BUSINESS & DIPLOMACY

Winter 2015 | 9. Jahrgang
5,90 Euro
BUSINESS & DIPLOMACY
MAGAZIN FÜR AUSSENPOLITIK, WIRTSCHAFT & LEBENSART
WWW.BUSINESS-DIPLOMACY.DE
Münchner
Sicherheitskonferenz
INTERVIEW MIT BOTSCHAFTER
PROF. DR. WOLFGANG ISCHINGER UND
KONSUL DR. PANTELIS C. POETIS
AUSSENPOLITIK
MESSEN
INDIEN
UNGARN
BERLIN
Ukraine-Konflikt:
Interview mit
Russlands Botschafter
Vladimir Grinin
Ägypten ist
in diesem Jahr
Partnerland der
Fruit Logistica
Hoffnungsträger:
Erfüllt der ehrgeizige
Regierungschef Modi
die Erwartungen?
Flüchtlingsfrage:
Gespräch mit dem
neuen Botschafter
Dr. Péter Györkös
Konsular Korps
Deutschland
feiert 20-jähriges
Bestehen
SICHERHEIT
Dr. Pantelis Christian
Poetis, Honorarkonsul
für Pakistan in Bayern
und Baden-Württemberg,
Botschafter Prof. Dr.
Wolfgang Ischinger
(rechts)
Foto: Schunk
Münchner Sicherheitskonferenz
Eine Gesamtstrategie
für Syrien
Vom 12. bis 14. Februar 2016 steht die bayerische Landeshauptstadt wieder im Mittelpunkt der Weltpolitik. Auf der 52. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) werden
sich über 500 hochrangige Entscheidungsträger der internationalen Politik und Wirtschaft versammeln, um über die aktuellen Krisen und Konflikte in der Welt zu beraten. Hauptthemen der diesjährigen Sicherheitskonferenz werden der Krieg in Syrien,
Terrorismus und die Flüchtlingskrise sein. Welche Strategien heute die richtigen sind,
um den aktuellen Krisen und Konflikten wie in Syrien zu begegnen, und was das
für die Diplomatie und Wirtschaft bedeutet - das diskutierten der Vorsitzende der
Münchner Sicherheitskonferenz, Botschafter Prof. Dr. Wolfgang Ischinger und der
Honorarkonsul der Islamischen Republik Pakistan für Bayern und Baden-Württemberg, Dr. Pantelis Christian Poetis im Gespräch mit BUSINESS & DIPLOMACY.
08 | BUSINESS & DIPLOMACY 04/2015
INTERVIEW:
PHILOMENA
POETIS
UND OLIVER
ROLOFS
SECURITY
MAN MUSS WOHL NICHT LANGE RATEN: DAS BEHERRSCHENDE THEMA DER 52. MÜNCHNER SICHERHEITSKONFERENZ VOM 12.-14. FEBRUAR 2016 WIRD SYRIEN SEIN?
Ischinger: Wir werden in der Tat nicht daran vorbeikommen,
die Großkrise des Nahen und Mittleren Ostens zum Hauptthema der Konferenz zu machen, die sich gleichzeitig mit Terrorismus, dem Krieg in Syrien, der Flüchtlingskrise und den
zahlreichen „failing states“ in der Region beschäftigen muss.
Ein weiteres zentrales Thema wird die Überwindung der Ukraine-Krise und die Zukunft der Zusammenarbeit des Westens mit
der russischen Föderation sein.
WERDEN SIE IN MÜNCHEN DIESE FRAGEN MIT DEN
HAUPTPROTAGONISTEN DISKUTIEREN?
Ischinger: Wir haben einen Zustrom wie noch nie. Dieses Jahr
ist nicht nur das Interesse klassischer west-östlicher Teilnehmer
sehr groß, wo ich sowohl von amerikanischer als auch von russischer Seite eine jeweils große Delegation erwarte. Auch eine
stattliche Zahl von Staats- und Regierungschefs, beziehungsweise Außen- und Verteidigungsministern aus dem Nahen- und
Mittleren Osten, etwa aus Iran, Saudi Arabien, der Türkei sowie
diverse Golfstaaten und Ägypten haben sich angekündigt.
Poetis: Auch Pakistan hat seine Teilnahme an der Sicherheitskonferenz 2016 mit einer hochrangigen Delegation in Aussicht
gestellt. Gerade die zahlreichen bilateralen und inoffiziellen
Meetings, die in kürzester Zeit realisiert werden, bieten den
Akteuren die Gelegenheit, erste Gedanken mit der Gegenseite auszutauschen, die dann in weiteren Gesprächen von Erfolg
gekrönt sein können. Besonders stolz sind wir darauf, dass Botschafter Ischinger uns die Möglichkeit gegeben hat, anlässlich
der Sicherheitskonferenz die Economy Talks ins Leben zu rufen
und somit den wichtigen Link zwischen Sicherheitspolitik und
Wirtschaft herzustellen.
