SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Dicke Luft in Stuttgart Wenn Bürger Feinstaub selber messen Von Nicola Wettmarshausen Sendung: Montag, 21. März 2016, 8.30 Uhr Redaktion: Detlef Clas Regie: Andrea Leclerque Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. 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Vor allem der Autoverkehr, aber auch holzbefeuerte Kamine tragen dazu bei, dass Grenzwerte für Feinstaub immer wieder überschritten werden – seit mehr als zehn Jahren. Demo Sprecherin: Anwohner versuchen ihr Recht auf saubere Luft einzuklagen, Umweltverbände demonstrieren, die Politik hingegen beobachtet und taktiert. Doch während sich die Lage zuspitzt, kommt aus einer anderen Richtung Bewegung ins Spiel: Aktivisten planen ein Bürger-Messnetz, das Daten in Echtzeit liefern soll. Offenheit und Transparenz fordern sie und wollen zeigen, was mit der Luft in Stuttgart los ist – jenseits vom Hotspot Neckartor. Demo Ansage: Dicke Luft in Stuttgart – Wenn Bürger Feinstaub selber messen Eine Sendung von Nicola Wettmarshausen O-Ton Andreas / Hadez: Andreas: Ich hab das Problem, er misst zu lange Durations, also viel zu viel, so was wie: 100 Prozent Feinstaubanteil im Raum, das ist... Hadez: Unwahrscheinlich Andreas: Sehr wahrscheinlich, dann würden wir nichts mehr sehen, und deswegen: Er triggert wahrscheinlich zu häufig. Sprecherin: Ich sitze im „Shack“, dem Stuttgarter Labor für „Nerds & freundliche Digitalkultur“ und lausche. Noch verstehe ich nicht, was Andreas und Hadez gerade tun. Es sieht so aus, als wollten sie den Spannungsverlauf eines Sensors messen. O-Ton Hadez: Wir messen ein Digitalsignal, was aus der kleinen Schaltung rauskommt hier. Und die hat ein bestimmtes zeitliches Verhalten und schickt ein Signal raus. Und wir wollen das sichtbar machen, dass wir überhaupt wissen, wie das Signal aussieht und ob wir das richtig auswerten... Das sieht gar nicht soo schlecht aus, jetzt gehen wir auf „normal“ – plopp – und dann sehen wir hier schon: Da kommen so ein paar Signälchen raus. Das ist interessant, ah, okay. Sprecherin: Der Sensor ist wichtig, denn er wird das Herzstück eines Geräts sein, das hier entwickelt werden soll. 2 Anfang 2015 hatte sich eine Gruppe von Leuten im „OK-Lab“, einem Format der Open Knowledge Foundation zusammengefunden, um über Open-Data zu reden – über digitale Projekte mit frei zugänglichen Daten. Dabei entstand die Idee, Feinstaub mit kleinen, zusammengebauten Geräten selbst zu messen. Und ein flächendeckendes Netz aus Daten über den Zustand der Luft zu knüpfen, das es bisher noch nicht gibt. 300 Geräte sollen es einmal werden, verteilt über die ganze Stadt. Und jeder Bürger soll sich ein solches Messgerät zu Hause installieren können. Jetzt, im Juli, geht es voran. Regelmäßig treffen sich sechs bis zehn Interessierte im Shack – dem Stuttgarter Hackspace – um an der Hard- und Software zu basteln. Andreas, Computerlinguist und Softwareentwickler, ist einer der federführenden Leute hier. Er treibt das Projekt voran: O-Ton Andreas: Wir wollen sehen: Neckartor ist schlecht, aber vielleicht ist es drei Straßen dahinter auch schlecht. Und vielleicht ist es am Flughafen auch schlecht. Wissen wir ja nicht. Misst ja keiner. Also brauchen wir mehr Mess-Punkte auf die Fläche, und eine bessere zeitliche Auflösung. Der Sensor jetzt, der kann alle 30 Sekunden einen Messwert liefern und das heißt: Ich kann halt sehen, dass es morgens um sieben schlechter ist als nachts um