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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Intershop – Der Duft des Westens
Von Kathrin Aehnlich
Sendung:
Erstsendung:
Redaktion:
Regie:
Produktion:
Dienstag, 17. Mai 2016, 8.30 Uhr
Dienstag, 3. März 2015, 8.30 Uhr
Udo Zindel (SWR)
Andreas Meinetsberger (MDR)
MDR/SWR 2013
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1
MANUSKRIPT
Atmo Bahnhofsdurchsage/Musik
Sprecherin:
Wir betraten den Bahnhof in geheimer Mission. Wir waren Mutter und Kind auf der
Durchreise, getarnt durch einen leeren Koffer und meine Unschuld. Glaubte meine
Mutter, die Anwesenheit eines Kindes würde sie vor einer Verhaftung bewahren?
Obwohl es bereits Frühling war hatte meine Mutter ihren Pelzmantel angezogen und
sich, was sie sonst nie tat, geschminkt. Der Intershop lag versteckt in der Osthalle
des Leipziger Hauptbahnhofes. Das schmale Schaufenster war mit weißen,
blickdichten Gardinen verhangen. Mit einem Ruck öffnete meine Mutter – als falsche
Westdeutsche – die Tür. Schon beim ersten Schritt in den Raum umfing mich ein
betörender Geruch:
Ansage:
Intershop – Der Duft des Westens. Ein Feature von Kathrin Aehnlich.
Sprecherin:
Dieser Waschmittel-Kaffee-Parfüm-Schokoladen-Duft wurde für mich fortan zum
Geruch der Sehnsucht. Genauer: Der Sehnsucht nach Blasenkaugummi,
Matchboxautos, Bluejeans, Kassettenrecordern, Schokolade – nach all den Dingen,
die viele meiner Schulkameraden besaßen, nur ich nicht.
Atmo Schreibmaschine
Zitator:
Beschluss über die Betreuung und Versorgung der Benutzer von Verkehrsmitteln im
Grenzkontrollbereich Bahnhof Berlin-Friedrichstraße:
Der Minister für Verkehrswesen wird beauftragt, innerhalb des
Grenzkontrollbereiches im Bahnhof Berlin-Friedrichstraße einen Verkauf geeigneter
Waren aus DDR Produktion und aus Import gegen konvertierbare Devisen einrichten
zu lassen. Hierzu ist eine gesonderte Verkaufsgesellschaft unter dem Namen
„Intershop GmbH“ zu gründen.
Sprecherin:
In der Berliner Littenstraße 12 unterzeichnen der Vertreter der Mitteldeutschen
Schlafwagen AG Alfred Krüger und der Vertreter der Deutschen Genussmittel GmbH
Willi Richter den Vertrag. Das Gesellschaftsvermögen beträgt 400.000 D-Mark. Als
Gründungsdatum gilt der 14.Dezember 1962. Ausgerechnet die Mitteleuropäische
Schlafwagen und Speisewagenaktiengesellschaft – kurz Mitropa, die mit ihrem
berühmt berüchtigten Kaffee immer wieder für Gesprächsstoff sorgt, soll diesen
sensiblen Bereich des Valuta-Handels aufbauen?
O-Ton Ulrich Pomplun
Die Mitropa war damals als eines der wenigen, wenn überhaupt das einzige
Unternehmen in der DDR, grenzüberschreitend tätig, war dadurch natürlich auch in
der Lage Waren mit herbei zu schaffen, da sie ein eigener Großhändler war, als
Aktiengesellschaft auch selbstständig tätig sein konnte, so dass die eigentlichen
Anfänge dort bestanden.
2
Sprecherin:
Ulrich Pomplun absolviert Anfang der sechziger Jahre eine Berufsausbildung mit
Abitur bei der Mitropa. Der gelernte Koch und Kellner wird später, nach Studium und
Promotion, zum „Stellvertretenden Generaldirektor Intershop“ aufsteigen.
Zitator:
Der Verkauf erfolgt ausschließlich gegen Bezahlung in Valuta zu Preisen, die leicht
unter den Westberliner Einzelhandelspreisen liegen und einen Verkaufserfolg
gewährleisten.
Sprecherin:
Ein Beispiel: Eine Zigarette der Marke „Ernte 23“ kostet im „Intershop“ 7,5 Pfennige
während die Raucher in Westberlin dafür achteindrittel Pfennige bezahlen müssen.
