TIE RHALTUNG Wie tiergerecht sind Melkroboter? In vielen Betrieben leisten automatische Melksysteme gute Arbeit. Doch sind sie auch tiergerecht? Neue Studien der ART in Tänikon geben Antwort. ie Zahl der Melkroboter steigt weiter. Man schätzt, dass in der Schweiz mittlerweile 200 Betriebe mit einem automatischen Melksystem arbeiten. Für diese Betriebe oder für solche, die erst über eine Installation nachdenken, stehen zunächst ökonomische und arbeitswirtschaftliche Aspekte im Vordergrund. Verständlich . Doch was ist mit dem Tierwohl? Sind automatische Melksysteme (AMS) überhaupt tie rgerecht? D Verhalten der Tiere wurde beobachtet Diese Fragen konnten bisher für Schweizer Betriebe nur w1zureichend beantwortet werden. Daher hat das Bundesamt für Veterinärwesen BVET im Rahmen des Prüf- und ßewilligungsverfahrens für serien mässig hergestellte Stalleinrichtungen zwei Studien in Auftrag gegeben. Zentral waren dabei die Fragen: Wie funktionssicher sind die Anlagen, wie wirken sich AMS auf das Verhal- ten der Tiere aus wld wie ist die Stressbelastung der Kühe? In eine r ersten Unter suchun g ww'den die Melkvorgänge und das Verhalten der Tiere im Roboter in zwölf Betrieben mit den Abläufen in Tandem-Melkständen verglichen . Die durchschnittliche Kuhzahl betr ug in den Roboterbetrieben 46, die HöFe mit Tandem-Melkständen hielten im Schnitt 28 Kühe. Die Melkvorgänge wurden per Video aufgezei chnet. Tm Einsatz war en in diesen Betrieben zwei MelkroboterModelle: der Astronaut von Lely und VMS-Anlagen von DeLaval. Ilierbei wurden nw' gesunde Tiere in die Un tersuchung einbezogen . Mit einem Brustgmt wurde ihre Herzfrequenz und Ilerzratenvariabilität gemessen. Die Herzratenvariabilität ist ein weiteres Mass für die StressbelastlUlg der Tiere. Je kleiner sie ist, desto grässer ist di e Belastung. Das Herz schlägt dann schneller, aber gleichmässiger. In eine r zwe iten Studie wurden nur Kühe unter die Lupe genommen, die möglich erweise Schwier igkeiten im AMS hatten. Sie zeigten lange Zwischenmelkzeiten wld/oder einen hohen Anteil an Nachtme lkungen. An hand ihres Li egeverhaltens {acht Betriebe, [} 53 Kühe) und der Nutzung der verschiedenen Stall bereiche, sollte auch hier die Belastung der Tiere abgeschätzt werden. Die Messungen errolgten durch BeschlcunigW1gsmesser am Bein der Kühe. Dadmch konnte ermittelt werden , ob das Tier lange lag oder stand. Mit einem Transponder arn I-lais konnte mit Hilfe eines radarbasierten 01'tungssystems die Position des Tieres im Stall aufgezeichn et werden. Trippeln die Tiere häufiger? Der Zutritt zum Wartebereich vor dem AMS soll so gesteuert sein, dass sich nicht zu viele Kühe gleichzeitig darin aufhalten. Rangniedere könnten dann noch ausweichen. 56 LANDfreund · 11/2012 Die Ergebnisse der beiden Studien: • Funktionssicherheit der Anlagen: Bei den Lely- Robotern war der Prozentsatz erfolgr eicher Melkvorgänge leicht höher als bei den VMS-Anlagen: Sie erreichten 98,8 % gegenüber 96,2 % . Da es sich ausschliesslich um gesunde Ti ere handelte, wurden diese Ergebnisse also wlter optimalen ßedingwlgen erzi elt. • Trippeln und Treten: Alle Tiere trippelten unabhängig vom Melksystem. Tendenziell trippelten die Kühe in ei- TIERHALTUNG Bei einer geringeren Auslastung haben rangniedere Tiere eine bessere Chance tagsüber in