Fachtagung: Machen viele Kühe Spaß?

Rinder
Tierhaltung
Machen viele Kühe Spaß?
Bei der diesjährigen Internationalen Milchviehtagung von Bioland und dem Thünen-
J. Beyrle
Institut für Ökologischen Landbau stand das Thema „Wachstum“ im Mittelpunkt.
Viele Kühe und viel Kuhkomfort im neuen Stall der Regens-Wagner-Stiftung in Holzhausen
M
eistens!“, beantwortete Bioland-Milchviehhalter Josef
Beyrle aus Holzhausen die eingangs gestellte Frage, ob es Spaß mache,
viele Kühe zu halten. Er betreut das Milchvieh auf dem Betrieb der Regens-WagnerStiftung im bayerischen Holzhausen und
Internationale Milchviehtagung
Die 9. Internationale Milchviehtagung
von Bioland und dem Thünen-Institut für
Ökologischen Landbau fand vom 4. bis
zum 6. Februar im Kloster Plankstetten
statt. Neben Wachstum und Tiergesundheit waren weitere Themen:
Tierwohlindikatoren und Tierwohlkontrolle bei Bioland
Der Milchmarkt: Entwicklung und
Ausblick
Vorstellung der Bio-MEG Süd
Leistungssteigerung und Klimaschutz
Hürden in der Weidehaltung
Den Eingangsvortrag hielt unter dem
Titel „Intelligent wachsen“ Ralf Füchs,
Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.
Zwei Exkursionen führten zu BiolandBetrieben in Bayern.
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weiß, was ein großer Wachstumsschritt
ist. Vor drei Jahren hat der Träger die
Herde von 60 auf 180 Milchkühe aufgestockt. Möglich wurde dies durch die Aussiedlung des Kuhstalls, den Bau eines
neuen, mehrhäusigen Stalls und die Anschaffung eines Melkroboters. Die vorherige Situation, in der die Kühe auf mehrere
Altgebäude verteilt waren, sollte verändert, die wirtschaftlichen Ergebnisse verbessert werden.
Melkautomatik und ein arbeitswirtschaftlich optimierter Stall bedeuten keineswegs, dass die Herde nun nebenbei läuft
– im Gegenteil. Seit der Roboter melkt,
verbringt Beyrle mehr Zeit im Kuhstall
als vorher. Für den begeisterten Tierhalter hat der Wachstumsschritt den Vorteil,
dass er sich nun weitgehend auf die Kühe
konzentrieren kann. Die Fütterungstechnik wurde optimiert, die Außenwirtschaft
delegiert oder ausgelagert. „Wer so viele
Kühe halten will, muss gern im Stall sein,
ein gutes Auge für Kühe haben – und delegieren können“, sagt Beyrle, und betont,
trotz der großen Zahl jede einzelne Kuh
beim Namen zu kennen. Der Melkroboter
liefert viele wertvolle Tierdaten. Wer sich
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Rinder
Fotos: A. Grafen
Tierhaltung
Aspekte des Wachstums: Auf dem Podium tauschten sich die Milchbauern Josef Westenrieder, Hermann Zeller, Johann Ellenrieder und
Josef Beyrle über das Thema Wachstum aus. Wachstum ist quantitativ und qualitativ zu verstehen: Westenrieder verzichtete auf mehr Kühe
und stellte seinen Betrieb stattdessen auf Bio und Heumilch um und baute eine Hofmolkerei. Zeller stockte seine Herde auf, nachdem
er seine Milch erstmals als Bio-Milch vermarkten konnte, Betrieb Ellenrieder stellte auf Vollweide um, während Beyrle sich mit einer
sehr viel höheren Kuhzahl auf diesen Betriebszweig spezialisierte. Grenzen des Wachstums sehen die vier Landwirte vor allem in der
Flächenverfügbarkeit, in der Tiergesundheit und der Notwendigkeit, Fremdarbeitskräfte einzustellen.
Das Fazit zog Bioland-Berater Martin Weiß: „Wir dürfen die Weiterentwicklung eines Hofes nicht nur als betriebliches Wachstum begreifen.“
Inneres Wachstum und qualitative Fortentwicklung sind ebenso wichtige Ziele.
an eine große Herde heranwagt, solle insbesondere die kritischen Bereiche wie den Abkalbestall, das Selektionsabteil und
die Kälberplätze großzügig gestalten, empfiehlt der Landwirt.
Und grundsätzlich läuft eine große Herde nur dann rund, wenn
die Tiere gesund sind und sich wohlfühlen: „komfortable Liegeboxen, Bürsten, Platz, Luft, Licht, Weide!“
Technik, die in der vergrößerten Herde genutzt werden soll, beispielsweise Futter- und Boxeneinstreutechnik, Selektionsmöglichkeiten, ein Milchtaxi, um die Kälbermilch zu transportieren
– bis hin zum Melkroboter. Genauso sind höhere Wegekosten
einzurechnen, wenn man für das Herdenwachstum weiter entfernte Flächen nutzt.
Organisches Wachstum
Mehr Kühe sind nicht einfach mehr Kühe
Bei zwei Prozent Inflation ist ein Wachstum von 1,3 Kühen pro
Jahr nötig, um den Gewinn des Betriebszweigs zu erhalten,
rechnete Bioland-Berater Dr. Otto Volling den Teilnehmern der
Milchviehtagung vor. Aber wann sind große Schritte angesagt
und sinnvoll?
Manche Landwirte bauen, weil der Nachbar baut und oft gelten
nicht ausreichende Betriebsergebnisse als Grund für betriebliches Wachstum. Doch der Gewinn lässt sich häufig auch im bestehenden System verbessern, zum Beispiel, indem es gelingt,
das Erstkalbealter, die Remontierungsrate oder die Festkosten
zu senken. Für manche Landwirte sei „mehr anscheinend einfacher als besser“, bedauerte Volling.
