Ganz unten - Ein neugieriger Blick auf die Füße

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Autorin:
Thema:
Sendung:
Länge:
Stefanie Pütz
Ganz unten. Ein neugieriger Blick auf die Füße
HR2 "Camino", 29.3.2015
25'24 min. (Wortende: 24'46 min.)
Musik 1, 0'12
Sonata V (The Seven Last Words) – Joseph Haydn (Emerson String
Quartet)
(CD "Haydn: The Seven Last Words of our Savior on the Cross", Deutsche
Grammophon, CD 474 836-2, LC 0173, Track 7)
0'09 bis 0'21 frei stehen lassen, dann darüber:
O-Ton 1, 0'10
Mutter
Lisa, meine Füße sind verschwunden. Hilfe! Hilfe! Rette mich!
Musik 1, 0'04
Sonata V (The Seven Last Words) – Joseph Haydn (Emerson String
Quartet)
0'30 bis 0'34 hochziehen, dann verblenden mit folgendem Sprecherinnentext
Sprecherin
Ein Sandkasten. Eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter.
O-Ton 2, 0'34
Mutter+Tochter Meine Füße sind verschwunden, wo sind sie denn? (Bin schon da,
Mama. Guck Mama, ich hab den wiedergefunden.) Und meine Zehen,
wo sind die? Ich seh die gar nicht. (Da sind deine Zehen.) Da sind sie ja.
Ich freu mich, ich hab meinen Fuß wieder. (Den anderen Fuß .. auch
noch, die Zehen.) Wo war denn der Fuß, Lisa, wo hast du den gefunden? (In den Sand.) (leises Geräusch Sandschaufeln)
Musik 1, 0'07
Sonata V (The Seven Last Words) – Joseph Haydn (Emerson String
Quartet)
0'53 bis 1'00 frei stehen lassen
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Titelsprecherin: Ganz unten. Ein neugieriger Blick auf die Füße
Eine Sendung von Stefanie Pütz
Musik 1, 0'08
Sonata V (The Seven Last Words) – Joseph Haydn (Emerson String
Quartet)
0'09 bis 0'17 frei stehen lassen, dann verblenden mit folgendem Text bis "Die
Füße tragen uns ..."
Sprecherin
Der menschliche Fuß: ein anatomisches Wunderwerk aus 26
Knochen, 33 Gelenken und 60 Muskeln. Damit wir gehen, rennen,
tanzen, springen oder balancieren können. Ohne Füße läuft
nichts: Im Laufe des Lebens umrunden wir mit ihnen einmal die
Welt. Die Füße tragen uns durchs Leben, und sie sorgen für
Bodenhaftung. Doch nur selten, etwa im Sandkasten oder am
Strand, nehmen wir sie bewusst wahr. Ansonsten haben wir sie
kaum im Blick. Denn sie sind sehr weit unten, und meistens
stecken sie in Schuhen und Strümpfen.
O-Ton 3, ca. 0'29
Gutknecht
Ich hab ne Gebrauchsanleitung für die Füße geschrieben, das ist ein
kleines Heftchen (Lachen), das kann man lesen, das ist so analog der
Gebrauchsanleitung für meinen Kühlschrank oder meiner Waschmaschine, die lag daneben, also mit den gleichen Überschriften, nur der Inhalt
ist ein anderer, und auch ein bisschen zum Schmunzeln. Dass die
Menschen einfach mal auf die Füße kommen. Und sich mal überlegen:
Möchte ich ein Fuß sein? Den ganzen Tag im Dunkeln und eingesperrt?
Ja, dass sie sich mal bewusst machen, was so ein Fuß eigentlich leistet,
wenn wir den nicht hätten, wie schlimm das wäre, ja.
Sprecherin
Sabine Gutknecht ist ausgebildete Ismakogie-Lehrerin. Ismakogie
ist eine Haltungs- und Bewegungslehre, die vor etwa 60 Jahren
von der Wiener Professorin Anna Seidel entwickelt wurde. Früher
war Sabine Gutknecht Trainerin für Aerobic, Tanz und Gymnastik.
Heute gibt die Berlinerin Ismakogie-Kurse. Einer davon trägt den
Titel "Füße gut, alles gut".
