MITTEILUNGEN® - Vertrauliche Mitteilungen

26. Juli 2016
66. Jahrgang
Nr. 4193, Ausg. 30/2016
VERTRAULICHE
MITTEILUNGEN
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gegründet am 1. Januar 1951 von Artur Missbach
1
Sehr geehrte Damen und Herren,
noch war der Ausgang des Putschversuches unsicher, als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan schon Worte wie „Vergeltung“ und „Säuberung“ in den Mund nahm. Es sind Worte, die eines
Demokraten unwürdig sind und die man in letzter Zeit eher mit der politischen „Spitze“ von Ländern wie Nordkorea in Zusammenhang brachte. Doch nun tönte und tönt es noch immer auch aus
dem türkischen Präsidentenpalast in dieser Weise.
Und Erdogan ließ seinen Worten die entsprechenden Taten folgen. Innerhalb von nur drei Tagen
wurden 7500 Soldaten, Richter, Staatsanwälte und Polizisten festgenommen und nur wenig später
wurden über 15 000 weitere Staatsbedienstete (z.B. Lehrer) einstweilen suspendiert. Diese Listen hätte
man in dieser kurzen Zeit niemals neu erstellen können. Sie müssen auf Weisung Erdogans schon vorher erstellt worden sein und „für alle Fälle“ in der Schublade gelegen haben. Auch dies war mutmaßlich ein Vorgang, der in keinem demokratischen Land vorkommen dürfte. Und nun fabuliert der „große
Präsident“ auch noch von der Todesstrafe für seine ärgsten Feinde. Daß er dabei den angeblichen
„Wunsch“ seiner – noch gewiß zahlreichen – Anhänger im türkischen Volk vorschiebt, macht die Sache
nicht einfacher.
Europa und allen voran die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sehen sich nun vor einer politischen Zwickmühle. Sollten die bisherigen Vorhaben (z.B. Visafreiheit für Türken) noch die Chance
einer Verwirklichung haben, müßten sich Erdogan und seine Regierung ganz schnell wieder „beruhigen“. Doch damit rechnet niemand ernsthaft. Statt dessen steht die Gefahr im Raum, daß „Erdogan & Co.“ nun die Chance eines Umbaus der ganzen Türkei zu einem islamischen Gottesstaat in der
offiziellen Form einer Präsidialrepublik mit Erdogan unverrückbar an der Spitze (genau dies wollten die
putschenden Militärs verhindern!) ergreifen könnten. Spätestens dann wäre dieses Land für die westliche Welt kein verläßlicher Bündnispartner mehr. Schon Stichworte wie „Flüchtlingsabkommen“ oder
„NATO-Ostflanke“ reichen aus, um die möglichen Konsequenzen und Verwerfungen aufzuzeigen.
Ganz unabhängig davon, ob die hinter diesen Stichworten stehende Realität die offiziellen Erwartungen erfüllen könnte oder nicht.
Und während diese Zeilen formuliert wurden, mehrten sich auch in etlichen westeuropäischen Städten
die Proteste der dort lebenden Türken. Manche Kundgebungen richteten sich gegen Erdogan, weitaus
mehr jedoch für ihn. Es ist daher nicht möglich, aus diesen Meinungsäußerungen ein zuverlässiges Bild
über die vorherrschende Meinung unter den in Deutschland lebenden Türken zu zeichnen. Doch eines
steht fest und läßt sich nicht leugnen: Die Gefahr, daß innenpolitische Auseinandersetzungen in der
Türkei auch nach Deutschland und in andere westeuropäische Staaten „exportiert“ werden, war kaum
jemals so groß wie heute.
Für verantwortungsvolle Politiker auch in Deutschland sollte es jetzt darum gehen, die Rolle der Türkei
und unser politisches Verhältnis zu ihr bei einem Anhalten der aktuellen Entwicklung neu und kritisch
zu überdenken. Dabei müßte von der NATO-Frage über den Zuzug nach Deutschland bis hin zu einer
weiteren EU-Annäherung der Türkei alles, aber auch wirklich alles auf den Prüfstand. Ob man in Berlin
dazu wirklich bereit sein wird?
Gleichzeitig sind erschreckende Parallelen zu Deutschland im Jahr 1933 erkennbar, wie es u.a. Prof.
