Wie viel Strukturfutter benötigt die Kuh?

FÜTTERUNG
Wie viel Strukturfutter
benötigt die Kuh?
Wie viel Struktur braucht die Kuh? Welches Bewertungssystem taugt für
die Praxis? Das zeigt ein Fütterungsversuch der FAL Braunschweig*).
D
ie optimale Strukturversorgung der Milchkühe ist eine unabdingbare Voraussetzung, um hohe Milchleistungen zu melken. Enthält die vorgelegte Ration zu wenig an strukturreichem Grundfutter, kommt es unweigerlich zu einer
Pansenübersäuerung und zu Stoffwechselstörungen. Sinkende Milchmengen
und Milchfettgehalte sind dann vorprogrammiert. Werden dagegen zu strukturreiche Rationen vorgelegt, dann stellen
sich besonders im ersten Laktationsdrittel schnell Ketosen ein, die Leistung sinkt.
Unterschiedliche
Bewertungs-Systeme
Für die Bewertung der Struktur in
Milchviehrationen werden in Deutschland derzeit zwei Systeme empfohlen:
■ Das bisher übliche System der strukturwirksamen Rohfaser
■ und das belgische Strukturwert-System (SW).
Beim System der strukturwirksamen
Rohfaser wird der Rohfasergehalt eines
Futtermittels mit einem Strukturwirksamkeitsfaktor multipliziert, der durch
Messungen der Kauaktivität der Kühe
ermittelt wurde. Der Strukturwert (SW)
von Futtermitteln beruht auf den Ergebnissen umfangreicher Fütterungsversuche mit laktierenden Milchkühen. Die
belgische Forschergruppe um Daniel de
Brabander untersuchte, bei welchem
Mindest-Grundfutteranteil der Ration
die Kühe erste Anzeichen von Strukturmangel zeigten, wie beispielsweise Milchfett-, Milchmengenabfall und Futterverweigerung.
Stellt man die beiden Bewertungssys-
In Grassilage betonten Rationen wird nach dem Strukturwert-System nur etwa die
Hälfte der Grundfuttermenge benötigt.
Foto: Veauthier
*) Ulrich Meyer, Dieter Gädeken, Markus Spolders und Gerhard Flachowsky,
Institut für Tierernährung der
Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) Braunschweig
teme einander gegenüber, so werden teilweise beträchtliche Unterschiede in der
Einschätzung der Strukturwirksamkeit
einzelner Futtermittel deutlich.
Am Beispiel Grassilage betonter Rationen zeigt sich sehr deutlich, wie weit
R 18 top agrar 6/2001
beide Systeme sich unterscheiden: Um
die Strukturversorgung sicherzustellen,
wird nach dem belgischen StrukturwertSystem, im Vergleich zum System der
strukturwirksamen Rohfaser, nur etwa
die Hälfte der Grundfuttermenge benö-
R I N D
Übers. 1: Futteraufnahme und Grundfutteranteil
Tag
1 – 14
15 – 28
29 – 42
43 – 56
57 – 70
71 – 91
Grundfutteraufnahme
(kg T/Tag)
A
10,0
8,7
8,9
9,6
10,3
11,0
Kraftfutteraufnahme
(kg T/Tag)
B
9,8
7,5
6,5
5,9
5,4
10,2
A
8,3
8,7
8,6
8,3
8,0
4,4
B
8,4
9,6
10,6
11,3
11,2
4,5
Grundfutteranteil
(% der gesamten
T-Aufnahme)
A
B
54,6
53,7
50,0
43,8
50,9
38,1
53,6
34,2
56,1
32,4
71,4
69,0
Zu Versuchsbeginn erhielten alle Kühe die gleiche Ration. In Gruppe B wurde dann
bis zum 70. Versuchstag Grundfutter gegen Kraftfutter ausgetauscht.
Übersicht 2: Strukturfutteraufnahme
Tag
1 – 14
15 – 28
29 – 42
43 – 56
57 – 70
71 – 91
strukturwirksame
Rohfaser g/Tag
A
2 850
2 485
2 545
2 725
2 927
3 132
SW/kg T
% der Versorgungsempfehlung
A
B
109,6
201,5
96,9
166,6
98,8
148,9
104,6
134,8
111,9
132,1
118,1
282,7
B
1,84
1,52
1,33
1,20
1,14
2,35
In Gruppe
B wurde der
angestrebte
Strukturwert
(SW) von
0,9 pro kg Trockenmasse
nicht erreicht.