O-Ton 4, 0'41
Gutknecht
Wenn ich Kurse gebe, ich hab immer meine Schautafeln dabei, ich hab
ein Stück Wirbelsäule dabei, ich hab einen Knochenfuß dabei, dass die
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Menschen sich das auch mal anschauen können und bildlich vorstellen
können, wie Sie so aussehen innerlich. Was sehr verbreitet ist bei den
meisten, sind eben Senk-, Spreiz-, Plattfüße, davon kann glaube ich fast
jeder berichten. Und das ist einfach weit verbreitet durch die Schuhmode, durch dieses Gehen, was wir uns angewöhnt haben, und dann
kommen infolge dessen natürlich Kniebeschwerden, Hüftgelenksbeschwerden, Schulter, Kiefer, Kopfschmerzen, also das ist bei jedem ein
bisschen unterschiedlich. Und die Füße tun vielen Menschen weh, hab
ich seitdem gemerkt, seitdem ich mich so offensiv damit beschäftige.
Atmo 1
Schritte Kies
Sprecherin
Das Ziel der Ismakogie ist eine aufrechte Haltung. Die wichtigste
Voraussetzung dafür ist, dass die Füße den richtigen Bodenkontakt haben. Außerdem müssen die Muskeln stark genug sein,
um die Gelenke und die Wirbelsäule zu unterstützen. Mit Hilfe der
Ismakogie werden die Muskeln gekräftigt, und zwar durch minimalistische Körperübungen, die sehr einfach in den Alltag zu integrieren sind, sagt Sabine Gutknecht. Dem typischen Verschleiß beugt
man vor, indem man die großen und kleinen Muskeln richtig
einsetzt.
O-Ton 5, 0'13
Gutknecht
Sprecherin
Der Gehvorgang beginnt im Hüftgelenk erst mal. Und dann passieren
ganz viele kleine Dinge, und zum Schluss rolle ich entsprechend ab, und
das geht auch viel leichter, und das befreit oft auch schon, also ich richte
mich während des Gehens auf, merke ich.
Aber geht der Mensch nicht von Natur aus aufrecht? Schließlich
ist der aufrechte Gang das wichtigste Merkmal, das uns von
anderen Lebewesen unterscheidet. Wissenschaftlern zufolge hat
sich der Mensch vor etwa sieben Millionen Jahren sozusagen auf
die Hinterbeine gestellt. Über die Gründe dafür gibt es zahlreiche
Theorien. Kurt Bayertz ist Professor für Philosophie und hat ein
Buch darüber geschrieben. Eine bekannte Theorie geht davon
aus, dass der Mensch ursprünglich von den Sternen stammt und
sein wertvollstes Teil, nämlich die Seele, im Kopf platziert ist.
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O-Ton 6, 0'27
Bayertz
Und dadurch wird der Mensch sozusagen aufgerichtet, nach oben
gezogen, durch die Seele, die oben ist, ja. Und der andere Punkt ist,
dass der Mensch dadurch, dass er aufgerichtet ist, die Himmelskörper
ansehen kann, das ist sein Herkunftsort, und die Himmelskörper waren
gleichzeitig nach griechischer Auffassung Götter. Die Sterne und
Planeten waren Götter, so dass der Mensch, wenn er in der Nacht den
Sternenhimmel anschaut, so eine Art Gottesdienst vollbringt, und
gleichzeitig Kontakt mit seiner Herkunft aufnimmt. Seine Seele stammt
ja von dort oben.
Musik 2, 0'09
Die Schmetterlinge – Joseph Lanner (Ensemble Wien)
(CD "Gute Laune Klassik", Sony Classical 499775 2, LC 06868, CD 1 Track 8)
3'14 bis 3'23 frei stehen lassen, dann verblenden mit folgendem Text bis 3'33
Sprecherin
Warum auch immer der Mensch auf die Idee kam, sich aufzurichten – für den Körper hatte das weitreichende Folgen: Sein gesamtes Gewicht ruht seitdem auf zwei statt auf vier Füßen. Damit hat
sich der Körperschwerpunkt verlagert und das Halten des Gleichgewichts verkompliziert. Außerdem verrichten die Hände und
Füße nun unterschiedliche Aufgaben – jedenfalls nach der Meinung von Anatomen und Paläontologen, berichtet Kurt Bayertz.