drei. Und das ist das, was ich eigentlich will. Sprecherin: 300 Geräte in der Fläche: Damit das geht, muss jedes Gerät am Ende möglichst preisgünstig sein. Es soll nicht mehr als 30 Euro kosten. Andreas hat darum als zentrales Bauteil einen sehr preiswerten Feinstaub-Sensor aufgestöbert und – zweckentfremdet. O-Ton Andreas: Ich habe ein Bauteil und versuche zu verstehen, wie es funktioniert und vielleicht auch ein bisschen mehr herauszuholen als der Hersteller sich dabei gedacht hat. Und das ist ja auch jetzt bei den Feinstaubsensoren so. Das ist für eine Klimaanlage, um festzustellen, dass man den Filter tauschen muss; für mehr wurden die da nicht eingebaut. Und wir verwenden die jetzt für was ganz anderes, und das ist in gewisser Weise „hacking“. Sprecherin: Mit „hacking“ haben die offiziellen Messcontainer in Stuttgart vermutlich weniger zu tun. Wie wird der Feinstaub hier gemessen? Ich frage beim Landesumweltamt nach. Die Behörde ist zuständig für die Luftreinhaltung. Im gesamten Bundesland Baden-Württemberg und an Deutschlands feinstaubbelastetster Straße: dem Stuttgarter Neckartor. Autos, Fahrgeräusche Sprecherin: Am Neckartor ist die Bundesstraße 14 sechsspurig. Drei Fahrbahnen führen in die Innenstadt, und drei wieder hinaus. Mehr als 80.000 Fahrzeuge sind es täglich. Das Neckartor hält einen traurigen Rekord. Nirgendwo in Deutschland werden höhere Feinstaubwerte gemessen. 3 Autos, Fahrgeräusche Sprecherin: Es ist acht Uhr morgens. Werner Altkofer, Chemiker und im Landesumweltamt zuständig für die Messtechnik, schließt die Tür zum Container auf. Direkt nebenan: Büros vom Amtsgericht Stuttgart. O-Ton Werner Altkofer: Für die Leute, die hier arbeiten, die haben zwei Probleme: A: Der enorme Verkehr, der Lärm und der Dreck. Das sehen wir ja hier auf den Fenstersimsen: alles dreckig. Das ist das Problem hier. Das Problem sehe ich natürlich für die Häuser, für die Bewohner, die hier wohnen. Die können zur Straße hin ihre Fenster nicht aufmachen. A: Lärm, B: Dreck, C: Schadstoffe. Verkehr, aufschließen O-Ton Werner Altkofer: Jetzt kommt wieder eine Welle von der anderen Ampel her, eigentlich typisch hier auch diese großen LKWs, die hier durchrauschen. Wenn es hier Stau gibt, sieht es noch mal ganz schlimm aus. Sprecherin: Seit über zehn Jahren steht der beigefarbene Metallcontainer am Straßenrand, eigentlich sollte es nur vorübergehend sein. Doch weil die Feinstaubwerte immer wieder überschritten werden, ist er zur Dauereinrichtung geworden. Innen drin entdecke ich jede Menge Messgeräte, nicht nur für Feinstaub, auch für Stickoxide und Ozon. Das Feinstaub-Messgerät selbst ist eine ein Meter hohe, schmale Metallapparatur. O-Ton Werner Altkofer: Das funktioniert so, dass wir einen Luftstrom über das Dach ansaugen, und auf dem Dach ist ein sogenannter Feinstaubabscheider. Der lässt nur Partikel, die kleiner als zehn Mikrometer sind durch. Diese Partikel werden hier auf diesem Filter gesammelt über einen Tag. Sprecherin: PM10 – 10 Mikrometer, das sind 10 Millionstel eines Meters. So ein einzelner Partikel ist mit dem bloßen Auge gar nicht zu erkennen. Eine größere Menge davon allerdings schon. O-Ton Werner Altkofer: Hier unten haben wir den Filter von gestern, der ist jetzt dunkelgrau. Der ist aber noch nicht sehr schlimm fürs Neckartor, die können auch ganz schwarz sein. Sprecherin: Ein Messtag beginnt mit einem weißen Filter und endet mit einem dunklen. Haben fünfzehn Filter je 24 Stunden lang Stäube eingesammelt, werden