Leseprobe zum Titel: Der Tagesspiegel (24.01.2015)

Show, Sport und Schmerz:
Wrestling lernen in Neukölln
– Mehr Berlin, Seiten 20 + 21
BERLIN, SONNABEND, 24. JANUAR 2015 / 71. JAHRGANG / NR. 22 293
Auf die Plätze: Berlin
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für Olympia – Seite 17
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Methode Merkel
Der König
ist tot …
– Seiten 3 und 9
Berlin - Im Berliner Ortsteil Niederschöneweide haben Spaziergänger am Freitagmorgen eine Frauenleiche gefunden.
Hunde hatten den Körper in einer Mulde
in der Köllnischen Heide im Bezirk Treptow-Köpenick aufgestöbert. Die Mordkommission stellte fest, dass es sich bei
der Toten in dem viel frequentierten
Wäldchen um eine 19-Jährige handelt.
Sie sei hochschwanger gewesen und nach
den bisherigen Ermittlungen bei lebendigem Leib verbrannt worden. Ob der Fundort auch der Tatort war, blieb offen. Am
Abend teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit, dass ein Tatverdächtiger festgenommen worden sei. Nähere Angaben
machten sie zunächst nicht.
kat/obs
— Seite 13
D
er beliebte Hitler-Vergleich, er
führt auch hier wieder einmal in
die Irre. Denn man weiß nicht,
ob der Diktator sauer war über die amerikanischen Filme, in denen er gnadenlos zum Hampelmann gemacht wurde,
Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ oder
Chaplins „Der große Diktator“. In der
Tat hat er gut ein Jahr nach der Chaplin-Premiere den USA den Krieg erklärt
– aber das hatte wohl andere Gründe.
Generell lässt sich aber sagen, dass
Diktatoren absolut keinen Spaß verstehen, ganz unabhängig von Religion oder
geografischer Lage. Man könnte sogar
sagen, dass einer von ihnen, der Nordkoreaner Kim Jong Un, den absoluten Nullpunkt der Humorskala darstellt. Ob er
wirklich so ist, weiß man nicht, vielleicht halten ihn die Bekannten, die er
noch nicht umgebracht hat, für einen
ganz netten Kerl. Aber nach außen ...
Um zum Kino zurückzukehren: Der
nordkoreanische Geheimdienst hat da
was durcheinandergebracht. Denn der
Film „The Interview“, der sich satirisch
mit Kim Jong Un befasst, startet zwar
Anfang Februar in Deutschland, aber
nicht auf der Berlinale. Deshalb war
man dort sehr verblüfft über die Auffor-
N
Architekt Libeskind rechnet mit Berlin ab
Den Masterplänen fehlen Kreativität und Ideen – den neuen Plätzen Betriebsamkeit und Lebenslust
Von Reinhart Bünger
Berlin - US-Stararchitekt Daniel Libeskind hat Berlins Stadtplanern und Projektentwicklern Ideenarmut und Konzeptionslosigkeit vorgeworfen. Gleichzeitig
warb er für eine umfassende Architekturdebatte in der Hauptstadt. Vielen
neuen Quartieren fehle es an Leben,
sagte Libeskind dem Tagesspiegel im
Interview. „Diese Stadt wird von ihrer
eigenen Entwicklung erstickt, wenn sie
nicht aufhört und merkt: ,Hey, wir sind
Berlin! Wir sollen doch eine kreative
Stadt sein.‘ “ Am Spittelmarkt, rund um
den Hausvogteiplatz, auf der Stralauer
Halbinsel oder am Potsdamer Platz
(„Der Platz ist steril“) – überall fehle es
an Betriebsamkeit und Lebenslust, sagte
der 68-Jährige, der von 1989 bis 2003 in
Berlin lebte.
Matthies meint
Der absolute
Nullpunkt
der Humorskala
derung, dies zu unterlassen, weil die
Verantwortlichen sonst „einer gnadenlosen Strafe nicht entgehen“ würden.
Schade, dass diese Drohung nun
nicht mehr näher spezifiziert wird. Worin könnte diese Strafe bestehen?
Der öffentliche Diskurs drehe sich in
Berlin allein um das Humboldt-Forum in
der teilweisen Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses, sagte Libeskind: „Wie
enttäuschend für eine Gesellschaft, die
Goethe, Schiller, von Humboldt und Scharoun hervorgebracht hat.“ Die Welt erwarte mehr von der deutschen Hauptstadt. Berlin sei einmal in den 20er Jahren eine innovative Stadt gewesen, die im
Städtebau mit New York konkurriert
habe. Heute scheine sie aber der schwedischen Provinzstadt Malmö nachzueifern.
