Management Foto: Björn Qvarfordt Lang lebe die Kuh! Rund 100 Wissenschaftler, Berater und Tierärzte diskutierten über das Thema Nutzungsdauer. Die Ergebnisse hat top agrar in einer Checkliste zusammengefasst. Weltweit kämpfen Milcherzeuger mit hohen Abgangsraten. Was sich ändern muss, diskutierten 100 Experten aus 30 Ländern in Schweden. top agrar war dabei. E ines verbindet alle Milcherzeuger rund um den Globus: Zu viele Kühe müssen unfreiwillig die Herde verlassen – und zwar viel zu früh. Dazu nur ein Beispiel: In den USA liegt die durchschnittliche Abgangsrate bei 38 %. Auffällig ist, dass besonders viele Tiere in den ersten 50 Tagen nach der Geburt abgehen. Sie leiden entweder unter starken Stoffwechselstörungen oder verenden sogar. „Der wirtschaftliche Schaden liegt schnell bei 800 € pro Kuh“, machte Albert de Vries von der Universität Florida (USA) gleich zu Beginn der „Cow Longevity Conference“ deutlich. Auf Kühe eingehen!Der Melktechnik-Hersteller DeLaval hatte rund 100 Wissenschaftler, Berater und Tierärzte aus 30 Ländern ins schwedische Thumba eingeladen. Dort haben sie diskutiert, wie sich die Nutzungsdauer der Kühe erhöhen lässt. Denn neben Stoffwechselerkrankungen treiben Unfruchtbarkeit, Mastitis und Lahmheiten die Abgangsraten in die Höhe. Eines ist den Teilnehmern jedoch R 18 top agrar 10/2013 schnell klar geworden: Es gibt kein Patentrezept. Alle Einflussfaktoren auf die Kuh, wie Stalldesign, Fütterung oder Gesundheit, bilden einzelne Zahnräder. Und nur wenn alle Zahnräder optimal laufen, können sie das große Rad Nutzungsdauer drehen. „Dafür ist es aber notwendig, dass wir viel stärker auf die Bedürfnisse der Kuh eingehen und den Kuhstall nicht nur an die Bedürfnisse der Landwirte anpassen“, forderte Frank van Eerdenburg, Uni Utrecht (Niederlande). Unterstützung erhielt er unter anderem von Lene Munksgaard von der Universität in Aarhus (Dänemark). Ihrer Auffassung nach ist der Arbeitstag von Kühen in den letzten Jahren deutlich stressiger geworden. Höhere Milchleistungen würden höhere Futteraufnahmen und somit längere Fresszeiten verlangen. Das gehe unter anderem zu Lasten der Liegezeit. „Doch wenn die Kühe weniger als zehn Stunden pro Tag liegen, gibt es Gesundheitsprobleme“, warnte die Wissenschaftlerin. Sie empfiehlt deshalb, Zeitfresser wie lange Treibwege, Überbelegung oder lange Wartezeiten vor dem Melken auszuschalten. Wer etwas ändern will, sollte offen für Neues sein. Einen interessanten Denkanstoß dazu gab Israel Flamenbaum von der Universität in Jerusalem (Israel). Er berichtete von seinen Erfahrungen mit Kühlsystemen, basierend auf Wasser und Ventilation. Demnach erreichen Kühe in heißen Ländern durch die Kühlung bis zu 15 % mehr Milch, 100 000 weniger Zellen, doppelt so gute Befruchtungsraten und niedrige Abgangsraten. „Da Kühe bereits ab 20 °C unter Hitzestress leiden, sollten auch europäische Milcherzeuger darüber nachdenken“, sagte Flamenbaum. Bekanntes umsetzen!Doch nicht im- mer liegt das Heil im Neuen. „Alte“, bewährte Methoden haben nach wie vor ihre Berechtigung. Eine gute Zusammenfassung dazu lieferte Jeffrey Rushen von der British Columbia University in Kanada: „Vieles von dem, was wir gehört haben, ist bereits seit Langem bekannt. Es hapert jedoch an der Umsetzung. Deshalb müssen wir den Landwirten helfen, die Ist-Situation zu erfassen und auszuwerten, um konkrete Handlungsempfehlungen ableiten zu können.“ Ein erster Ansatz dazu ist die Checkliste auf der nächsten Seite. P. Liste „Beim Kalb geht’s los!“ Die Weichen für langlebige Kühe stellen sich bereits direkt nach der Geburt. Das verdeutlichte Mike van Amburgh von der Cornell University in den USA. Zeitpunkt, Menge und Qualität der ersten Biestmilch für neugeborene Kälber sind dabei entscheidend. Studien zeigen, dass Kälber bei einer optimalen Erstkolostrum-Versorgung 200 g höhere Tageszunahmen in der kompletten Aufzucht und rund 1 000 kg mehr Milch in der zweiten Laktation erreichen. Zudem sind sie widerstandsfähiger gegen Krankheiten. Das verbessert die Lebensleistung der Herde. top agrarCHECK LIS T E So werden Ihre Kühe älter Liegeboxen Maße: Kühe sollten ihre Vorderfüße ausstrecken können. Kühe sollten auf der Seite liegen können, mit