Offen neoliberal WASHINGTON ALVES/REUTERS Im Sommer drängte Brasiliens rechtes Establishment Präsidentin Dilma Rousseff aus dem Amt. Seither wurden viele Errungenschaften früherer Jahre beseitigt. Die neue Regierung hat den Armen den Kampf angesagt. Von Achim Wahl SEITEN 12/13 GEGRÜNDET 1947 · FREITAG, 30. DEZEMBER 2016 · NR. 305 · 1,50 EURO (DE), 1,70 EURO (AT), 2,20 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT WWW.JUNGEWELT.DE Gefährder Gegenwind Feuerpause Tabula rasa 3 5 7 11 Neonazis in der BRD: Immer mehr Gewalttäter gehen in den Untergrund. Von Markus Bernhardt Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof munitioniert CETAGegner. Von Andreas Fisahn Mosambik: Regierung und Aufständische einigen sich überraschend auf Waffenstillstand Die Outsiderin als Insiderin: Der Sängerin Patti Smith zum 70. Geburtstag. Von Klaus Walter Ideen hinter Gittern Investigativjournalist Ahmet Sik in der Türkei festgenommen. Prozessauftakt gegen Schriftsteller, Zeitungsmacher und Menschenrechtler. Von Nick Brauns Bereits am 3. März 2011 (Foto) war Ahmet Sik wegen seines Buchs über die Gülen-Bewegung in Istanbul festgenommen und für ein Jahr inhaftiert worden I ch werde festgenommen«, twitterte der prominente türkische Journalist und Autor Ahmet Sik am Donnerstag, nachdem die Polizei in seine Istanbuler Wohnung eingedrungen war. »Ich werde wegen eines Tweets zur Staatsanwaltschaft gebracht.« Gegen Sik, der 2014 mit dem UNESCO-Preis für Pressefreiheit ausgezeichnet worden war, werde wegen »öffentlicher Verächtlichmachung der Türkischen Republik, der Justiz, des Militärs und der Sicherheitsbehörden« sowie wegen »Terrorpropaganda« ermittelt, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu. Um welche Äußerungen von Sik, der die autoritäre Herrschaft von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mehrfach in die Nähe des Faschismus gerückt hatte, es genau geht, ist nicht bekannt. Aufgrund des geltenden Ausnahmezustandes darf Sik erst nach fünf Tagen einen Anwalt sehen. Der linksgerichtete Investigativjournalist ist vor allem als scharfer Kritiker der Bewegung des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen bekannt geworden, die von der türkischen Regierung für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich gemacht wird. Gülen nahestehende Staatsanwälte hatten Sik im Jahr 2011 aufgrund seines noch vor Erscheinen verbotenen Buches »Die Armee des Imams« über die Unterwanderung der Polizei durch die Gülen-Bewegung für ein Jahr in Untersuchungshaft genommen. Nach dem Bruch zwischen der Regierungspartei AKP und der Gülen-Bewegung erinnerte Sik weiter daran, dass die nunmehr als »Staatsfeind Nummer eins« verfolgte Sekte ihren Einfluss der jahrelangen Förderung durch Erdogan zu verdanken hatte. »Die GülenBewegung und die AKP sind beide Komplizen im Verbrechen«, schrieb Sik im Oktober. »Fethullah Gülen und Recep Tayyip Erdogan gehören gemeinsam vor Gericht.« In Istanbul begann am Donnerstag vor dem 23. Strafgericht in Caglaya zudem der Prozess gegen neun Herausgeber und Mitglieder des Redak tionsbeirates der prokurdischen Tageszeitung Özgür Gündem. Die Zeitung war im August per Dekret auf Grundlage des Ausnahmezustandes als vermeintliches Sprachrohr der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans PKK verboten worden. Unter den Angeklagten befinden sich die Schriftstellerinnen Asli Erdogan und die Linguistin Necmiye Alpay, die seit August inhaftiert sind. In ihrem Falle hat die Staatsanwaltschaft jedoch die Entlassung beantragt. Angeklagt sind weiterhin der Verleger Ragip Zarakolu und die Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD, Eren Keskin. Sie werden der PKK-Mitgliedschaft und der Terrorpropaganda beschuldigt, die Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft. Der seit Jahrzehnten als Menschenrechtsanwältin tätigen Eren Keskin wird vorgeworfen, als Chefredakteurin der Özgür Gündem »eine PKK-Kämpferin mit der Feder« gewesen zu sein. Der 49jährigen Asli Erdogan wird in der Anklageschrift bereits als Terrorpropaganda angekreidet, dass sie ihren bekannten Namen als Romanautorin für die Özgür Gündem genutzt habe. Zudem habe sie Mitglieder der kurdischen Guerilla in ihren Texten menschlich dargestellt. »Im Herausgreifen einiger Worte aus acht Büchern und Hunderten Artikel spiegelt sich der Geist der mittelalterlichen Inquisition wider«, befand