LÄUFT DER WESTEN NACH DEN TERRORATTACKEN VON
PARIS IN DIE GLEICHE FALLE WIE DIE USA, DIE NACH 9/11
DEN GLOBAL WAR ON TERROR AUSGERUFEN HABEN?
Ischinger: Ich hoffe, der Westen hat nach 9/11 die richtigen
Lehren gezogen. Eine der zentralen Lehren ist, dass man nicht
wirklich im Wortsinn Krieg gegen den Terrorismus führen
kann. Das Phänomen des Terrorismus wird man auch im 21.
Jahrhundert nicht besiegen können. Die Frage ist, ob wir eine
Strategie entwickeln können, die die Wurzeln des Terrorismus
angeht und gleichzeitig die gegenwärtigen brutalen Auswirkungen der Ausbreitung des sogenannten Islamischen Staats
eindämmt. Wir brauchen eine Gesamtstrategie, die sich genauso auf das Ende des Bürgerkriegs in Syrien und den Schutz
der Zivilbevölkerung fokussiert, wie die jetzt beschlossene
Bekämpfung des Islamischen Staats durch die internationale
Anti-IS-Allianz.
ENGLIS
H
Munich Security
Conference
A COMPREHENSIVE
STRATEGY
FOR SYRIA
The Bavarian capital will again be the focal point
of world politics between 12th and 14th February 2016. More than 500 high-ranking decision
makers of international politics and economics
will convene at the 52nd Munich Security Conference (MSC) to discuss the crises and conflicts
currently plaguing the world. The principle topics
of this year’s security conference are war in Syria, terrorism and the refugee crisis. The strategies
that are relevant today to confront the current
crises and conflicts like those in Syria and their
significance to diplomacy and economy - these
are the topics that the Chairperson of the Munich Security Conference, ambassador Prof. Dr.
Wolfgang Ischinger and the Honorary Consul of
the Islamic Republic of Pakistan for Bavaria and
Baden-Wuerttemberg, Dr. Pantelis Christian Poetis will discuss in conversation with BUSINESS
& DIPLOMACY.
NO PRIZES FOR GUESSING: SYRIA WILL BE A PREDOMINANT TOPIC OF THE 52ND MUNICH SECURITY CONFERENCE TO BE HELD BETWEEN 12TH AND 14TH FEBRUARY 2016.
Ischinger: Indeed, the major crisis in the Near and Middle East
shall be the main topic of the conference; we will also need to simultaneously discuss terrorism, the war in Syria, the refugee crisis and
the numerous “failing states” in the region. Overcoming the crisis
in Ukraine and the future of the collaboration between the West and
the Russian Confederation will also be among the central topics of
the conference.
WILL YOU BE DISCUSSING THESE ISSUES WITH THE MAIN
Poetis: Leider sind wir gezwungen von einem Krisenherd zum
anderen zu springen, ohne das Feuer im Vorherigen richtig
gelöscht zu haben. Selbstverständlich gehen uns als Deutsche
die Anschläge in Paris sehr nah und es muss gehandelt werden. Aber wie Botschafter Ischinger bereits erwähnte, müssen
die richtigen Lehren aus dem „Global War on Terror“ gezogen
PROTAGONISTS IN MUNICH?
Ischinger: Participation has never been so huge.This year, the classic
West-Eastern participants have shown huge interest in the conference;
I am expecting a large delegation from America as well as Russia.
Not only that, an impressive number of heads of state and government, that is to say, foreign and defence ministers from the Near and
BUSINESS & DIPLOMACY 04/2015 | 09
SICHERHEIT
werden. Alleine Pakistan zählt seit 9/11 fast 82.000 Tote, darunter 48.000 pakistanische Bürger, die durch Selbstmordanschläge, aber leider auch Drohnen, ums Leben kamen. Über
4.000 Bomben erschütterten in vier Jahren das Land - das sind
fast drei Bomben am Tag! - und über 1.000 Schulen wurden in
den Jahren von den Taliban zerstört. Es bedarf sicherheitspolitischer, aber auch wirtschaftlicher Gesamt- und Langzeitstrategien …
… DIE WIR DERZEIT NICHT HABEN.
