1 SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst Sieg

SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Wissen – Manuskriptdienst
Sieg der Ölbarone?
Was aus Obamas grüner Wende wurde
Autorin: Sabrina Fritz
Redaktion: Udo Zindel
Regie: Andrea Leclerque
Sendung: Dienstag, 14. August 2012, 8.30 Uhr, SWR2
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Sprecherin:
Williston ist eine Kleinstadt im US-Bundesstaat North Dakota – eine Autostunde
südlich der kanadischen Grenze. Rund 100 Jahre lang lag das Städtchen, umgeben
von Farmen und Ranches, in einem Dornröschenschlaf.
Atmo:
Bohrgeräusche
Sprecherin:
Dann wurde, in den Fünfzigerjahren, drei Kilometer unter Williston Öl entdeckt. Die
Vorkommen sind Teil einer riesigen Lagerstätte, die sich über eine halbe Million
Quadratkilometer unter den US-Bundesstaaten North Dakota, Montana und der
kanadischen Provinz Saskatchewan erstreckt – der so genannte Bakken-Ölschiefer.
Er galt damals als technisch nicht abbaubar, doch neue, ebenso rabiate wie höchst
umstrittene Fördertechniken haben das grundlegend geändert. Jetzt ist in North
Dakota der Ölrausch ausgebrochen – just zu der Zeit, da die Spritpreise in den USA
auf Rekordniveau steigen, und die Wähler erwarten, dass Präsident Obama etwas
dagegen unternimmt.
Ansage:
Sieg der Ölbarone? Was aus Obamas grüner Wende wurde. Eine Sendung von
Sabrina Fritz.
Atmo:
Bohrgeräusch
Sprecherin:
Fachleute sprechen schon von einem der größten Ölfunde der Welt in den letzten
vier Jahrzehnten. Bergbauingenieure und Ölarbeiter aus der ganzen Welt sind in
Williston eingefallen. Es herrscht Goldgräberstimmung wie 1859 in Pennsylvania und
1901 in Texas, als die ersten großen Ölvorkommen der USA entdeckt wurden.
2012 ist North Dakota nach Texas zum zweitgrößten Öllieferant der USA gewachsen,
die Arbeitslosigkeit in dem notorisch wirtschaftsschwachen Staat sank dramatisch
und Steuereinnahmen spülten einen Milliarden-Überschuss in die öffentlichen
Kassen. „Drill Baby“, „Bohr, Schätzchen“, lautet der Schlachtruf. Hotelzimmer sind
ausgebucht, in Williston und anderswo, Wohnungen sind nicht mehr zu kriegen und
Prostituierte verdienen an einem Abend so viel wie ein Arbeiter in einer ganzen
Woche.
Sprecherin:
Barack Obama hatte sich in seiner Regierungszeit das Ziel gesetzt, die
Energiewende in den USA anzustoßen. 2008 hatte er seine Landsleute ermahnt:
O-Ton – Barack Obama, darüber Übersetzer:
Zu allererst müssen wir uns bemühen, mehr Energie zu sparen. Amerikaner fahren
gerne große Autos, sie lassen ihr Licht zu Hause brennen. Doch wir müssen unser
Verhalten ändern, wenn wir etwas gegen die Klimaveränderung tun wollen – und aus
meiner Sicht bleibt uns nichts anderes übrig, denn wir erleben in den südöstlichen
USA jetzt schon eine große Dürre. Es ist nicht mehr zu leugnen, dass sich die Erde
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erwärmt. Wenn wir ernsthaft etwas dagegen tun wollen, wird das nicht ohne
Schmerzen abgehen.
Sprecherin:
Gleichzeitig hat sich die Obama-Regierung zum Ziel gesetzt, die Abhängigkeit der
USA von Ölimporten zu verringern. Die größten Lieferanten wie Saudi-Arabien,
Venezuela oder der Irak sind politisch instabil. Mit neuen Techniken wollen Öl- und
Gaskonzerne jetzt riesige Vorkommen innerhalb der USA erschließen – mehr
heimisches und weniger importiertes Öl, heißt die Devise. Im Wahlkampf 2012
erklärte Barack Obama:
O-Ton – Barack Obama, darüber Übersetzer:
In den letzten drei Jahren hat meine Regierung Dutzende neuer Pipelines
genehmigt, wir haben Millionen Quadratkilometer für die Öl- und Gas-Förderung
freigegeben. Außerdem haben wir 75 Prozent der vermuteten Öl- und
Gasvorkommen außerhalb der Küsten zugänglich gemacht.
