SWR2 Tagesgespräch

SÜDWESTRUNDFUNK
Anstalt des öffentlichen Rechts
Radio  Fernsehen  Internet
PRESSE Information
Chefredaktion Hörfunk
Zentrale Information
SWR Tagesgespräch
Postadresse 76522 Baden-Baden
Hausadresse Hans-Bredow-Straße
76530 Baden-Baden
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Sevim Dagdelen (Linke), Sprecherin für internationale
Telefon
Beziehungen, gab heute, 14.04.16, dem Südwestrundfunk ein Telefax
Interview zum Thema:
„Böhmermann: Satire, Krise, internationale Affäre?.“
Internet
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Marie Gediehn.
Mit freundlichen Grüßen
Zentrale Information
Datum:
07221/929-23981
07221/929-22050
www.swr2.de
14.04.2016
Linken-Politikerin Dagdelen: Tagelanges Überlegen im Fall Böhmermann skandalös
Baden-Baden: In der Debatte um das Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann gegen
den türkischen Präsidenten Erdogan ruft die Linke die Bundesregierung auf, rasch darüber zu
entscheiden, ob sie dem Wunsch nach Strafverfolgung nachkommt. Linken-Politikerin Sevim
Dagdelen sagte im Südwestrundfunk (SWR), je länger die Entscheidung dauere, desto
schlechter finde sie das. Dass man "jetzt tagelang überlegt, wie man überhaupt reagiert, halte
ich für skandalös". Das sei auch eine schlechte Nachricht nach innen für die Pressefreiheit in
Deutschland und nach außen, beispielsweise für diejenigen, die in der Türkei als Journalisten
am Pranger stünden und deren Rechte mit Füßen getreten würden.
Die Bundestagsabgeordnete Dagdelen forderte, Künstler dürften nicht preisgegeben werden mit
einem antiquierten Paragraphen, der längst abgeschafft gehöre. Es sei erschreckend, dass
inzwischen der Moderator Böhmermann mit seiner Familie Polizeischutz brauche, weil
Sicherheitsbehörden Gewalt durch Anhänger des türkischen Präsidenten befürchteten. „Man
könnte fast sagen, dass das Erdogan-Verhältnisse sind“, so Dagdelen. Sie fordere, dass die
Bundesregierung "keine Freigabe gibt, dass Böhmermann gemäß einem antiquierten
Strafrechtsparagraphen verurteilt werden könnte".
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Gediehn: Jan Böhmermann steht unter Polizeischutz, gegen die Anne-Will-Sendung, bei
der Sie zu Gast waren, gab es eine Bombendrohung, wie wir erst jetzt wissen. Wo sind
wir denn hingekommen?
Dagdelen: Man könnte fast sagen, dass das Erdogan-Verhältnisse sind, es ist wirklich sehr
erschreckend, das jetzt der Moderator Jan Böhmermann und seine Familie von der Polizei
geschützt werden müssen, weil Sicherheitsbehörden Gewalt durch Anhänger des türkischen
Präsidenten Erdogan befürchten. Es ist natürlich auch alarmierend die Bombendrohung und in
keinster Weise meiner Meinung nach auch zu verharmlosen all das, weil gestern in der
Fragestunde des Bundestages auf meinen Alarm hin, die Staatsministerin im Auswärtigen Amt
das schon sehr runtergespielt hat und sehr verharmlost hat. Ich finde das schon sehr
erschreckend.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Gediehn: Auf die politische Dimension kommen wir noch. Frau Dagdelen, der offene
Brief, von dem haben wir gerade schon gehört in der „Zeit“ heute, es gibt inzwischen
auch schon relativ viel ironisch geschriebenes dazu. Der Tübinger Oberbürgermeister
Palmer sei genannt, ein Fake-Interview von Kai Dieckmann heizen die Debatte auch
weiter an. Ist das verantwortungsvoll aus Ihrer Sicht?
Dagdelen: Nein, ich glaube nicht, dass das jetzt viel bringt, eigene Selbstsatire-Versuche zu
machen, aber ich finde den offenen Brief der Künstlerin und Künstler ein starkes Zeichen. Ein
starkes Zeichen für die Kunstfreiheit in diesem Land, für unsere Grundrechte, die wir verankert
haben in unserer Verfassung. Deshalb erwarte ich auch und fordere natürlich auch von der
Bundesregierung, dass sie eben keine Freigabe gibt, dass Jan Böhmermann gemäß einem
antiquierten Strafrechtsparagraphen verurteilt werden könnte.
Gediehn: Frau Dagdelen, aber wäre nicht die größtmögliche Deeskalation tatsächlich die
Überweisung des Falls Böhmermanns an ein reguläres Gericht?