sie alle zwei Wochen ins Labor nach Karlsruhe gebracht und in einem Wägeroboter gewogen. Vor und nach dem Wiegen brauchen die Filter eine definierte Luftfeuchtigkeit, weil hier ja Mikrogrammwerte gemessen werden, winzig kleine Mengen. Anschließend werden 4 weitere Inhaltsstoffe aus dem schwarzen Staub bestimmt: Schwermetalle wie Blei, Cadmium und Arsen, aber auch polyzyklische Kohlenwasserstoffe wie Benzo(a)pyren, der unter anderem bei der Verbrennung von Holz entsteht. Im Container gibt es ein weiteres Gerät, das fast genauso aussieht wie das erste. O-Ton Werner Altkofer / Autorin: Das Messgerät hier ist absolut identisch zu dem anderen, es unterscheidet sich nur durch den Vorabscheider auf dem Dach. Der lässt nur Partikel durch, die kleiner als 2,5 Mikrometer sind, sogenannte PM 2,5 Fraktion. Für die gibt es erst seit diesem Jahr einen Grenzwert, und den überwachen wir. Wie hoch ist denn der? Der liegt bei 25 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel. Der ist halb so groß wie der PM10. Genau, das liegt daran: Je kleiner die Partikel, desto tiefer können Sie in die Lunge eindringen und desto schädlicher sind sie dann. Und deswegen ist jetzt dieser neue Grenzwert aufgekommen. Sprecherin: Der Grenzwert basiert auf dem „gravimetrischen“ Verfahren, bei dem die Menge an Partikeln abgewogen wird. Es ist die Referenzmethode für die Messung von PM10und PM2,5-Feinstaub in Europa und bildet die rechtliche Basis für politische Entscheidungen. An vier Standorten werden die Grenzwerte im Stadtgebiet Stuttgart auf diese Art gemessen. Veröffentlicht werden sie im Internet allerdings erst einen Monat später. Aktuell sind die Daten jedenfalls nicht! Man kann Partikel in der Luft auch zählen. Zählt man sie mit dem sogenannten „Streulichtverfahren“, kann man alle dreißig Minuten einen Messwert generieren. Das Landesumweltamt benutzt diese Messmethode ebenfalls. Es gibt aber nicht alle Daten raus. Und wenn, dann nur die 24-Stunden-Mittelwerte. Warum – möchte ich gerne wissen. Weil damit die EU-Richtlinien erfüllt werden, heißt es auf Nachfrage. Und weil die in kurzen Intervallen erhobenen Daten nicht valide seien. Mit der Partikelzählmethode würden eben auch Nebeltröpfchen mitgemessen. Außerdem würden die Daten bei hohen Konzentrationen ungenau werden – an der Straße etwa, bei viel Verkehr. Ich möchte mir die HalbstundenWerte gerne mal genauer ansehen, aber das lehnt die Behörde ab. Straßenverkehr Sprecherin: Nach dem Gespräch am Messcontainer frage ich mich, warum es den Grenzwert für PM2,5 erst seit einem Jahr gibt, wo doch die feineren Partikel viel gefährlicher sein sollen als die gröberen? Vielleicht kann mir Heinz-Erich Wichmann eine Antwort geben. Der UmweltMediziner hat viele Jahre über die Wirkung von Luftschadstoffen geforscht und die EU-Kommission dazu beraten. O-Ton Heinz-Erich Wichmann: Aus Forschungsstudien ist klar, dass PM 2,5 der wichtigere Schadstoff ist, und das ist auch gut verständlich, denn die Partikel sind kleiner als PM10 und können von daher tiefer in die Atemwege aufgenommen werden. Also, PM 2,5 ist wichtiger als PM10. Nun, die kleinste Fraktion sind die ultrafeinen Partikel, die nur einen 5 Durchmesser von 0,1 Mikrometer haben und die ganz tief in die Atemwege eindringen können. Auch hierzu gibt es mittlerweile mehrere Untersuchungen, aber die Zahl ist noch vergleichsweise übersichtlich. Und diese Untersuchungen zeigen in der Tat, dass die ultrafeinen Partikel noch wichtiger