WAS IST VOLKSWIRTSCHAFT?

WAS IST VOLKSWIRTSCHAFT?
Kapitel 1
Das Schlaraffenland
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Eine Gegend heißt Schlaraffenland,
den faulen Leuten wohlbekannt;
die liegt drei Meilen hinter Weihnachten.
Ein Mensch, der dahinein will trachten,
(…).
Da hat er Speis und Trank zur Hand;
da sind die Häuser gedeckt mit Fladen,
mit Lebkuchen Tür und Fensterladen.
Um jedes Haus geht rings ein Zaun,
geflochten aus Bratwürsten braun;
vom besten Weine sind die Bronnen,
kommen einem selbst ins Maul geronnen.
An den Tannen hängen süße Krapfen
wie hierzulande die Tannenzapfen;
auf Weidenbäumen Semmeln stehn,
unten Bäche von Milch hergehn;
in diese fallen sie hinab,
dass jedermann zu essen hab. (...)
Drum ist ein Spiegel dies Gedicht,
darin du sehest dein Angesicht.
(SACHS)
Volkswirtschaftliche Fragen betreffen Sie als Konsument/
in, Unternehmer/in und als Bürger/in. Da die Mittel in Form
von Gütern, Dienstleistungen und Zeit sowohl für das
Individuum als auch für die Gesellschaft knapp sind, müssen
Entscheidungen darüber getroffen werden, welche Mittel
wofür eingesetzt werden. Wirtschaftlich zu entscheiden
bedeutet, jene Alternative zu wählen, die den größten
Zusatznutzen bringt.
Wenn Sie dieses Buch erstmals zur Hand nehmen, haben Sie sich wahrscheinlich noch nicht bewusst mit dem Thema Volkswirtschaft auseinandergesetzt. Vielleicht stellen Sie sich die Frage, was Volkswirtschaft
eigentlich ist und was das alles mit Ihnen zu tun hat. Dabei werden Sie
wahrscheinlich bald feststellen, dass Sie sich bereits mit Fragen der Volkswirtschaft beschäftigt haben.
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Volkswirtschaft – was ist das eigentlich?
Das Wort Volkswirtschaft besteht aus den Wörtern Volk und Wirtschaft. Der
Begriff könnte falsch verstanden werden, denn kein Volk wirtschaftet heute
mehr ffür sich allein. Unsere moderne Wirtschaft ist ganz stark vernetzt.
Denken Sie nur daran, wie stark wir z.B. von Erdöl und Erdgas abhängig
sind, wie viel wir ins Ausland reisen oder wie viele Ausländer/innen unser
Land besuchen oder bei uns wohnen. Keine Volkswirtschaft kann heute
ohne eine andere üüberleben. Kein Staat ist autark – wir brauchen einander.
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Zu 1:
Definitionen von Volkswirtschaft:
A 1: Wie definiert man Volkswirtschaft?
„Gesamtheit aller mittelbar oder unmittelbar auf die Wirtschaft einwirkenden
Kräfte, sämtliche Beziehungen und Verflechtungen der Einzelwirtschaften
[das sind Haushalte und Unternehmen] innerhalb eines durch Grenzen deutlich
von anderen Gebieten abgegrenzten Gebietes (meist durch Staatsgrenzen) mit
einheitlicher Währung.“ (GABLER 1998)
A 2: Lesen Sie die verschiedenen
Definitionen von Volkswirtschaft. Fassen Sie die Aussagen zusammen.
A 3: Definieren Sie mit Ihren eigenen
Worten Volkswirtschaft.
A 4: Gibt es Wirtschaft und Volkswirtschaft im Schlaraffenland? Argumentieren Sie.
Die erste volkswirtschaftliche
Entscheidung:
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Kinder wünschen sich zu Weihnachten
oft sehr viele verschiedene Sachen.
Da aber das Haushaltsbudget durch
das Einkommen der Eltern begrenzt
ist, müssen die Kinder entscheiden,
welche Geschenke sie nun bevorzugt
haben möchten. Die Kinder treffen
also eine Entscheidung, weil die Mittel
knapp sind.
Volkswirt/innen/e würden das so erklären: Ein Haushalt versucht seinen
Nutzen zu maximieren, muss dabei aber
die Budgetrestriktionen in Betracht
ziehen. Ein Haushalt wählt daher jene
Güter aus, die unter der Voraussetzung
des gegebenen Budgets den größten
Zusatznutzen (Grenznutzen) erbringen
können.
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“Economics is all round you. It is about how society deals with the problem of
scarcity. We can’t have everything we want, whether this refers to continuous
holidays or perfectly clean air. We have to make choices. Economics is the study
of how society makes these choices. Economics is not just about incomes, prices
and money. Sometimes it makes sense to use markets, sometime we need other
solutions. Economic analysis helps us decide when to leave things to the market
and when to override the market. (…) Economics is the study of how society
decides what, how, and for whom to produce.” (BEGG u. a. 2003, S. 1)
„Economics is the study of how society manages its scarce resources.“
(MANKIW 2001, S. 4)
“Economics is the study of how societies use scarce resources to produce valuable commodities and distribute them among different people.”
(SAMUELSON u. a. 2001, S. 4)
“Weil die Bedürfnisse unbeschränkt sind, die Ressourcen und als Folge davon die Güter und Dienstleistungen zur Bedürfnisbefriedigung
knapp bleiben, stellt sich immer wieder die gleiche Frage: Wie sollen bei den vielen Bedürfnissen die knappen Ressourcen verwendet
werden, um die bestmögliche Bedürfnisbefriedigung zu erreichen?”
