Kulturelles Wort / Literatur

Kulturelles Wort
Redaktion: Rainer Sütfeld
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Sendung am: 19.06.2016
19.05 – 19.15 Uhr
GEDANKEN ZUR ZEIT
Schlimmer als die Polizei erlaubt?
Über politische Satire und Strafjustiz
Von Horst Meier
GEDANKEN
ZUR ZEIT
Sonntags
19.05 - 19.15 Uhr
Sprecher An- und Absage: Rainer Sütfeld
Manuskript und Sprechen: Horst Meier
Telefon:
0511 / 988-2321
Zur Verfügung gestellt vom NDR
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- Unkorrigiertes Exemplar -
Von Horst Meier
Dass Sie und ich zum Fall Böhmermann eine Meinung haben, ist wohl klar. Ich habe
in den letzten Wochen niemanden getroffen, den das krude „Schmähgedicht“ kalt
gelassen hätte. Es polarisiert. Das ist entweder ein Machwerk und sein Urheber
gehört schleunigst bestraft. Oder das ist eine satirische Raffinesse und steht unter
dem Schutz der Kunst- und Meinungsfreiheit. Entweder oder, da gibt es kein Vertun!
Aber Hand aufs Herz: Haben Sie den Auftritt gesehen oder später wenigstens im
Internet aufgespürt? Das Werk gehört sicher nicht zum Kanon deutscher Dichtkunst.
Aber was den Fall Böhmermann – oder je nach Sichtweise den Fall Erdogan –
angeht, sollte man nicht allein den Wortlaut des „Schmähgedichts“ kennen,
sondern auch seinen Kontext. Vorsicht, Satire! Meinungs- und Kunstfreiheit sind
„kontraintuitiv“. Will sagen: Das spontane Urteil, dass hier einer entschieden zu weit
gegangen ist, könnte danebenliegen.
Bevor Juristen urteilen und verurteilen, brauchen sie einen gut sortierten
„Sachverhalt“. Und der geht so: Am 31. März wurde das „Neo Magazin Royale“
ausgestrahlt: „Willkommen zu Deutschlands Quatschsendung Nummer eins“,
begrüßte Jan Böhmermann seine Zuschauer. Und bot an diesem Abend die auf
ZDFneo üblichen Blödeleien: meist harmlos und bügelfrei, von irrlichternder
Intelligenz. Jene flotten Scherze eben, mit denen ältere Herrschaften, die mit
Wolfgang Neuss oder Dieter Hildebrandt aufgewachsen sind, nicht viel anfangen
können. Der Sketch, der alsbald dargeboten wurde, fiel nicht gleich mit der Tür,
sprich: dem „Schmähgedicht“ ins Haus, sondern bezog sich zunächst auf eine
Störung der deutsch-türkischen Beziehungen. Das Satiremagazin „extra3“ des NDR
hatte ein Spottlied gesendet: „Erdowie, Erdowo, Erdogan“. Es nahm dessen Law and
Order-Programm aufs Korn – darunter die Knebelung der Pressefreiheit. Die
„Machart Schülerzeitung“ war betulich, mäßig witzig und fiel nicht weiter auf. Das
änderte sich, als der deutsche Botschafter ins türkische Außenministerium
einbestellt wurde und man verlangte, seine Regierung möge gegen das anstößige
Liedchen vorgehen. Inzwischen zählt das Video an die neun Millionen Internetaufrufe.
Nach diesem Vorspiel kommt Böhmermann in Fahrt. Dem Präsidenten erklärt er,
dass das Spottlied sehr milde ausfiel; und dass hierzulande die Meinungsfreiheit
viel weiter reicht. Böhmermann lobt „unser tolles Grundgesetz“ und lässt sich von
einem Gehilfen erklären, was verbotene Schmähkritik ist: „Wenn du Leute
diffamierst, wenn du einfach nur so untenrum argumentierst, ne?“ – „Haben Sie das
verstanden, Herr Erdogan?“ fragt Böhmermann, und setzt hinzu: „... ist ein bisschen
kompliziert, vielleicht erklären wir es an einem praktischen Beispiel“. Also bestellt
er bei der Regie den passenden Hintergrund: türkische Fahne und Erdogan-Porträt.
Endlich gibt er sein „Schmähgedicht“ zum Besten, mehrfach unterbrochen von
Pausen und kurzen Wortwechseln: „Das darf man nicht machen?“ – „Nein, unter
aller Kajüte!“ Am Ende wird das Publikum im Studio noch rüde ermahnt: „nicht
klatschen!“ Erdogan empfehlen die Spaßvögel einen tüchtigen Anwalt. Ihre
Mutmaßung, das Stück werde aus der Mediathek genommen, sollte das ZDF nicht
enttäuschen.