Viele Raucher und auch Gastronomen nutzen die neue Einkaufsmöglichkeit.
O-Ton Ulrich Pomplun:
Wenn Sie auf so einem Bahnhof eine Verkaufseinrichtung eines Intershops
hinbauten, dort mit Preisen operierten, die den gesamten Westberliner Handel
unterliefen, können Sie davon ausgehen, dass der Westberliner Zoll nicht gerade
begeistert davon war.
Sprecherin:
Auf der anderen Seite der Mauer sitzt die DDR-Regierung, die dringend Devisen
braucht. Schon nach dem ersten „Kassensturz“ ist eine Nettoeinnahme von einer
halben Million erreicht. Die Geschäftsidee bewährt sich für beide Seiten.
ATMO/Musik
Zitator:
Leipzig, den 8.9.1966 – IM „Maria“ – Verkäuferin im Intershop „Hotel Stadt Leipzig“:
Am 5.9.1966 kaufte eine westdeutsche Person eine Uhr und einen Ring. Bei dem
Kauf war noch ein westdeutscher Juwelier zugegen. Beide waren sehr erstaunt über
die äußerst niedrigen Preise. Die betreffende Person brachte dabei zum Ausdruck,
dass der gleiche Ring in Westdeutschland mindestens 150,00 – 200,00 DM kosten
würde.
Sprecherin:
Prägend in meinem Kummer war für mich ein Erlebnis im Heimatkunde Unterricht.
Wir sollten ein Schneeglöckchen malen und die einzelnen Teile beschriften. Während
ich mich mit meinen Buntstiften abmühte, zeichnete meine Banknachbarin ihr
Schneeglöckchen mit Filzstiften aus dem Intershop. Selbstverständlich sah ihre
Zeichnung viel farbenfroher aus. Obwohl wir beide alles richtig beschriftet hatten,
bekam sie eine Eins und ich eine Zwei. Mein Bild sähe eben nicht so schön aus,
sagte die Lehrerin.
Die Intershop Läden in meiner Stadt machten ihren Umsatz auch ohne mich. Was
von außen als Geschenke-Stelle für darbende Ostverwandte schien, wird für viele
Transitreisende zu einem Discounter.
3
O-Ton Walter Brun:
Die haben ihr Geld gemacht, die brauchten harte Währung und das haben sie über
diese Tour gekriegt. Die haben es so interessant gemacht preislich, dass es für die
Wessis gut war, ein Schnäppchen zu machen. Das war eine Durchfahrt, das war
preiswert, man hat es in Kauf genommen, so wie wenn ich auf einer Fähre war, Duty
free. Ich habe mir da jedenfalls nicht so viele Gedanken darüber gemacht.
Sprecherin:
Walter Brun stammt aus Karlsruhe und studiert an der „Freien Universität Berlin“. Mit
seinem klapprigen „Käfer“ pendelt er regelmäßig zwischen seiner Heimatstadt und
Westberlin.
O-Ton Walter Brun:
Als man das mitgekriegt hat wie das funktioniert, war eben so, man hat geschaut,
dass man einmal zumindest volltankt. Entweder in der Magdeburger Börde wenn
man rausfuhr oder in Michendorf, wenn man rein fuhr nach Berlin. Und Zigaretten
plus zwei Flaschen Wodka.
Sprecherin:
Es bleibt nicht bei den Kiosken auf dem Umsteigebahnhof Friedrichstraße und den
kleinen Serviceabteilungen in den Interhotels. Der Handel soll ausgeweitet werden.
Das Ministerium für Verkehrswesen hat bereits im Mai 1962 Vorschläge „für die
Versorgung ausländischer und westdeutscher Bürger auf den Autobahnen“
unterbreitet. Für insgesamt acht Raststätten wird die Einrichtung eines Intershops
erwogen. Auch die Raststätte Michendorf wird Ende der 60er Jahre mit einem
Intershop-Neubau bedacht.
O-Ton Wolfgang Weber: (zeigt Foto)
Also die Tankstelle ist von hier ein Kilometer entfernt, zu Fuß, Viertelstunde laufen,
sind se da. An dieser Tankstelle war ja eine Gaststätte, eine Raststätte.