Genau das ist der Grund, warum nicht nur durch persönliche
Verbindungen der Nahe und Mittlere Osten sich öffnen sollte,
sondern durch eine allgemeine und großangelegte Förderung
der Wirtschaftsbeziehungen, wie in meinem Fall zwischen Pakistan und Deutschland. Das Land Pakistan muss selbst entscheidend an Prosperität gewinnen. Ein gesichertes Einkommen in
der Bevölkerung und eine damit verbundene Zukunftsvision
würde nicht nur die Anzahl der Flüchtlingsströme reduzieren,
sondern dieses Problem an der Ursache, nicht an dessen Symptomen, packen.
KOLLEKTIVES WEGSCHAUEN UND NICHTHANDELN DES
WESTENS SIND IHRER MEINUNG NACH MITVERANTWORTLICH FÜR DEN FLÄCHENBRAND IN SYRIEN. WIE
KONNTE SICH EIN DERARTIGER FLÄCHENBRAND TROTZ
MODERNSTER KOMMUNIKATIONSMITTEL BIS ZU UNSERER HAUSTÜR AUSBREITEN?
Ischinger: 2011 stellte sich die Frage, ob man nicht die bürgerliche Opposition gegen den Diktator Baschar al-Assad stärken und auch militärisch sowie politisch unterstützen sollte.
Aber am Ende wollte niemand aus dem Westen intervenieren.
Vor allem Deutschland fürchtete, dass jede Art von Intervention einen Flächenbrand auslösen würde. Schließlich hat die
Nicht-Intervention den Flächenbrand in einer grauenhaften
Weise ausgelöst. Interventionen sind gewiss kein Allheilmittel,
sondern nur in äußersten Notfällen ratsame Mittel zur Lösung
von Konflikten. Das Wegschauen, das Nichtstun, schafft aber
genauso viel Schuld, wie das mögliche Handeln.
Poetis: Das kollektive Wegschauen der westlichen Regierungen
hat der pakistanische General Ashfaq Parvez Kayani (damals
noch in seiner Funktion als Generalstabschef) bereits anlässlich
seines Besuchs bei der Sicherheitskonferenz 2011 kritisiert. Zu
diesem Zeitpunkt hatten bereits tausende afghanische Flüchtlinge, von den 1,5 Millionen, die es später noch werden sollten,
das Nachbarland Pakistan erreicht. Das Flüchtlingsproblem
war so groß und die 2.250 km lange Grenze zum afghanischen
Nachbarland so schwer kontrollierbar, dass sich die pakistanische Regierung nicht wirklich zu helfen wusste. Aber Pakistan
ist weit weg und ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen
dem pakistanischen Flüchtlingsproblem und der deutschen
Politik, Sicherheit und Wirtschaft war damals nicht eindeutig
erkennbar.
Middle East, for example from Iran, Saudi Arabia,Turkey, the various Gulf states and Egypt have also announced their participation.
Poetis: Pakistan too has promised to participate in the security
conference in 2016 with a high-ranking delegation. The numerous
bilateral and unofficial meetings that have taken place in a very
short time have given the participants an opportunity to share their
initial thoughts, which can be concluded successfully in further discussions.We feel extremely proud that ambassador Ischinger has given us the opportunity to initiate ‘Economy Talks’ at the security
conference and therefore to establish an important link between the
security policy and economy.
AFTER THE TERROR ATTACKS IN PARIS, IS THE WEST
FALLING INTO THE SAME TRAP AS USA, WHO PROCLAIMED A GLOBAL WAR ON TERROR AFTER 9/11?
Ischinger: I hope that the West has been able to learn the right
lessons after 9/11. One of the most important lessons is that one
cannot really wage a war against terrorism in the literal sense of the
word.We will not be able to overcome the phenomenon of terrorism
even in the 21st century. The question is, whether we can develop a
strategy that fights the roots of terrorism and simultaneously curbs
the brutal consequences of the propagation of the so-called Islamic
State.We need a comprehensive strategy, which focuses as much on
ending the civil war in Syria and protecting the civil population
there as the current decision of fighting against the Islamic State by
means of an international anti-IS alliance.
Poetis: Unfortunately, we are forced to jump from one trouble spot
to another without fully extinguishing the fire from the last one. As
Germans, we naturally feel that the attacks in Paris have been very
close to home and the situation must be tackled. But as ambassador
Ischinger mentioned earlier, we must draw the right lessons from
the “Global War on Terror”. Since 9/11, Pakistan alone has had
a death toll of almost 82000, out of which 48000 were Pakistani
citizens, who lost their lives in suicide bombings and unfortunately
also due to drone attacks. More than 4000 bombs have shaken the
country in four years - this means almost three bombs a day! - and
more than 1000 schools were destroyed by Taliban in these years.