Sprecherin:
Tatsächlich betreiben die USA derzeit, laut einem Papier des Weißen Hauses, mehr
Öl- und Gasbohrtürme als der Rest der Welt zusammen genommen. Ist Obama also
mit seiner Energiewende gescheitert? Haben die Ölkonzerne gesiegt? Nein – die
Umweltbilanz des Präsidenten ist besser, als er selbst zuzugeben wagt, denn grün
gilt vielen Amerikanern immer noch nicht als Auszeichnung.
Atmo:
Autoradio
Sprecherin:
Im Lokal-Radio von Williston werden laufend Jobs angeboten: „Hast Du einen
Führerschein, Erfahrung im Ölbusiness – dann bewerbe Dich gleich online.“ In der
Gemeinde, die bei der Volkszählung 2010 noch knapp 15.000 Einwohner hatte,
sollen mittlerweile bis zu 30.000 Menschen wohnen, vor allem Ölarbeiter, z. B. aus
Mexiko, Indonesien, Russland – oder Las Vegas. Wesley stammt aus Montana. Weil
es dort keine Arbeit gibt, zog er in die Ölfelder North Dakotas. Er reinigt Rohre. Der
Schmutz bleibt an ihm hängen, an seinen Händen, seinen Kleidern. Wesley arbeitet
70 Stunden die Woche und verdient damit rund 6.000 Euro im Monat. Er danke Gott
für den Konzern Halliburton und sein Ölgeschäft, sagt er:
O-Ton – Wesley, darüber Übersetzer:
Sie bieten Arbeit und die Menschen brauchen Arbeit. Die Leute kommen von überall
hierher. Zuhause verdienen sie 5 oder 6 Dollar die Stunde, das reicht nicht, um ihre
Rechnungen zu bezahlen, für ihre Familien zu sorgen und ihre Kinder zur Schule zu
schicken.
Sprecherin:
In Williston zahlt selbst McDonalds 15 Euro die Stunde, den doppelten Mindestlohn –
und findet trotzdem keine Burgerbrater. Ein kleines, einfaches Appartement kostet
mittlerweile zwischen zwei- und dreitausend Dollar Miete im Monat – soviel wie in
Manhattan. Deshalb hausen Arbeiter monatelang in Containern.
Atmo:
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LKW-Verkehr
Sprecherin:
Tag und Nacht rollen riesige Trucks durch Williston. Sie bringen Öl und Gas von den
Ölfeldern. Auf dem Rückweg fahren sie Tausende Tonnen Sand, Wasser und
Chemikalien zu den Bohrlöchern. Die Straßen müssen ständig repariert werden. Sie
sind nicht für schwere LKW ausgelegt.
Eine technische Errungenschaften hat das Ölwunder von Williston möglich gemacht:
das sogenannte hydraulic fracturing, kurz Fracking. Neue Bohrtechniken machen es
möglich, in öl- und gasführendes Schiefergestein kilometertief unter der Erde
horizontal hineinzubohren. In das Bohrloch wird anschließend ein Gemisch aus
Wasser, Chemikalien und Sand gepresst, unter so hohem Druck, dass das Gestein
zerbricht und seine Öl- und Gas-Vorkommen frei gibt. 200 solcher Bohrlöcher werden
derzeit rund um Williston ausgebeutet, jedes Jahr sollen viele Hundert weitere dazu
kommen.
Atmo:
Bohrgeräusch
Sprecherin:
Doch Fracking ist als Abbaumethode höchst umstritten. Jedes horizontale Bohrloch
benötigt bis zu 15 Millionen Liter Wasser, die mit bis zu 100.000 Litern Chemikalien
versetzt werden, viel mehr als bei herkömmlichen, vertikalen Bohrlöchern. Und bis zu
Dreiviertel des giftigen Wasser- und Chemikalien-Cocktails, der ins Gestein gepresst
wird, steigt als Flowback an die Oberfläche zurück, oft zusätzlich mit radioaktivem
Material und Salzen aus der Tiefe belastet.