O-Ton 7, 0'30
Bayertz
Sprecherin
Bei Tieren, also bei Pferden oder Hunden, haben Vorderfüße und
Hinterfüße ja noch dieselben Aufgaben im Großen und Ganzen, durch
die Aufrichtung findet eine Spezialisierung statt, die Füße sind nur noch
für die Fortbewegung zuständig und die Hände eben für technischen
Gebrauch und für sonstige Manipulationen, also Dinge, die wir mit den
Händen tun. Und das führt natürlich auch dazu, dass die Hände und die
Füße ganz andere Formen annehmen, während eine Hundepfote vorne
und hinten ziemlich ähnlich ist.
Inzwischen hat der Mensch allerdings arge Probleme mit dem
aufrechten Gang bekommen, meint die Ismakogie-Lehrerin Sabine
Gutknecht.
O-Ton 8, 0'24
Gutknecht
Wenn Sie wahrnehmen, wie Sie die Treppe steigen, ja, dann ist es
schon mal erschreckend. Wir schlurfen rauf, wir stampfen rauf, und das
geht über die kleinste Muskulatur am Fuß, über die Gelenke dort unten,
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wir haben ja nicht nur das Sprunggelenk, wir haben ja ganz viele kleine
Gelenke in so einem Fuß. Und die werden alle ein Leben lang ramponiert, und wenn ich mir überlege, wann die ersten Schmerzen kommen,
dann ist es beeindruckend, wie lange der Körper das kompensieren
kann.
Atmo 2
Schritte Treppe [bis "Gegenübers"]
Sprecherin
Die Füße leisten regelrechte Schwerstarbeit, und trotzdem werden
sie weitgehend ignoriert. Andererseits sind die Füße stark symbolisch aufgeladen: Der Fuß als unterste Extremität spielt in vielen
Ritualen eine Rolle. In Indien etwa sieht die Begrüßung einer
ranghöheren Person so aus: Man berührt mit der rechten Hand
zuerst den Fuß des Gegenübers und dann die eigene Stirn. Dies
gilt als Geste der Unterwerfung. Das Christentum kennt das Ritual
der Fußwaschung. Dr. Alexander Saberschinsky, katholischer
Theologe, erklärt die Hintergründe.
O-Ton 9, 0'24
Saberschinsky
Sprecherin
Früher war es so, dass es die Aufgabe des Sklaven war, seinem Herren
die Füße zu waschen, wenn er von draußen kam, Sie müssen an Israel
denken, staubige Gegend, schmutzige Füße in Sandalen, selbst wenn
man sonst rein war, aber die Füße waren immer schmutzig, wenn man
ins Haus kam, und es war die Aufgabe des Sklaven, die Füße zu
waschen. Und wenn das jetzt im Neuen Testament Jesus, der Herr, der
Meister, an seinen Jüngern tut, dann verkehren sich völlig die Verhältnisse.
Die Fußwaschung ist ein Teil der Ostererzählung im JohannesEvangelium. Johannes setzt diese Geschichte ganz an den
Anfang der Osterereignisse, nämlich an die Stelle, wo wir bei
Markus, Matthäus und Lukas den Bericht vom Abendmahl finden.
O-Ton 10, 0'26
Saberschinsky
Und da fragt man natürlich, ja, hm, ersatzlos gestrichen, das Abendmahl, das ist eine gewisse Parallele dann vielleicht, Abendmahl, Fußwaschung, und tatsächlich ist es so, so wie das Abendmahl ein Liebesmahl
ist, wo Christus schon deutend vorwegnimmt, was am Karfreitag und
Ostern passieren wird, dass er nämlich sein Leben hinschenkt, das wird
vorweggenommen im Zeichen, dass er Brot bricht und den Kelch herum-
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reicht, so setzt er auch ein Liebeszeichen, im Johannes-Evangelium
durch diese Fußwaschung halt.