Dagdelen: Zunächst einmal muss man sagen: Das Gericht wird sowieso darüber befinden
müssen, weil der türkische Staatspräsident Erdogan ja jetzt den einfachen gesetzlichen
Paragraphen, also nicht einen Sonderstrafrechtsparagraphen, diesen Schah-Paragraphen, also
Beleidigung von ausländischen Staatsoberhäuptern, sondern einen ganz normalen
Beleidigungsparagraphen jetzt bemüht über einen Anwalt. Die andere Sache ist, die
Bundesregierung prüft, ob der Sonderstrafrechtsparagraph hier auch überhaupt vom Gericht
sozusagen geprüft werden wird. Da hat ja die Bundeskanzlerin Merkel sowieso schon
vorauseilend sich entschuldigt in einem Telefonat und selbst sich als Richterin betätigt, indem
sie das schon vorverurteilte, indem sie sagte, sie empfinde das Stück von Herrn Böhmermann
bewusst verletzend. Das hat sie gegenüber ihrem Kollegen, dem Premierminister, gesagt.
Gediehn: Genau, das war noch, bevor die Verbalnote eintraf. Das war, das bezeichnen
sehr sehr viele so, zumindest sehr, sehr unglücklich. Jetzt sind wir schon einen ganzen
Schritt weiter. Es wird geprüft, diese Verbalnote. Man drücke sich nicht, man prüfe
inzwischen ja seit Tagen. Frau Dagdelen, besser gründlich als vorschnell entscheiden?
Dagdelen: Zumindest sollte man sich als Bundeskanzlerin nicht als höchstes Gericht erheben
und urteilen über die Kunstfreiheit, sondern sollte seinen Amtseid auf das Grundgesetz ernst
nehmen und zunächst einmal gegenüber ausländischen Staatsoberhäuptern das Recht auf
Presse und Meinungsfreiheit und auch Kunstfreiheit hier verteidigen nach außen. Das zweite ist
eben, die Künstlerinnen und Künstler nicht preiszugeben mit einem antiquierten Paragraphen,
der längst abgeschafft gehört, sondern ich finde, das ist in Ordnung, wenn ein Gericht darüber
urteilt und das prüft. Dafür haben wir unsere Gewaltenteilung. Was ich ja kritisiere ist, dass
diese Bundesregierung diese Vorverurteilung hier in diesem Falle übernommen hat.
Gediehn: Jetzt steht trotzdem die Prüfung dieser Verbalnote im Raum. Macht es das
besser oder schlechter, dass sich das hinzieht?
Dagdelen: Ich finde es schlechter, weil ich finde es eigentlich skandalös, dass hier überhaupt
tagelang erst einmal geprüft werden muss. Eine Bundesregierung sollte normalerweise, meiner
Meinung nach, die Grundrechte verteidigen. Ganz besonders nach außen. Dass man erst
einmal tagelang jetzt überlegt, wie man denn überhaupt reagiert, halte ich für skandalös, wie
das Ansinnen zu bewerten wäre, sozusagen, ist eine schlechte Nachricht auch für unsere
Pressefreiheit. Es ist eine schlechte Nachricht nach innen in Deutschland und nach außen vor
allen Dingen für diejenigen beispielsweise in der Türkei, viele Freunde von mir als Journalisten
dort am Pranger stehen, ihre Rechte mit Füßen getreten werden. Weil diese Menschen das
gerade sind, die immer wieder auch auf den Westen zeigen, auf die EU zeigen und sagen, dort
gibt es diese Grundfreiheiten, diese Menschenrechte und wir wollen sie auch.
Gediehn: Frau Dagdelen, in aller Kürze. Zu welchem Ausweg raten Sie denn jetzt der
Bundeskanzlerin, was ist noch zu tun?
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Dagdelen: Zunächst einmal ist zu tun, dass man den Dialog nicht mit Unterwerfung verwechselt
in den Verhandlungen mit der Türkei. Dass man ständig irgendwelchen Erpressungen und
Forderungen nachgibt. Ich finde, man muss hier ganz, ganz schnell sagen, man erteilt keine
Ermächtigung für Erdogan, um diesen Sonderstrafrechtsparagraphen hier sozusagen
überhaupt zu aktivieren, sondern sagt, wir erteilen keine Ermächtigung und der Gang der Dinge
wird dann gehen. Das andere ist natürlich, dass man hier auch ein ganz anderes deutschtürkisches Verhältnis braucht. Die Türkei unter Erdogan kann man nicht mehr beschweigen und
wegschauen, die Menschenrechtsverletzungen, weil man ihn damit natürlich viel stärker macht.
- Ende Wortlaut -
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)