Studien legen nahe, dass Trinkwasservorkommen in mehreren US-Bundessstaaten
durch Fracking mit Giftstoffen und Erdgas kontaminiert wurden. In manchen Häusern
strömte sogar ein brennbares Wasser- und Gasgemisch aus den Wasserhähnen. Die
New York Times enthüllte, dass unsachgemäßer Umgang mit Flowback große
Flüsse in Pennsylvania – den Susquehanna und den Delaware – kontaminierte. Die
rabiate Abbautechnik sei „nie sorgfältig untersucht“ worden, zitiert die Zeitschrift
Spektrum der Wissenschaft eine Politikanalystin des Natural Resources Defense
Council, einer Umweltschutzorganisation aus New York City, es handle sich „um ein
großes Experiment, das ohne solide wissenschaftliche Basis“ durchgeführt werde. Im
„Fracking-Song“, singen New Yorker Rapper von den Gefahren der Fördertechnik.
Sie haben den Text zusammen mit dem unabhängigen Journalistennetzwerk
ProPublica entwickelt.
Fracking Song, darüber Übersetzung:
Es ist mehr im Wasser als nur H20, giftige Chemikalien wie Benzene und
Formaldehyd. Haltet sie lieber raus aus dem Trinkwasser – what the frack is going on
mit dieser Fracking-Sache? Wir brauchen Fakten, die an ans Licht kommen. Ich
weiß, wir brauchen Energie, aber nichts gibt es for free.
Sprecherin:
Wenn man die Menschen in Williston nach den Gefahren des Fracking fragt, stecken
die meisten den Kopf in den Sand. Sie ahnen, dass die Methode nicht ungefährlich
ist, aber sie wollen auch das Jobwunder in der Region, den Aufschwung nicht
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gefährden. Roger Thomas ist Bauunternehmer, er baut Hotels, Arbeitersiedlungen,
Häuser:
O-Ton – Roger Thomas, darüber Übersetzer:
Manche befürchten, dass Flüssigkeiten aus dem Fracking das Trinkwasser
verschmutzen. Aber in unserem Fall besteht diese Gefahr nicht, denn wir bohren drei
Kilometer tief. Unser Trinkwasser liegt aber viel oberflächennaher, nur rund 700
Meter unter der Erde – oder es stammt aus dem Missouri-Fluss. Die Chance, dass
unser Trinkwasser verseucht wird, ist also nur sehr sehr klein. Auch unser
Bürgermeister, alle Verantwortlichen in der Stadt und die Experten von der Industrie
und unabhängige Dritte sagen, dass unsere Fracking-Technologie sehr sicher ist.
Sprecherin:
Wesley, der direkt an einem der Bohrlöcher arbeitet, drückt das etwas anders aus.
O-Ton – Wesley, darüber Übersetzer:
Manchmal stinkt das Gas, das aus dem Rohr kommt, ganz schön, aber ich habe
damit kein Probleme, ich denke, es geht mir gut.
Sprecherin:
Bauunternehmer Roger Thomas blickt besorgt nach Washington. Sollte Obama die
Wahlen im November gewinnen, könnte seine Regierung das Fracking einschränken
und dann wäre es vielleicht ganz schnell vorbei, das schöne Ölwunder von Williston.
Dem Präsidenten bereitet der neue Ölrausch mehr und mehr Kopfschmerzen. Barack
Obama will dem ungezügelten Fracking nicht tatenlos zusehen. Das USInnenministerium und die in der Öl-Industrie verhasste Umweltbehörde EPA
entwickeln seit Monaten Vorschriften, um Mensch und Natur vor der rabiaten
Fördermethode zu schützen. Die Unternehmen sollen vor allem die Chemikalien
veröffentlichen, die sie in die Erde pumpen, und ihren Wasserverbrauch reduzieren.
Doch Obama hat seine Mitarbeiter offenbar angewiesen, nicht zu rasch zu arbeiten.
Konkrete Ergebnisse wurden jedenfalls erst für Ende des Jahres angekündigt – nach
der Präsidentschaftswahl.