Was dem „reichlich bescheuerten“ Gedicht, so Böhmermann später im ZEITInterview, folgte, bot alles, was sich ein Satiriker nur wünschen kann: diplomatische
Protestnoten, eine Strafanzeige des Präsidenten, Krisensitzungen im Kanzleramt
und Schlagzeilen bis hin zur New York Times: „Komiker demütigt türkischen
Präsidenten und testet Redefreiheit in Deutschland“. Seitdem zieht der Böhmermann-Erdogan-Merkel-Komplex immer neue Kreise. Unterdessen eröffnete Erdogan
eine neue Front, indem er, empört über die Armenienresolution des Bundestages,
Abgeordneten mit türkischen Wurzeln nachsagte, sie seien „charakterlos“, sie
hätten „verdorbenes Blut“. Der ganze Fall ist ein Leckerbissen für Juristenklausur
und Journalistenschule.
Gut, den „Sachverhalt“ haben wir; und ist der erst einmal klar, stellen Juristen die
Frage aller Fragen: Wie ist die Rechtslage? Das Prüfungsschema beginnt mit dem
„Schutzbereich“: Fällt die dargebotene Nummer überhaupt unter die Kunst- und
Meinungsfreiheit? Zweifellos. Die Frage, inwieweit der türkische Präsident, gelinde
gesagt, ein gestörtes Verhältnis zur Meinungsfreiheit hat, ist eine hochpolitische
Angelegenheit von öffentlichem Interesse. Und damit ein gefundenes Fressen für
Satiriker.
Was aber ist Satire? Ihr sind, heißt es, Übertreibungen und Verzerrungen
wesenseigen; sie gießt Spott und Häme aus. Natürlich, das sind unscharfe Formeln;
trotzdem helfen sie, einer Gattung gerecht zu werden, die richtig fies werden kann.
Im Fall Erdogan sagen viele indigniert, man dürfe doch einen Präsidenten nicht mit
haltlosen Unterstellungen traktieren – schon gar nicht über sexuelle Praktiken oder
die Beschaffenheit seiner Geschlechtsorgane. Stimmt, normalerweise nicht. Und
doch ist diese Herangehensweise ein geradezu klassisches Missverständnis, denn
sie verkürzt die szenisch dargebotene Satire auf ihren bloßen Wortanteil und
verfehlt so das Ganze.
Damit sind wir bei einer wichtigen Unterscheidung angelangt: der zwischen
Aussagekern und satirischer Einkleidung. Mit einer dementsprechenden
„Werkinterpretation“ wird letzten Endes die Reichweite des Grundrechts bestimmt.
Und im vorliegenden Fall lautet die entscheidende Frage: Ist die satirische Form
nur ein Vorwand, ein bloßer Deckmantel, um gegen eine Figur des öffentlichen
Lebens die Sau raus zu lassen? Oder ist ein „Schmähgedicht“, das isoliert
betrachtet ehrverletzend ist, als integraler Bestandteil eines satirischen Lehrstücks
anders zu beurteilen – nämlich als augenzwinkernde, drastische Lektion über
Reichweite und Grenzen der Meinungsfreiheit?
Er habe sich den Inhalt des Gedichts, das er aus dem Internet gefischt haben will,
„gerade nicht zu eigen gemacht“, beteuert Böhmermann im ZEIT-Interview: „Es ging
eher um die Illustration einer Beleidigung, die natürlich auch mit plumpen
Klischees und Vorurteilen hantiert.“ Man kann das als Schutzbehauptung abtun,
aber schon der Titel „Schmähgedicht“ spricht gegen platte Identifikation und für
spielerische Distanz. Hinzu kommt die Art und Weise der Darbietung.
Kommentierende Einwürfe und ironische Brechungen, durchgängig eingesetzt,
ließen auch für den „durchschnittlichen Zuschauer“, den Juristen gern bemühen,
erkennen, dass hier explizit „Verbotenes“ herbeizitiert wird. Dabei stand der
politische Zusammenhang im Vordergrund. Denn im Anschluss an das Spottlied
wurde klar, dass Erdogan nicht von ungefähr durch den Kakao gezogen wird,
sondern als ein Politiker, der gegen missliebige Journalisten hart austeilt – und der
zugleich sehr dünnhäutig auf Kritik reagiert und Hunderte mit Anzeigen überzieht.
