auf Teilnahme an
Stimmauszählungen ausschließlich durch die Geschäftsordnung und nicht
durch das GG begründet, so dass ihre Beachtung nicht Gegenstand einer Überprüfung im Organstreitverfahren sein kann (BVerfGE 130, 367, 370).
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