Dieses Zögern passt zu Obamas Umweltpolitik. Seit Jahren führt er einen Eiertanz
auf. Einerseits will er es sich mit der Industrie nicht verscherzen, die gerne mit dem
Totschlagargument kommt, Umweltschutz vernichte Arbeitsplätze. Andererseits will
er es sich auch mit Umweltschützern nicht verscherzen, die ihn gewählt haben und
vor allem wieder wählen sollen.
Und so versucht Barack Obama, sich bis zur Wahl durchzumogeln. Er will derzeit
nicht riskieren, sich offen für eine neue Umweltpolitik auszusprechen. Denn
Klimaschutz setzen viele Amerikaner immer noch gleich mit der Vernichtung von
Arbeitsplätzen, und diese offene Flanke kann sich der Präsident bei acht Prozent
Arbeitslosigkeit nicht leisten. Andererseits kann er seine grünen Versprechen aus
dem Wahlkampf von 2008 auch nicht ganz aufgeben. Das würde ihn Stimmen
kosten, zum Beispiel im umweltbewussten Kalifornien, dem bevölkerungsreichsten
Bundesstaat mit 40 Millionen Menschen und entsprechend vielen Wählern. Und
darum versucht Obama, hinter den Kulissen Politik zu machen.
Titelmusik „Dallas“
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Sprecherin:
Ausgerechnet im Jahr des neuen Ölrausches feiert der größte aller FernsehÖlbarone ein Comeback – JR Ewing. Der amerikanische Fernsehsender TNT zeigt
jeden Mittwochabend eine neue Folge von der Southfolk Ranch. Und die Werbung
für den Film klingt wie Werbung für das rückwärtsgewandte Energiebewusstsein der
Amerikaner:
Werbespot „Dallas“, darüber Übersetzung:
Es gibt Öl unter diesem Land, unzählige Milliarden Barrel, jeder Tropfen hat ein
Geheimnis und alles gehört den Ewings.
Sprecherin:
Haudegen JR ist alt geworden, aber das schadet der Neuauflage einer der
erfolgreichsten Fernseh-Serien der Welt nicht. Vier Millionen Menschen sehen die
Neuauflage von „Dallas“ jede Woche, weitere Folgen sind für kommendes Jahr
geplant. Dallas 2.0 erzählt pikanterweise vom Kampf zwischen alter und neuer
Technologie, zwischen Öl und dem saubereren Erdgas. John Ross, der Sohn JRs,
will ins Ölgeschäft einsteigen. Sein Gegenspieler investiert in Methan als
Energiequelle.
Und es scheint als ob die Ölbarone recht behalten, denn nach den ersten Folgen
läuft das Ölgeschäft drehbuchgemäß besser.
Spiegelt das Fernsehen die politische Realität wieder? Haben die Ölkonzerne in den
USA gegen die Umweltbewegung gewonnen? Den nackten Zahlen nach lautet die
Antwort: nicht unbedingt. Der Ölverbrauch der USA ist in den letzten Jahren
zurückgegangen: von 22 Millionen Barrel pro Tag während der Regierung von
George W. Bush auf heute 18 Millionen Barrel pro Tag. Das ist nicht allein das
Verdienst von Präsident Obama. Vor allem neue Technik spart Energie, meint JohnMichael Cross vom Institut für Umwelt- und Energiestudien in Washington D.C.:
O-Ton – John-Michael Cross, darüber Übersetzer:
Weil immer mehr im Internet gekauft wird, fahren weniger Amerikaner zum
Einkaufen. Teenager sind viel weniger mit dem Auto unterwegs, sie kommunizieren
per Internet und treffen sich in Facebook. Wir sehen deshalb einen deutlichen
Rückgang an Führerscheinen für Teenager. Wir bauen fußgängerfreundlichere
Städte mit Bürgersteigen und Radwegen. Das ist es, was unsere Art mobil zu sein
verändert.