sind. Sprecherin: Gefährlich sind die Winzlinge – die hundert Mal kleiner sind als die Partikel PM10 – aber noch aus einem anderen Grund: Ihre buckelige, zerklüftete Form hat eine vergrößerte Oberfläche im Vergleich zur reinen Kugelform. Außerdem bestehen die Ultrafeinen fast ausschließlich aus Kohlenwasserstoffmolekülen mit vielen freien Bindungen an ihrer Oberfläche. Beide Faktoren machen die Teilchen reaktiv – in der Luft und im menschlichen Körper. Schon ein Einziges könnte Probleme machen, in der Blutbahn oder im Zellgewebe, wenn es dort lange genug verweilt. Darum müsste man sie zählen, sie aufnehmen in offizielle Messungen mit einem eigenen Grenzwert. Warum gibt es den bisher noch nicht? Professor Heinz-Erich Wichmann erklärt mir, dass die Ultrafeinen bislang nur im „German Ultrafine Aerosol Network GUAN“ gemessen werden – einem Messnetz für die Forschung. Weil aber langfristige Routinemessungen an Messcontainern fehlen, fehlt die Voraussetzung für die Durchführung von Gesundheitsstudien. Ohne Gesundheitsstudien wiederum kann die EU keinen Grenzwert festlegen. Und ohne den werden die Behörden keine Routinemessungen durchführen. Ein Teufelskreis. Im Jahr 2005 wurde immerhin ein Grenzwert für PM10-Partikel festgelegt, zehn Jahre später folgte der für PM 2,5. Warum? O-Ton Heinz-Erich Wichmann: Ja, solche Fragen stellt man sich, man kann auch noch andere Argumente in der Richtung anführen: In den USA ist der PM2,5-Grenzwert schon seit 15 Jahren – wenn nicht noch länger – in Kraft und außerdem noch strenger als bei uns, weil man dort den Wissensstand sehr viel früher in dem Sinne interpretiert hat, wie es jetzt hier in Europa auch passiert. Das heißt, dass man auch schon sehr viel früher gesagt hat: Der Wissensstand reicht aus. Aber es ist eine Sache, dass Wissenschaftler sagen, was sie wissen und dann die Administration das auch entsprechend umsetzt. Und da ist man eben sehr, sehr langsam und schonend herangegangen. Sprecherin: An die Schonung der Gesundheit hat man eher nicht gedacht. Dabei schätzt die Weltgesundheitsorganisation, dass Bewohner von Ballungsräumen durch menschengemachte Feinstäube durchschnittlich fast neun Monate kürzer leben. Die Zahlen beziehen sich auf Europa. Die Menschen sterben vorzeitig an Asthma, Herzinfarkten, Schlaganfällen, an Kreislauferkrankungen und an Krebs. Kürzer leben und schlechter, als es in natürlicher, sauberer Luft möglich wäre – das sind die Folgen dieser „schonenden“ Politik. Basteln, Stimmen Sprecherin: Im Herbst (2015) besuche ich die Jungs im Shack um zu sehen, wie es weitergeht. Und hoffe, dass das Messprogramm der Feinstaub-Gruppe erste Daten liefern kann. 6 O-Ton Andreas / Holger: Andreas: So, das ist es jetzt Sensor 12. Sensor 12 hat noch nicht erfolgreich gepusht. Holger: Nochmal resetten? Andreas: Resette nochmal, ja. „Node not found in database“. – Das ist vollkommen richtig und echt gut. Und die Werte sind auch nicht Null, das heißt: Die Zweier funktionieren!! Sprecherin: Der Mikrocontroller von Sensor 12 gibt ein Lebenszeichen von sich. Er spricht sogar mit dem Bauteil aus der japanischen Klimaanlage. O-Ton Andreas: Ich erkläre diesen Sensor hiermit für funktionstüchtig. Das ist der erste, der vollständig funktioniert. Weil, ich habe bisher immer mit den schönen neuen NodeMCUs probiert, die immer alle nicht funktionieren. Da müssen wir jetzt noch ganz viele neue Sensoren machen. – Jetzt fehlen nur noch 299 Stück! – Aber nicht heute! Sprecherin: Momentan gibt