Produktansatz

Produktansatz
Auch Separationsansatz oder Methode von Fourier genannt.
Gegeben sei eine lineare homogene PDGL zweiter Ordnung
a1 utt + a2 ut = a3 uxx + a4 ux + a5 u.
(1)
Wir gehen davon aus, dass die Koeffizienten a1 , . . . , a5 nicht von t oder x abhängen, das heißt
wir setzen konstante Koeffizienten voraus. Wichtig ist, dass in der PDGL die gemischten
Ableitungen utx nicht auftreten. Außerdem ist es wichtig, dass es sich um eine homogene
Gleichung handelt, das bedeutet, dass die Nullfunktion u(x, t) = 0 eine Lösung der PDGL ist.
Zusätzlich zur Differentialgleichung seien für eine der beiden Variablen homogene Randbedingungen gegeben. Wir gehen für unsere Betrachtungen im Folgenden davon aus, dass diese
homogenen Randbedingungen für die x-Variable gegeben sind und die Gestalt
u(a, t) = u(b, t) = 0 für alle t
haben, wobei a, b vorgegebene reelle Zahlen sind. „Homogen“ bedeutet dabei auch hier, dass
die Nullfunktion u(x, t) = 0 diese Randbedingungen erfüllt. Des Weiteren seien für die zweite
Variable (bei uns t) Anfangsbedingungen der Gestalt
u(x, t0 ) = f (x), ut (x, t0 ) = g(x) für alle x
oder (inhomogene) Randbedingungen der Form
u(x, t0 ) = f (x), u(x, t1 ) = g(x) für alle x
gegeben. Dabei seien jeweils f (x) und g(x) vorgegebene Funktionen und t0 , t1 vorgegebene reelle Zahlen.
Das gesamte Problem wird als Anfangsrandwertaufgabe oder nur Randwertaufgabe bezeichnet (je nachdem, ob für t Anfangs- oder Randbedingungen gegeben sind). Folgende Schritte
sind zur Lösung dieser Aufgabe durchzuführen:
S1: Mache für die Lösung den Produktansatz u(x, t) = X(x) · T (t).
S2: Bilde die partiellen Ableitungen nach x und t und setze in die PDGL (1) ein. Es ergibt
sich
a1 X(x) T ′′ (t) + a2 X(x) T ′ (t) = a3 X ′′ (x) T (t) + a4 X ′ (x) T (t) + a5 X(x) T (t).
S3: Trenne die Variablen durch Teilen durch X(x) sowie T (t) (sodass alle Terme mit T links
und alle Terme mit X rechts stehen) und setze beide Seiten gleich einer Konstanten
ρ . Es ergeben sich zwei entkoppelte gewöhnliche Differentialgleichungen:
a1
T ′′
T′
+ a2
= ρ,
T
T
a3
X ′′
X′
+ a4
+ a5 = ρ,
X
X
was sich auch wie folgt schreiben lässt:
a1 T ′′ + a2 T ′ − ρT = 0,
a3 X ′′ + a4 X ′ + (a5 − ρ)X = 0.
1
S4: Bestimme alle nichttrivialen Lösungen desjenigen Teils, für den homogene Randbedingungen gegeben sind. Bei uns ist das der X-Teil, das heißt wir suchen nichttriviale Lösungen von
a3 X ′′ + a4 X ′ + (a5 − ρ)X = 0,
(2)
die zusätzlich die Randbedingungen X(a) = X(b) = 0 erfüllen (diese Bedingungen kommen von u(a, t) = X(a)T (t) = 0 bzw. u(b, t) = X(b)T (t) = 0 für alle t, woraus durch
Teilen durch T (t) sofort X(a) = 0 und X(b) = 0 folgt). Dazu sind diejenigen Werte von ρ
zu bestimmen, für die es überhaupt nichttriviale Lösungen gibt. Meist werden das Werte
sein, für die das zur DGL (2) gehörige charakteristische Polynom komplexe Nullstellen
hat.
Um auftretende Wurzeln zu vermeiden, bietet es sich manchmal an, ρ als Quadrat eines
anderen Parameters µ > 0 darzustellen. So kann beispielsweise der Fall ρ > 0 beschrieben
werden durch ρ = µ2 und der Fall ρ < 0 durch ρ = −µ2 .
Im Allgemeinen erhält man unendlich viele nichttriviale Lösungen Xk (x), abängig von
einem Parameter ρk (oder µk ) für k ∈ N und die triviale Lösung X0 (x) = 0. Meist handelt es sich bei den nichttrivialen Lösungen um Summen von Sinus- und/oder CosinusTermen. Die nichttrivialen Lösungen Xk (x) heißen auch Eigenfunktionen des Randwertproblems (2) (zusammen mit X(a) = X(b) = 0), die zugehörigen Werte ρk (oder µk )
nennt man Eigenwerte.