Dr. Christian M.-E. in einem Leserbrief an die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ kundtat. Wir zitieren
auszugsweise: „Wie sich die Geschehnisse in der Türkei 2016 und in Deutschland 1933 ähneln. Hitler
kam auch ganz legal zur Macht. Als wenig später der Reichstag brannte, lagen die Listen zur Beseitigung von Tausenden von unliebsamen Personen auch schon fertig in den Schubladen. . . . Die demokratischen Institutionen sollten ebenfalls ,gesäubert’, von einem ,Bazillus’ befreit werden. Auch
Hitler rief das ,Volk’ auf die Straße, auch damals bezahlten nicht wenige mit ihrem Blut. Und als Max
Liebermann den Pöbel mit einem Fackelzug durch das Brandenburger Tor marschieren sah, soll er ausgerufen haben: ,Ick kann jar nich soville fressen, wie ick kotzen möchte.’ Manchen mag heute ein ähnliches Gefühl beschleichen.“ Dem, sehr geehrte Damen und Herren, ist nun nichts hinzuzufügen! (tb)
2 Identitätsprüfung mit „auf Zuruf“ erstellten Dokumenten . . .
Seit dem 7. Juli gibt es die „Zahlungskonto-ldentitätsprüfungsverordnung“, die Banken und Sparkassen bei
der Eröffnung eines sogenannten „Basiskontovertrages“ (das ist ein rein auf Guthabenbasis zu führendes
Konto für Zwecke des bargeldlosen Zahlungsverkehrs) eine erleichterte Identitätsprüfung des neuen Kunden
gestattet. Es geht ausdrücklich um Ausländer bzw. Asylsuchende, die nicht im Besitz der für die Identitätsprüfung nach dem Geldwäschegesetz notwendigen Dokumente sind. Für Asylsuchende reicht nun z.B. ein
Ankunftsnachweis aus, den die ausstellende Behörde wegen fehlender anderer Unterlagen in wohl nicht
wenigen Fällen „auf Zuruf“ ausgeben mußte . . . (tb)
26. Juli 2016
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Nr. 4193
3 Erdogan und die „US-Lobby“
Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei brodelt verständlicherweise die Gerüchteküche.
Manche wittern eine „Eigeninszenierung“ des Erdogan-Clans wofür u.a. der Dilettantismus bei der
Putsch-Vorbereitung und die von Erdogan offenbar vorbereiteten „Säuberungslisten“ sprechen können.
Doch es gibt noch eine andere Theorie gewissermaßen „äußerer Einflußnahme“ und zwar durch die
USA. Tatsächlich muß Washington das nun zwischen der Türkei und Russland eingeleitete diplomatische
Tauwetter ein Dorn im Auge sein. Der russische Militärexperte Juri Metkatschew vermutet z.B., daß im
Fall eines erfolgreichen Putsches die neue türkische Führung die Durchfahrt russischer Kriegsschiffe vom
Schwarzen Meer in das Mittelmeer bis auf weiteres unterbunden hätte, um auf diese Weise die Aktivitäten der russischen Armee nicht nur in Syrien massiv zu erschweren. Es sei mithin kein Zufall gewesen,
daß die Putschisten als eine ihrer ersten Maßnahmen den Bosporus für den Schiffsverkehr sperrten.
Der russische Militärexperte Eduard Rodjukow zog einen Vergleich zur Rebellion in Usbekistan im Mai
2005. Schon wenig später stellte sich dort heraus, daß auf einem in der Region gelegenen US-Luftwaffenstützpunkt tätige US-Geheimdienstmitarbeiter bei der Vorbereitung des Putsches aktive Hilfestellung gegeben hatten. So mag es kein Zufall gewesen sein, daß sich eines der Zentren der Putschisten
auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Incirlik befand, auf dem – dies aber nur nachrichtlich – auch deutsche
Kräfte stationiert sind. Und schon wenig später tat ein Sprecher Erdogans kund, man habe dort (und auf
anderen Militärbasen) „parallele Strukturen gesäubert“. Manche Beobachter sehen in diesen Worten die
stark verklausulierte Mitteilung, Erdogan und seine Gefolgsleute hätten „die US-Lobby in der Türkei“
kaltgestellt . . . (tb)
4 Das „Kalifat“ schrumpft – doch der IS breitet sich aus
Während die physischen Grenzen des vom „Islamischen Staat“ (IS) gehaltenen Territoriums in Syrien und
dem Irak eher schrumpfen, drängen seine Kämpfer in fast alle Regionen dieser Erde vor. Daran mußten
uns kürzlich nicht zuletzt wieder die Anschläge von Nizza und wenig später in einem deutschen Vorortzug
erinnern, der vom beschaulichen Ochsenfurt nach Würzburg fuhr. Man hat im IS das terroristische Potential
dieser wahrscheinlich oft von eigenen psychischen Problemen geplagten Einzeltäter längst erkannt und ermuntert sie geradezu, in der Fremde zu bleiben und bei Bedarf tätig zu werden. Und dies nicht nur in den
„traditionellen Feindstaaten“ der „ungläubigen“ Welt, sondern z.B. auch in Saudi-Arabien, wo man mehrheitlich nur einer anderen Lesart des Islam folgt.