In diesem Buch hier, da steht folgendes zu dieser Raststätte. Ihre bundesweite
Bekanntheit verdankt sie als letzte Rast- und Tankmöglichkeit vor der Grenze, auf
dem Transitweg nach Westberlin.
Hier rasten von 1945 bis 90 – na 45 stimmt nicht ganz – zu Zeit der Mauer – das
stimmt wieder – Bundesbürger, Berliner, Brandenburger, um zu essen, Bekannte und
Verwandte zu treffen und Autos zu bestaunen. Alles unter Beobachtung der
Staatssicherheit der DDR.
Sprecherin:
Richard Wolfgang Weber wohnt in Michendorf und ist ein besessener Sammler und
Heimatforscher. Er ist stolz darauf, dass in der Ortschronik ein Foto abgedruckt
wurde, dass er damals – verbotener Weise, wie er immer wieder betont, gemacht
hat.
O-Ton Wolfgang Weber:
Hier sieht man ja auch zwei Westautos, hier ist ein Ostauto, das ist ein Wolga,
nehme ich an. Und die haben dann hier günstig, günstiger als in Berlin, für harte
Währung tanken können.
4
Gucken Sie mal, hier steht einer, sehen Sie den? Hier stehen, den Mann. Hier
drüben, auf dem Bild kann man das nicht so genau erkennen, da steht auch einer.
Die standen immer ganz zivil. Man wusste es, dass da sicherlich auch die
Staatssicherheit da ist, aber wo sie nun gerade war, das wusste man nicht.
Sprecherin:
Die Stasi „ist immer dabei“ und bewacht ihre DDR-Bürger. Doch auch der
Westberliner Walter Brun hat Angst etwas falsch zu machen.
O-Ton Walter Brun:
Und einmal war ich da essen und da bin ich dann in den Intershop gegangen und da
lief vor mir so ein amerikanisches Ehepaar und da kamen Leute auf uns zu und
haben erst die gefragt und die haben nicht verstanden und dann haben sie mich
gefragt, ob ich ihnen nicht was kaufen könnte.
Also die haben offensichtlich Westgeld gehabt, damit sollte ich in den Intershop
gehen und Ihnen was kaufen und da war ich ein bisschen vorsichtig, weil ich dachte,
wer weiß, ob das nicht eine Provokation ist, so dass dann einer sagt, „Sie haben
gerade Transitvergehen oder so versucht!“
Aber der Amerikaner, der hat sich dann umgedreht und da habe ich dann
angefangen zu übersetzen. Und der ist ganz frisch da reingegangen und hat diese
Jeans gekauft und hat sie dem jungen Mann dann sogar noch geschenkt. Also der
hat nicht einmal das Geld gewollt. Worauf der mit offenem Mund dastand, als der in
sein Auto gestiegen ist und weitergefahren ist.
Sprecherin:
Der Intershop in Michendorf hat eine besondere Abteilung für elektronische Geräte.
Nur hier gibt es das Kassettendeck, das sich der Musikfan und spätere Musiker Olaf
Parusel seit langem wünscht.
O-Ton Olaf Parusel:
Ich weiß gar nicht, warum wir ausgerechnet diesen Tag ausgesucht hatten, es war
glaube ich einer der schneereichsten Tage meines Lebens. Wir haben uns in den
Trabi gesetzt, von einem Freund und sind losgefahren und man konnte auf der
Autobahn keine zwei, drei Meter weit gucken. Wir mussten teilweise in
Schrittgeschwindigkeit fahren, das war hoch abenteuerlich. Habens dann auch bis
Michendorf geschafft mit ganz viel Schnee auf dem Autodach drauf und sind da ganz
stolz da rein, das hatte zum Glück auch offen und dann habe ich meine Traumanlage
gesehen und all das mit dem Schneesturm und die Gefahr beim Autofahren, all das
hat mich überhaupt nicht interessiert , weil mein großer Traum war diese Anlage und
die hatte ich dann und das war das Größte gewesen. Also ich habe ja schon immer
Musik gemacht und Musik geliebt und Musik zu hören auf einer richtig guten Anlage
in Stereo und sich eine Kassette einfach so zu überspielen, weil gleich zwei
Kassettenrecorder drin waren, das war der Traum gewesen. Ich war wahnsinnig
stolz.