Sprecherin
Dass Jesus sich nicht zu fein war, diesen Sklavendienst an seinen
Jüngern zu versehen, ist die eigentliche Botschaft an uns, sagt
Alexander Saberschinsky. Traditionell wird das Ritual der Fußwaschung am Gründonnerstag in Bischofskirchen gefeiert. Papst
Franziskus erregte zu Anfang seiner Amtszeit großes Aufsehen,
als er in Rom eine Jugendvollzugsanstalt besuchte und dort zwölf
Strafgefangenen die Füße wusch, darunter zwei Frauen.
O-Ton 11, 0'31
Saberschinsky
Er ist ja auch Bischof von Rom, insofern ist das nicht unüblich. Nur ein
besonderer Akzent ist es noch mal, dass er das nicht bei handverlesenen Gläubigen macht, sondern dass er wirklich an einen Ort geht, wo
man mit gutem Grund sagen kann, hier findet man die Ärmsten, die
Niedrigsten in der Gesellschaft, die unterste Schicht, diejenigen, die
wirklich in Not sind, und dann ist das Zeichen natürlich viel sprechender,
wenn ich Gefangenen die Füße wasche, als wenn ich jetzt bischöflichen
Mitbrüdern die Füße wasche. Beides hat seine Berechtigung, aber hier
ist das Zeichen noch mal kräftiger geworden dadurch.
Atmo 3
Wasser in Schüssel
Sprecherin
Anders als die Bischofskirchen können die Gemeinden selbst
entscheiden, ob sie die Fußwaschung am Gründonnerstag
zelebrieren. Die meisten Pfarrer entscheiden sich heute dagegen.
Alexander Saberschinsky vermutet, dass sie es als aufgesetzt
empfinden. Dabei gehören Liturgie und Diakonie, also das
Handeln am Nächsten, eigentlich eng zusammen, meint der
Theologe.
O-Ton 12, 0'36
Saberschinsky
Und dann könnte es ja sein, wenn man im Gottesdienst dieses Zeichen
der Nächstenliebe, das diakonische Zeichen als aufgesetzt empfindet,
dass da irgendwas vielleicht in dem Zusammenhang Liturgie und Diakonie auch nicht stimmt. Das heißt, man könnte mal kritisch fragen, leben
wir in unserer Gemeinde das, was wir im Gottesdienst feiern, auch wirklich, also außerhalb des Gottesdienstes, und wenn nicht, gehen wir dem
doch mal kritisch nach, nämlich im Gottesdienst feiern wir eigentlich,
dass Christus sich, mal theologisch gesprochen, aus Liebe sich für uns
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hinopfert, und die Frage wäre dann, opfern wir uns auch füreinander auf,
außerhalb des Gottesdienstes.
Sprecherin
Ein anderer Grund für den Verzicht auf die Fußwaschung könnte
eine gewisse Verschämtheit sein, meint der Liturgiewissenschaftler. Denn einem anderen Menschen die Füße zu waschen, sei ein
sehr intimer Akt. Und nicht jedem ist es geheuer, sich auf diese
Weise berühren zu lassen. In biblischer Zeit hatten die Menschen
offenbar weniger Berührungsängste. Lukas berichtet von einer
Begebenheit im Hause von Simon, dem Pharisäer. Er hatte Jesus
zu einem Mahl eingeladen, ihm bei der Begrüßung aber die
üblichen Höflichkeiten vorenthalten: einen Kuss des Willkommens,
Wasser für seine Füße, Öl für sein Haupt. Eine stadtbekannte
Sünderin war ebenfalls anwesend. Sie ging mit einer Alabasterflasche zu Jesus und holte die Versäumnisse des Gastgebers nach:
Zitator
Und hinten zu seinen Füßen stehend und weinend, fing sie an,
seine Füße mit Tränen zu benetzen; und sie trocknete sie mit den
Haaren ihres Hauptes und küsste seine Füße sehr und salbte sie
mit der Salbe.
Sprecherin
Die wohlhabende Frau hält sich offenbar nicht für würdig, Jesus
das Haupt zu salben. Stattdessen reibt sie wie eine Sklavin seine
Füße mit teurem Öl ein und küsst sie – dankbar und voller Reue.
Musik 3, 0'15
Allegro aus dem Concerto in do maggiore RV 581 per violino e archi –
Antonio Vivaldi (Concerto Italiano / Rinaldo Alessandrini)
(CD "Vivaldi: Vespri per l'Assunzione di Maria Vergine", Vivaldi Edition, Opus
111, OP 30383, LC 5718, CD 2 Track 28)
ab Anfang
Sprecherin
Für unsere Vorfahren gehörten solche Demutsgesten zum Alltag.