den , Melkroboter zu gelangen. nem VMS häufiger als Tiere im Astro naut oder im Tandem-Melkstand. Die absoluten Unterschiede zwischen den Systemen waren allerdings so gering, dass man nicht von einer ernsthaften Einschränkung des Wohlbefindens ausgeht. Nur wenige Tiere hoben den Fuss oder traten gegen die Anlage. • Herzfrequenz und Herzratenvariabilität: In allen dre i Melksystemen war die Herzfrequenz und die Herzratenvariabilität be im Melken höher als in Ruhezeiten. Bei VMS -Anlagen war d ie Differenz zwischen Ruhepuls und Frequenz im Roboter am grössten. Bei der Herzratenvariabili tät wiesen d ie Tiere im Lely-Roboter die geringsten Unterschiede zwischen Melken und Ruhen auf. Vermutlich waren sie in der Ruhephaso weniger entspannt als Tiere an anderen Melksystemen. Möglicherweise spielen auch betriebsspezifische Faktoren ein e Rolle. • Nutzung der Stallbereiche: Die Kühe verbrachten pro Tag etwa zwölf Stunden im Liegebereich, sieben Stunden im Fressbereich und 1,5 Stunden im Warteraum vor der Anlage (Übers. 1). Gänge und Laufhäfe nutzten sie pro Tag durchschnittlich 3,5 Stunden. Dabei zeigte sich, dass die Besuche der Kühe mit hoher Melkfrequenz im Liege- un d Fressbereich kürzer waren. Auf die gesamte Aufenthaltsdauer im Liege- und Fressber eich sowie auf die tatsächliche Liegezeit hatte die Melkhäufigkeit jedoch keinen Einfluss! Zudem verbrachten Kühe mit einer höheren Melkhäufigkeit insgesamt mehr Zeit im Warte bereich vor dem AMS und ihre Besuche in diesem Bereich dauerten in der Nacht länger. • Stress- und Schlafhormone: Wider Erwarten zeigten Kühe m it einer geringeren Melkhäufigkeit und/oder einem hohen Anteil an Nachtmelkungen keine höheren Konzentrationen des Stresshormons Cortisol im Speichel. Vermutet wurde zuvor, dass diese Tiere durch Rangkämpfe gezwungen waren, zum Melken auf die Nacht auszuweichen. Allerdings produzierten die Kühe mit vielen Nachtrnelkungen weniger vom Schlafhormon Melantonin. Ob das eine Auswirkung auf das Tierwohl und die Gesundheit hat, muss noch geklärt werden. Beide Untersuchungen haben also gezeigt, dass die AMS grundsätzlich tiergerecht sind. Rolle des Kuhverkehrs cher Faktor ist dabei der Kuhverkehr. Bisher ist unklar, welche Variante für das Tier am besten ist. Und auch die Melkhäufigkeit kann bei freiem und gelenktem Kuh verkehr gleich hoch sein. Praxiserfahrungen zeigen bish er aber, dass bei allen Varianten - ob frei, gelenkt oder selektiv gelenkt ein gew isser Anteil der Kühe über längere Zeit nicht in den Roboter geht und sie vom Betriebsleiter geholt werden müssen. Deshalb muss durch die Überwachung der Zwischenmelkzeiten immer sichergestellt werden, dass jede Kuh d ie Melkeinheit in angemessenen Abständen aufsucht. Beim (selektiv) gelenkten Kuhverkehr kann es problematisch sein, wenn sich einzelne Kühe allzu lange im Fress- oder Liegebereich aufhalten und dadurch r eduzierten Zugang zu den Liegeboxen oder zum Futter haben. Häufig besteht das Problem bei gelenktem Kuhverkehr darin, dass rangtiefe Kühe im Wartebereich von ranghöheren verdrängt werden. Damit gelangen sie nicht ins AMS und auch nicht in andere Stallber eiche. Besonders kritisch für das Woh lbefinden der Kühe ist es, wenn sie den Warteboreich bei (selektiv) gelenktem Verkehr während langer Zeit nicht über die Melkeinheit verlassen ... Übersicht 1: Wo halten sich die Tiere auf? Stunden pro Tag 24 18+-- ---j 12+---~--~-------j 6 +---- -c o+---------------~ Liegebereich • Warteraum Fressbereich • Sonstige Orte Quelle: ART Tänikon Doch für eine umfassende Beurteilung müssen weitere Parameter beu"achtet werden: Ein ganz wesenUi- Die Kühe verbrachten über einen Messzeitraum von 24 Stunden die meiste Zeit im Fress- und Liegebereich. LANDfreund . 