Doch mehr Kühe sind nicht einfach mehr Kühe. Ab einer gewissen Schwelle ist ein Systemwechsel nötig, meinte der Referent:
„Ab 60 Kühen muss man sich überlegen, ob man ein Betrieb mit
Fremdarbeitskräften werden will.“ Das verlangt vom Betriebsleiter neue Kompetenzen, so muss er nun Mitarbeiter anleiten und
Arbeiten delegieren. Führt die Spezialisierung dazu, dass man
Arbeiten wie Buchhaltung oder den Futterbau nach außen vergibt, entstehen zusätzliche Kosten. Kostspielig ist auch die neue
Und wie stellt sich Wachstum im Milchviehbetrieb wirtschaftlich
dar? Der Gewinn je Kuh könne erst einmal sinken, weil neue Technik angeschafft wird, „ein Futtermischwagen ist teurer als eine
Forke“, so der Referent. Je Familienarbeitskraft steigt der Gewinn
bei einer Vergrößerung der Herde aber an, wie Zahlen der LEL
Schwäbisch Gmünd aus dem vergangenen Jahr zeigen.
Auf einem Unternehmerseminar der Bioland Beratung und der
Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen wurden Landwirte
mit und ohne Wachstum zu ihrer Zufriedenheit gefragt. Und siehe
da: Die ohne oder mit geringem Wachstum waren zufriedener als
diejenigen, die einen großen Wachstumsschritt hinter sich hatten.
„Größer heißt nicht, dass alles schöner wird“, warnte Volling. Wer
nicht hinter den neuen Anforderungen wie Spezialisierung und
Mitarbeiterführung stehe, werde damit nicht glücklich werden.
Fazit des Referenten: Ein moderates Wachstum muss sein,
um den technischen Fortschritt mitzunehmen und die daraus
resultierende Kostendegression zu nutzen. Doch man muss wissen, was man sich damit einhandelt: Wachstum um jeden Preis
ist nicht der Weg, weder für den wirtschaftlichen noch für den
menschlichen Faktor. So sahen es auch Praktiker aus dem Pub-
bioland 04/2015
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likum: „Ab 60 Kühen gibt es kein gemeinsames Frühstück mehr
und mittags Fertiggerichte.“ Für den familienverfassten Betrieb
können Wachstumsschritte schnell zur Last werden.
Mehr auf die Klauen achten
Die Klinik für Wiederkäuer der Universität München und die Landesvereinigung für ökologischen Landbau (LVÖ) führen in den
vergangenen zwei Jahren eine Status-quo-Erhebung zur Herdengesundheit und Fruchtbarkeit in bayerischen Bio-Milchviehbetrieben durch. Dazu wurden LKV-Daten ausgewertet, Fragebögen
an die Landwirte verschickt und Betriebe besucht. Von den Ergebnissen berichtete Tierarzt Leopold Deger.
Die häufigsten Abgangsursachen in den knapp 1.200 Bio-Betrieben
aus der LKV-Auswertung waren Unfruchtbarkeit, hohes Alter und
Eutererkrankungen, gefolgt von geringer Leistung sowie Klauenund Gliedmaßenerkrankungen. Die Fragebogenaktion zeigte, dass
die Landwirte ihre Herdengesundheit im Schnitt eher optimistisch
einschätzen. Die wichtigsten Themen in der Selbsteinschätzung
waren Fruchtbarkeit, Geburtsschwierigkeiten und hohe Zellzahlen. „Lahmheiten werden auf Bio-Betrieben dagegen häufig unterschätzt“, urteilte der Referent. Bei den Betriebsbesuchen zeigten
sich häufig Auffälligkeiten an den Sprungelenken und mangelnder Liegekomfort. Auffällig war auch, dass die Tiere in einem Drittel der besuchten Herden zu gering mit Selen und Kupfer versorgt
waren. Und noch etwas fiel auf: Gerade in kleineren Herden sind
die Kühe häufig überkonditioniert, vor allem die Erstkalbinnen.
Dies ist oft aber der Grund für Geburtsschwierigkeiten und Stoffwechselstörungen zu Beginn der Laktation.
Systematisch vorgehen
Der Tierarzt kam zu dem Fazit, dass die Bio-Landwirte die Gesundheitsprobleme in ihren Ställen meistens gut einschätzen
können. Um die Herdengesundheit zu verbessern, empfiehlt er
ein systematischeres Vorgehen, etwa durch Stable Schools oder
mithilfe externer Beratung. Mehr achten sollten die Landwirte
auf die Klauengesundheit.
Welchen Erfolg eine Stable School haben kann, darüber berichtete Dr. Jan Brinkmann vom Thünen-Institut für Ökologischen
Landbau (siehe auch bioland-Fachmagazin 10/2014). An einem
durch das BÖLN finanzierten Projekt nahmen 20 Milchviehbetriebe teil. „Die Landwirte haben zwei Drittel der bei den Treffen entstandenen Empfehlungen umgesetzt“, so Brinkmann,
das sei ein vergleichsweise hoher Wert. Gut an diesem Beratungsinstrument seien der selbstbestimmte Ansatz und die gemeinsame Zielreflexion. Die Eutergesundheit in den Betrieben
habe sich sichtbar verbessert, ebenso Stoffwechselprobleme in
der Frühlaktation. Ein Nebeneffekt der Gruppenarbeit: Der Anteil verschmutzter Kühe in den Herden habe stark abgenommen,
obwohl dies nie Thema der Treffen war. Hier wirkte einfach der
Vergleich mit der Situation beim Kollegen.
age