ungehindertem Platz für Nacken und Kopf. Kühe sollten den Kopf zur Seite legen können, ohne an Bügel zu stoßen. Kühe sollten mit Füßen, Euter und Schwanz komplett in der Box liegen können. Kühe sollten ohne Schmerzen und Angst vor Nackenriegel oder Trennbügel in der Box liegen und stehen. Einstreu: Einstreu sollte hygienisch, trocken und weich sein. Tiefboxen mit Einstreu bieten deutlich mehr Kuhkomfort als Gummimatten. Bei organischen Einstreumaterialien wie Stroh oder Sägemehl können sich Bakterien schnell vermehren. Sand und gemahlener Kalkstein sind anorganisch und haben sehr wenig Bakterien. Laufgänge Laufgänge müssen ausreichend Grip geben. Rutschige Stellen und Gefahren für schwere Klauenund Fußverletzungen ausschalten. Tiere so wenig wie möglich harten, abrasiven und schmutzigen Böden aussetzen. Weichfedernden Untergrund mit Gummi aus exzellenter Qualität einsetzen. Auf Hygiene achten! Mistschieber oder Spaltenroboter einsetzen. Auf planen Flächen Urin in Schlitzen abführen. Festen und drainierbaren Auslauf zur Weide schaffen. Stallklima Kein muffiger Geruch im Stall. Innentemperatur maximal 5 °C über Außentemperatur. Keine ausgeschlossenen, „toten“ Stallbereiche. Relative Luftfeuchte sollte bei 50 bis 80 % liegen. Staub und Spinnweben zeigen zu geringe Ventilation. Hitzestress Ab 20 °C leiden Kühe unter Hitzestress (mehr als 60 Atemzüge pro Minute, über 39 °C Körpertemperatur). Kühlsysteme mit Wasser (Sprinkler bzw. Tröpfchen) sind günstig und effektiv. Empfehlung: Kontinuierliche Ventilation mit kurzen Wasser-Einschüben (20 bis 30 Sekunden), alle 5 Minuten, für 30 bis 45 Minuten alle 2 bis 3 Stunden am Tag. Kühe unter Hitzestress brauchen mehr Tränkwasser. Futter-Management Futter-Management mindestens genauso wichtig wie Rationsgestaltung selbst. Genug Platz am Futtertisch einplanen. Nackenrohr passend platzieren. Fressgang mit Gummi auslegen. Kühe sollten ohne Einschränkung Zugang zum Futtertisch haben. Dann fressen sie über den Tag verteilt mehrere (kleinere) Mahlzeiten. Kühe dürfen das Futter nicht sortieren können. Futter mehrmals täglich frisch vorlegen, zu den Melkzeiten (Kühe bleiben stehen, beugt Mastitis vor). Futter mehrmals täglich nachschieben. Immer sauberes und schmackhaftes Wasser anbieten. Eutergesundheit Strikt nach dem Mastitis-Kontroll-Plan arbeiten: Alle Zitzen von allen Kühen direkt nach der Abnahme der Melkzeuge desinfizieren – nach jedem Melken. Alle klinischen Mastitisfälle behandeln, um die Krankheit zu heilen und die Infektion auszuschalten. Das Auftreten dokumentieren. Antibiotischen Trockensteller für alle Kühe verwenden, die nach dem Kalben in der Herde bleiben sollen. Alle persistent infizierten Tiere merzen. Mindestens einmal im Jahr die Melkmaschine warten lassen. Regelmäßig Verschleißteile wechseln. Klauengesundheit Vorbeuge von Klauenerkrankungen erhöht Milchleistung und Nutzungsdauer. Schnelles Finden und Behandeln von Erkrankungen senkt Behandlungszeit und reduziert Abgangsraten. Aufzeichnen von Behandlungen im Managementsystem senkt Auftreten von Erkrankungen nachhaltig. Regelmäßige professionelle Klauenpflege ist Grundstein für gute Klauengesundheit. Klauenbäder gezielt einsetzen. Auf Hygiene achten. Fruchtbarkeit Für den korrekten Besamungszeitpunkt ist ein optimales Zusammenspiel zwischen Brunsterkennung und Futter-Management entscheidend. Hohe Futteraufnahme direkt nach Kalbung ist wichtig für gute Fruchtbarkeitsergebnisse. Dokumentieren von Gesundheits- und Fruchtbarkeitsdaten hilft, Fruchtbarkeit nachhaltig zu verbessern. Wegen der steigenden Herdengrößen sollten Landwirte und Tierärzte technische Hilfsmittel nutzen. Transitkühe Transitkühe und gesunde Frischmelker haben Schlüsselrolle für gesamte Laktation. Großzügig Platz am Futtertisch einplanen, damit Transitkühe uneingeschränkt fressen können. Maximaler Kuhkomfort mit tief eingestreuten Liegeboxen und viel Platz in Laufgängen. Unbedingt Lahmheiten vermeiden. Sozialen Stress bzw. Rangkämpfe (durch Umstallen) 3 bis 10 Tage vor Kalben vermeiden. Intensive Beobachtung der Frischmelker, um bei Gesundheitsproblemen schnell eingreifen zu können. top agrar 10/2013 R 19
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