We need security strategies as well as comprehensive and long-term
economic strategies...
… WHICH WE CURRENTLY DON’T HAVE.
Exactly. That’s why the Near and Middle East should open up not
for personal connections but also for a general and large-scale promotion of economic relations such as those between Pakistan and
Germany in my case. Pakistan itself needs to decide to become prosperous. A secure income for the population and the consequent vision
of the future would not only reduce the influx of refugees but nip this
problem in the bud instead of merely tackling its symptoms.
IN YOUR OPINION, THE COLLECTIVE LOOKING-AWAY AND
NON-ACTION OF THE WEST ARE ALSO RESPONSIBLE FOR
THE WILDFIRE IN SYRIA. HOW DID THIS WILDFIRE REACH
DIE HARTE BODENLANDUNG DER EUROPÄER ZEICHNET
OUR DOORSTEPS DESPITE THE MOST MODERN MEANS
SICH AUCH DADURCH AUS, DASS MAN WIEDER MIT IRAN,
OF COMMUNICATION?
RUSSLAND UND DER TÜRKEI SPRICHT. FÜHRTE DIESE
Ischinger: In 2011, it was contemplated whether the civil opposition against dictator Bashar al-Assad should be strengthened and
RÜCKKEHR ZUR REALPOLITIK NICHT DAZU, DASS DIE
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SECURITY
Bundesaußenminister
Frank-Walter Steinmeier
Irans Außenminister
Mohammed
Dschawad Sarif
Bundeskanzlerin
Angela Merkel
EUROPÄER DAMIT AUCH GEWISSE AUSSENPOLITISCHE
WERTVORSTELLUNGEN AUFGEBEN?
Poetis: Die Frage ist, wie wir selbst unsere Wertevorstellung
definieren. Zunächst müssen beide Seiten überhaupt Werte
haben und diese Werte der Gegenseite entsprechend kommunizieren. Dies gilt im besonderen Maße für unsere abendländischen Werte, die man nach meiner Auffassung unter keinen
Umständen leugnen sollte. Aber Werte können wie gesagt nur
verstanden und auch respektiert werden, wenn sie kommuniziert wurden. Hier gibt es auf beiden Seiten Handlungsbedarf.
Als ich beispielsweise Konsul von Pakistan wurde, hatte ich
zugegebenermaßen nur mangelhaftes Schulwissen über Pakistan, seine islamische Religion und den Koran. Erst in vielen
und intensiven Gesprächen wurde sowohl meinem jeweiligen
Gegenüber als auch mir bewusst, dass es weit aus mehr verbindende, denn trennende Elemente gibt und diese Erkenntnis kann nicht nur die Basis für Verhandlungen bilden, sondern auch das Fundament für langjährige Kooperationen sein.
given military and political assistance. But in the end, no one from
the West was willing to intervene. Especially Germany was afraid
that any intervention would trigger a wildfire there. Ultimately,
non-intervention triggered the wildfire in a horrific manner. Interventions are certainly no panacea. Yet, in cases of dire emergency,
they can be advisable means for solving conflicts. However, inaction
can be as damaging as potential action.
Poetis: The Pakistani General Ashfaq Parvez Kayani (the then
chief of staff) had already criticised the collective looking-away
of western governments when he visited the security conference in
2011. By this time, thousands of Afghani refugees (of the soon to
become 1.5 million) had already reached the neighbouring country
of Pakistan. The refugee problem was so big and the 2250 km long
border to the neighbouring Afghanistan was so difficult to control
that the Pakistani government really did not know how to help itself. But Pakistan was far away and a direct connection between the
refugee problem there and German politics, security and economy
was not clearly visible at that time.
BUSINESS & DIPLOMACY 04/2015 | 11
SICHERHEIT
Ischinger: Es geht doch nicht darum unsere Werte aufzugeben,
sondern dass wir eine gemeinsame Linie finden, um das Morden in Syrien zu beenden. Hierzu hätte die EU vor Monaten
bereits die Initiative ergreifen müssen, um den politischen Prozess in Gang zu setzen. Nun haben die USA und Russland die
Gespräche in Wien initiiert. Nicht die Europäer. Wieder einmal
wurde eine Chance verpasst, frühzeitig eine solche Friedenskonferenz einzuberufen! Wo bleibt denn hier der europäische
politische Gestaltungswille?