Lange Zeit war es durchaus üblich, Herrschern und anderen
hochgestellten Persönlichkeiten die Füße zu küssen. Auch der
Papst gehörte zu diesem Kreis. Heute kommt der Fußkuss nur
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noch zeichenhaft in der Osterliturgie vor, erklärt der Theologe
Alexander Saberschinsky.
O-Ton 13, 0'20
Saberschinsky
Sprecherin
Am Karfreitag wird ja, das ist allgemein so, das Kreuz verehrt. Und dann
kniet man sich auch, jedenfalls der Zelebrant, der Priester kniet sich
nieder, und dann gibt es die Möglichkeit, auch die Füße des Gekreuzigten zu küssen. Und in manchen Regionen machen das dann auch die
Gläubigen, das ist natürlich ein Zeichen tatsächlich der Verehrung.
Eine ähnliche Geste kann man tagtäglich im Petersdom beobachten: Touristen und Pilger aus aller Welt kommen dorthin, um
den rechten Fuß der Petrusstatue zu berühren oder zu küssen. So
drücken sie ihre Hochachtung für den heiligen Apostel aus. Der
Bronzefuß ist durch die millionenfache Berührung inzwischen
völlig blankgerieben und auf die Hälfte seiner ursprünglichen
Größe geschrumpft. Im Gegensatz dazu sind lebende Menschen
meist selbst dafür verantwortlich, wenn ihre Füße merkwürdige
Formen annehmen: Hammerzehe, Fersensporn, Überbein,
Krallenzehe. Vor allem Frauen bekommen solche orthopädischen
Diagnosen.
O-Ton 14, 0'27
Gutknecht
Sprecherin
Ich hab immer noch nicht rausgefunden, wer die Highheels erfunden
hat, da bin ich noch nicht hartnäckig im Googeln gewesen, aber ich hab
immer den Verdacht, es war ein Mann (Lachen), also da geht ja alles auf
die Vorfüße, die werden dann breitgetreten, das Quergewölbe wird
ruiniert, die Zehen, die stecken dann in engen spitzen Schuhen, dann
werden sie noch so zusammen geschoben, also mir tut das schon vom
Hingucken weh mittlerweile, und ich besitze auch keine Absatzschuhe
mehr, insofern liebe ich meine Füße jetzt. Ich hab eine andere Wertschätzung entwickelt.
Früher hat sie ihre Füße nicht beachtet und mit hochhackigen
Schuhen malträtiert, erzählt Sabine Gutknecht. Wie die meisten
Menschen wusste sie nicht, wie wichtig sie für das gesamte
körperliche Wohlbefinden sind. Der Philosoph Kurt Bayertz hat bei
seinen Recherchen über den aufrechten Gang auch Anatomielehrbücher konsultiert. Darin ist der Fuß beschrieben als tumbes
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Organ, das nichts weiter kann, als uns aufrecht zu halten. Er wird
offenbar seit jeher stark unterschätzt.
O-Ton 15, 0'31
Bayertz
Wir wissen ja von Menschen, die schwer behindert sind, die ihre Arme
nicht benutzen können, dass die teilweise ganz erstaunliche Leistungen
mit ihren Zehen und Füßen erbringen, teilweise bis hin zum Klavierspielen, so dass möglicherweise auch in den Füßen viel mehr Potenzial
steckt, als wir normalerweise benutzen, das würde bedeuten natürlich,
dass die Füße, die wir haben heute in zivilisierten Ländern nicht nur von
Natur aus so sind wie sie sind, sondern dass sie auch kulturell verkümmert sind.