Der IS geht dabei recht strategisch vor, wie Beobachter nun mit Erschrecken berichten. Zur Verstärkung
der weltweit stationierten Kämpfer nutzt man u.a. die bekannten „Flüchtlingsrouten“ und hilft auch bei
der Etablierung neuer, z.B. von Syrien über Aserbaidschan, Georgien und Zypern nach Europa. In
Washington und Moskau hat man die sich daraus ergebenden Gefahren längst erkannt und man strebt
bezüglich Syriens zumindest eine „Koordination“ der jeweiligen Anti-Terror-Strategien an. Auch für die
Türkei (vor dem Putsch) und Israel ist eine Strategiewende absehbar: Assads Sturz ist nicht mehr das wichtigste Ziel, sondern die Bekämpfung des IS-Terrors.
In den westeuropäischen Staaten und hier insbesondere in Frankreich möchte der IS zweifellos eine Art
Bürgerkriegsstimmung herbeibomben. Dazu soll die Angst der Menschen so groß werden, daß sich ihre
Vorbehalte nicht mehr gegen die einzelnen Täter richten, sondern gegen größere Menschengruppen, denen gemein ist, daß sich in ihnen potentielle Täter verbergen könnten. In der perversen Logik des IS würde dies zu einer teilweisen Solidarisierung der davon Betroffenen führen, was die Rekrutierung weiterer
Attentäter ungemein erleichtern könnte. (tb)
5 „Sanktionskrieg“: China ist der lachende Dritte
Im von der US-Regierung offenbar gewünschten Sanktionskrieg zwischen der Europäischen Union und Russland erweist sich die Volksrepublik China immer mehr als der lachende Dritte. Laut einer Untersuchung der
grundsätzlich EU-nahen Brüsseler Denkfabrik „Bruegel Institute“ ist es nämlich vor allem China, das seine
Marktanteile im Russlandgeschäft kontinuierlich auf Kosten der sich gerade selbst lähmenden Europäer ausbaut.
Das seit etwa 15 Jahren prosperierende Russland-Geschäft chinesischer Anbieter (ihr Anteil an den russischen Importen stieg von 5 % im Jahr 2000 auf aktuell rund 20 %) geht anheim mit einem deutlichen
Rückgang des Anteils europäischer Lieferanten an den russischen Importen von ehemals 70 % auf jetzt nur
noch 55 %. Während die Beziehungen zwischen der EU und Russland seit 2014 immer schlechter wurden,
„haben Russland und China ihre Zusammenarbeit schneller als in der vorangegangenen Zeit ausgebaut“,
weiß die Bruegel-Wissenschaftlerin Alicia Garcia-Herrero zu berichten. Und wenngleich sich ein direkter
Zusammenhang nicht nachweisen läßt, sei laut ihr ein enger Zusammenhang dieser Entwicklung mit der
Sanktionspolitik nicht von der Hand zu weisen. Hinzu kommt die als Antwort auf die Sanktionspolitik zu verstehende russische Einfuhrsperre für EU-Lebensmittel, die u.a. zum für die deutschen Milchbauern ruinösen
Milchpreisverfall beitrug.