„Immer die gleichen Gebäude, immer die
gleichen vertikalen Fenster.“
Es gelte, eine offene, partizipatorische
Diskussion zu führen – auch mit Menschen von anderswo. Die Bürger Berlins
seien zu beteiligen, anstelle zu versuchen, sie auszusperren. Die Diskussion
um das Tempelhofer Feld sei „ein sehr gu-
Würde Nordkorea zur nächsten Berlinale einen Wettbewerbsbeitrag einreichen? Über dem „Kulinarischen Kino“
eine gezielte Hungersnot hereinbrechen lassen? Oder Dieter Kosslick auf
Lebenszeit die Einreise nach Pjöngjang
verweigern? Die empörte Abreise der
Delegation kommt ja schon mangels Delegation nicht in Betracht.
Jetzt reicht es vermutlich nicht mal
für einen Miniatur-Skandal. Obwohl
den die Berlinale durchaus brauchen
könnte. Denn es ist ruhig geworden
ums einst so umzankte Festival, selbst
die harmlose „Berlinackte“ ist schon
wieder zehn Jahre her. Und nur noch
ausgesprochene Skandal-Gourmets erinnern sich an die Empörung über zwei
Vietnam-Filme, die der Amerikaner
über „O.K“ und die der Ostblockländer
über „The Deer Hunter“, oder an die erbosten deutschen Regisseure, die 1981
meuterten, weil das Festival ihre bleierne Gesellschaftskritik nicht vollumfänglich vorführen mochte.
Notwendig wäre vermutlich ein Film,
der Nordkorea in den prächtigsten Farben schildert. Aber so etwas gibt es
nicht mal in Nordkorea. Und Berlinackte schon gar nicht.
tes Beispiel dafür, dass Menschen Politiker ablehnen. Sie kennen die Fiaskos, sie
kennen die Situation am Flughafen, und
sie glauben Politikern einfach nicht
mehr.“ Dabei sollte diese Fläche bebaut
werden, sagte Libeskind, um hier einen
„Diese Stadt wird von ihrer
eigenen Entwicklung erstickt“
Daniel Libeskind, Architekt & Stadtplaner
Dialog mit einem Nazibau zu führen.
„Städte müssen für so etwas bereit sein,
sonst verpassen sie ihre Chance“, mahnte
der weltbekannte Architekt.
Scharf kritisierte er die räumliche OrdnungderGegendrundumden Hauptbahnhof. „Das ist ein schreckliches Areal“,
C
sagte Libeskind. Hier seien „Gebäude
ohneCharakter, ohneIdeenreichtum“entstanden. Dies seidasErgebniseiner instrumentalisierten Planungsbürokratie, wo alles auf dem Papier logisch erscheine, wo
aber keiner über die Stadt als Kunstwerk
nachdenke. „Heute entwerfen vielleicht
Architekten Gebäude, aber die echten
Masterpläne werden von Technokraten
und Bürokraten entwickelt. Berlin ist ein
gutes Beispiel dafür.“
Die Kritik zielt gegen Berlins Senatsbauverwaltung, die sich – in einigen Fällen seit Jahrzehnten – mit großen Würfen
bei der Bebauung großer Stadtbrachen
schwertut und mit der Neuordnung konzeptioneller Dauerbaustellen vom Alexanderplatz über die Historische Mitte
nicht vorankommt.
— Seiten I 1 und I 2 im Immobilienteil
D
INDEX
Ferienwohnungen
für Flüchtlinge
beschlagnahmen?
WIRTSCHAFT & BÖRSEN . . . . . . . . . 7 + 10
Die Geldflut der EZB
Dax
stimulierte auch am
Freitag die Börse: Der
Dax stieg um 2,1 Prozent
auf 10 649 Punkte.
WETTER
........................................... 2
Am Sonnabend ist es
in Berlin und Umgebung
meist bewölkt.
2 /-2
Gelegentlich zeigt sich auch die Sonne.
Später werden die Wolken dichter,
am Nachmittag schneit es etwas.
SPORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 + 12
TAGESTIPPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
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ISSN 1865-2263
60004
4 190662 202105
Foto: Alice Epp
Mord in Berlin:
Schwangere
verbrannt
Von Stephan-Andreas Casdorff
Foto: Hassan Ammar/AFP, Text: Reuters
… es lebe der König. Jetzt herrscht
Salman in Saudi-Arabien. Er kündigte eine
Fortsetzung der Politik seines Vorgängers
Abdullah (Bild) an und rief die Muslime
zur Eintracht auf.
Mit Gottes Hilfe werde Saudi-Arabien
den Weg beibehalten, den es unter dem
verstorbenen König eingeschlagen habe,
sagte Salman am Freitag in seiner ersten
Ansprache an das Volk. Salman bildete
die Regierung teilweise um, hielt aber
an Ölminister Ali Al Naimi fest, der das Amt
seit 1995 bekleidet. An den Ölmärkten
dürfte dies als Zeichen der Stabilität
gewertet werden. Saudi-Arabien steht
derzeit weltweit in der Kritik, weil es einen
regimekritischen Blogger zu zehn Jahren
Haft und 1000 Stockhieben verurteilt hat.
Was zur
Strategie gerinnt
Berlin - Angesichts der Schwierigkeiten,
Flüchtlinge in Berlin angemessen unterzubringen, hat die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann (Grüne), vorgeschlagen,
Ferienwohnungen zu beschlagnahmen.