IMMERHIN WURDE NACH DEN ANSCHLÄGEN IN PARIS ERSTMALS DER EUROPÄISCHE BÜNDNISFALL NACH ARTIKEL 42-7
DES EU-VERTRAGES AUSGERUFEN. DEUTSCHLAND ZEIGT
ERSTMALS MILITÄRISCHE PRÄSENZ IM SYRIEN-KONFLIKT.
Ischinger: Ja. Der Angriff in Paris war auch ein Angriff gegen
uns und die EU, dem wir nun mit dem Selbstverteidigungsrecht
und der EU-Beistandsklausel begegnen. Es geht um unsere gemeinsame Sicherheit und auch die Teilung gemeinsamer Risiken. Daher ist es absolut richtig, dass Deutschland und andere
EU-Partner Frankreich militärisch unterstützen und sich mit
Paris solidarisch in Mali und im Nahen Osten zeigen. Allerdings
halte ich das bisherige Engagement insbesondere Deutschlands
für unzureichend.
12 | BUSINESS & DIPLOMACY 04/2015
THE HARD LANDING FOR THE EUROPEANS IS SHOWN BY
THE FACT THAT DISCUSSIONS WITH IRAN, RUSSIA AND
TURKEY HAVE BEEN INITIATED AGAIN. WOULDN’T THIS RETURN TO REALPOLITIK MEAN THAT THE EUROPEANS HAVE
TO GIVE UP SOME OF THEIR FOREIGN-POLICY VALUES?
Poetis: The question is how we define our values. It is important
that both sides have values in the first place, and that they communicate these values to the other side. This is especially true for our western values, which, I feel, must not be denied under any circumstances. But values can be understood and respected only when they have
been communicated.To do so, both sides need to take some action. For
example, when I was appointed as the Pakistani Consul, I admittedly knew precious little about Pakistan, its Islamic religion and the
Quran. It is only after many intensive discussions that my counterpart and I realised that there are many more unifying elements than
divisive ones and this knowledge can not only build the foundation for
negotiations but also function as the basis for long-term cooperation.
Ischinger: This certainly does not mean that we give up our values for this; it means that we find a common line to end the killings
in Syria. The EU should have taken some steps in this direction
months back so as to set the political process in motion. Now too,
it is USA and Russia who have initiated the discussion in Vienna.
SECURITY
BOTSCHAFTER
PROF. DR. WOLFGANG ISCHINGER:
„WIE IN DER
GRIECHENLANDUND EUROKRISE
SOLLTE
DEUTSCHLAND
SEIN GANZES
POLITISCHES
GEWICHT IN DIE
WAAGSCHALE
LEGEN“
Not the Europeans. Yet again, we have let go of an opportunity to
summon such a peace conference in time. Where is the European
political creative will in that?
YET, THE EUROPEAN CASUS FOEDERIS AS PER ARTICLE 42-7 OF THE EU TREATY HAS BEEN DECLARED FOR
THE FIRST TIME AFTER THE ATTACKS IN PARIS. FOR THE
FIRST TIME, GERMANY HAS SHOWN MILITARY PRESENCE
IN THE SYRIA CONFLICT.
Ischinger: Yes. The attack in Paris was also an attack on us and
the EU and we are now confronting it with the right to self-defence
and the EU mutual assistance clause. It concerns our collective security and the sharing of common risks. Therefore is it absolutely
correct that Germany and other EU partners provide military assistance to France and have their presence in Mali and the Near
East in solidarity with Paris. However, I think that the current
commitment, especially of Germany, is not adequate.
WHAT MORE SHOULD BERLIN DO?
Ischinger: Germany should use its full political weight like in the
Greece and Euro crisis. I would have liked it if Germany used this
strength in this security crisis of Europe too and if Berlin advanced
a political-military strategy for Europe.This would present a chance
to unite the European defence capabilities through pooling and sharing. A common European strategy must not be limited to fighting
the Islamic State; it must also end the civil war.
IN THIS CONTEXT, GERMAN POLITICS IS AFRAID OF THE
SPECTRE CALLED “GROUND TROOPS”. WILL GERMANY
AVOID SUCH A DEPLOYMENT?
WAS SOLLTE BERLIN MEHR MACHEN?
Ischinger: Wie in der Griechenland- und Eurokrise sollte
Deutschland sein ganzes politisches Gewicht in die Waagschale
legen. Ich hätte mir gewünscht, dass genau diese Stärke auch
in dieser sicherheitspolitischen Krise Europas zum Tragen
kommt und Berlin eine politisch-militärische Strategie für Europa vorantreibt. Jetzt wäre die Chance da, die europäischen
Verteidigungsfähigkeiten durch Pooling und Sharing zusammenzufassen. Eine gemeinsame europäische Strategie darf sich
nicht darauf beschränken den Islamischen Staat zu bekämpfen,
sondern muss den Bürgerkrieg beenden.
