Der Einpeitscher REUTERS/TOBY MELVILLE Geert Wilders sieht durch Euro und Islam die Identität der Niederländer und anderer Völker bedroht. Seiner »Partei der Freiheit«, deren einziges Mitglied er ist, beschert die Demagogie in Zeiten der Krise große E rfolge. Von Theo Wentzke SEITEN 12/13 GEGRÜNDET 1947 · FREITAG, 22. JULI 2016 · NR. 169 · 1,50 EURO (DE), 1,70 EURO (AT), 2,20 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT WWW.JUNGEWELT.DE Abschotten Schikanieren Solidarisieren Ausbrechen 3 5 6 11 Unis sollen mehr Freiheiten bei der Auswahl ihrer Studierenden bekommen. Rektoren frohlocken Jobcenter Wuppertal verweigert Hartz- Grenzen sprengen: Protestcamp in der IV-Bezieher Zahlung von Warmgriechischen Stadt Thessaloniki wasserkosten. Von Susan Bonath gegen die »Festung Europa« Popstar der bewaffneten Revolte: Der große Erzähler und Berufsrevolutionär Bommi Baumann ist tot Türkei wird Diktatur EPA/SEDAT SUNA /DPA - BILDFUNK A m Donnerstag hat das türkische Parlament den in der Nacht zuvor von Präsident Recep Tayyip Erdogan verkündeten Ausnahmezustand bestätigt. Bereits am Mittwoch wurde die Entscheidung unter der Leitung von Erdogan sowohl im Nationalen Sicherheitsrat wie bei dem anschließenden Treffen des Ministerrats beschlossen. In der um null Uhr verlesenen »besonderen Erklärung« hieß es, dass gemäß Artikel 120 der Verfassung der Ausnahmezustand in allen 81 Provinzen des Landes auszurufen ist. Dieser Schritt des AKP-Regimes war zu erwarten. Bereits am Dienstag war die Zahl der aufgrund des gescheiterten Coups entlassenen und verhafteten Staatsbediensteten auf 60.000 gestiegen. Die Dekane aller staatlichen und Stiftungsuniversitäten wurden zum Rücktritt aufgefordert, zudem ist es allen Akademikern untersagt, das Land zu verlassen. Was die »besondere Erklärung« in der Praxis bedeutet, ist noch unklar. In den vor allem von Kurden bewohnten Provinzen im Südosten des Landes bestand bis 2002 über 15 Jahre lang offiziell der Ausnahmezustand. Es ist nicht davon auszugehen, dass er im ganzen Land ebenso hart umgesetzt wird. Vielmehr dürfte die ohnehin schon übliche Repression wie Demonstrationsverbot, Angriffe gegen die Presse, Untersuchungen und Festnahmen ohne richterlichen Beschluss endgültig abgesegnet werden. Außerdem werden die Rechte des Parlaments beschränkt oder ganz ausgehebelt. Damit ist das von Erdogan angestrebte Präsidialsystem de facto eingeführt. Gleichzeitig versuchten hochrangige AKP-Politiker die Menschen zu beruhigen, indem sie erklärten, die eingeleiteten Maßnahmen Demonstrationsfreiheit ausgesetzt: Polizisten einer Spezialeinheit patrouillieren über den Taksim-Platz (Istanbul, 21.7.2016) hätten keine Auswirkungen auf den Alltag der Türken. Es ist bezeichnend, dass die Erklärung des Ausnahmezustands mit dem Jahrestag des Massakers von Suruc zusammenfällt. Vor einem Jahr kamen 33 junge Sozialisten ums Leben. Dieser, offiziell vom »Islamischen Staat« begangene, Anschlag war der Beginn einer blutigen Serie, die letztlich im Coup und dem darauf folgenden Gegenputsch gipfelte. Die internationalen Reaktionen waren verhalten: Deutschland und Österreich forderten zu Mäßigung und Rechtsstaatlichkeit auf. In Frankreich herrscht selbst seit Monaten der Aus- nahmezustand, der nach dem Anschlag in Nizza nochmals verlängert wurde. Erdogan verwies auf Frankreich, als er erklärte, die EU habe kein Recht, die Entscheidung der Türkei zu kritisieren. Das Verhältnis zu den USA scheint sich indes wieder verbessert zu haben. US-Präsident Barack Obama hatte am Dienstag mit Erdogan telefoniert und ihm seine Unterstützung zugesichert. Allerdings steht die von der Türkei geforderte Auslieferung von Fethullah Gülen, der offiziell als der Drahtzieher des Putsches bezeichnet wird, noch immer im Raum. Darüber hinaus beschuldigen regierungsnahe Zeitungen wie Yeni Safak noch immer Washing- ton, den Umsturzversuch organisiert zu haben, um Erdogan zu töten. Der Pressesprecher des russischen Präsidenten bezeichnete indes die Ausrufung des Ausnahmezustands als »interne Angelegenheit«. Die Beziehungen zwischen Russland und der Türkei hatten sich erst in den vergangenen Wochen wieder leicht verbessert. Zwischen Moskau und Ankara herrschte Eiszeit, seit die Türkei im letzten November ein russisches Kampfflugzeug abgeschossen hatte. Ein Detail am Rande ist dabei, dass die Piloten, die