Übersicht 3: Einfluss unterschiedlicher Strukturfutteranteile auf die Milchleistung
Tag
1 – 14
15 – 28
29 – 42
43 – 56
57 – 70
71 – 91
Milchmenge
(kg/Tag)
A
B
26,6
26,3
25,8
25,5
24,1
23,5
23,1
22,2
21,5
19,6
17,9
18,1
Fettgehalt
(%)
A
B
4,42
4,37
4,37
4,28
4,39
4,23
4,36
4,01
4,29
4,01
4,49
4,42
Eiweißgehalt
(%)
A
B
3,31
3,41
3,30
3,43
3,33
3,47
3,34
3,54
3,37
3,56
3,46
3,55
FCM
(kg/Tag)
A
B
28,0
27,7
26,9
26,5
25,3
24,3
24,1
22,2
22,2
19,6
19,2
19,2
Die Kühe der Gruppe B (Strukturwert) zeigten bis zum 70. Versuchstag einen stärkeren Leistungsrückgang als die Kühe der Gruppe A (strukturwirksame Rohfaser).
tigt. Das bedeutet, dass in einer Ration,
die nach dem Strukturwert-System berechnet wird, mehr Kraftfutter und weniger Grundfutter eingesetzt werden kann.
Versuch mit 30 Kühen
Um herauszufinden, welches der beiden Systeme den Ansprüchen laktierender Kühe besser gerecht wird, wurde an
der FAL ein Fütterungsversuch durchgeführt. Der Versuch wurde über einen
Zeitraum von 91 Tagen mit 30 Milchkühen der Rasse Deutsche Holstein durchgeführt. Die Kühe, die sich zu Versuchsbeginn in der zweiten Laktationshälfte
befanden, wurden in zwei Gruppen aufgeteilt:
Die Kühe der Gruppe A wurden nach
den Empfehlung des Systems der strukturwirksamen Rohfaser versorgt, die
Tiere der Gruppe B nach dem Strukturwert-System.
Die Rationen bestanden aus angewelkter Grassilage und einer Kraftfuttermischung. Zu Beginn des Versuches erhielten alle Kühe die gleiche Ration. In
der Gruppe B wurde der Grassilageanteil
anschließend in vier Schritten bis zum annähernden Erreichen des geforderten
Strukturwertes vermindert, bei gleichzeitiger Erhöhung des Kraftfutteranteils. In
den letzten drei Versuchswochen wurde
allen Kühen Grassilage zur freien Aufnahme vorgelegt.
Das Kraftfutter wurde den Tieren
über den Tag verteilt in Abrufstationen
angeboten (neun Portionen). Grundfutter erhielten die Kühe in einzeln verwiegbaren Futtertrögen. Die Zugangsberechtigung zu diesen Futtertrögen wurde
durch eine automatische Steuerung geregelt, so dass eine einzeltierbezogene Zuteilung des Grundfutters auch bei Gruppenhaltung möglich war. Alle Kühe wurden in einem Liegeboxenlaufstall gehalten und zwei Mal täglich gemolken.
Weniger Milch
beim Strukturwert
Zu Versuchsbeginn lag der Grundfutteranteil in den Rationen beider Gruppen bei etwa 54 %. Während der Anteil
in Gruppe A in etwa konstant blieb, wurde in Gruppe B der Grundfutteranteil bis
zum 70. Versuchstag auf 32,4 % der gesamten Trockenmasseaufnahme abgesenkt (Angebot größerer Kraftfuttermengen bei gleichzeitiger Reduktion der
Grundfuttermenge). Die Grundfutter- und
Kraftfutteraufnahmen der Kühe sind in
Übersicht 1 dargestellt.
Die empfohlene Strukturversorgung
lag bei ca. 2 600 g strukturwirksamer Rohfaser pro Tag bzw. bei einem Strukturwert
von ca. 0,9 pro Kilo Trockenmasse. In
Gruppe A wurde während des gesamten
Versuches dieses Versorgungsniveau erreicht. In Gruppe B dagegen wurde der
angestrebte Strukturwert nicht erreicht.
Es erfolgte nur eine Reduzierung des
Strukturwertes von ca. 200 % auf 130 %
der Empfehlung (Übersicht 2). Eine weitergehende Absenkung des Strukturwertes bis auf den geforderten Wert von 0,9
pro kg Trockenmasse konnte jedoch nicht
erreicht werden. Die Kühe haben dies
verhindert, indem sie die angebotenen
Kraftfuttermengen nicht vollständig verzehrten, gleichzeitig aber das zugeteilte
Grundfutter komplett gefressen haben.