Die bei der EU akkreditierten Vertreter Chinas tun derzeit alles, um ihr Land nicht als „Krisengewinner“ dastehen zu lassen. Russland und China seien lediglich bedeutende Handelspartner, denen es gelinge, ihre
Handelsbeziehungen zum beiderseitigen Vorteil auszubauen, sagt z.B. Mingxi Sun, Wirtschaftsberater an der
chinesischen Vertretung bei der EU. Doch Garcia-Herrero fügt in aller Deutlichkeit an, daß die europäischen
Sanktionen gegen Russland China sehr gefielen, „und der Trend hat sich beschleunigt“.
Aus der Europäischen Kommission ist derweil nur zu hören, daß man die wirtschaftlichen Auswirkungen
der Sanktionen auf die EU sehr genau beobachte, doch die daraus gewonnenen Erkenntnisse blieben unter
Verschluß. Ob Drittstaaten davon profitieren, werde angeblich nicht erforscht . . . (tb)
26. Juli 2016
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6 Frankreichs Armee unter „Dauerdruck“
Noch vor dem Attentat von Nizza wurde in diesem Jahr die traditionelle Truppenparade zum französischen
Nationalfeiertag am 14. Juli von neuseeländischen Maori-Kriegern angeführt. Das sollte nach offizieller Lesart versinnbildlichen, daß die französische Armee ebenso wie die Republik keine nationalen Ansprüche
erhebt, sondern sich der Sache verpflichtet sieht.
Doch bei Licht betrachtet sind die Fähigkeiten der französischen Armee aktuell so beschränkt wie seit
vielen Jahren nicht mehr. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit lassen immer mehr Armeeangehörige
(vom einfachen Soldaten bis zum hochrangigen Offizier) durchblicken, daß die 32 000 Männer und Frauen
von den in den letzten Jahren ausufernden Spezialmissionen zunehmend müde, erschöpft und ausgelaugt seien. Zu den – erst jetzt verlängerten – Spezialmissionen gegen den Terror in Frankreich zehren
an den Kräften z.B. Einsätze im Sahelgebiet, in Syrien und im Irak. Hinzu kommen UNO-Missionen im
Libanon und EU-Operationen vor Somalia, gefährliche Operationen in Mali, Mauretanien, dem Tschad,
in Niger und Burkina Faso.
Nun mußte auch Staatspräsident François Hollande eingestehen, daß Frankreichs Streitkräfte unter
chronischer Überlastung leiden. Spätestens ab 2017 sollen die aktuell aufgedeckten Engpässe mit einem
steigenden Rüstungsetat und bis zu 15 000 weiteren Kräften behoben werden . . . (tb)
7 „Wohltemperierte Grausamkeiten“
Vor gerade einmal einem Jahr mahnte der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk die Anwendung einer „wohltemperierten Grausamkeit“ an, um den damals anschwellenden Migrationsstrom aus dem Nahen Osten,
Afrika und Teilen Asiens zu begrenzen. Es war ein Begriff, der dem Vordenker viel Kritik einbrachte. Doch
wie Recht er mit seiner Forderung hatte, stellte sich schon wenige Monate später heraus.
Natürlich war die „Schließung“ der Westbalkanroute richtig, wenngleich auch dies – aus Sicht der davon
Betroffenen, die illegal z.B. nach Deutschland einreisen wollten – als eine Art „wohltemperierter Grausamkeit“ angesehen werden kann. Ähnliches gilt für den mehr denn je wackeligen Pakt mit der Türkei und
schon jetzt zeichnet sich ab, daß man auch um entsprechende „Abkommen“ mit Staatsgebilden wie
Libyen oder dem Sudan nicht herumkommen wird.
Im Sudan, gegen dessen Präsident wegen des Verdachts des Völkermords ein internationaler Haftbefehl
vorliegt, ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kürzlich bereits diskret sondieren, mit welcher „Hochtechnologie“ man behilflich sein könnte, um im Gegenzug die dort schon jetzt lebenden, vier Millionen
„Migrationswilligen“ mit sanfter Gewalt an der Abreise zu hindern. Und Spanien betreibt Ähnliches schon
seit einiger Zeit mit Marokko und dies mit recht gutem Erfolg. Und es wird, darüber sind sich alle nüchtern
denkenden Beobachter schon seit längerer Zeit im Klaren, noch zu etlichen weiteren – und unterschiedlich temperierten – „Grausamkeiten“ kommen müssen.
