Variablentransformation bei linearen PDGLn

Variablentransformation bei linearen PDGLn
Gegeben sei eine lineare partielle Differentialgleichung erster Ordnung
a(x, y) zx + b(x, y) zy + c(x, y) z = d(x, y)
(1)
a(x, y) zxx + 2b(x, y) zxy + c(x, y) zyy + d(x, y) zx + e(x, y) zy + f (x, y) z = g(x, y).
(2)
oder zweiter Ordnung
Dabei seien a(x, y), b(x, y), . . . gegebene, von x und y abhängige Terme. Von „linear“ spricht man
deshalb, weil die unbekannte Funktion z und ihre partiellen Ableitungen nur linear auftauchen.
Es kommen also nicht z 2 , ezx oder ähnliche Ausdrücke vor.
Um PDGLn vom Typ (1) bzw. (2) zu lösen, hilft oft eine geeignete Variablentransformation,
d.h. wir gehen über von den Koordinaten x und y zu neuen Koordinaten
ξ = ξ(x, y),
η = η(x, y)
(gesprochen: ξ . . .„xi“, η . . .„eta“). Die neuen Koordinaten sind also abhängig von x und y.
Durch diese Variablentransformation geht die Funktion z(x, y) über in eine Funktion v(ξ, η).
Wir müssen nun in der Ausgangsgleichung (1) oder (2) alle Ausdrücke mit z ersetzen durch
Ausdrücke mit v. Die Hoffnung ist, dass die entstehende PDGL, bei der v in Abhängigkeit von
ξ und η gesucht ist, leichter zu lösen ist als die Ausgangsdifferentialgleichung.
Folgende Schritte sind durchzuführen, um eine PDGL vom Typ (1) bzw. (2) mittels Variablentransformation zu lösen.
1. Bestimme die partiellen Ableitungen von ξ und η nach x und y.
Haben wir es mit einer PDGL vom Typ (1) zu tun, genügen die ersten partiellen Ableitungen
ξ x , ξ y , ηx , ηy .
Ist aber eine PDGL vom Typ (2) gegeben, so müssen wir zusätzlich die zweiten partiellen
Ableitungen bestimmen, also
ξxx , ξxy , ξyy , ηxx , ηxy , ηyy .
2. Stelle alle in (1) bzw. (2) auftretenden Ausdrücke mit z als Ausdrücke mit v dar, und
zwar wie folgt:
z
zx
zy
zxx
zyy
zxy
=
=
=
=
=
=
v,
ξ x v ξ + ηx v η ,
ξ y v ξ + ηy v η ,
ξxx vξ + ηxx vη + ξx2 vξξ + 2ξx ηx vξη + ηx2 vηη ,
ξyy vξ + ηyy vη + ξy2 vξξ + 2ξy ηy vξη + ηy2 vηη ,
ξxy vξ + ηxy vη + ξx ξy vξξ + (ξx ηy + ξy ηx )vξη + ηx ηy vηη .
1
3. Das setzt man nun alles in die Ausgangsgleichung ein und vereinfacht so weit wie möglich
(meist werden viele Terme wegfallen). Kommen in der verbleibenden Gleichung noch x
oder y vor, muss man diese durch ξ und η ausdrücken. Dazu stellt man die Definitionen
von ξ = ξ(x, y) und η = η(x, y) nach x und y um.
Letzten Endes dürfen in der Gleichung nur noch ξ, η und v vorkommen. Diese neue (und
hoffentlich einfachere) Gleichung ist nun zu lösen.
4. Man erhält eine Lösung v(ξ, η) und daraus durch Rücktransformation die Lösung der
Ausgangsaufgabe z(x, y) = v(ξ(x, y), η(x, y)).
Zwei Bemerkungen sollen noch gemacht werden.
• Eine partielle Differentialgleichung hat im Allgemeinen unendlich viele Lösungen, wie
es bei einer gewöhnlichen Differentialgleichung auch schon der Fall war. Bei gewöhnlichen DGLn war es so, dass in der allgemeinen Lösung ein oder mehrere reelle Parameter
vorkamen, die wir zum Beispiel mit C, D, . . . bezeichnet haben. Bei PDGLn sind diese
Parameter immer noch von ξ und/oder η abhängig. Sie sind sozusagen reellwertige Funktionen und werden dementsprechend mit C(ξ), D(η), . . . bezeichnet. Sie entstehen, wenn
nach einer der Variablen ξ oder η integriert wird. Wird beispielsweise nach η integriert, erhält man eine Integrationskonstante C(ξ), die zwar nicht mehr von η abhängen darf, aber
noch von ξ. In den folgenden Beispielen wird noch deutlicher werden, was hier gemeint
ist.