Musik 3, 0'12
Allegro aus dem Concerto in do maggiore RV 581 per violino e archi –
Antonio Vivaldi (Concerto Italiano / Rinaldo Alessandrini)
3'14 bis 3'26 frei stehen lassen, dann verblenden mit folgendem Text bis 3'47
Sprecherin
Immerhin reagieren die meisten Fußsohlen noch empfindlich auf
Störungen. Tausende Nervenenden melden das kleinste Steinchen in den Schuhen und machen jeden Spaziergang über spitze
Kiesel zu einem Eiertanz. Selbst zarte, kitzelnde Berührungen von
fremden Händen sind oft nicht auszuhalten. Die Beweglichkeit der
Zehen ist bei den meisten Erwachsenen jedoch stark eingeschränkt. Vor allem in engen, geschlossenen Schuhen haben die
Zehen keine Chance, ihrem Bewegungsdrang zu folgen. Besser
wären offene Schuhe. Doch wer in einer kühlen Jahreszeit
Sandalen und dicke Socken trägt, wird schnell schief angeschaut.
Denn er gerät in den Verdacht, sich keine richtigen Schuhe leisten
zu können. Einige Ordensgemeinschaften nutzen bewusst diese
symbolische Besetzung, erklärt Alexander Saberschinsky.
O-Ton 16, 0'37
Saberschinsky
Die Franziskaner zum Beispiel, die sich ja auch besonders dem Armutsgelübde verschrieben haben und da besonderen Wert drauf legen, stärker noch als andere Orden, aufgrund ihres Vorbildes, des Ordensgründers des heiligen Franziskus, tragen sehr oft Sandalen. Und es gibt
dann zum Beispiel bei den Karmeliten die beschuhten und die unbeschuhten Karmeliten, die heißen tatsächlich auch so, die Unbeschuhten
sind dann diejenigen, die noch mal reformierter und strenger sind und
sich den Luxus von Schuhen nicht gönnen, aber faktisch laufen auch
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heute diese Ordensleute nicht barfuß rum (Lachen), sondern tragen
dann in der Regel schon mal eher Sandalen.
Sprecherin
Wobei der eigentliche Luxus das Barfußlaufen wäre. Zumindest
aus Sicht der Füße – und vorausgesetzt, der Boden ist weich und
nachgiebig. Denn beim Barfußgehen wird die Belastung gleichmäßig über den ganzen Fuß verteilt, und er rollt bis weit in die Zehen
ab. Genau das ist in Schuhen kaum möglich. Außerdem verhindert
ein Schuh echten Bodenkontakt und deformiert in vielen Fällen
auch noch die Fußform. Trotzdem ziehen wir unsere Schuhe nicht
einfach aus, wenn uns danach ist. Denn auch das ist symbolisch
aufgeladen.
O-Ton 17, 0'31
Saberschinsky
Sprecherin
Schuhe ausziehen ist tatsächlich immer ein Zeichen, und zwar ein religionsübergreifendes Zeichen für heiligen Boden, das können Sie auch
bei den Muslimen beobachten, wenn sie die Schuhe ausziehen, dann ist
das ja nicht aus hygienischen Gründen, sondern das ist ja ein ritueller
Akt, die Schuhe ausziehen und dann ohne Schuhe die Moschee betreten, und so geht es dann auch Mose, als er die Gotteserfahrung macht
im brennenden Dornbusch, der sich gar nicht verzehrt und immer weiter
brennt, dass er dann die Schuhe auszieht, also das ist tatsächlich ein
Zeichen dafür, dass man im heiligen Bereich ist.
In christlichen Kirchen ist dieser Brauch unüblich. Dafür hat er sich
mittlerweile in Wohnungen mit Parkettfußboden etabliert, die von
Christen bewohnt werden. Sie bitten ihre Gäste gerne, die Schuhe
auszuziehen, denn sie könnten den wertvollen Bodenbelag ja
zerkratzen. Manch einen Gast erinnert das an frühere Zeiten, in
denen man Strafgefangenen in der Haftanstalt die Schuhe wegnahm, um sie zu demütigen. Manche freuen sich aber auch, dass
sie ihren Füßen freien Lauf lassen dürfen. Sie fühlen sich eher den
Hippies aus den siebziger Jahren verbunden, die am liebsten mit
wehenden Haaren, flatternden Gewändern und nackten Füßen
durch die Welt liefen. "Love and peace" lautete ihr Motto. Mit ihren
nackten Füßen demonstrierten sie Sinnlichkeit und Natürlichkeit.
Denn der Mensch lief die längste Zeit seiner Geschichte barfuß.