Sprecherin:
Dazu kommt, dass die bevölkerungsstarken Jahrgänge der Babyboomer langsam in
Rente gehen und aus dem Berufsverkehr verschwinden. Und so löste 2012 Apple
den Ölkonzern Exxon als wertvollstes Unternehmen an der Börse ab. Doch es sind
nicht die Demografie und das Internet alleine, die Präsident Obama bei der
Energiewende zu Pass kamen. Er hat zu Beginn seiner Amtszeit eine Entscheidung
gefällt, die die Autoindustrie massiv getroffen hat. Am 19. Mai 2009 verkündete der
Präsident bei strahlendem Sonnenschein im Garten des Weißen Hauses:
O-Ton – Barack Obama, darüber Übersetzer:
Welch ein besonderer Tag. Die Sonne scheint und gute Dinge geschehen. Zum
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ersten Mal in der amerikanischen Geschichte haben wir eine Politik in Gang gesetzt,
die beides zum Ziel hat: den Benzinverbrauch und den Kohlendioxid-Ausstoß zu
reduzieren für alle neuen Autos und LKW, die in den USA verkauft werden.
Sprecherin:
Im Hintergrund applaudierten Umweltschützer, Politiker und Vertreter der
Autoindustrie mit mehr oder weniger zusammengebissenen Zähnen. Zum ersten Mal
wurden den mächtigen Autokonzernen in den USA Auflagen gemacht, die sie dazu
zwingen, modernere Autos zu bauen. Fahrzeuge, die in den USA verkauft werden,
dürfen bis 2016 nur noch 6,6 Liter pro 100 Kilometer verbrauchen. Bis 2025 soll der
Flottenverbrauch von PkW sogar auf 3,8 Liter und der von kleinen Nutzfahrzeugen
auf 5,3 Liter pro 100 Kilometer sinken. Entsprechend reduziert sich ihr CO2-Ausstoß.
Für den Umweltexperten John-Michael Cross sind diese gesenkten Verbrauchswerte
die größte umweltpolitische Errungenschaft der Obama-Regierung.
Auch der hohe Benzinpreis spielte der Obama-Administration in die Hände. USAmerikaner bezahlen inzwischen fast einen Euro für den Liter Benzin. Vor einigen
Jahren waren es nur 35 Cent. Viele Berufstätige mit großem Auto und weiten
Pendlerfahrten kommt das teuer zu stehen. John-Michael Cross meint:
O-Ton – John-Michael Cross, darüber Übersetzer:
Als die Benzinpreise 2008 explodierten, realisierte die Autoindustrie, dass sie sich
grundlegend modernisieren muss. Aber der Markt brach so schnell zusammen, dass
Unternehmen pleite gingen und die Obama-Regierung sie finanziell unterstützen
musste. Zur gleichen Zeit gab es klare Anzeichen, dass sich der Markt ändert und die
Verbraucher sparsamere Autos verlangen.
Sprecherin:
Auf den langen Überlandstrecken sieht man sie noch immer, die verstaubten Pickups
oder die riesigen SUVs, die Platz für vielköpfige Familien bieten, aber in den Städten
wandelt sich das Bild – hin zu kleineren und umweltfreundlicheren Fahrzeugen. Am
erfolgreichsten ist Toyota mit dem Prius, einem benzin-elektrischen Hybridfahrzeug,
von dem monatlich etwa 20.000 Autos in den USA verkauft werden.
Der typische amerikanische Berufspendler fährt im Durchschnitt 60 Kilometer am
Tag. Für ihn hat General Motors den Chevrolet Volt konzipiert, das Auto des Jahres
2011. General Motors nennt es ein Elektroauto mit Verlängerung. In der Tat
funktioniert der Chevy Volt etwas anders als ein Hybridfahrzeug. Er hat eine Batterie,
die man aus der Steckdose auflädt. Damit kann man zwischen 40 und 80 Kilometer
weit fahren. Schon nach wenigen Kilometern wird der Benzinmotor zugeschaltet, der
aber das Auto antreibt, sondern die Batterie nachlädt. Aber die Elektroautos von
General Motors tauchen bislang im Straßenverkehr kaum auf. Nur etwa 1.500
Amerikaner wollten im April 2012 ein Hybridauto aus amerikanischer Produktion
kaufen. Beim einzigen reinen Elektroauto, das es derzeit in den USA gibt, dem
Nissan Leaf, sind die Absatzzahlen mit 500 Stück pro Monat noch sehr viel magerer.
Wer in den USA ein Auto mit Elektromotor kauft, bekommt einige Tausend Dollar
Steuer zurück. Dieser Kaufanreiz ist aber auf die ersten 500.000 Käufer limitiert. Es
ist also eine Art Anfahrtshilfe, aber keine Dauersubvention.