ATMO/Musik
Sprecherin:
Auch mein Traum erfüllte sich. Unter dem Motto „Jedem Messegast ein Bett!“ fand
zweimal im Jahr in meiner Stadt eine Lotterie statt. Hauptgewinn war einer von
„drüben“, ein Messeonkel mit der dicken Brieftasche. Wetteinsatz war das Klappbett
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in meinem Kinderzimmer. Meist war die Mühe vergebens. Dann endlich schickte uns
die zentrale Zimmervermittlung einen Schweden, der vorsichtig fragte, ob er auch mit
D-Mark bezahlen könne. Er gab uns 100 DM. Wir waren reich. Ich fand, der Schein
fasste sich viel fester an, als unser dünnes DDR-Geld, er war größer, er war schöner
und er knisterte lauter. Nun war der Tag gekommen, an dem meine Mutter als
falsche Westdeutsche den Intershop auf dem Leipziger Hauptbahnhof betrat und mit
spitzem Mund „Ein Neulonghämd, büttö!“ verlangte. Für sich selbst kaufte sie Tosca.
Selbstverständlich Eau de Cologne, Parfüm wäre zu teuer gewesen. Ich bekam eine
Stange Blasenkaugummi.
Was ich damals nicht ahnte: Wir hätten gar keine Angst haben müssen. Schon längst
sind die Einkäufe im Intershop eine feste Planungsgröße der DDR-Wirtschaft. Es ist
wie bei dem Märchen vom „Fischer und seiner Frau“. Es ist nie genug. Zur Erhöhung
der Valuta-Einnahmen im Planjahr 1967 erarbeitet der Direktor der Mitropa am
22.3.1967 einen Maßnahmeplan. Darin wird die Eröffnung von neuen 20 IntershopVerkaufsstellen, vornehmlich auf Bahnhöfen, festgelegt.
Atmo Schreibmaschine
Zitator:
Es ist zu sichern, dass durch die Einrichtung vorgenannter Verkaufsstellen noch im
Jahre 1967 1.100.000 Valuta-Mark erzielt werden. Weiterhin ist durch die Mitropa
innerhalb der DDR ein zentraler Paketversand von Intershopwaren an DDR-Bürger
einzurichten. Die Einzahlung der entsprechenden Valutabeträge hat durch
Westdeutsche, Westberliner und ausländische Reisende in den jeweiligen
Verkaufsstellen für Intershopware zu erfolgen.
Sprecherin:
Damit sollen zusätzlich 1,5 Mio DM erwirtschaftet werden. Bis dahin diente die –
„Geschenkdienst und Kleinexporte GmbH – Genex“ zur Abwicklung von
Geschenksendungen zwischen Kirchengemeinden in Ost und West. Der Mangel an
„Konsumgütern“ kurbelt den Verkauf im Intershop noch an.
Zitator:
Ministerium für Staatssicherheit Bezirksverwaltung Leipzig. Meinungsäußerungen der
Bevölkerung zur Erweiterung des Intershop-Netzes: Früher galten Bürger mit
Westverwandtschaft als verpönt, heute gelten sie als gute Bürger, weil sie dem Staat
Devisen bringen.
Sprecherin:
Das ist richtig. Und damit die DDR-Bürger endgültig keine Angst mehr haben müssen
ihr West-Geld im Intershop auszugeben, wird am 19.12.1973 ein Devisengesetz
erlassen, das der DDR Bevölkerung erlaubt Valuta zu besitzen.
Sprecherin:
Nun erreichen die Einnahmen der Intershops und der Genex-Verkäufe
Größenordnungen, die ein neues Kapitel im Märchen vom „Fischer und seiner Frau“
eröffnen:
6
Zitator:
Hauptabteilung XVIII Berlin
Am 1.1.1977 wird die „Forum HG“ gegründet wurde. Damit gibt es für den
Valutahandel im Intershop der DDR ein zentral geleitetes Organ.
O-Ton Ulrich Pomplun:
Und da könnten Sie davon ausgehen, dass der Druck natürlich massiv aufgemacht
worden ist. Sie mussten also zu speziellen Berichterstattungen zu Alexander
Schalck, dem ja der Bereich KoKo unterstellt war im Bereich des Ministeriums für
Außenhandel und dort kriegten sie schon den entsprechenden Einlauf gemacht,
wenn sie bestimmte Vorgaben nicht realisieren konnten. Natürlich hatten Sie die
Möglichkeit diese Vorgaben selber zu untersetzen und ich kenne die
Auseinandersetzungen, die ich persönlich mit Schalck-Golodkowski hatte, wenn es
darum ging, sich zu bestimmten Zahlen zu verständigen.