IN DIESEM ZUSAMMENHANG HAT DIE DEUTSCHE POLITIK ANGST VOR DEM SCHRECKGESPENST „BODENTRUP-
Ischinger: Surprisingly this time, the majority of Germans has
accepted the military activity of the Federal Armed Forces in Syria.
If there is a relevant justification and explanation, it is possible to get
the majority even in Germany to accept the judicious use of military
resources. However, theWest needs to exercise restraint at the moment.
If we send American, French, German or British troops to Syria now,
this would encourage those who accuse us of wanting to repeat the
crusades. It is time to forge a wide international alliance involving
regional powers such as Egypt, Saudi Arabia and the Gulf states.
Poetis: And this too would merely be a part of the whole task at
hand. General Ashfaq Parvez Kayani had given me a task in 2011:
bring economy to Pakistan and ensure prosperity because military
activity can only provide a framework for security and order and not
guarantee these in the long term. Peace can be guaranteed only when
the balance between security-related stability and economic rehabilitation is guaranteed. Unfortunately, the recent series of attacks in Afghanistan show that a half-hearted intervention in a conflict and an
equally half-hearted withdrawal cannot deliver the desired success.
PEN“. KOMMT DEUTSCHLAND UM EINEN SOLCHEN EINSATZ HERUM?
MR. ISCHINGER, YOU JUST LISTED SOME SUNNI POWERS
Ischinger: Erstaunlicherweise akzeptiert diesmal ja die Mehrheit der Deutschen den militärischen Einsatz der Bundeswehr
in Syrien. Wenn eine entsprechende Begründung und Erläuterung stattfindet, ist es auch in Deutschland möglich, Mehrheiten für den vernünftigen Einsatz militärischer Mittel zu bekommen. Allerdings ist für den Westen Zurückhaltung geboten.
Würde man jetzt amerikanische, französische, deutsche oder
THAT SHOULD INTERVENE IN SYRIA. BUT WHAT ABOUT IRAN?
Ischinger: It is important that the Vienna negotiations succeed in
assuring the Sunnis that the majority of their population will not be
chased and discriminated against. Furthermore, there must be a balance of power between the Sunni part of the world that is headed by
Saudi Arabia and Cairo and the Shiite part of the world that is headed by Iran. In my view, this would also require organisational and
BUSINESS & DIPLOMACY 04/2015 | 13
SICHERHEIT
britische Truppen nach Syrien schicken, würde das Wasser auf
die Mühlen derjenigen geben, die uns vorwerfen, die Kreuzzüge
wiederholen zu wollen. Es ist jetzt die Zeit, eine breite internationale Allianz zu schmieden, unter Beteiligung der regionalen
Mächte Türkei, Ägypten, Saudi Arabien und den Golfstaaten.
Poetis: Und das kann dann auch nur ein Teil der Aufgabe
sein. Der bereits zitierte General Ashfaq Parvez Kayani hatte
2011 einen Auftrag an mich: Bringe Wirtschaft nach Pakistan,
sorge für Prosperität, denn militärische Einsatze können nur
Rahmenbedingungen für Sicherheit und Ordnung schaffen,
diese aber nicht langfristig garantieren. Erst wenn die Balance
zwischen sicherheitspolitischer Stabilität und wirtschaftlichem
Wiederaufbau gewährleistet ist, kann Frieden gesichert werden.
Leider zeigen die neuesten Anschlagserien in Afghanistan, dass
ein halbherziges Eingreifen in einen Konflikt und ein genauso halbherziger Ausstieg nicht den gewünschten Erfolg liefern
können.
HERR ISCHINGER, SIE HABEN EBEN EINIGE SUNNITISCHEN MÄCHTE AUFGEZÄHLT, DIE IN SYRIEN EINGREIFEN SOLLTEN. ABER WAS IST MIT DEM IRAN?
Ischinger: Es kommt zunächst darauf an, dass im Rahmen der
Wiener Verhandlungen die Sunniten die Gewissheit bekommen, dass ihre Bevölkerungsmehrheit nicht verfolgt und diskriminiert wird. Es muss ferner zu einer Machtbalance zwischen
dem von Saudi-Arabien und Kairo angeführten sunnitischen
Teil der Welt und dem vom Iran angeführten schiitischen Teil
kommen. Das setzt meines Erachtens auch organisatorische
und institutionelle Maßnahmen in der Region voraus. Eine
solche regionale Sicherheitsarchitektur könnte sich an europäischen Modellen orientieren wie zum Beispiel der KSZE (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und
der daraus entstandenen OSZE (Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa). Hier könnte die Russische
Föderation, die USA aber auch Europa eine wichtige Rolle
spielen, solche Strukturen aus der Wiege zu heben.