Die Trockenmasseaufnahme der Kühe in Gruppe A (strukturwirksame Rohfaser) lag im Durchschnitt bei 17,9 kg, in
Gruppe B bei 17,2 kg.
Die Milchmenge war im Verlauf des
Versuchs in beiden Gruppen entsprechend
dem fortschreitenden Laktationsstadium
rückläufig. Allerdings zeigten die Kühe
der Gruppe B einen stärkeren Rückgang.
Betrug die Leistungsdifferenz zwischen
den beiden Gruppen nur 0,3 kg Milch zu
Versuchsbeginn, so erhöhte sich der Leistungsunterschied nach 70 Versuchstagen
bis auf 1,9 kg Milch bzw. 2,6 kg FCM
(Übersicht 3). Auch der Milchfettgehalt
der Kühe in Gruppe B wies nach 70 Versuchstagen mit 4,01% gegenüber Gruppe
A einen um 0,3 %-Punkte geringeren Wert
top agrar 6/2001
R 19
FÜTTERUNG
R I N D
top agrar meint: Weiter forschen!
D
ie Beurteilung der Strukturversorgung mittels der Rohfaser gerät
zunehmend in die Diskussion. Die
Strukturwirkung von Grundfuttermitteln über den Rohfasergehalt bzw. den
Anteil „strukturierter“ Rohfaser beschreibt die Futterstruktur nur sehr unzulänglich.
Als Alternative bietet sich das in
Belgien entwickelte Strukturwert-System an, das Dr. Hubert Spiekers von
der Landwirtschaftskammer Rheinland
in top agrar 2/2001 vorgestellt hat. Der
Fütterungsreferent empfiehlt, die Rohfaser durch den Strukturwert zu ersetzen, da der Strukturwert aussagefähiger
sei als die Rohfaser.
Die Wissenschaftler der Bundesfor-
auf. Dagegen stieg der Eiweißgehalt in der
Gruppe B bis bis zum 70 Versuchstag an.
In den letzten drei Versuchswochen
glichen sich bei ad libitum-Vorlage von
Grundfutter die Milchleistungen beider
Gruppen wieder weitgehend an.
R 20 top agrar 6/2001
schungsanstalt FAL kommen dagegen
zum entgegengesetzten Ergebnis: Beim
gegenwärtigen Kenntnisstand können
sie die Anwendung des StrukturwertSystems in grassilagebetonten Rationen
nicht empfehlen. Wie sind diese wiedersprüchlichen Aussagen zu bewerten?
Bislang wurde das Strukturwert-System vor allem in Rationen überprüft, die
sich aus Gras- und Maissilage zusammensetzten. Solche Rationen enthalten
in aller Regel ausreichend Struktur, auch
nach dem Strukturwert-System.
Im vorliegenden Fütterungsversuch
der FAL wurde jetzt hingegen erstmals
eine Ration aus reiner Grassilage überprüft. Hier scheint der Strukturwert nicht
zu funktionieren.
Bleibt festzuhalten
Obwohl die Kühe gemäß dem Strukturwert-System ausreichend mit Struktur
versorgt wurden, traten erste Anzeichen
von Strukturmangel auf: Eine Verminde-
Das zeigt, dass noch viele Fragen unbeantwortet sind. Deshalb müssen jetzt
weitere Versuche folgen:
■ Welches der StrukturbewertungsSysteme erlaubt eine genauere Abschätzung in TMR-Rationen?
■ Was passiert beim Einsatz von
feuchten Nebenprodukten?
■ Wie funktioniert der Strukturwert
bei Weidegang und Frischgrasfütterung? Nach ersten praktischen Erfahrungen zeigt das System hier noch erhebliche Schwächen.
■ In diese Fütterungsversuche mit
aufgenommen werden sollte künftig
auch das amerikanische Strukturbewertungssystem. Viele Berater, die in
Deutschland Hochleistungsherden betreuen, arbeiten heute bereits erfolgreich mit den amerikanischen Faser-vewerten ADF und NDF.
rung des Milchfettgehaltes bei gleichzeitig
sinkender Milchmenge.
Beim gegenwärtigen Kenntnisstand
kann deshalb die Anwendung des Strukturwert-Systems bei Rationen auf Grassilagebasis nicht empfohlen werden.