1112012 57 TIERHALTUNG Eine regelmässig e Auswertung der Daten, die der Roboter liefert, ist für ein gutes Management unverzichtbar. können. Diese Situation tritt ein. wenn wied erho lt ranghöhere Tiere den Wartcboreich betreten und sich rangtiefere, die schon länger dort warten, beim Zutritt zum AMS nicht durchsetzen können. Wie gross muss der Wartebereich sein? Ebenso ist es nicht tiergerecht lllld daher auch nicht zulässig, den gelenkten Kuhv orkchr so einzurichten, dass die Tiere für die Wasseraufnahme durch die Molkeinheit müssen. Diese Art dos Anr eizes für den Bes uch des AMS ist für laktierende Tiere äusserst problematisch. Trinkwasser muss jederzeit en'eichbar sein. Angesichts der gesch ilderten Rang- Kühe, die verstärkt nachts zum Melken in den Roboter gingen, produzierten weniger vom Schlafhormon Melantonin. Übers. 2: Melatonin-Konzentrationen 25 ,---------------~~--------~ Nacht Tag :€ .s-c~20 +--=f~-----------1---------1 o .~ ~ 15 +-- +---j- ----+-- - ---I c ~ § 10 +-..~.--~----_+--~~-~ 0< C 'c ~ 5 +--="F"-0; :;; o +----------------=----~--~ tiefe hohe Melkhäufigkeit tiefe hohe Melkhäufigkeit Quelle: ART Tänikon 58 lANDfreund · 1112012 Mit Hilfe von Selektionstoren wird beim gelenkten Kuhverkehr der Zutritt der Tiere zu den verschiedenen Stallbereichen gesteuert. Auseinandersetzungen beim Zugang zum AMS ist im Sinne des Tierwohls entscheidend, wie gross der Wartebe reich angelegt und wie der Zutritt zu diesem in Ställen mit (selektiv) gelenktem Kuhverkeh r geregelt ist. Er sollte so bemessen und gestaltet se in , dass die Kühe einander ausweichen können. Sofern der Zutritt zum Wartebereich über ein Selektionstor erfolgt, muss dieser so geregelt sein , dass ihn nicht zu viele Tiere gleich ze itig betrete n können. Weide max. 1 km weg Aber auch ande re Bereiche im Stall so zu gestalten und zu dimensionieren, dass rangtiefe Küh e nicht zu stark aggressiven Interaktionen ausgesetzt s ind. Auf ßetrieben mit AMS betrifft das insbesondere die Bereiche vor und nach den Selektionstoren und beim Austritt aus dem AMS. Optimal sind dort grosszügig bemessene und offen gestaltete Flächen, die Platz zum Ausweichen bieten. Unbedingt zu vermeiden si nd Sackgassen oder enge Stollen. Grundsätzli ch ist Weidegang in Kombination mit dem Melkroboter möglich. Weidegang ist natürlich auch von Vorteil fw" das Wohlbefinden de r Kühe. Bei grösse ren Distanzen von Stall un d Weide kann die Mel khäufigkeit und Milchleistung a llm"dings sinken. Dabei spielt auch das Futte rangebot eine Rolle: Je mehr gutes Gras auf der Weide, desto seltener wir der Stall und der Roboter besucht. Eine australische Unte rsuchung sieht bei Weiden bis zu einer Distanz von 1 km ein ausreichen des freiwilliges Aufsuchen des AMS gewährleistet. Die Anzahl der Kühe an einer Melkbox ist ein weiterer entscheidener Parameter für das Tier wohl. Denn werden zu