den russischen Jet attackiert hatten, im Zuge der Säuberungswelle ebenfalls verhaftet wurden. Siehe Kommentar Seite 8 Politisch motiviert? Internationaler Sportgerichtshof bestätigt Verbannung russischer Olympioniken D er Internationale Sportgerichtshof CAS hat die Verbannung der russischen Leichtathleten durch den Weltverband IAAF am Donnerstag für rechtmäßig erklärt und einen entsprechenden Einspruch von 68 Sportlern aus Russland abgelehnt. Nun sind das Internationale Olympische Komitee und sein Präsident Thomas Bach am Zug. Das Urteil des CAS öffnet dem IOC 15 Tage vor den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro mehr denn je die Tür für die »härtesten Sanktionen gegen jede beteiligte Person oder Organisation«, die Bach als Folge be- reits angekündigt hatte. Am Donnerstag blieb das IOC, dessen mächtiges Exekutivkomitee am Sonntag wieder zusammenkommt, zurückhaltend und kommentierte das Urteil nicht inhaltlich. Eine Entscheidung soll spätestens am kommenden Dienstag fallen. Es sei »ein klares Signal an alle Beteiligten, dass hier die eindeutig definierten Grenzen inakzeptabel überschritten sind«, sagte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, Alfons Hörmann, nun herrsche »wertvolle Klarheit«, an der sich andere Verbände orientieren könnten. Für das IOC sei die Grundlage geschaffen, um die von Bach angekündigten »härtesten Sanktionen gegen dieses Betrugssystem auszusprechen«, sagte Hörmann. Eine entscheidende Frage wird nun sein, ob das IOC ein eigenständiges Urteil gegen Russland fällt oder es den in Rio startenden Verbänden überlässt, in der Kürze der Zeit Ausnahmeregelungen zu treffen und Startberechtigungen zu erteilen. Fassungslosigkeit herrschte dagegen in Moskau. »Ich kann nichts anderes ausdrücken als Bedauern«, sagte Sportminister Witali Mutko, dem der McLaren-Report Mitwisserschaft am staatlich gestützten Dopingsystem unterstellt hatte: »Wir werden nun unsere nächsten Schritte beraten. Ich denke, die Entscheidung ist auch politisch motivitiert und hat keine rechtliche Grundlage.« Dimitri Peskow, Sprecher von Präsident Wladimir Putin, erklärte, die Idee einer kollektiven Schuld sei nur schwer zu akzeptieren. Die Abschiedszeremonie der russischen Olympia-Athleten, die am Freitag stattfinden sollte, ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden. (sid/jW) RODI SAID/REUTERS Ausnahmezustand erklärt. Erdogan setzt de facto Präsidialsystem durch. Weitere Repression befürchtet. Internationale Reaktionen verhalten. Von Max Zirngast, Ankara Syrien fordert Stopp der US-Luftangriffe Beirut. Nach Berichten über zahlreiche getötete Zivilisten haben sowohl die syrische Regierung als auch Oppositionsgruppen eine Aussetzung der US-geführten Luftangriffe auf Stellungen der Dschihadistenmiliz »Islamischer Staat« (IS) gefordert. Damaskus warf den USA und Frankreich vor, ihre Bomben auf Zivilisten statt auf Terrorbanden abzuwerfen. Der Präsident der oppositionellen »Syrischen Nationalen Koalition«, Anas Al-Abdah, erklärte am späten Mittwoch abend, derartige Vorfälle trieben den Terroristen neue Anhänger in die Arme. Auch die vom Westen unterstützte »Freie Syrische Armee« verurteilte »schockierende Massaker« an Zivilisten. Medienberichten zufolge wurden bei zwei Luftangriffen in und nahe der belagerten Stadt Manbidsch Anfang der Woche mindestens 77 Zivilisten getötet. Darunter sollen sich mindestens elf Kinder befinden. (Reuters/jW) EZB: Leitzins bleibt bei null Prozent Frankfurt/Main. Rund einen Monat nach dem »Brexit«-Votum belässt die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins in der EuroZone unverändert bei null Prozent. Das gab ein Sprecher von Notenbankpräsident Mario Draghi am Donnerstag nach einer Sitzung des Rates der EZB in Frankfurt am Main bekannt. Analysten zufolge ist der Zeitraum seit dem Referendum der Briten für einen Austritt aus der EU noch zu knapp für messbare Folgen. Die EZB hatte den zentralen Zinssatz im März auf den historisch niedrigen Wert von 0,0 Prozent gesenkt, um Konjunktur und Inflation in der Euro-Zone zu begünstigen. Lagern Banken ihr Geld kurzfristig bei der EZB, statt es zu verleihen, zahlen sie weiterhin einen Strafzins von 0,4 Prozent. (AFP/jW) wird herausgegeben von 1.862 Genossinnen und Genossen (Stand 4.7.2016) n www.jungewelt.de/lpg
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