Lester Brown ist einer der bekanntesten amerikanischen Umweltexperten. Er hat
mehr als zwanzig Bücher über Klimawandel und Klimaschutz geschrieben und
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zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Heute leitet er das Earth Policy Institute in
Washington D.C. Er ist überzeugt, dass sich Plug-in-Hybrids in den USA durchsetzen
werden, also Auto mit einer Batterie und einem Benzinmotor, die man an der
Steckdose und an der Zapfsäule betanken kann.
O-Ton – Lester Brown, darüber Übersetzer:
Plug-in-Autos werden zunächst die erfolgreichste Erfindung sein. Wer damit nur auf
kürzeren Pendelfahrten unterwegs ist, braucht gar kein Benzin mehr zu tanken. Plugin-Autos werden also kommen, der Preisunterschied zwischen Strom und Benzin ist
dabei entscheidend.
Sprecherin:
Ähnlich wie in Deutschland sind sich auch in den USA Umweltexperten einig, dass
Elektroautos nur sinnvoll sind, wenn sie mit Solar- oder Windstrom geladen werden.
Auch in diesem Bereich haben die USA, seit Barack Obamas Präsidentschaft, große
Fortschritte gemacht. In Texas, Iowa und Kalifornien z. B. sind riesige Windparks
entstanden, auch in Illinois und Oregon. Der Anteil an Stromerzeugung aus
erneuerbaren Energien hat inzwischen fast zehn Prozent erreicht und sich –
verglichen mit der Regierungszeit von George W. Bush – fast verdoppelt. Dafür hat
die Regierung mit rund 14 Milliarden Euro Dollar jährlich den Ausbau der Wind- und
Sonnenenergie in den USA unterstützt. Die Ölindustrie erhält nur noch zwei
Milliarden Subventionen. In 20 Jahren wollen die USA 16 Prozent ihres
Energiehungers mit Strom aus erneuerbaren Energien stillen. Soviel wie in
Deutschland schon heute.
Umweltexperte Lester Brown ist überzeugt, dass die Energiewende auch in den USA
nicht mehr aufzuhalten ist. Denn neben dem rasch wachsenden Internetgebrauch,
den strengeren Abgaswerten und den hohen Benzinpreisen spielt auch die
Klimaerwärmung der Umweltpolitik in die Hände. 2011 erlebten die USA eine
alarmierend hohe Zahl von Tornados, Hurrikans und Waldbränden. Im Sommer 2012
leiden weite Teile des Riesenlandes unter extremer Dürre, die Lebensmittelpreise
steigen, erklärt Lester Brown:
O-Ton – Lester Brown, darüber Übersetzer:
Manchmal kommen Umbrüche sehr schnell. Ich sehe grundsätzlich drei
Möglichkeiten gesellschaftlicher Veränderungen. Eines ist das Wendepunkt-Modell:
Dinge entwickeln sich langsam, werden aber immer weiter vorangetrieben und
irgendwann erreichen sie einen Wendepunkt. So ist es mit dem Zigarettenrauchen in
den USA geschehen. Die zweite Möglichkeit sind große Ereignisse, wie zum
Beispiel Erdbeben. Und die dritte Möglichkeit ist Unterstützung von unten und
Führung von oben. Und das erleben wir gerade. Nicht dass Präsident Obama alles
erfüllt hat, was die Umweltschützer wollten, aber in einigen wichtigen Punkten
kommen die Dinge voran.
Sprecherin:
Als die Regierung Obama das Land im Januar 2009 übernahm, lag die
Arbeitslosenquote bei fast zehn Prozent, wichtige Branchen wie die Bankwirtschaft
und die Autoindustrie lagen am Boden. Ein wirtschaftlicher Absturz drohte. Die
Regierung nahm 750 Milliarden Dollar in die Hand – und hat damit nicht nur die
Wirtschaft stabilisiert, sondern ihr auch eine neue Richtung gegeben. Nachdem die
Regierung Milliarden für bessere Straßen, schnelleren Internetzugang und neue
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Lehrerstellen ausgegeben hatte, begann sie mit den Dingen, „die Spaß machen“, wie
Vizepräsident Joe Biden in einem Interview sagte. Mit 120 Milliarden Dollar
subventionierte die US-Regierung Solarfirmen und Windparks. Firmen wie A123, die
Batterien für Elektrofahrzeuge entwickeln, konnten dank der Regierungsgelder neue
Fabriken bauen. Man hatte das Gefühl, wer nur das Wort umweltfreundlich schreiben
konnte, musste schon weniger Steuern zahlen.