• Eine geeignete Variablentransformation ist entweder in der Aufgabenstellung vorgegeben
oder man kommt auf eine durch Lösen einer sogenannten Phasendifferentialgleichung.
Beispiele:
(a) Mit Hilfe der Substitution ξ = x − 2y und η = xy ist die allgemeine Lösung der folgenden
linearen partiellen Differentialgleichung 1. Ordnung zu bestimmen:
xy zx − y 2 zy = 2x2 y − 8y 3 .
(3)
Wir arbeiten die oben beschriebenen Schritte nacheinander ab.
S1: Es sind die ersten partiellen Ableitungen von ξ und η nach x bzw. nach y zu bestimmen:
ξx = 1,
ηx = y,
ξy = −2,
ηy = x.
S2: Wie oben beschrieben sind zx und zy wie folgt zu ersetzen:
zx = ξx vξ + ηx vη = vξ + yvη ,
zy = ξy vξ + ηy vη = −2vξ + xvη .
S3: Setzen wir die erhaltenen Ausdrücke für zx und zy in die gegebene PDGL (3) ein, so
ergibt sich
xy vξ + xy 2 vη + 2y 2 vξ − xy 2 vη = 2x2 y − 8y 3 .
Wir sehen, dass sich alle Terme mit vη wegheben, sodass wir erhalten:
(xy + 2y 2 ) vξ = 2x2 y − 8y 3 .
2
Division durch xy + 2y 2 und weitere Umformungen (unter anderem mit Verwendung
der dritten Binomischen Formel) liefern:
vξ =
2x2 y − 8y 3
2(x + 2y)(x − 2y)
2x2 − 8y 2
=
= 2(x − 2y).
=
2
xy + 2y
x + 2y
x + 2y
Als nächstes müssen die verbleibenden x und y vollständig durch die neuen Variablen
ξ und η ausgedrückt werden. Wegen ξ = x − 2y ergibt sich
vξ = 2ξ.
Diese Gleichung können wir nun lösen, indem wir auf beiden Seiten nach ξ integrieren. Dadurch ergibt sich
ˆ
v = 2ξ dξ = ξ 2 + C(η).
Zu beachten ist, dass die Integrationskonstante C(η) zwar nicht mehr von ξ, aber
noch von η abhängen darf, denn wir haben ja nur nach ξ integriert.
S4: Durch Rücktransformation ergibt sich die allgemeine Lösung der ursprünglichen
PDGL:
z(x, y) = (x − 2y)2 + C(xy), C : R → R differenzierbar.
Man beachte, dass auch das Argument der Funktion C zurücktransformiert werden
muss, anstelle von C(η) steht also nun C(xy) da.
(b) Gegeben ist die folgende lineare PDGL 2. Ordnung:
xy zxx − x2 zxy − y zx = 0.
(4)
Mit Hilfe der Substitution ξ = x2 + y 2 und η = y ist ihre allgemeine Lösung zu ermitteln.
Dazu arbeiten wir die oben beschriebenen Schritte nacheinander ab.
S1: Wir bestimmen alle ersten und zweiten partiellen Ableitungen von ξ und η:
ξx = 2x,
ξy = 2y,
ξxx = 2,
ξxy = 0,
ξyy = 2,
ηx = 0,
ηy = 1,
ηxx = 0,
ηxy = 0,
ηyy = 0.
S2: Wie oben beschrieben sind die auftretenden Ableitungen von z (in diesem Beispiel
sind das nur zx , zxx und zxy ) wie folgt zu ersetzen:
zx = ξx vξ + ηx vη = 2xvξ ,
zxx = ξxx vξ + ηxx vη + ξx2 vξξ + 2ξx ηx vξη + ηx2 vηη = 2vξ + 4x2 vξξ ,
zxy = ξxy vξ + ηxy vη + ξx ξy vξξ + (ξx ηy + ξy ηx )vξη + ηx ηy vηη = 4xyvξξ + 2xvξη .
