Verteidigungsbrief - Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort

Jan Böhmermann hat doch in allem recht! Offener Brief von Mathias Dö...
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10. Apr. 2016
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Meinung
10.04.16
Kritik an Erdogan
Jan Böhmermann hat doch in allem recht!
Der Satiriker Jan Böhmermann wird angegriffen, weil er ein
Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten verfasst hat. Peinlich,
dass er dafür nun attackiert wird. Ein Offener Brief. Von Mathias Döpfner
Lieber Herr Böhmermann,
wir kennen uns nicht, und ich habe leider auch bisher Ihre Sendungen nicht sehen können.
Dennoch wende ich mich in einem offenen Brief an Sie, denn es ist aufschlussreich, welche
Reaktionen Ihre Satire ausgelöst hat. Ein Kristallisations- und Wendepunkt.
Vorneweg möchte ich sagen: Ich finde Ihr Gedicht gelungen. Ich habe laut gelacht. Das zu
sagen ist mir deshalb wichtig, weil man in den vergangenen Tagen ja keinen einzigen Beitrag
– egal ob anklagend oder für Sie parteiergreifend – über Ihren Text gelesen hat, der nicht
erst mal, gleichsam als Captatio benevolentiae, betonte, wie geschmacklos und primitiv und
beleidigend Ihre Satire über Erdoğan sei.
Das ist ungefähr so originell und aussagekräftig, als wenn man einem Formel-1-Autobauer
vorwirft, seine Autos seien aber schnell. Dass Ihr Gedicht geschmacklos, primitiv und
beleidigend war, war ja – wenn ich es richtig verstanden habe – der Sinn der Sache. Sie
haben doch einfach alle beleidigenden, insbesondere alle in der muslimischen Welt
beleidigenden Stereotype zusammengerafft, um in grotesker Übertreibung eine Satire über
den Umgang mit geschmackloser Satire zu machen.
Kunst- und Satirefreiheit
Sie wollten nach dem ziemlich lendenlahmen Erdoğan-Veräppelungs-Song in der ARD die
illiberale Reaktion des türkischen Staatspräsidenten ironisieren und durch
Maximalprovokation die Leute verstören, um sie darüber nachdenken zu lassen, wie eine
Gesellschaft mit Satire und – noch viel wichtiger – mit der Satire-Intoleranz von
Nichtdemokraten umgeht. Ein Kunstwerk. Wie jede große Satire. Und als solches: frei. Oder
doch nicht?
Ich verstehe die Aufregung über Ihren Text (Link: http://www.welt.de/153910094) nicht ganz. Gibt es
doch in Deutschland eine gute von Tucholsky geprägte, von Hitler ex negativo gehärtete
Tradition der Meinungs-, Kunst- und Satirefreiheit.
Vor allem wenn es um Provokationen religiöser, genauer: christlicher Gefühle geht, geht in
Deutschland alles. Mich erinnert Ihr Auftritt im Zweiten Deutschen Fernsehen ein wenig an
die vermutlich berühmteste Arbeit des Künstlers Martin Kippenberger. Sie zeigt, in
verschiedenen Versionen in Holz geschnitzt, einen ans Kreuz genagelten lächelnden Frosch.
Ganz im ästhetischen Duktus süddeutscher Herrgottsschnitzerei.
Und der Titel einer dieser Frosch-Kreuzigungen (die heute auf dem internationalen
Auktionsmarkt für hohe sechsstellige Summen gehandelt werden) lautet: "Was ist der
Unterschied zwischen Casanova und Jesus: Der Gesichtsausdruck beim Nageln".
Kippenberger, der Punk-Maler und Gesamtkunstwerk-Provokateur, ist große Kunst, bei
Sotheby's und Christie's bringen die wichtigen Gemälde Millionen. Wer da zuckt, gilt als
Spießer.
Ähnlich, wenn die "Titanic" den Papst in einem Ganzkörper-Kondom oder mit einem Urinfleck
auf dem Gewand zeigt. Sobald es gegen die katholische Kirche geht, ist das Lachen des
Justemilieu programmiert. Es kann gar nicht respektlos und verletzend genug sein.
Sie, lieber Herr Böhmermann, mussten nun lernen, dass andere Maßstäbe gelten
(Link: http://www.welt.de/154168823) , wenn es um türkische Spitzenpolitiker geht. In Deutschland
brach eine Art Staatskrise aus, nur weil Sie Herrn Erdoğan als "Ziegenficker" bezeichnet
10.04.2016 09:44
Jan Böhmermann hat doch in allem recht! Offener Brief von Mathias Dö...
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haben. Apropos Ficken. Wenn das ZDF – seinem gebührenfinanzierten Bildungsauftrag
feinsinnig verpflichtet – einen Hashtag "Fick dich, Bild-Zeitung" ins Leben ruft und sich dazu
die Domain "fickdichbildzeitung.com" sichert, die bis heute auf einen Spot des ZDF verlinkt,
dann klopft sich die deutsche Intelligenz vor freudiger Erregung prustend auf die Schenkel.
"Fick dich, Bild", und das vom Zweiten Deutschen Fernsehen in Auftrag gegeben und zur
besten Sendezeit gesendet und dann multimedial online vermarktet – ho, ho, ho, ganz schön
kühn. "Bild" hat's verdient. Die sind ja selbst nicht besser.
Die Leisetreterei der Bundesregierung
Beim türkischen Präsidenten ist das anders. Erdoğan kontrolliert in seinem Land etwa 90
Prozent der Zeitungsauflage und lässt Demonstranten, die anderer Meinung sind, gewaltsam
von öffentlichen Plätzen entfernen. Oppositionelle bezeichnet er als "Atheisten und
Terroristen". Studenten, die demonstrieren, riskieren Exmatrikulation.
Universitätsprofessoren, Journalisten oder Blogger, die Kritik äußern, werden willkürlich
verhaftet, teils gefoltert, Redaktionen werden durchkämmt. Eine friedliche Kundgebung für die
Rechte Homosexueller wird mit Wasserwerfern und Tränengas niedergeschmettert.
Die Gleichstellung von Männern und Frauen lehnt der türkische Präsident ab: Der Islam
lehre, dass Frauen vor allem Mütter seien. Und auch gegenüber den Kurden ist exzessive
und rücksichtslose Gewalt der türkischen Armee an der Tagesordnung, sagt Amnesty
International. Die Gewalt gegen Kurden habe allein seit dem vergangenen Sommer Hunderte
Todesopfer gefordert.
Wichtiger aber ist: Für die kleine Entschädigung von drei Milliarden Euro regelt Erdoğan die
Flüchtlingsströme so, dass in Deutschland die Verhältnisse nicht aus dem Ruder geraten. Da
müssen Sie verstehen, Herr Böhmermann, dass die deutsche Bundesregierung sich bei der
türkischen Regierung für Ihre unsensiblen Bemerkungen entschuldigt. Diese sind –
Kunstfreiheit hin oder her – in der gegenwärtigen Lage schlicht "nicht hilfreich".
Man könnte das Ganze auch einfach Kotau nennen. Oder wie Michel Houellebecq
es in seinem Meisterwerk über die Selbstaufgabe des
demokratischen Abendlandes im Titel formuliert hat: die Unterwerfung.
(Link: http://www.welt.de/135972657)
Ihr Mathias Döpfner
P.S. Ich möchte mich, Herr Böhmermann, vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und
Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu
eigen machen. Vielleicht lernen wir uns auf diese Weise vor Gericht
(Link: http://www.welt.de/154082885) kennen. Mit Präsident Erdogan als Fachgutachter für die Grenzen
satirischer Geschmacklosigkeit.
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