Sprecherin:
Ulrich Pomplun reist auf der Suche nach neuen Waren, die den Umsatz im IntershopHandel steigern könnten, durch den Westen Deutschlands. Aus meiner Sicht hätte er
sich die Reisen sparen können. Meine Familie war „Fernsehwerbungstreu“.
„Lavendel, Oleander, Jasmin! Darauf einen Dujardin!“ Nie hätten wir von dem
wenigen Westgeld, das wir besaßen eine andere Seife, als die „Frische Fa“ gekauft.
Und wer denkt, wir hätten die Seife sofort benutzt, irrt. Der Weg war vorgegeben.
Zuerst wurde die Seife samt Schachtel zwischen die Handtücher im Wäscheschrank
gelegt. Nach etwa einem halben Jahr durfte sie auf die Konsole ins Bad umziehen
und dort mit ihrem Duft die Luft verbessern. Um dann endlich, nach wiederum
einigen Monaten, ihren Dienst als Seife tun zu dürfen. Nicht zum profanen
Händewaschen versteht sich, sondern nur zum wöchentlichen Bad. Und wehe, wer
die Seife ins Badewasser fallen ließ!
Atmo Werbung Fa Seife
O-Ton Walter Brun:
Später war das dann fast schon ein running gag, wenn man die Erfahrung
ausgetauscht hat über die Ostbesuche, weil, wenn man dann irgendwann eine
preiswertere Geschichte oder ein Sonderangebot mitgebracht hat.
Sprecherin:
Doch zurück zum Jahr 1977.
Rede Erich Honeckers in Dresden zur Eröffnung des Parteilehrjahrs:
O-Ton Erich Honecker:
Liebe Genossinnen und Genossen! Gestattet mir in diesem Zusammenhang noch
einmal ein offenes Wort zu den Intershop-Läden. Diese Läden sind
selbstverständlich kein ständiger Begleiter des Sozialismus. Wir können allerdings
nicht an der Tatsache vorbeigehen, das vor allem die großen Besucherströme viel
mehr Geld ausgeben, als das früher der Fall war.“
7
Sprecherin:
Von nun an gab es offiziell zwei Währungen im Land. Umtauschsätze von 1:4 und im
günstigsten Fall unter Freunden von 1:3 waren Gang und Gäbe. Bevorteilt waren
selbstverständlich alle Beschäftigten im Dienste des Intershops. Durchschnittlich 30
DM bekamen die Verkäuferinnen im Monat ausgezahlt. Doch Gelegenheit macht
bekanntlich Diebe.
Atmo/Musik
Zitator:
IM Friedrich Barrokk
Am Montag erfuhr ich von Kollg. X Kollg. Y habe die Republik verlassen. Man spricht
die Vermutung aus, Kollege Y habe die Inventurdifferenz von 4000 VM zum illegalen
Verlassen der Republik verwendet.
Sprecherin:
Die IM-Berichte über die Leipziger Intershops füllen viele Aktenordner. Jeder gegen
jeden. Und Jeder mit jedem.
Zitator:
Am Freitag 19.3.76 erfuhr ich von unserer Kollegin Z im Interhotel „International“
folgendes:
Sie habe aus sicherer Quelle erfahren:
Im Intershop auf der technischen Messe sei eingebrochen worden und die
Tageseinnahmen von rund 40 TM VM seien geklaut worden.
Das Geld sei von Leuten geklaut worden, die gut Bescheid gewusst haben müssen,
weil ausgerechnet an dem Tag Kollegin U vergessen habe das Geld in dem Tresor
zu hinterlegen.
Sprecherin:
Es sind keine Einzelfälle. Die Hauptabteilung XVIII/7 Berlin resümiert:
Zitator:
Im Ergebnis bisher durchgeführter Ermittlungs- und abgeschlossener Strafverfahren
wurden mehrere Personen verschiedener Verkaufseinrichtungen inhaftiert und
teilweise zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Täter waren ausschließlich
leitende Mitarbeiter und Mitarbeiter der Intershop-Verkaufsstellen. In den meisten
Fällen handelten die Täter gemeinschaftlich, mit großer Intensität über einen
längeren Zeitraum. Ihre kriminellen Handlungen realisierten die Täter durch eine
Vielzahl von Begehungsweisen:
Sprecherin:
Mal werden die Einnahmen nicht eingetippt und das Bargeld unter der Kasse
deponiert. Mal Preise eigenständig heraufgesetzt und dann kostet „After Eight“ eben
3,00 DM statt 2,75 DM. Freunden und Bekannten werden Waren kostenlos
überlassen oder unpassende Geschenke von Westverwandten zu selbst
festgelegten Preisen im eigenen Intershop verkauft.