UND NATÜRLICH AUCH PAKISTAN, HERR DR. POETIS?
Poetis: Natürlich. Und auch hier kann die wirtschaftliche Perspektive ein Motor sein, um sich auch in anderen Fragen näher
zu kommen: Neben der Türkei und China ist der Iran als direkter Nachbar Pakistans nicht nur von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Der pakistanische Hafen Gwadar sowie der iranische
Hafen Chabahar liegen an der Mündung der Straße von Hormus, die wiederum den Zugang zu zwei Drittel der Welt-Ölreserven darstellt. Durch ihre geostrategische Lage sind beide
Häfen an die internationalen Handelsrouten nach Zentral- und
Südasien sowie dem Mittleren Osten angeschlossen. Auch ist
die seit Jahren geplante iranisch-pakistanische Gas-Pipeline von
großer Bedeutung für das unter Energieversorgung notleidende
pakistanische Land.
UND WAS IST MIT DER ROLLE SAUDI-ARABIENS, DAS ALS
GLOBALER EXPORTEUR DES WAHABISMUS WAHRLICH
oben: Blick in den Saal
unten: Botschafter Prof.
Dr. Wolfgang Ischinger
institutional measures in the region. Such regional security architecture could be based on European models such as the KSZE (Conference on Security and Cooperation in Europe) and the resulting
OSCE (Organisation for Security and Cooperation in Europe) for
instance. Here, the Russian Confederation, USA and Europe could
play an important role in getting such structures off the ground.
AND OBVIOUSLY PAKISTAN TOO, DR. MR. POETIS?
Poetis: Naturally. And here too, the economic perspective can be the
motor to take a closer look at other issues: Besides Turkey and China,
Iran, as a direct neighbour of Pakistan, has more than just economic
significance. The Pakistani port of Gwadar and the Iranian port of
Chabahar are located at the mouth of the Strait of Hormuz, which
provides access to two-thirds of the world’s oil reserves. Owing to their
geographical location, both ports are connected to international trade
routes to central and south Asia and the Middle East. The long-planned Iran-Pakistan gas pipeline too is extremely important for the
Pakistani nation, which is suffering from huge power supply deficits.
AND WHAT IS THE ROLE OF SAUDI ARABIA, WHICH, BEING
THE GLOBAL EXPORTER OF WAHABISM, IS ACTUALLY
NOT A PEACE MAKER IN THE REGION?
Ischinger: Saudi Arabia has a conflicting role. Officially, it strives to unite the rivalling opposition groups in Syria. But at the
same time, Islamic extremism is fostered time and again from within
Saudi Arabia. This will remain an important topic of future political debates between the West and Riyadh. But even though Saudi
Arabia is a very problematic partner, it is not the only one - think
of the cooperation with the Egyptian regime…
KEIN FRIEDENSTIFTER IN DER REGION IST?
Ischinger: Saudi-Arabien spielt eine zwiespältige Rolle. Offiziell bemüht es sich um Einigung zwischen den miteinander
14 | BUSINESS & DIPLOMACY 04/2015
… AND WITH TEHERAN.
Ischinger: Cooperation with Saudi Arabia and Iran will remain
SECURITY
rivalisierenden Oppositionsgruppen in Syrien. Gleichzeitig wird
aber aus Saudi-Arabien der islamische Extremismus immer
wieder gefördert. Dies wird ein wichtiges Thema künftiger politischer Auseinandersetzungen zwischen dem Westen und Riad
bleiben. Aber auch wenn Saudi-Arabien ein sehr problematischer Partner ist: das gilt für andere auch, denkt man etwa an
die Zusammenarbeit mit dem ägyptischen Regime…
difficult in the future too. Both will remain difficult partners for us
but we will never be able to ignore them. The proceedings in Vienna
are the first attempt in years to bring Saudi Arabia and Iran together.
Actually this conference must ideally convene seven days a week, 24
hours a day with crisis management mechanisms and military crisis
prevention sub-groups, namely as a crisis prevention conference, as a
donor conference, as a refugee conference and as a peace conference.
… SOWIE MIT TEHERAN.
WHAT LEAD TO THE FAILURE OF THE EU?