Doch manchmal setzte Washington auch auf das falsche Pferd. Die Solarfirma
Solyndra z.B. wurde mit einer halben Milliarde Dollar subventioniert – und ging trotz
der Finanzspritze pleite.
Atmo:
Werbespot Solyndra
Sprecherin:
Die Republikaner werfen Obama jetzt in einem Wahlkampfspot vor, er habe das Geld
der Steuerzahler zum Fenster hinaus geworfen. Außerdem sei es ihm gar nicht
darum gegangen Arbeitsplätze zu schaffen, sondern nur seine grüne Politik
durchzusetzen.
Auch wenn der ökologische Fortschritt in Trippelschritten vorankommt, auch wenn es
Fehlentscheidungen gab – die Maßnahmen, die Präsident Obama ergriffen hat,
zeigen Wirkung. Nach einer aktuellen Veröffentlichung des Energieministeriums
haben die USA ihren CO2-Ausstoß in den letzten fünf Jahren um neun Prozent
reduziert. Damit stehen sie besser da als Europa, wie der Report stolz bemerkt. Als
Gründe werden genannt: zurückgegangene Produktion, strengere Umweltauflagen
für die Industrie und das Fracking, weil damit vor allem das CO2-ärmere Erdgas
gefördert wird.
Atmo:
Live-Band
Sprecherin:
Die Fracking-Hochburg Williston feiert in diesen Tagen ihren 125-jährigen
Geburtstag. Eine Band spielt den Rock-Klassiker The Weight mit fetzigem Groove,
Hamburger brutzeln auf Riesengrills – und wie immer essen alle von
Wegwerfgeschirr aus Plastik. Die USA sind weit davon entfernt, ein
umweltfreundliches Land zu sein. Aber sie haben sich unter Präsident Obama
zumindest in diese Richtung bewegt. Was, wenn die Demokraten die Wahl verlieren
und wieder ein Republikaner ins Weiße Haus einzieht? Erstaunlicherweise spielt der
Klimaschutz in diesem Wahlkampf keine große Rolle. Obamas Rivale Mitt Romney
nutzt jedoch die hohen Benzinpreise, um seine Energiepolitik zu verkaufen, und die
sieht ganz einfach aus: Wenn er gewählt wird, wird er alles abbauen lassen, was
unter amerikanischer Erde an Energiereserven schlummert.
O-Ton – Mitt Romney, darüber Übersetzer:
Viele Menschen leiden unter den hohen Benzinpreisen. Und ich sage: Mister
Präsident, öffnen Sie die Bohrlöcher im Golf, bohren Sie in North Dakota und bohren
Sie in Oklahoma und Texas – lassen Sie uns unsere Erdgasreserven nutzen und
nicht von der Umweltbehörde zurückhalten. Und nebenbei lassen Sie uns doch den
Vorteil unserer Kohlevorräte nutzen. Die braucht man für Strom, also auch für
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Elektroautos. Der Präsident mag alternative Energie, ich mag einen alternativen
Präsidenten.
Atmo:
Bohrgeräusch
Sprecherin:
Mit einem Präsidenten Romney würden der umstrittenen Fracking-Methode keine
Grenzen gesetzt. Mit dem Versprechen, unendlich Erdgas fördern zu können, das
vergleichsweise klimaschonend ist, hat die Öl- und Gasindustrie in den USA ohnehin
wieder Auftrieb und Ansehen gewonnen.
Musik
Sprecherin:
Wie sieht die Energiepolitik der immer noch größten Volkswirtschaft der Erde also in
Zukunft aus? Gehen die Amerikaner den Weg in Richtung erneuerbarer Energien
weiter oder lassen sie die Öl- und Gaskonzerne wieder erstarken? In vielen Staaten
der Erde – und in weiten Regionen der USA – sprechen kritisch denkende Menschen
längst von Post Oil, von der Zeit nach der klimaschädlichen Ölwirtschaft, die völlig
neue Technologien und einen bescheideneren Lebensstil nötig macht.
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