(DUBS 1987, S. 15)
Vocabulary:
scarcity: Knappheit
we have to make choices: wir müssen Entscheidungen treffen
economics: Volkswirtschaft
to override the market: den Markt außer Kraft setzen
commodities: Güter und Dienstleistungen
Kapitel 1
Ganz stark ist diese Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union.
Deshalb versucht die EU auch die Wirtschaft der einzelnen Mitgliedsländer zu koordinieren. Trotzdem hat sich der Begriff Volkswirtschaft im
deutschen Sprachraum durchgesetzt. Als Synonym wird auch das Wort
Nationalökonomie gebraucht.
Eine Familie muss wirtschaften, weil die Bed
Bedürfnisse größer sind als die
Mittel, die zur Verf
Verfügung stehen. Es müssen also Entscheidungen getroffen werden, was mit den vorhandenen Mitteln gemacht werden kann. Ein
Unternehmen muss seine Mittel einteilen, damit nichts vergeudet wird,
keine unnotwendigen Kosten entstehen oder das Unternehmen gar in
Konkurs gerät. Auch ein Staat muss mit seinen Mitteln sorgsam umgehen,
auch ffür ihn gilt die Knappheit!
Woher nimmt denn eigentlich der Staat seine Mittel? Er treibt Steuern ein und
kann nicht mehr einnehmen, als die Bürger/innen
üürger/innen erwirtschaften können. Der
Staat kann sich auch verschulden und Kredite bei seinen Bürger/inne/n (mit
Staatsanleihen)) oder bei Banken aufnehmen. Daf
Dafür muss der Staat
auch Zinsen bezahlen und ffür die Tilgung sorgen. Auch daf
dafür müssen
nat rlich wieder genügend
natü
gend Mittel zur Verf
Verfügung stehen. Wer glaubt, dass
der Staat einfach durch die Zentralbank Banknoten drucken lassen und in
Verkehr bringen kann, befindet sich aus zwei Gr
Gründen im Irrtum: Erstens
ist dies innerhalb der Europäischen Union gesetzlich untersagt. Zweitens
würde diese Form der Finanzierung zu Inflation fü
f hren.
VOW
VOW-Basics
: Volkswirtschaft
Wirtschaften heißt, die knappen Mittel
so einzusetzen, dass jene Alternative
gewählt wird, die den größten Zusatznutzen stiftet.
Volkswirtschaft hat als Wort eine
doppelte Bedeutung:
• Es beschreibt die Lehre bzw. Wissenschaft und
• die Summe aller Wirtschaftsaktivitäten
ä
äten
eines Staates oder einer Region.
Volkswirtschaft als Wissenschaft oder
Lehre könnte einfach so formuliert sein:
Volkswirtschaft ist die Lehre, die uns
zeigt, wie eine Gesellschaft mit ihren
knappen Mitteln umgehen soll. Eine
Gesellschaft hat nur begrenzte Mittel
zur Verf
Verfügung. Es muss also entschieden werden, wie und wof
wofü r diese
knappen Mittel eingesetzt werden.
Volkswirtschaft hat daher mit Entscheidungen zu tun.
 S. 102 ff.: Geldpolitik – wie kommt das Geld in die Welt?
Volkswirtschaft
i
„Die Volkswirtschaftslehre könnte man deshalb auch einfach als ‚Lehre von
der Knappheit‘ oder wie der Ökonom
konom H. Siebert ausdr
ausdrückt, als die „Kunst des
Mangels“ beschreiben.“
(HANU
(HANU
HANUSCH
SCH u.a. 1998, S. 1).
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Georg Tafner, Graz
„There is no free lunch.“ Das sagen US-amerikanische Volkswirte, wenn sie
ausdr cken wollen, dass unsere Mittel knapp sind.
ausdrü
Die Volkswirtschaft als Sozialwissenschaft
In der Volkswirtschaft geht es um Menschen, die Geld ausgeben und einnehmen, also kaufen und verkaufen, arbeiten oder arbeiten wollen. Sie ist
also eine Wissenschaft, die sich mit Beziehungen von Menschen auseinandersetzt. Volkswirtschaft ist daher ein Teil der Sozialwissenschaft. Da
das Verhalten von Menschen nicht immer einfach zu beschreiben oder gar
voraussagbar ist, gibt es auch in der Volkswirtschaft keine Gesetze, die wie
jene in Physik oder Mathematik immer und üüberall richtig sind.
Die Volkswirtschaft muss mit Modellen und Theorien arbeiten, tut sich
dabei aber ein wenig leichter als die anderen Teilgebiete der Sozialwissenschaften. Denn das Verhalten der Menschen bei wirtschaftlichen Entscheidungen ist im Normalfall rationaler und deshalb einfacher beschreib- und
voraussagbar als andere Handlungen von Menschen.
Ein Beispiel: Angenommen es stehen zwei Paar Schuhe zur Auswahl,
welche die gleiche Qualität, die gleiche Farbe und die gleiche Passform
aufweisen, sich aber im Preis unterscheiden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit
werden die Konsument/inn/en das billigere Paar Schuhe kaufen. In vielen
Studien lässt sich dieses rationale Verhalten der Menschen nachweisen.
Sie werden in diesem Buch auch die wichtigsten volkswirtschaftlichen
Modelle kennen lernen und lernen, mit diesen zu arbeiten.
Abb. 5.1: Haushalte sind ein Teil der
Volkswirtschaft.
VOW
VOW-Basics
: Sozialwissenschaften
Die Sozialwissenschaften untersuchen
und beschreiben Phänomene, die durch
das Zusammenleben von Menschen
auftreten. Zu den Sozialwissenschaften
zählen u.a.:
Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft,
Pädagogik (z.B. Wirtschaftspädagogik), Kulturwissenschaften, Religionswissenschaften, Politikwissenschaften
und Soziologie.
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