Eine Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien und dem Iran wird
auch in Zukunft schwierig bleiben. Beide werden für uns
schwierige Partner bleiben, wir können sie aber nicht ignorieren. Das Verfahren in Wien ist der erste Ansatz seit Jahren,
Saudi-Arabien und Iran an einen Tisch zu bekommen. Eigentlich müsste diese Konferenz ab sofort, sieben Tage die Woche,
24 Stunden am Tag, mit Krisenbewältigungsmechanismen und
militärischen Krisenvermeidungs-Untergruppen tagen, nämlich als Krisenvermeidungskonferenz, als Geberkonferenz, als
Flüchtlingskonferenz und als Friedenskonferenz.
Ischinger: The EU was too hesitant to use its resources. The Europeans believed that imposing our own values would do these regions
good. But we must learn to understand what is going on in these
countries. The fact that there are no education opportunities and no
work leads to hopelessness and radicalisation. I think that the customs barriers, which the EU continues to put before all agricultural
goods from the Mediterranean region, are a disgrace. They should
have been reduced gradually years back to give the people of countries
such as Tunisia, Algeria and Morocco a better chance for prosperity.
IT SEEMS THAT THERE CONTINUES TO BE NO CONSENSUS
WORAN IST DIE EU GESCHEITERT?
WITHIN THE EU WHEN IT COMES TO IMPORTANT ISSUES.
Ischinger: Die EU war beim Einsatz ihrer Mittel zu zögerlich.
Die Europäer glaubten, durch ein Überstülpen unserer eigenen Wertvorstellung diesen Regionen etwas Gutes zu tun. Wir
müssen aber lernen zu verstehen, was dort in diesen Länder
vor sich geht. Der Umstand, dass Bildungschancen und Arbeit
fehlen, führt zu Hoffnungslosigkeit und Radikalisierung. Die
Zollschranken, die die EU immer noch vor sämtliche Agrargüter aus dem Mittelmeerraum stellt, sind aus meiner Sicht
eine Schande. Man hätte diese Zollschranken schon vor Jahren
schrittwiese reduzieren müssen, um der Bevölkerung in Ländern wir Tunesien, Algerien und Marokko eine größere Chance
hin zu Prosperität zu ermöglichen.
Ischinger: We have the prerequisites of a proactive foreign policy.
The path must not lead us back to national foreign policies; rather,
500 million Europeans, spurred on by the 100 million young Europeans, should speak with one voice: so as to enable Europe to take
action, to overcome crises, and so that the EU can develop itself into
a policy maker and not a mere plaything.
IN DEN WICHTIGEN FRAGEN SCHEINT MAN SICH INNERHALB DER EU WEITERHIN NICHT EINIG ZU SEIN.
Ischinger: Die Voraussetzungen für eine proaktivere Außenpolitik sind da. Der Weg darf nicht zurück in nationale Außenpolitiken gehen, sondern muss dahin führen, dass 500 Millionen
Europäer angefeuert durch die 100 Millionen jungen Europäer, mit einer Stimme sprechen: Damit Europa handlungsfähig
wird, damit Europa fähig ist Krisen zu bewältigen und sich die
EU nicht zum Spielball, sondern zum Gestalter der Politik um
uns herum entwickelt.
Poetis: Genau das ist der Punkt: Ohne ein geschlossenes Europa haben wir keine Chance. Wir sprechen von Millionen Menschen aus dem Mittleren und Nahen Osten – Iranern, Indern,
Bangladeschis, Chinesen, Pakistanis aus dem gesamten arabischen Raum, der Levante und Nordafrika. All diese Menschen
haben Zugang zu Information und werden sich wirtschaftlich
massiv weiterentwickeln. Die EU muss sich entscheiden welchen globalen Part sie mit ihren 500 Millionen Europäern einnehmen will und wir haben nur eine Chance, wenn wir uns
als starker und verlässlicher Partner positionieren: Unser Wissen und den daraus resultierenden Wohlstand zu teilen, kann
mittel- und langfristig, unsere globale Position nur stärken und
nicht schwächen.
Interview: Philomena Poetis und Oliver Rolofs
Poetis: That’s exactly the point: we stand no chance without a
united Europe. We speak of millions of people from the Near and
Middle East - Iranians, Indians, Bangladeshis, Chinese, Pakistanis
from the entire Arabian region, Levant and North Africa. All these
people have access to information and will make great economic
progress. The EU must decide which global part it wants to play
with its 500 million Europeans and we will stand a chance only if
we position ourselves as a strong and reliable partner: sharing our
knowledge and the resulting prosperity can only strengthen and not
weaken our global position in the medium and long run. (von links) Pantelis C. Poetis, Philomena Poetis,
Wolfgang Ischinger, Oliver Rolofs
BUSINESS & DIPLOMACY 04/2015 | 15