es auch nur Bauteile für etwa zwanzig Stück, eine erste Testreihe also. Außerdem fehlt noch ein Gehäuse für den Einsatz draußen. O-Ton Andreas: Und das zweite Problem, das wir noch haben, ist: Luftzufuhr kontrollieren, also dass der Sensor immer die gleiche Menge an Luft bekommt. Das ist auch, was die Messstationen am Neckartor so kompliziert macht. Die steuern auch sehr stark, wie viel Luft auf diese Membran drauf fließt. Damit sie jeden Tag vergleichbare Werte erzielen. Sprecherin: Braucht das selbstgebaute Gerät auch einen Ventilator, der die Luft einsaugt? Das würde die Kosten in die Höhe treiben. Und wie sieht es mit weiteren Faktoren aus, die beim Feinstaubmessen eine Rolle spielen – Faktoren wie Luftfeuchtigkeit, Niederschlag und Wind? Mir wird klar, dass Feinstaub messen nicht nur Programmieren und Zusammenlöten von Elektronikbauteilen bedeutet. Dass es eine sehr komplexe Sache ist, bei der es auch darauf ankommt, wie man misst. Doch jetzt, wo Sensor und Mikrocontroller zu funktionieren scheinen, hofft Jan Lutz, der das Projekt ins Rollen brachte, dass nun die erste Kleinserie gebaut werden kann. Erste Paten und Interessierte gibt es schon. O-Ton Jan Lutz: Also über die Resonanz, die wir bekommen haben, sieht man, dass es dem Menschen total wichtig ist, dieses Thema, nach... mehreren Zeitungsartikeln hab ich dann E-Mails bekommen von der Ostalb bis nach Frankfurt und alle wollten so ein Gerät haben und der Nachbar auch gleich zwei. Die Menschen wollen wirklich das auch selber messen und es ist ein Bedürfnis der Leute, und sie haben mich gefunden, obwohl wir noch keine Webseite und keine E-Mail und gar nichts rausgegeben haben, haben sie mich anhand von meinem Namen gesucht und gefunden und angeschrieben. 7 Autolärm Sprecherin: Seit mehr als zehn Jahren werden in Stuttgart die Grenzwerte für PM10-Feinstaub überschritten – nicht nur am Neckartor. Und genauso lange fordern Bürgerinitiativen und Umweltverbände eine Reduktion des Verkehrs. Sie wollen Fahrverbote. Doch Stadt und Land halten sich zurück. Demo: pfeifen oder trommeln Sprecherin: Im November 2015 erhöhen Umweltverbände den Druck auf die Politik. Sie organisieren eine Feinstaub-Demo. Eingeladen ist der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe Jürgen Resch. Er ist ein wichtiger Akteur im sogenannten „Dieselgate“. Vor Kurzem erst hat er die Stadt Stuttgart verklagt, um für die Bewohner das Recht auf saubere Luft durchzusetzen. O-Ton Jürgen Resch: So viel heiße Luft wie um die Luftreinhaltung gemacht wird, vertragen die Stuttgarter Bürger nicht mehr. Sie brauchen konkrete Taten, die brauchen nicht irgendwelche Aufrufe zur freiwilligen Verkehrsreduktionen. Nein, wir müssen die Dieselstinker einfach aussperren aus der Stadt. Wir brauchen Fahrverbote für Fahrzeuge, die die Menschen töten. Das ist vorsätzlicher Totschlag oder Körperverletzung mit Todesfolge, je nachdem wie man das werten möchte. Sprecherin: Gerade Dieselfahrzeuge mit unzureichendem Partikelfilter sind eine wichtige Quelle für die ultrafeinen Stäube, die hundert Mal kleiner sind als PM10-Partikel. Weil sie so klein sind, können sie durch die Lungenwand in die Blutbahn oder sogar über den Geruchsnerv ins Gehirn gelangen. Vor allem Herzinfakte, Kreislauferkrankungen, Krebs, sogar Diabetes und Frühgeburten werden mit ultrafeinen Partikeln in Verbindung gebracht. Mit einem blauen Gerät, das aussieht wie ein Handstaubsauger, kann Jürgen Resch sie zählen: O-Ton Jürgen Resch: 4.000 