Familienratgeber > Jeder von uns lebt in einem sozialen Umfeld. Überall machen wir Erfahrungen mit Menschen und Situationen, die unser Denken und Handeln beeinflussen. Theoretisch ist uns das alles klar. Aber ist uns auch bewußt, wie diese Einflüsse uns verändern, positiv und negativ? Vor allem die Menschen in meinem unmittelbaren Umfeld, in meiner Familie, prägen mich. In keiner anderen Beziehung kann man so sehr lieben, aber auch so sehr weh tun. Nichts berührt mich mehr, als wirklich geliebt zu werden. Nichts trifft mich mehr, als von meinem Ehepartner oder einem meiner Kinder angegriffen und verletzt zu werden. Und auch ich gebe nicht nur Liebe weiter, sondern verletze andere. So ist das Leben! Leider geht der Trend heute in Richtung Trennung, wenn Krisen auftreten. »Wir entwikkeln uns zu Individualisten« las ich vor einiger Zeit in einem Kommentar zu der dramatischen Entwicklung der Scheidungszahlen. In Nordrhein-Westfalen werden 58 von 100 Ehen geschieden. Daß wir dabei auch zu einer aussterbenden Nation werden, ist bekannt, wird aber nicht gern eingestanden. Gibt es andere Lösungen? Ja, die gibt es! Leidensdruck bewegt Mal ehrlich, wer würde an seinem Leben etwas ändern, wenn alles gut läuft? So schnell wohl niemand. Aber wenn es eng wird, ist man eher bereit, sich selbst zu hinterfragen oder hinterfragen zu lassen. Das haben mein Mann und ich gelernt, als wir heirateten. Es war nicht immer einfach, aber letztlich hat es unsere Beziehung entspannt, erleichtert und vertieft. So habe ich in den vielen Jahren unserer Ehe manches gelernt, was ich ohne ihn nicht gelernt hätte. Aber nicht nur er hat davon profitiert. Auch ich habe an Lebensqualität und Ausstrahlung gewonnen. Dann kamen vier süße kleine Kinder in unsere junge Familie, die wir wollten und von Herzen liebten, die uns allerdings auch sehr herausforderten. Schnell fehlten mir als Beziehungstyp, der kommunikativ und kontaktfreudig ist, die Verbindungen zur Außenwelt. Dazu kam ein vollgepackter Alltag mit vielen Freuden, aber auch Sorgen. Ich litt nicht nur unter ihnen, sondern befand mich bald in einer tiefen Lebenskrise. Als ich mich für die Familie entschied, hatte ich nicht voraussehen können, welche praktischen und emotionalen Anforderungen das viele Jahre lang an mich stellen würde. Wer weiß es schon vorher? Ich war nicht nur unzufrieden, sondern auch emotional »unterversorgt«. Meine körperliche und psychische Grenze der Belastbarkeit war erreicht. Der Anfang vom Ende – oder ein neuer Anfang? Die Werbung hält nicht immer, was sie verspricht. Das wissen wir schon lange. Niemand bleibt so, wie er ist. Jeder Mensch verändert sich schon allein dadurch, daß er jeden Tag älter wird. Aber einfach nur älter werden? Das kann doch nicht alles sein! Auch wenn mir eher zum Weglaufen war, schloß ich das als Lösung von vornherein aus. Ich suchte Hilfe in der Seelsorge. Die Umstände konnte ich damals nicht ändern, doch ich wollte lernen, anders mit ihnen umzugehen. Es tat gut, daß Menschen mit mir zusammen mein Leben anschauten, Verständnis und Trost für mich hatten, aber auch Schwächen aufdeckten, die mich und meine Beziehungen belasteten. Gemeinsam beteten wir und erarbeiteten Vorsätze für die Zukunft, die mir halfen, mit Problemen anders umzugehen. Da ich ja nun wußte, was es bedeutet, Mutter zu sein, traf ich auch eine neue Entscheidung für meine Aufgabe in der Familie. Ich wollte nicht nur meinen Platz dort einnehmen, sondern ihn auch mit ganzem Herzen ausfüllen. Dieser Entschluß half mir, entspannter und in Frieden zu leben. Ich »kniete« mich in die Erziehungsaufgaben hinein. Es waren erfüllte und schöne Jahre mit meinen Kindern. Doch heute genieße ich es, wieder unabhängig zu sein. Herausforderung Teenager Unsere Kinder wurden größer, kamen ins Teenageralter. Wer mit Jugendlichen zusammenlebt, weiß, daß sich als erstes der Umgangs- 36 Entscheidung 3 / 2007 Ich will so bleiben, wie ich bin! | Heidi Goseberg / Team.F ton ändert. Größer werdende Kinder nehmen nicht länger alles einfach hin, sondern äußern Protest. Dazu gehört Mut. Es ist gut, wenn Eltern das zulassen. Außerdem hinterfragen Teenager das Leben von Erwachsenen manchmal erbarmungslos. Sie dürfen das, denn sie sind auf der Suche nach der eigenen Identität und wünschen sich ansprechende, nachahmenswerte Vorbilder. Sie spüren sehr genau, wenn das Leben von Eltern und anderen Vorbildern nicht mit ihren Worten übereinstimmt. Einige Vorwürfe, die ich zu hören bekam, waren: »Mußt du immer das letzte Wort haben?