Asli Erdogan ihrer Prozesserklärung. Nach Angaben der Türkischen Journalistenvereinigung TGC befinden sich derzeit im Land am Bosporus fast 150 Journalisten in Haft. Schimpfen auf Kerry Altbekannte Positionen zum Nahostkonflikt rufen plötzlich Empörung hervor D ie demnächst aus dem Amt scheidende US-Administration unter Barack Obama macht letzte Anstrengungen, um die »ZweiStaaten-Lösung« für den Nahostkonflikt zu retten. Die Argumente dafür versuchte US-Außenminister John Kerry am Mittwoch in einer einstündigen Rede zusammenzufassen. Während Kerrys Worte von den Regierungen in Berlin, Paris und London sehr positiv aufgenommen wurden, erntete der Außenminister nicht nur von israelischen Politikern von der Rechten bis zur Mitte, sondern auch von beiden Kongressparteien heftige Kritik. Charles »Chuck« Schumer, voraussichtlich der nächste Fraktionschef der Demokraten im Senat, warf Kerry vor, er habe »die Extremisten auf beiden Seiten ermutigt«. Der demokratische Abgeordnete Eliot L. Engel, ranghöchster Vertreter seiner Partei im Außenpolitischen Ausschuss, klagte, dass Kerrys Rede »keinen anderen Sinn« gehabt habe, »als Israel Schwierigkeiten zu machen«. Der republikanische Senator Rafael »Ted« Cruz bezeichnete Kerry und Obama gar als »unermüdliche Feinde Israels«. Auf den ersten Blick ist nicht zu erkennen, worauf sich die scharfen Verurteilungen beziehen, da keiner der Kritiker konkrete Stellen der Ansprache beanstandete. Was Kerry zur »ZweiStaaten-Lösung« vortrug, entsprach den traditionellen Positionen, zu denen sich seit dem Junikrieg 1967 alle USPräsidenten bekannt haben und denen auch der Kongress nie widersprochen hat. Was Kerry über die wachsende Gefährdung dieses Konzepts durch palästinensischen Terror einerseits und die Ausbreitung jüdischer Siedlungen in den besetzten Gebieten andererseits ausführte, entspricht außerdem dem Diskurs, der seit Jahren in der israelischen Öffentlichkeit geführt wird. Seit der Wahl von Donald Trump zum künftigen US-Präsidenten hat sich die Stimmung allerdings gewendet. Dieser meldete sich auch am Mittwoch zu Wort und sicherte Israel erneut seine Unterstützung zu. Der israelische Bildungsminister Naftali Bennett machte am Donnerstag klar, was er sich davon verspricht: »Palästina wird von der Tagesordnung verschwinden«, sagte Bennett gegenüber dem Nachrichtenportal Ynet. Knut Mellenthin PICTURE ALLIANCE / ABACA SANA/DPA-BILDFUNK Syrien: Armee verkündet Waffenstillstand Damaskus. In Syrien gilt ab Mitternacht ein landesweiter Waffenstillstand. Das teilte die Armee am Donnerstag in einer Erklärung mit, die von der amtlichen Nachrichtenagentur SANA veröffentlicht wurde. Ausgenommen sind demnach aber dschihadistische Terrororganisationen. Das Oppositionsbündnis »Syrische Nationale Koalition« (SNC) bekundete Unterstützung für die Feuerpause und rief alle Kräfte zu deren Einhaltung auf. Der Waffenstillstand war unter Vermittlung Russlands und der Türkei zustande gekommen. Russlands Präsident Wladimir Putin gab am Donnerstag seinerseits in Moskau bekannt, dass die syrische Regierung und die »wichtigsten Kräfte der bewaffneten Opposition« ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen hätten. Laut Militär befinden sich darunter auch mehrere islamistische Gruppen. Laut Putin erklärten sich beide Seiten auch bereit, Friedensverhandlungen aufzunehmen. (AFP/jW) Siehe auch Seiten 6 und 8 Italiens Premier von EZB »überrumpelt« Frankfurt am Main. Die Mitteilung der Europäischen Zentralbank (EZB), dass die italienische Krisenbank Monte dei Paschi di Siena mehr Geld als gedacht brauche, hat Ministerpräsident Paolo Gentiloni überrascht. »Es hat mich ein bisschen überrumpelt«, sagte der Regierungschef am Donnerstag bei einer Pressekonferenz zum Jahresabschluss in Rom. Am Montag war bekanntgeworden, dass die EZB bei dem schwer angeschlagenen Institut eine Kapitallücke von 8,8 Milliarden Euro sieht – zuvor war stets von fünf Milliarden Euro die Rede gewesen. Die Einschätzung der EZB sei nicht anfechtbar, sagte Finanzminister Pier Carlo Padoan der Zeitung Il Sole 24 Ore am Donnerstag. Es wäre aber nützlich zu erfahren, anhand welcher Kriterien die EZB ihre Neubewertung vorgenommen habe, kritisierte Padoan. (dpa/jW) wird herausgegeben von 1.974 Genossinnen und Genossen (Stand 16.12.2016) n www.jungewelt.de/lpg
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