Diese könne man dann für eine kurzfristige Unterbringung von Asylbewerbern
nutzen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung solle die juristischen Möglichkeiten prüfen, forderte Herrmann,
die dem Land Berlin und dem Liegenschaftsfonds mangelnde Kooperation
vorwarf. Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) nannte den Vorschlag
„nicht zu Ende gedacht“, ein solcher
Schritt würde vermutlich „eine Klagewelle auslösen“. Das Gesetz sehe „Beschlagnahmungen nur für ganz besondere Ausnahmefälle vor“.
ball
— Seite 14 und Meinungsseite
achher gerinnt zur Strategie, was
vorher keine war. Dieser Satz gilt
für vieles in der Politik, weil Politiker, wenn sie dennbeschlagen sind,es verstehen, später so zu tun, als sei alles geplant gewesen. Den Erfolg vorausgesetzt.
In dieser Disziplin gibt es in der amtierenden Bundesregierung einige Meister(-innen). Zu ihnen zählt, wenngleich über die
Jahre eher unbemerkt, die Bundeskanzlerin. Da denken die meisten, sie habe sich
schon alles dazu gedacht – und dann war
es doch eher situativ oder intuitiv. Oder
eine ihrer Versuchsanordnungen, bei denen vorher keiner ganz genau weiß, was
am Ende herauskommt.
Nach diesem Vorspruch können wir
uns die jüngsten Vorstöße der Angela
Merkel anschauen. Der Islam gehört
auch zu Deutschland, sagt sie, damit
Christian Wulff zitierend. Abgesehen davon, dass das nicht grundstürzend ist,
dass sie das auch schon mal vorher gesagt
hat – sie sagt es jetzt, nach einiger Zeit
des Abwartens in einer gesellschaftlich
durchaus aufgeladenen Situation. Was
sie meint, ist allerdings etwas anderes,
und das hat sie erklärend quasi nachgeschoben: Die Muslime gehören auch zu
Deutschland. Die Kurzformel lautet also:
Muslime ja, Islam na ja.
Diese schillernde Unterscheidung ist
deshalb wichtig (geworden), weil in der
CDU dann doch noch einige sind, denen
das Verhältnis zum Islam zu beliebig ist.
Wofür sind sie Christdemokraten, nicht
wahr? Sind es auch die Älteren, die so
denken – die sind in der Mitgliedschaft
und in der Wählerschaft die Mehrheit.
Ohne Mehrheit aber keine Kanzlerschaft,
das ist eine einfache Gleichung. Mögen
Physiker, um dieses Bild von der Kanzlerin noch einmal zu strapazieren, auch
gerne eine Menge ausprobieren, rechnen
können sie in jedem Fall. Im Nachhinein
kann Merkel sagen, dass sie die Mitglieder doch nur für eine neue Sicht und die
CDU für mehr Wähler öffnen wollte.
Aber wenn sich einer mehr dabei denkt,
ist das auch willkommen; denn mit wem
verbindet sich das? Genau.
Oder jetzt das Verhältnis zu Russland
und der Ukraine. Ob Merkel das alles
wirklich so beabsichtigt hat, ist nicht sicher. Aber man könnte die Geschichte
gut so erzählen, gewissermaßen mit diesem Spin: Die Kanzlerin nutzt das Weltwirtschaftsforum in Davos als Bühne; Davos, das keine staatliche Veranstaltung
ist, aber doch ziemlich offiziell. Denn sie
will die Russen locken, sich wieder zu zivilisieren. Dafür nimmt Merkel nicht die
größte mögliche Bühne, sondern ein kleineres Forum – damit sich die Wellen langsamer ausbreiten und die Verbreitung unter Kontrolle bleibt. Was sich verbreitet:
Merkel ist in dieser buchstäblich aufgeladenen Situation für ein Freihandelsabkommen mit Russland. Unter Bedingungen, versteht sich. Die Lockung, ja Verlockung ist, dass Wladimir Putin das auch
immer haben wollte, ein Abkommen von
Lissabon bis Wladiwostok.
Nur ein situativer Einfall? Oder mehr,
ein Test? Oder beides? Gleichviel, jetzt
wird etwas daraus gemacht, aus diesem
einen Schritt auf Putin zu. Flankiert wird
Merkel von Vizekanzler Sigmar Gabriel
und von Außenminister Frank-Walter
Steinmeier sowieso. Da kann die Kanzlerin sagen, was sie will, sogar, dass es gar
nichts Neues sei – auf diesem Weg gerinnt das Gesagte zur Strategie. Und
wenn es funktioniert, einen Erfolg bringt,
wenn Russland darauf anspringt und die
Ukraine endlich in Ruhe lässt, wer hat
den Erfolg vorbereitet? Genau.
Am Ende kommt dann der nächste
Wahlsieg heraus. Ziemlich wahrscheinlich jedenfalls.
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