Doch viele Europäer wollen dies nach wie vor nicht akzeptieren. Dahinter kann Naivität, illusionäres
Wunschdenken oder auch einfach nur die Unfähigkeit stecken, sich die klar absehbaren Folgen einer
Massenimmigration aus der arabischen Welt und/oder Afrika vorzustellen. Privatpersonen bleibt es deshalb
stets unbenommen, eine „Willkommenskultur“ ohne Rücksicht auf die Folgen zu pflegen. Doch die Führung eines Staates, die die Frage nach den absehbaren Folgen einer Masseneinwanderung nicht unter
allen denkbaren Aspekten beleuchtet (und dann entsprechend reagiert), handelt schlicht und ergreifend
verantwortungslos.
Auf dem europäischen Kontinent ist der an Jahren erst junge österreichische Außenminister Sebastian
Kurz (ÖVP) einer der wenigen Spitzenpolitiker, der diese auch ethische Herausforderung angenommen
hat. Ob sein daraus resultierender Vorschlag, sich die rigide australische Einwanderungspolitik zum Vorbild
zu nehmen, richtig und brauchbar wäre, kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Doch immerhin
bewies Kurz damit, daß er sich die erforderlichen Gedanken macht . . . (tb)
8 Großbritannien gibt Neu-Einwanderern keine Bleibegarantie mehr
Der neu ernannte britische „Brexit-Minister“ David Davis, der den Austritt Großbritanniens aus der EU
organisieren soll, sagte gegenüber der „Mail on Sunday“, daß EU-Bürgern, die sich ab sofort noch in
Großbritannien niederlassen, schon aus heutiger Sicht keine Bleibe-Garantie mehr gegeben werden könne.
Zwar wolle er sich bei den Austrittsverhandlungen mit der EU für „großzügige“ Lösungen für die bereits
in Großbritannien lebenden EU-Bürger und die Briten in anderen EU-Staaten einsetzen, doch Neuankömmlinge dürften nun nicht mehr mit entsprechenden Regelungen rechnen. Gleichwohl rechnet man
in Großbritannien damit, daß in den nächsten Monaten und Jahren noch etliche EU-Bürger den Weg in
das Vereinigte Königreich finden werden.
Der Wunsch, die Zuwanderung aus anderen EU-Ländern zu beschränken, war eines der zugkräftigsten
Argumente der Brexit-Befürworter und ist es auch heute noch. Und genau diese Frage wird auch einer
der wesentlichen Streitpunkte bei den Austrittsverhandlungen sein, die der frühere Europaminister Davis
nunmehr als britischer Chefunterhändler bestreiten soll. In Brüssel beharrt man zur Zeit jedenfalls auf der
Ansicht, daß der von London auch weiterhin begehrte Zugang zum europäischen Binnenmarkt nur mit
einer Beibehaltung der von London eben nicht gewünschten Personenfreizügigkeit „erkauft“ werden
könnte.
Zum Zeitpunkt des britischen Austrittsgesuchs erklärte Davis inzwischen, daß mit diesem erst im kommenden Jahr gerechnet werden solle. Ab dann wird nach den EU-Verträgen eine zweijährige Frist laufen,
während der die Modalitäten der Entflechtung verhandelt werden müssen. Mit dem eigentlichen EUAustritt Großbritanniens wäre demzufolge frühestens Anfang 2019 zu rechnen. (tb)
26. Juli 2016
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9 „. . . souveräne Nationalstaaten, die in Frieden und Freiheit kooperieren“
Der AfD-Vorstand Albrecht Glaser (der von seiner Partei als Kandidat für die im nächsten Jahr anstehende
Bundespräsidentenwahl nominiert wurde und der die Kommission für die Erstellung des im Mai beschlossenen Grundsatzprogramms leitet) sieht für seine Partei die auf längere Sicht größten Wahlchancen,
wenn sie sich „in der rationalen Analyse“ politischer Probleme und der sich ergebenden Lösungsmöglichkeiten übt. Als nicht hilfreich, sondern im Gegenteil sogar „gefährlich“ bezeichnete er dagegen das
in Teilen der Partei und ihres Vorstandes anzutreffende Predigen eines nach seiner Auffassung „überkommenen Wertesystems“.