S5: Für die in S4 ermittelten Parameter ρk bzw. µk ermittle nun die allgemeine Lösung der
anderen Differentialgleichung, bei uns also der DGL für T . Man erhält allgemeine
Lösungen Tk (t) für k ∈ N.
S6: Jede Funktion uk (x, t) = Xk (x) · Tk (t) mit Xk und Tk aus S4 und S5 erfüllt die PDGL (1)
und die homogenen Randbedingungen. Die allgemeine Lösung sieht wie folgt aus:
u(x, t) =
∞
X
k=1
Xk (x) · Tk (t).
S7: In der allgemeinen Lösung treten noch Konstanten Ak , Bk usw. auf. Diese sind nun noch
so zu bestimmen, dass die Anfangsbedingungen oder Randbedingungen bzgl. t
erfüllt sind. Das geht im Allgemeinen mittels eines Koeffizientenvergleichs. Gegebenenfalls
müssen die Funktionen f (x) und g(x) vorher als Fourier-Reihe entwickelt werden.
Wir wollen das Vorgehen an einem Beispiel erläutern.
Beispiel: (vgl. Aufgabe 7.2.43)
Gegeben ist die partielle Differentialgleichung
utt + 2γut − a2 uxx = 0 (a > 0, γ > 0 Konstanten)
mit den Randbedingungen
u(0, t) = u(ℓ, t) = 0 (ℓ > 0 konstant)
und den Anfangsbedingungen
u(x, 0) = 0, ut (x, 0) = sin
2
π x .
ℓ
(3)
Es wird γ <
aπ
ℓ
vorausgesetzt.
Wir arbeiten die oben beschriebenen Schritte zur Lösung dieser Aufgabe nacheinander ab.
S1: Ansatz u(x, t) = X(x) · T (t).
S2: Einsetzen in die PDGL ergibt
XT ′′ + 2γXT ′ − a2 X ′′ T = 0.
S3: Teilen wir die Gleichung von eben durch X und durch T und stellen die Gleichung so um,
dass alle Terme mit T links und alle Terme mit X rechts stehen, so erhalten wir
T′
X ′′
T ′′
+ 2γ = a2
.
T
T
X
Beide Seiten der Gleichung sind nun gleich einer Konstanten ρ zu setzen, wodurch sich
zwei entkoppelte gewöhnliche Differentialgleichungen ergeben:
T′
T ′′
+ 2γ = ρ,
T
T
a2
X ′′
=ρ
X
bzw.
a2 X ′′ − ρX = 0.
T ′′ + 2γT ′ − ρT = 0,
S4: Der „X–Teil“:
a2 X ′′ − ρX = 0,
(4)
X(0) = X(ℓ) = 0.
Die zugehörige charakteristische Gleichung zur DGL lautet
a2 λ2 − ρ = 0.
Die beiden Lösungen dieser Gleichung sind
λ1/2 = ±
1√
ρ.
a
Wir machen nun eine Fallunterscheidung bzgl. ρ und interessieren uns für den Fall, für
den es nichttriviale Lösungen des Randwertproblems (4) gibt.
• ρ > 0, d.h. ρ = µ2 mit µ > 0. Dann haben wir zwei reelle Lösungen λ1/2 = ± a1 µ und
damit als allgemeine Lösung der DGL in (4)
µ
µ
X(x) = A e a x +B e− a x .
Aus der Randbedingung X(0) = 0 ergibt sich die Bedingung A + B = 0, also
A = −B. Aus der zweiten Randbedingung X(ℓ) = 0 folgt
µ
µ
µ
µ
B=−A
⇒
A e a ℓ − e− a ℓ = 0.
A e a ℓ +B e− a ℓ = 0
µ
µ
Da ein Produkt Null wird, wenn einer der Faktoren Null ist, ist entweder e a ℓ = e− a ℓ ,
2µ
woraus e a ℓ = 1 und somit µ = 0 folgt, was ein Widerspruch ist (denn es war µ > 0
vorausgesetzt). Oder es ist A = 0, was zwangsläufig zur trivialen Lösung X(x) = 0
führt. Für den Fall ρ > 0 gibt es also keine nichttrivialen Lösungen.
3
• ρ = 0. Dann haben wir eine doppelte reelle Lösung λ1/2 = 0 und damit als allgemeine
Lösung der DGL in (4)
X(x) = A + Bx.
Aus den Randbedingungen X(0) = 0 und X(ℓ) = 0 folgt sofort A = B = 0, also
führt auch der Fall ρ = 0 nur zur trivialen Lösung.