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O-Ton 18, 0'44
Saberschinsky
Sprecherin
Aber gleichzeitig ist der Fuß auch immer ein Zeichen der Macht. Auf
etwas einen Fuß zu setzen, ist auch ein Zeichen, ich übe hier Macht
aus, ich nehme etwas für mich in Anspruch. Diese Bilder finden Sie
dann auch in den Psalmen, im Alten Testament, da ist dann die Rede
davon, dass Gott die Feinde wie ein Schemel unter die Füße gelegt
werden. Das sind Bilder, die greift das Alte Testament auf aus dem
kulturellen Hintergrund der damaligen Zeit, es gibt ägyptische Darstellungen, wo der Pharao so auf einem Thron sitzt und hat dann wirklich
als einen Schemel unter seinen Füßen so gestapelt in Miniatur Feinde,
Gestalten von Feinden, also insofern ist der Fuß auch ein Zeichen der
Macht, und sich sozusagen hinunter zu begeben zu den Füßen, sie zu
küssen, ist auch ein Zeichen der Anerkennung der Macht des anderen,
bzw. der eigenen Erniedrigung.
Das eigene Machtgefühl wird häufig durch feste und harte Schuhe
betont, die bei jedem Schritt laute Geräusche verursachen. Manche dieser Schuhe, zum Beispiel Springerstiefel, werden auch als
Waffe eingesetzt. Mit ihnen treten Gewalttäter auf andere Menschen ein, manchmal so lange, bis sie tot sind. Obdachlose laufen
besonders Gefahr, zum Opfer solcher brutalen Überlegenheitsbekundung zu werden, und die Täter sind durchweg männlich. Von
Stöckelschuhen hört man in solchen Zusammenhängen so gut wie
nichts. Frauen nutzen hohe Absätze offenbar eher, um erotische
Macht zu signalisieren. Mit Highheels machen sie kleinere Schritte
und rotieren stärker in den Hüften, was auf Männer verführerisch
wirken soll. Die Frau als Verführerin – eine altbekannte Rolle, die
schon im Paradies vergeben wurde. Aber auch Füße spielen dort
eine Rolle, berichtet Kurt Bayertz.
Atmo 4
O-Ton 19, 0'34
Bayertz
Schritte Unterholz
Es ist ja so, dass Adam und Eva im Paradies schwer gesündigt haben
und Gott ist es ziemlich rasch aufgefallen, und er knöpft sich die drei
Beteiligten nun vor, und Adam sagt, ich habe nur gegessen, weil Eva
mich sozusagen verführt hat. Und Eva sagt, ich bin verführt worden von
der Schlange. Und die verschieben die Schuld immer auf die Schlange.
Und dann nimmt Gott sich die drei vor, und verurteilt sie, und zu der
Schlange sagt er, verflucht sollst du sein, auf dem Boden sollst du
kriechen und Staub sollst du fressen.
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Sprecherin
Was einige Theologen durchaus ins Grübeln brachte, erzählt der
Philosoph. Denn einer kriechenden Schlange zu befehlen, sie
solle ab sofort kriechen, ergibt wenig Sinn.
O-Ton 20, 0'25
Bayertz
Sprecherin
Also haben sie geschlossen, dass die Schlange vorher aufrecht gegangen ist im Paradies, und es gibt eine ganze Reihe von Stellen in der
Literatur, bei Milton etwa, Lost Paradise, aber auch in der bildenden
Kunst, ein wunderschönes Bild, wo die Schlange als aufrecht stehendes
Wesen beschrieben ist vor dem Sündenfall, und nach dem Sündenfall
eben muss sie kriechen.
Eine böse Strafe für die Schlange – sich ohne Füße fortzubewegen scheint unendlich mühsam zu sein. Andererseits ist auch das
Gehen auf zwei Beinen nicht so einfach. Jedenfalls braucht der
Mensch erstaunlich lange, um überhaupt auf die Füße zu
kommen, findet Kurt Bayertz.
O-Ton 21, 0'24
Bayertz
Die Hilflosigkeit des Menschen über ja nicht nur Monate, sondern Jahre,
und heute dauert das je nachdem 25 Jahre, bis ein Mensch mal auf
eigenen Füßen stehen kann, ne, also jetzt nicht nur körperlich, sondern
auch ökonomisch, das ist ein absoluter Extremfall im gesamten Tierreich, und das ist glaube ich ein wichtiger Punkt, den es festzuhalten gilt.