Nimmt man alles in allem, lässt sich durchaus vertreten: Die so manifeste wie
plakative Beleidigung dient nicht dem vordergründigen Zweck einer Schmähung,
sondern ist gezieltes Stilmittel der Satire. Im Kontext eines politischen Lehrstücks
über die Spielräume der Freiheit wird sie gleichsam zum Kontrastmittel. Das Stück
geht bis hart an die Grenzen der Satire, überschreitet sie aber nicht.
Demnach stünde das, was auf den ersten Blick so strafwürdig erscheint, unter dem
Schutz der Grundrechte. Im Ernst? Wie gesagt, Kunst- und Meinungsfreiheit sind
„kontraintuitiv“. Und am Ende aller juristischen Sezierkunst steht ein Spannungsverhältnis, das man nicht auflösen kann, aber fallbezogen aufbereiten muss:
zugunsten der Kunstfreiheit oder zugunsten des Persönlichkeitsrechts,
insbesondere der Menschenwürde. Mit letzterer lässt sich etwa argumentieren, der
Spaß höre spätestens da auf, wo ein Mensch im Kern seiner Existenz durch Zoten
verächtlich gemacht wird. Weil nun aber ein allseits schonender Ausgleich
unmöglich ist, dürfte der Streitfall wohl in jeder Instanz etwas anders beurteilt
werden.
Für welche juristische Lesart man sich entscheidet, hat mit außerrechtlichen
Faktoren zu tun. Zum Beispiel damit, ob einer im Zweifel für Freiheit und Konflikt
votiert – oder lieber doch für sittliches Minimum und Tugendstaat. Politisches
Vorverständnis und juristische Methodenwahl sind innig miteinander verwoben.
Das, was man arglos „Rechtsfindung“ nennt, speist sich mitunter aus trüben
Quellen. Reflektierte Juristen versuchen, den „irrationalen Rest“ mitzudenken. Sie
sind sich der Tatsache bewusst, dass noch jeder Richter, der zu einem bestimmten
Ergebnis gelangen wollte, eine passende Methode fand.
Was in unserem Fall folgt, ist abzusehen: eine saftige Geldstrafe und der lange
Marsch durch die Instanzen. Bis eines Tages der Rechtsweg „erschöpft“ ist und der
wackere Böhmermann nach Karlsruhe zieht: „Hallo, Verfassungsbeschwerde!“
Unterdessen müssen die beteiligten Juristen nur schön aufpassen, dass sie nicht
ins Schleudern kommen. Denn da, wo Strafjustiz auf Satire stößt, da lauert die
Farce, da winkt die Justizposse, da grinst die Realsatire. In den Worten unseres
Nachwuchskomödianten: „Ich bin gespannt, wer zuletzt lacht.“
Horst Meier, 61, Autor & Jurist (www.horst-meier-autor.de). 2015 ist im BWV
erschienen Verbot der NPD – ein deutsches Staatstheater in zwei Akten (mit
Gastbeiträgen u.a. von Hans Magnus Enzensberger, Eckhard Jesse, Wolfgang
Kraushaar, Claus Leggewie und Volker Neumann sowie Fotos, Anhang und einem
Gespräch mit Bernhard Schlink).
Zuletzt: Claus Leggewie/Johannes Lichdi/Horst Meier, „Was sollen wir damit
anfangen?“ Das abermalige Verbotsverfahren gegen die NPD. Der Prozess (Teil 2).
In: Recht & Politik 2/2016
Link zu Text und Video (komplette Ausgabe „Neo Magazin Royale“ vom 31. März
2016):
http://www.cicero.de/salon/erdogan-schmaehgedicht-das-boehmermann-videoim-original/60770
„Ich bin gespannt, wer zuletzt lacht“. Jan Böhmermann im ZEIT-Interview (Nr. 20
vom 4. Mai 2016)
Titanic-Anwältin zu Böhmermann: Das ist die perfekte Satire. In: faz.net vom 14.
April 2016
Texte zur „Causa Böhmermann“ in: Verfassungsblog.de, u.a.:
Alexander Thiele, Erlaubte Schmähkritik? (11. April 2016)
Uwe Volkmann, Die Causa Böhmermann: Ein Tiefpunkt und noch ein Tiefpunkt
und noch ein Tiefpunkt (22. April 2016)
Landgericht Köln, 10. Mai 2016 (Keine einstweilige Verfügung gegen Springer-Chef
Mathias Döpfner: Wer sich das „Schmähgedicht“ pauschal zu eigen macht,
verbreitet es nicht, sondern äußer schlicht seine Meinung)
Landgericht Hamburg, 17. Mai 2016 (Einstweilige Verfügung gegen Böhmermann
größtenteils erfolgreich: B. darf 18 von 24 Gedichtzeilen nicht wiederholen)