• ρ < 0, d.h. ρ = −µ2 mit µ > 0. Dann haben wir zwei komplexe Lösungen λ1/2 = ± i µa
und damit als allgemeine Lösung der DGL in (4)
µ µ X(x) = A sin
x + B cos
x .
a
a
Aus der Randbedingung X(0) = 0 folgt sofort B = 0. Die Darstellung der allgemeinen Lösung reduziert sich somit zu X(x) = A sin( µa x). Damit erhalten wir aus der
Bedingung X(ℓ) = 0 schließlich
µ A sin
ℓ = 0.
a
Es gilt wieder: ein Produkt wird Null, wenn einer der Faktoren Null ist. Da wir uns
für nichttriviale Lösungen von (4) interessieren, wollen wir wissen, für welche Werte
µ der zweite Faktor, also sin( µa ℓ) gleich Null wird, denn dann darf A beliebig sein.
Der Term sin( µa ℓ) wird Null, wenn µa ℓ = kπ ist (k ∈ N). Also existieren nichttriviale
Lösungen von (4) für
a
µ = µk := kπ, k ∈ N.
ℓ
Die allgemeinen Lösungen des X–Teils sind also
kπ
x ,
Xk (x) = Ak sin
ℓ
k = 0, 1, 2, . . .
mit Ak ∈ R beliebig (um deutlich zu machen, dass sich auch die Vorfaktoren von k zu k
unterscheiden können, haben wir A hier durch Ak ersetzt).
S5: Der „T–Teil“:
T ′′ + 2γT ′ − ρT = 0.
Wir haben ermittelt, dass die interessanten ρ die Gestalt
ρk = −µ2k = −
a2 2 2
k π
ℓ2
haben, d.h. wir wollen für jedes k eine Lösung Tk von
T ′′ + 2γT ′ +
a2 2 2
k π T =0
ℓ2
bestimmen. Die zugehörige charakteristische Gleichung lautet
λ2 + 2γλ +
4
a2 2 2
k π = 0.
ℓ2
Als Lösung ergibt sich
r
a2
γ 2 − 2 k2π2
ℓ
r
a2 2 2
= −γ ± i
k π − γ 2.
ℓ2
λ1/2 = −γ ±
2
Man beachte dabei, dass der Ausdruck γ 2 − aℓ2 k 2 π 2 negativ ist. Das ergibt sich aus der
Voraussetzung γ < aπ
aus der Aufgabenstellung. Setzen wir (wegen der einfacheren Noℓ
tation)
r
a2 2 2
k π − γ 2,
ωk :=
ℓ2
so ergibt sich als Lösung für den T–Teil:
Tk (t) = Ck e−γt sin (ωk t) + Dk e−γt cos (ωk t)
mit Ck , Dk ∈ R.
S6: Aus unseren bisherigen Überlegungen folgt, dass jede Funktion
kπ
x · Ck e−γt sin (ωk t) + Dk e−γt cos (ωk t)
uk (x, t) = Xk (x) · Tk (t) = Ak sin
ℓ
sowohl die PDGL (3) als auch die homogenen Randbedingungen erfüllt. Die allgemeine
Lösung der PDGL (3) inklusive der homogenen Randbedingungen lautet somit
u(x, t) =
∞
X
uk (x, t) =
k=1
∞
X
e
−γt
sin
k=1
kπ
x · [Ek sin (ωk t) + Fk cos (ωk t)]
ℓ
mit Ek , Fk ∈ R. (Zur Vereinfachung wurde Ek = Ak Ck und Fk = Ak Dk gesetzt.)
S7: Nun sind noch die Anfangsbedingungen u(x, 0) = 0, ut (x, 0) = sin( πℓ x) einzuarbeiten.
Aus der Darstellung der allgemeinen Lösung aus S6 erhalten wir
u(x, 0) =
∞
X
sin
k=1
kπ
!
x · Fk = 0
ℓ
für alle x ∈ [0, ℓ]. Daraus folgt Fk = 0 für alle k. Es verbleiben also nur Sinus-Terme in
der Reihe, sodass sich die allgemeine Lösung aus S6 reduziert zu
u(x, t) =
∞
X
Ek e
−γt
k=1
sin
kπ
x · sin (ωk t) .
ℓ
Beachten wir das, ergibt sich für die partielle Ableitung nach t:
ut (x, t) =
∞
X
k=1
Ek e
−γt
sin
kπ
x · [−γ sin (ωk t) + ωk · cos (ωk t)] .
ℓ
5
Es folgt
ut (x, 0) =
∞
X
Ek sin
k=1
π kπ
!
x · ωk = sin
x .
ℓ
ℓ
Durch Koeffizientenvergleich ergibt sich, dass alle Ek Null sind, außer E1 . Für k = 1 (und
somit für E1 ) muss gelten
E1 · ω1 = 1,
also
1
E1 =
=
ω1
a2 2
π − γ2
ℓ2
−1/2
.
Schließlich ergibt sich als Lösung der Anfangsrandwertaufgabe
π 1
· e−γt sin
x · sin (ω1 t).
u(x, t) =
ω1
ℓ
6