Und es gibt noch eine andere Einnahmequelle.
Atmo Schreibmaschine
8
Zitator:
Objekt Interhotel am Ring
Durch die X wurde der IM gebeten die Werbefläche über dem Verkaufsstand für die
englische Tabakfirma BT freizuhalten, da sie den Vertreter gut kennt. Der IM schätzt
ein, dass sie sich dadurch materielle Vergünstigungen erhofft.
Sprecherin:
Die Geschenke gehören wie selbstverständlich zu den Geschäftsbeziehungen und
werden erwartet. Per Taxi werden die Waren in Leipzig „an den Mann oder an die
Frau“ gebracht. „Taxifahrer des Vertrauens“ – allerdings für beide Seiten – ist der
akribisch berichtende IM „Breitingen“.
Atmo Schreibmaschine
Zitator:
Zu Herrn X werden die Geschenksendungen nur im dunklen hingefahren und zwar
nicht in die Wohnung, sondern in seinen Garagenhof damit es kein Mensch bemerkt.
Sprecherin:
Am 16. April 1979 tritt die Forum Gesellschaft aus ihrem Schatten und taucht mit
ihrem Namen auf kleinen bunten Papierstreifen auf, die wie Spielgeld anmuten und
an Kaufmannsladen erinnern.
Archiv O-Ton Aktuelle Kamera: Meldung über Forum-Schecks
Atmo Schreibmaschine
Zitator:
Ministerrat der Deutschen demokratischen Republik
Ministerium für Staatssicherheit
Vertrauliche Verschlusssache
Mit Wirkung vom 16.4.1979 erfolgt in den Intershop-Einrichtungen der Verkauf von
Waren an Bürger der DDR nur gegen Mark-Wertschecks der
Forumhandelsgesellschaft mbH.
Der Verkauf von Forumschecks gegen DM erfolgt beleglos.
Mielke
Generaloberst
Atmo Schreibmaschine
Sprecherin:
„Beleglos“. Dieses Wort ist eine klare Kapitulation. Der Generaloberst der
Staatssicherheit verzichtet freiwillig auf die offizielle Überwachung von Devisenbesitz.
Lediglich sein IM-Personal wird um „sachdienliche Hinweise“ gebeten:
Zitator:
Die Erarbeitung operativer Hinweise zu Personen, die häufig oder hohe Summen
konvertierbarer Währung umtauschen.
9
Atmo/Musik
Sprecherin:
Während meines Studiums am Leipziger Literaturinstitut durfte ich an einem Abend
vor der Abordnung eines schwedischen Arbeitervereins lesen. Bei der
Verabschiedung gab mir ein Mann heimlich einige Geldscheine, schwedische Kronen
im Wert von 100,00 DM. Ich war reich! Aber: Ich musste das Geld auf der
„Staatsbank der DDR“ tauschen. Beim Anstehen stellte ich mir vor, wie ich am
Schalter verhaftet würde. „Bürgerin, woher haben sie das Geld? Doch nichts
geschah. Ich musste nicht einmal die Stimme verstellen. Die Bankbeamtin nahm
meine schönen schwedischen Kronen und gab mir dafür bunte Wertbons. Die
Forum-Schecks sahen aus, als würden wir gleich eine Runde Kinderpost spielen
wollen.
O-Ton Ulrich Pomplun :
Dass das natürlich nicht unbedingt widerspruchsfrei war, bezogen auf der
Bürgerschaft, die entweder im Besitz solcher Gelder waren oder nicht, das ergibt sich
von selbst. Aber nichts desto trotz, war es ein volkswirtschaftlicher Zwang dies zu
tun.