Partikel, jetzt sind es 5.000 Partikel pro Kubikzentimeter, das ist ungefähr so viel, wie sie auch in Berlin in der Innenstadt haben. Wenn wir jetzt etwa 50 Meter zur Straße hin laufen – ich habe nämlich vorhin hier am Tunneleingang gemessen – dann schnellt der Wert ungefähr auf bis zu 100.000 Partikel hoch. Und ich war da wirklich erschrocken, einen so hohen Wert messen zu können. Pro 1.000 Partikel mehr haben sie eine sieben Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, einen Herzinfarkt zu erleiden. Und deswegen gibt es nur eine einzige Möglichkeit: Man muss entlang der stark befahrenen Straßen die Luftqualität besser machen, indem alle Vergiftungsfahrzeuge und -Maschinen verboten werden. Sprecherin: Die Kundgebung beginnt. Bevor Jürgen Resch aufs Podium steigt, möchte ich wissen, was er von der Idee hält, dass Stuttgarter Bürger den Feinstaub selber messen wollen. 8 O-Ton Jürgen Resch: Ja, ich begrüße das sehr, wir machen ja auch selbst eigene Messungen. Nichts ist besser, als wenn die Bevölkerung dann selber auch mit zugegebenermaßen einfachen Geräten anfängt zu messen. Wir stellen ja auch häufig fest, dass man unbeliebte und unangenehme Messwerte ein bisschen vertuscht. Oder wie es in Stuttgart bis heute praktiziert wird, dass gerade die Messstelle mit den schmutzigsten Werten immer mit mehreren Wochen Verzögerung erst ihre Werte ins Netz stellt. Da ist es gut, wenn die Bevölkerung selber sensibilisiert wird und dann einfach sieht, was für ein Gift sie einatmet. Sprecherin: Welche Rolle spielen Fahrzeuge als Feinstaubquelle insgesamt und welche Rolle spielt das Heizen? Ich frage mich das, weil es mittlerweile Winter geworden ist, und Winterzeit – ist Feinstaubzeit. Auf einer Info-Veranstaltung im Rathaus treffe ich Rainer Wirth. Beim LandesUmweltamt ist er zuständig für die Auswertung und Interpretation der LuftMessdaten. [Woher kommt der ganze Feinstaub am Neckartor denn eigentlich, und was könnte man tun, möchte ich wissen. Rainer Wirth erklärt mir zuerst, dass der Feinstaub PM10 am Neckartor nur zu 45 Prozent vor Ort entsteht, ein Großteil aber aus der gesamten Stadt und dem großräumigen Ballungsraum herüberweht und sogar aus anderen Ländern wie Polen oder Frankreich kommen kann. Will man die Feinstaubbelastung vor Ort am Neckartor reduzieren, müsste man sie gleichzeitig auch in der gesamten Stadt und im gesamten Ballungsraum mindern. Und wer genau verursacht den Feinstaub nun? Sind es nur die Autos?] Rainer Wirth zeigt mir ein Diagramm für das Jahr 2013. Hier kann ich sehen, dass die Hälfte des am Neckartor gemessenen Feinstaubs durch den Straßenverkehr entsteht. O-Ton Rainer Wirth: Wenn ich jetzt diesen Straßenverkehrs-Staub mindern möchte, reicht es zum Beispiel nicht, wenn ich bloß sage, ich ersetze alle Verbrennungsmotoren durch Elektrofahrzeuge. Sprecherin: Das Erstaunliche ist nämlich: Nur sechs Prozent des PM10-Feinstaubs am Neckartor werden direkt durch Abgase am Neckartor verursacht. Fünf Mal so hoch dagegen ist der Anteil an Partikeln, die durch Bremsen- oder Reifenabrieb entstehen oder immer wieder aufgewirbelt werden. O-Ton Rainer Wirth: Das heißt, ich kann nur auf die sechs Prozent durch Abgas-Minderungsverfahren oder durch neue Euro-Normen einwirken. Der Auf- und Abwirbelungsanteil bleibt etwa gleich groß. Und deshalb muss ich mich um Maßnahmen kümmern, wo ich den Gesamtverkehr mindere. Sprecherin: Als zweite große Feinstaub-Quelle nennt mir Rainer Wirth die sogenannten Feuerungsanlagen, die