Musik 4, 0'18
Tale IV (moderato melancolico) – Goran Bregovic
(CD "Tales and Songs from Weddings and Funerals", Mercury/Universal, CD
063079-2, LC 00268, Track 9)
4 Sekunden vor Ende des vorherigen O-Tons einblenden
ab 0'41 einblenden, 0'45 bis 1'03 frei stehen lassen, dann verblenden mit
folgendem Text
Sprecherin
Darüber hinaus ist der Mensch das einzige Lebewesen, das sich
vorstellen kann, nach dem Tod endgültig die Bodenhaftung zu
verlieren und in den Himmel zu entschweben. Christen orientieren
sich dabei an Jesus. Alexander Saberschinsky:
O-Ton 22, 0'34
13
Saberschinsky
Es gibt auch sehr schöne bildliche Darstellungen, so Schnitzereien
schon mal im Chorgestühl in der Rückwand, da sieht man Jesus, wie er
in den Himmel fährt, das heißt, man sieht von ihm nicht mehr viel, man
sieht eigentlich nur noch die Füße unten aus den Wolken rausgucken,
der Rest ist schon quasi in den Wolken, im Himmel entschwunden,
unten stehen die Jünger, schauen staunend nach oben, in der Mitte ein
Loch, da wo Jesus gestanden hat und dort nur noch zwei Fußabdrücke.
Wir haben ja von Jesus keine Reliquien. Wie auch, er ist ja in den Himmel gefahren, und da war diese Vorstellung von zwei Füßen natürlich
eine Hilfe, um sich bewusst zu machen, ja, das war ein wirklicher
Mensch.
O-Ton 23, 0'25
Mutter+Tochter (Was ist das, guck mal, Mama?) Ach, mein Fußabdruck. Guck mal, was
für große Füße du hast, Lisa (Lachen). Und hier sind deine Zehen, guck,
ho (Lachen). (Da mein kleiner Fuß. Hier sind meine Zehen. Guck mal!
(Lachen))
Sprecherin
Der Fuß: ein kaum beachtetes Wunderwerk und vielschichtiges
Symbol. Von ihm hängt es ab, wie wir durchs Leben gehen, wie
wir unseren Mitmenschen entgegen treten, und welche Spuren wir
auf der Erde hinterlassen. Manche Menschen sind leichtfüßig,
andere legen mehr Wert auf starke Auftritte. Was wir alle im Laufe
des Lebens erleben, ist das Gefühl, am Abgrund zu stehen, den
Boden unter den Füßen zu verlieren. Dann zeigt sich, wie standfest wir sind oder wie gut wir uns wieder aufrappeln können. Doch
am besten geht es uns, wenn wir uns leicht und beschwingt fühlen. Dann möchten wir am liebsten abheben, wenn auch nur
vorübergehend. Mit gesunden und tragkräftigen Füßen scheint
das sogar möglich zu sein. Sabine Gutknecht:
O-Ton 24, 0'14
Gutknecht
Also ich hab das naturgemäße Gehmuster wieder gelernt, jetzt ist
Gehen wie Schweben bei mir. Also wie Fliegen, wie Schweben, ich
denke immer, wenn ich den Bus verpasse, wenn der vor meiner Nase
wegfährt, dann hat der mich nicht gesehen. Weil ich da oben schwebe
(Lachen).
24:46
Musik 1, 0'09
Sonata V (The Seven Last Words) – Joseph Haydn (Emerson String
Quartet)
3 Sekunden vor Ende des vorherigen O-Tons einblenden
ab 0'09 einblenden, 0'12 bis 0'21 frei stehen lassen, dann darüber:
14
24:55
Titelsprecherin: Ganz unten. Ein neugieriger Blick auf die Füße
Sie hörten eine Sendung von Stefanie Pütz
Es sprach: Nadja Schulz-Berlinghoff
Ton: Kaspar Wollheim
Redaktion: Anne Winter
Regie: Ralph Schäfer
Musik 1
25:24
Sonata V (The Seven Last Words) – Joseph Haydn (Emerson String
Quartet)
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