viele Tiere an einer Box gehalten, kommt es vermehrt zu Rangkämpl'en zWischen den Kühen , insbesondere iill Warte bereich oder bei den Selektionstoren. Dies kan n dazu führen, dass rangniede re Tiere bevorzugt nachts in das AMS gehen. Die Auflagen zur Bewilligw1g verschiedener AMS-Modelle inder Schwe iz beinhalten zwar keine exakte Angabe bezüglich dor Anzahl der Kühe pro Melkeinheit. Stattdessen ist die maximale Auslastung über die Belegung des AMS in der Nacht geregelt Es dürfen nur so viele Tie re von einer AMS-Einheit bedient werden, dass alle Tiere ungestört und zu regelmässigen Zeiten gemolken werden können. Der Anteil an Melkungen in der Nacht (22 - 6) darf deshalb 30% nicht übersteigen. Keine elektrischen Viehtrainer Fw' eine maximale Auslastw1g des AMS werden bei gewissen Modellen im Ausland stromführende Austreibeh ilfen installiert. Sie sollen dafür sorgen, dass die Kuh die Melkein heit nach der Melkung möglichst schn ell verlässt und den Zugang für das nächste Tier fre igibt. In der Schweiz sind stromführende Austreibehill'e im AMS verboten. Und schlicsslich hat auch das Management der Betriebsleiter auf die Frage, ob Roboter tier- I TIERHALTUNG Eine offene Gestaltung der Bereiche vor und nach den Selek- tionstoren ermöglicht es den Kühen, einander auszuweichen. gerecht sind, einen Einnuss. Da der regelmässige Kontakt des Menschen mit den Kühen während der Melkzeiten entfaUt, ist es seh r wichtig, ausreichend Zeit in die Beobachtung und Überwachwlg der Herde und der Einzeltiere zu in vestieren. Dabei gilt es, kranke wld insbesondere lahm ende Tiere fr ühzeitig zu erkennen und bei ßedarf in einem besondercn Abteil WltCl"Zubringen. Dabei helfen auch die Daten, die die An lagen liefern und analysieren. Sie müssen rcgelmässig abgerufen und beurteilt werden. Auf entsprechende Meld ungen und Alarme des AMS muss umgehend reagiert werden. Denn für das Wohlergehen dieser Tiere ist ganz entsche idend, dass die kritische Situation durch geeignete Management-Massnahmen frühzeitig entschärft wird. Natürlich muss der Betriebsleiter bereits präventiv dafür sorgen, dass die Tiere gesund sind. Massnahmen zur Fördorung der Hygiene im Stall, die Wartung des AMS sowie die Überwachung der Eutergesundheit sind selbstverständlich. Höhere Zellzahlen stohen direkt in Zusammenhang mit dem Anteil der Kühe mit verschmu tzten Zitzen vor dem Melken und dem Anteil der Kühe mit sch mutzigen Schenkeln. Es lohnt sich daher. Zeit in di e pncge der Li egeboxen zu in vestieren. Fazit Das Fazit aller bisherigen Studien zum Tierwohl beim Melken mit automatischen Me lksystemen lautet: • Grund sätzlich sind die Ro boter tiergerecht. Bisher hat das BVET zwei AMS -Modette bewilligt. • Allerdings müssen die Anlagen besti m mte Auflagen erfüllen, damit di e Anpassungsfahigkeit der Tiere nicht überfordert wird. • Generell sind jedoch nicht TI W ' technische Aspekte für das Tierwohl entscheidend , sondern vor allem auch d ie Qualität dos Managements und der Tierbetrouung. Si/via Lehnert Beat Wechsler, Isabelle Neuffer, Simone Helmreich, Lorenz Gygax, Rudolf Hauser, Bundesamt für Veterinärwesen, Zentrum für tiergerechte Il altwlg: Wiederkäuer wld Schweine, ART; Quelle, AR1'Bericht Nr. 752 In sechs Stunden zum Windmuller
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