über 20 Prozent des gemessenen PM10-Feinstaubs am Neckartor ausmachen. Es geht um Ölheizungen, Kohleöfen und um die gemütlichen Kamine, die man mit Holz beheizen kann. 9 [O-Ton Rainer Wirth: Vor allem beim Anfeuerungsvorgang wird sehr viel Feinstaub freigesetzt. Das können sie auch riechen, bei entsprechenden Wetterlagen. Es gibt dann oft Nachbarschaftsbeschwerden, die sich über den Geruch beschweren, und das ist eine wesentliche Komponente, die hier auch im städtischen Bereich eine Rolle spielt.] Sprecherin: Autos und Holzkamine scheinen die Haupt-Verursacher der Partikelbelastung am Neckartor zu sein. Ob es in meinem Viertel auch so ist? Herausfinden kann ich das mit den selbstgebauten Geräten nicht, aber messen, wie viel PM10- und PM2,5-Partikel bei mir in der Luft schweben. Ich fahre ins Shack, den Stuttgarter Hackspace, um zu sehen, ob ich mir so ein Gerät jetzt selbst zusammenbauen kann. Gemurmel, basteln [Sprecherin: Dort angekommen, zeigt Andreas Daten seiner neuen Testgeräte. O-Ton Andreas: Und zwar war mein Ziel ja eigentlich herauszufinden: Wo ist das Maximum von dem Sensor? Also wenn ich da ordentlich was drunter verbrenne, wie hoch gehen die Prozentwerte? Sprecherin: Während Andreas zu Hause einen großen Stapel Zeitungspapier verbrannt und ordentlich Qualm erzeugt hat, hat der Sensor nur in 30 Prozent der gemessenen Zeit Partikel gezählt. Andreas ist überzeugt, dass dieser Messwert zu gering ist. Wäre es jetzt notwendig, einen extra Lüfter einzubauen? O-Ton Andreas: Also ich finde es ehrlich gesagt nicht so schlimm, das an dem Sensor so viel vorbeigeht, solange die Sensoren untereinander vergleichbar bleiben. Das jetzt die Luft auf den Hinterdach vom Shackspace ähnlich sauber ist wie die in Herrenberg, das ist schon schade. – [lacht] – Ich habe mir dann mehr Unterschied erhofft, aber es ist eben auch zwischen zwei Häusern. Vielleicht geht da echt nicht so viel Wind. Deswegen hoffe ich jetzt auf der anderen Seite vom Shack, dass da die Luft dreckiger ist, weil da ist die S21-Baustelle, wo sie die Tunnel bohren. Werde ich ausprobieren.] Sprecherin: Die Gruppe besteht mittlerweile aus einem harten Kern von zehn Leuten. Und immer wieder kommen auch neue Gesichter dazu, sind neugierig oder persönlich betroffen von Baumaßnahmen oder der Zunahme des Verkehrs. [Menschen wie Rajko, der wissen und selber messen will, wie feinstaubbelastet sein Wohngebiet ist, wenn 25.000 Autos mehr pro Tag dort in Zukunft fahren werden.] Bohren 10 Sprecherin: Andreas steckt zwei gewinkelte Stücke eines zu einem umgekehrten „U“ zusammen, drückt sie mir in die Hand und grinst: Voilà. In der Holzwerkstatt bohre ich sechs Löcher in das graue Plastikrohr, während Andreas den Mikrocontroller mit neuer Software bespielt. Anschließend montiere ich die Elektronik-Bauteile in das Innere des Rohrs hinein und fixiere alles mit Kabelbinder. In diesem umgekehrten U wird die Technik vor Regen und Schnee geschützt, während die Luft von unten hindurchströmen kann. [Ich bin gespannt und freue mich, dass mein erstes selbstgebautes Messgerät so einfach zu montieren ist.] Demo Sprecherin: Kurz vor Weihnachten 2015 kündigen Politiker von Stadt und Land eine neue Maßnahme zur Luftreinhaltung an: Ein Alarm wird die Bürger künftig vor Feinstaub warnen. Große Anzeigetafeln an den Aus- und Einfallstraßen sollen sie dazu bewegen, ihr Auto stehen zu lassen. Auch Holzkamine – „Gemütlichkeitsöfen“ – sollen nicht brennen in dieser Zeit. Verkehrsminister