Musik/Atmo Schreibmaschine
Zitator:
Ministerium für Staatssicherheit Bezirksverwaltung Leipzig
Meinungsäußerungen der Bevölkerung
Die Verfügung zeugt von einer Unfähigkeit der Kommunisten, die Leute von der
Richtigkeit ihrer Politik zu überzeugen.
Sprecherin:
Es kursiert der Witz, das Handwerker ihre Kunden mit dem Satz: „Forum handelt es
sich denn?“ begrüßen. Für Westgeld ist alles zu haben. Mit Produkten von ca. 700
Lieferanten aus dem „Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“, Erzeugnissen aus der
Gestattungsproduktion – denn schon längst produzieren viele ausländische Firmen
im Billiglohnland DDR – wird im Jahr 1985 der Umsatz von über einer Milliarde
erreicht. In einem seiner raren öffentlichen Interviews rechtfertigte der
Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski das so:
O-Ton Alexander Schalck-Golodkowski:
"Wir haben 1981, oder ich konkret, den Auftrag bekommen, den Export von
Erzeugnissen der DDR, die sehr eingeschränkt waren im Sortiment, vorzubereiten für
den Export, weil es eine außerordentlich angespannte Lage gab in der
Zahlungsbilanz, wo zum damaligen Zeitpunkt die Frage stand: Sein oder nicht sein.
Sprecherin:
Der Ministerrat schafft die Voraussetzungen für noch mehr Deviseneinnahmen:
Atmo Schreibmaschine
10
Zitator:
Ministerrat der deutschen demokratischen Republik Ministerium für Staatssicherheit
Der Minister
30.9.1988
Der Freibetrag aus Guthaben von DDR-Bürgern in der BRD bzw. in Westberlin für
die Inanspruchnahme von Waren und Dienstleistungen im Genex-Geschenkdienst
wird auf 60.000 jährlich erhöht (bisher 20.000).
Es wird allen Bürgern der DDR, die entsprechende Guthaben besitzen, gestattet in
voller Höhe in Valuta über die freigegeben Beträge im Rahmen des
Geschenkdienstes und der Vermittlung von Forum-Schecks zu verfügen
Atmo Schreibmaschine/Musik
Sprecherin:
Was einst mit einem Geschenkpaket „Für die Dame und den Herren“ begann gipfelt
in einem dicken Genex-Katalog. Auf den bunten Seiten lächeln glückliche DDR
Bürger neben ihren potentiellen Geschenken stehend. Es sind Dinge, die in keine
Einkaufstasche passen: Eigenheime, Wohnmobile, Schrankwände. Zu etwa 90
Prozent besteht das Angebot aus all den DDR-Produkten, die es gar nicht oder nur
nach sehr langen Wartezeiten zu kaufen gibt. Dazu kommen technische Geräte aus
dem Westen wie Hifi-Anlagen oder Videorecorder. Selbst Schallplatten sind zu
haben, und in den Karl-Marx-Städter Intershops stehen PAL-Decoder in den
Regalen, mit denen das Westfernsehen in Farbe empfangen werden kann. Es war
ein Spiel mit unserer Sehnsucht.
Und für mich erscheint es im Nachhinein, als haben die gutgemeinten Geschenke
der Westverwandten und jede D-Mark, die wir für unsere „Frische Fa“ im Intershop
ausgaben, ein System erhalten, das wir in Anbetracht der gefüllten Regale am
liebsten sofort abgeschafft hätten. Ohne Intershop und Genex-Handel wäre die
Wirtschaft der DDR viel früher zusammengebrochen. Es war nur eine Frage der Zeit.
Atmo/Musik
Sprecherin:
Im sogenannten „Schürerpapier“ wird dem Ministerrat am 30.Oktober das Ausmaß
der Verschuldung der DDR Wirtschaft vorgelegt. Auf einer letzten Sitzung am
3.Dezember wird der Staatssekretär im Außenhandel Schalck-Golodkowski aus der
SED ausgeschlossen. Am 4.Dezember flüchtet er nach Westberlin und lebt danach
am Tegernsee. Ein großer Teil der Akten, der die Geschäfte von „damals“ belegt,
liegt seither für 50 Jahre unter Verschluss.
Nach dem Mauerfall wird schnell klar: Der Westen riecht nicht nach Intershop. Nur in
dem Duschbad einer kleinen Eisenacher Firma ist er unter dem Namen „Westpaket“
erhalten geblieben. Wer sich erinnern will – kann daran riechen.
***
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