Diese Ausdrücke müssen nun in die ursprüngliche PDGL (4) eingesetzt werden, wodurch sich ergibt:
2xy vξ + 4x3 y vξξ − 4x3 y vξξ − 2x3 vξη − 2xy vξ = 0.
3
Wir sehen, dass sich alle Terme mit vξ und vξξ wegheben, sodass nur noch übrigbleibt:
−2x3 vξη = 0
und damit
vξη = 0.
Integration nach η liefert
vξ =
ˆ
0 dη = C̃(ξ),
mit einer beliebigen differenzierbaren Funktion C̃. Um v selbst zu erhalten, muss
nun noch nach ξ integriert werden:
ˆ
v = C̃(ξ) dξ = C(ξ) + D(η).
Dabei ist C : R → R wiederum eine beliebige zweimal differenzierbare Funktion. Sie
ist letztlich eine Stammfunktion der obigen Abbildung C̃. Die Funktion D : R → R
muss ebenfalls zweimal differenzierbar sein, ist ansonsten aber beliebig. Sie hängt
von η ab.
S4: Durch Rücktransformation erhalten wir die allgemeine Lösung der ursprünglichen
PDGL:
z(x, y) = C(x2 + y 2 ) + D(y),
C, D : R → R zweimal differenzierbar.
Einarbeitung von Anfangsbedingungen
Wir hatten gesagt, dass eine partielle Differentialgleichung im Allgemeinen unendlich viele
Lösungen besitzt und dass in der allgemeinen Lösung stets gewisse Funktionen C, D, . . . : R → R
vorkommen. Häufig sind neben der PDGL noch eine oder mehrere Anfangsbedingungen
gegeben, die die Funktion z(x, y) zusätzlich erfüllen soll. Ist das der Fall, so sollte man trotzdem
zunächst wie gehabt die allgemeine Lösung der PDGL ermitteln. Anschließend sind dann die
Anfangsbedingungen einzuarbeiten und die Funktionen C, D, . . . speziell so zu bestimmen, dass
diese auch wirklich erfüllt sind. Wir wollen das zumindest an einem Beispiel demonstrieren.
Dazu betrachten wir erneut das Beispiel (a) von oben. Dort hatten wir als allgemeine Lösung
der PDGL ermittelt:
z(x, y) = (x − 2y)2 + C(xy)
mit einer beliebigen differenzierbaren Funktion C : R → R. Das heißt, beispielsweise folgende
Funktionen sind alle Lösungen der PDGL:
z(x, y) = (x − 2y)2 + (xy)3 , z(x, y) = (x − 2y)2 + exy , z(x, y) = (x − 2y)2 + sin(xy), . . . .
Es bestehe nun die Aufgabe, unter all diesen unendlich vielen Funktionen diejenige zu finden,
für die folgende Anfangsbedingung erfüllt ist:
z(t, t) = t4
für alle t ∈ R.
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Die Bedingung ist also: wenn speziell x = t und y = t eingesetzt wird, soll der z-Wert der
Lösung gleich t4 sein. Oder anders gesagt: auf dem Graphen der gesuchten Funktion z(x, y) soll
die Kurve mit der Parameterdarstellung

 

t
x(t)
~x(t) =  y(t)  =  t  , t ∈ R
t4
z(t)
liegen. Wir gehen nun in folgenden Schritten vor:
• Wir setzen x = t, y = t und z = t4 in die allgemeine Lösung ein:
t4 = (t − 2t)2 + C(t · t) = t2 + C(t2 ).
• Wir ersetzen das Argument von C, bei uns also t2 , durch eine neue Variable w, das heißt
wir setzen w = t2 . Das muss auch an allen anderen Stellen der Gleichung ersetzt werden.
Wir erhalten:
w2 = w + C(w).
Zu beachten ist dabei, dass aus t2 = w folgt: t4 = w2 . Durch Umstellen der Gleichung
erhalten wir die Funktionsvorschrift für C:
C(w) = w2 − w.
In der allgemeinen Lösung der PDGL wird C(xy) benötigt, dafür ergibt sich somit
C(xy) = (xy)2 − xy.
Das setzen wir nun in die allgemeine Lösung der PDGL ein und erhalten die gesuchte
Lösung, die zusätzlich der vorgegebenen Anfangsbedingung genügt:
z(x, y) = (x − 2y)2 + (xy)2 − xy.
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