Winfried Hermann nennt das Konzept in einer Pressekonferenz „die erste harte Maßnahme“. O-Ton Winfried Hermann: Wir warten mit weiteren Maßnahmen zwei Jahre ab in der Hoffnung, dass wir in diesen zwei Jahren es schaffen, dass in Inversionswetterlagen die Menschen sich vernünftig verhalten, umsteigen, weniger Auto fahren, gemeinschaftlich Auto fahren. Sprecherin: Dabei wäre eine Reduzierung des Verkehrs die schnellste und wirksamste Maßnahme, wie nicht nur die Umweltverbände und Bürgerinitiativen fordern, sondern wie auch das Landesumweltamt bestätigt. O-Ton Winfried Herrmann: Für Fahrverbote braucht es keine extra gesetzliche Grundlage, wenn man das machen will. Dafür braucht es eine politische Grundlage. Und wir wollen ja – das haben wir sehr deutlich gesagt – wir wollen alles tun, um Fahrverbote zu vermeiden. Sprecherin: Fahrverbote – kein schönes Wort. Eigentlich geht es ja um Bewusstwerdung und Einsicht. Schließlich tragen wir alle, die wir Auto fahren, eine Mitschuld an Stuttgarts schlechter Luft. Für Jan Lutz, der das Feinstaubprojekt im Rahmen des Open Knowledge Labs offiziell leitet, ist es auch eine Frage fehlender politischer Visionen: O-Ton Jan Lutz: Mit diesen Verboten und so erreicht man halt überhaupt gar nichts. Ich finde ja immer, man könnte sagen: Stuttgart ist DIE Mobilitätsstadt und jetzt machen wir eben die Zukunftsmobilitätsstadt und machen alles neu. Und alte Verbrenner haben hier einfach überhaupt gar nichts mehr zu suchen, und wir machen jetzt viel coolere Sachen und probieren Mobilitätsformen vollkommen neu aus. Und da können gerne auch ein paar Autos fahren, vielleicht Elektroautos, aber diese Dosis ist einfach unglaublich. Ein totaler Irrsinn. 11 Sprecherin: Der Feinstaubalarm soll ein Umdenken bewirken. Und 2016 – ist er da. Doch kaum einer hält sich dran. Es ist Winter, es staubt – und alles bleibt, wie es ist. Unterdessen sammelt mein Sensor fleißig Daten. Nur sehen kann ich die noch nicht. Also treffen wir uns erneut im Shack und werfen einen Blick auf meinen und die 24 anderen Test-Sensoren, die mittlerweile im Stadtgebiet installiert worden sind. Andreas klappt seinen Laptop auf und zeigt mir die Ergebnisse des größten Feinstaubevents im neuen Jahr: Silvester. O-Ton Andreas: Also die normalen Tageswerte liegen maximal bei 100, und Silvester war bei 1.400, die Spitze. Also schon sehr viel höher. Und du siehst das Bild. Es ist sehr eindeutig, dass da irgendwas anders ist. Sprecherin: Einen breiten Peak hat die Feuerwerksknallerei in der Silvesternacht verursacht: Hohe Feinstaubwerte, die sich drei bis vier Stunden später wieder normalisieren. Die Kurve ähnelt den offiziellen Silvester-Kurven des Landesumweltamts – für die Tauglichkeit des Geräts ist das schon mal ein gutes Zeichen. Doch es gibt noch viel zu tun -– Vergleichsmessungen mit Referenzgeräten etwa. Und es wird noch einige Zeit dauern, bis das Messnetz steht. Denn die meisten Aktiven machen das Projekt in ihrer Freizeit. Aber wenn es so weit ist – wird es das erste Bürgermessnetz für Feinstaub in Deutschland sein. O-Ton Jan Lutz: Niemand braucht vor uns Angst haben und wir haben aber auch vor niemand Angst. Aber wir alle sollten zumindest mal ehrfürchtig sein vor den Daten, die dann tatsächlich da sind. Das ist ja das, worum es dann geht und was man dann eben angehen muss, verantwortlich, als Stadt, als Bürger, als Mensch, um hier gemeinsam nett zu leben. ***** 12
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