« oder »Hast du denn auf alles eine Antwort?« Diese Rückmeldungen wurden meistens nicht unbedingt nett und freundlich ausgesprochen. Meine normale Reaktion war Rechtfertigung: »Ich habe die größere Erfahrung. Außerdem meine ich es doch nur gut mit dir!« Auch wenn das zutraf, hatten meine Teenies doch grundsätzlich recht. Es waren falsche Verhaltensweisen, die sie mir ankreideten. Heute bin ich mir sicher: Wenn ich so weitergemacht hätte wie bisher, wäre die Kommunikation zu unseren Teenagern in der folgenden Zeit abgebrochen. Eine natürliche Reaktion auf uneinsichtige, unbelehrbare Menschen. Also lernte ich, mich im Gespräch zurückzunehmen, zuzuhören, anstatt dem anderen gleich ins Wort zu fallen und schlaue Kommentare abzugeben. Ich lernte auch, auf mein Gegenüber mehr zu achten. Das war nicht gerade leicht, denn ich hatte ja etwa vierzig Jahre »anders« gelebt. Aber ich merkte, daß mir das nicht nur innerhalb der Familie half, sondern auch in Gesprächen mit anderen.Vor allem aber bin ich dankbar, daß wir bis heute mit unseren inzwischen erwachsenen Kindern gute Freunde geblieben sind und um Rat gefragt werden. Das hätte sich sicher anders entwickelt, wenn ich die besserwisserische, rechthaberische Art beibehalten hätte. Gute Entscheidungen verändern Leben Meine Entscheidung lautete: Ich will Korrektur annehmen. Und weil mir das nicht ganz leicht fiel, hatte ich über Jahre eine Gedächtnisstütze in meinem Terminkalender, die mich mehrmals täglich an meinen Vorsatz erinnerte: Ich will dich anhören, dich ernstnehmen, über mein Verhalten nachdenken und mich, wenn es nötig ist, verändern. Unser Zusammenleben wurde entspannter und leichter. Nur wer selbst bereit ist, Korrektur anzunehmen, hat auch ein Mandat, in das Leben anderer hinein zu sprechen. Unbelehrbare Erwachsene ernten in der Regel Unbelehrbarkeit bei ihren Kindern! Ich habe auf diesem Weg noch vieles andere gewonnen: größere Selbstachtung, Beziehungs- fähigkeit, Reife und Zufriedenheit im Leben … Es ist nicht so, daß es einem mit diesen Verhaltensweisen immer gut geht. Man eckt an, schafft negative Reaktionen und hat selten ein gutes Gefühl, wenn man das letzte Wort hat, auch wenn man im Recht ist. Aber der Respekt und die Achtung meiner Kinder nahmen deutlich zu. Wer hat mehr gelernt? »Ich will so bleiben, wie ich bin!« ist für mich kein Lebensmotto. Auch wenn ich mit den Jahren älter geworden bin, habe ich vieles gelernt. Auch wenn die Zeit der Jugend sehr schön und besonders war, möchte ich nicht mehr zurück. Ich bin dankbar für den Weg, den Gott mit mir in meinen Beziehungen gegangen ist. Manchmal frage ich mich, wo ich wäre, wenn ich nicht geheiratet und keine Kinder bekommen hätte. Oft denke ich darüber nach, wer wohl mehr gelernt hat in unserer Familienzeit, die Kinder oder ich? Wer resigniert oder aufgibt, wird oft verbittert und dadurch nicht beziehungsfähiger. Er wird einsam. Menschen sehnen sich nach Liebe und Geborgenheit, nach guten Beziehungen. Da muß die Frage erlaubt sein: Was bringt es, daß wir uns immer mehr zu Individualisten entwickeln? Im Durchschnitt bekommen wir 1,2 Kinder pro Familie in Deutschland und sehen Erziehung oft nur als zu aufwendig und zu kostspielig an. Unsere Gesellschaft leidet darunter. Es lohnt sich, sich auf Beziehungen einzulassen. Es macht Sinn, Krisen zu bewältigen anstatt aufzugeben. Ich wünsche mir, daß Menschen diese Herausforderung heute wieder annehmen, auch wenn es nicht der einfachere Weg ist. Ich möchte nicht für immer da stehen bleiben, wo ich heute bin! NUR WER SELBST BEREIT IST, KORREKTUR ANZUNEHMEN, HAT AUCH EIN MANDAT, IN DAS LEBEN ANDERER HINEIN ZU SPRECHEN Über Team.F: Team.F ist ein christlicher, überkonfessioneller Verein, der Ehen und Familien unterstützt und stärkt. Das Motto der Arbeit lautet: »Starke Ehen – Gesunde Familien – Zuversichtliche Kinder«. Weitere Infos unter: Tel. 02351-81686 oder www.team-f.de Entscheidung 3 / 2007 37
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