Die „rationale Analyse“ sollte sich laut Glaser insbesondere auf die weitere Entwicklung der Europäischen
Union beziehen, weil man „auf diese Weise den Sprung in einen größeren Kreis von Bürgern schaffen“
und damit vielleicht sogar „CDU und CSU überflüssig machen“ könne. „Die Unionsparteien sind weder
willens noch fähig zu dem, worum es heute gehen muß und wofür die AfD als einzige Partei eintritt: Ein
Europa der vernünftigen, demokratischen Nationalstaatlichkeit mit einem guten Schuß direkter Demokratie“, heißt es weiter. Neben einem „wettbewerbsorientierten ökonomischen Gesamtrahmen“ gehören für
Glaser dazu vor allem „souveräne Nationalstaaten . . ., die in Frieden und Freiheit kooperieren, ohne ihre
Abschaffung zu betreiben“. (tb)
10 Attacke auf Merkels Asylpolitik
Etwa zwei Monate vor der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern kritisierte Ministerpräsident Erwin
Sellering (SPD) die von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vertretene Flüchtlingspolitik in ungewöhnlich scharfer Form. Merkel tue danach bis heute so, als könnte Deutschland alle Verfolgten aufnehmen,
was laut Sellering natürlich „nicht der Realität“ entspreche. Außerdem versuche die Kanzlerin zu suggerieren, daß die wegen der Auswirkungen ihrer Flüchtlingspolitik geäußerten Sorgen stets nur aus den
Mündern von Rechtsradikalen und Dummköpfen kämen. Auch dies sei ein „schwerer Fehler“.
Laut Sellering habe man die Folgen einer Masseneinwanderung von bislang fast zwei Millionen „kulturfremden Personen“ mit überwiegend islamischen Denk- und Handlungsweisen gefährlich „unterschätzt“.
Man nehme die „ernsten Bedenken und berechtigten Sorgen“ vieler Menschen einfach nicht zur Kenntnis
und es sei ein „Riesenfehler, von hoher moralischer Warte so zu tun, als sei diese (von Merkel vorangetriebene, die Red.) Politik alternativlos“.
Bezüglich der offiziell angestrebten Integration der bislang angekommenen Flüchtlinge äußerte sich
Sellering ebenfalls sehr skeptisch. Er habe große Zweifel, ob dies gelingen könne. Schon die dafür erforderlichen finanziellen Mittel könnten sich noch als ein sehr großes Problem erweisen, denn nach den Plänen
der Bundesregierung müsse man dafür alleine auf Bundesebene bis zum Jahr 2020 zusätzliche 77 Mrd.
Euro aufbringen.
Schweriner Beobachter fragen sich nun, ob diese Attacke auf Merkels Asylpolitik ernst gemeint war
oder ob sie nur als „Wahlkampfgetrommel“ einzustufen ist. (tb)
11 Fliegende Wechsel
Nicht nur, aber insbesondere in Brüssel und Washington scheint es ganz „normal“ geworden zu sein,
wenn selbst Spitzenfunktionäre beinahe nahtlos zwischen Politik, Verwaltung und der Wirtschaft hin und
her wechseln. Dies gilt vor allem für den Finanzsektor, wo man sich nicht des Eindrucks erwehren kann,
daß die Top-Funktionäre weniger wegen ihrer fachlichen Qualifikationen begehrt sind, sondern vor allem
wegen ihrer Kontakte und/oder ihrer Einflußmöglichkeiten.
Geradezu als „Meister“ dieses Fachs hat sich dabei die US-Bank Goldman Sachs erwiesen. Über sie schrieb
schon im Jahr 2010 der US-Autor Matt Taibbi: „Die mächtigste Investmentbank der Welt ist ein großer
,Vampirtintenfisch’, der sich um die Menschheit wickelt und seine Tentakel in alles rammt, das nach Geld
riecht.“ Und jetzt hat dieser „Vampirtintenfisch“ seine Tentakel um einen weiteren „dicken Fisch“ geschlungen, den früheren Präsidenten der EU-Kommission Manuel Barroso.
Dabei wird Barroso nicht der erste ehemalige EU-Kommissionschef sein, der auf Goldman Sachs’ Gehaltsliste steht. Diese „Ehre“ wurde schon vor Jahren Mario Monti zuteil. Doch während bei Monti die negativen
Reaktionen noch recht gering ausfielen, reagierten nun sogar einige Abgeordnete des Europäischen Parlaments mit deutlichem Mißmut. „Diese elendigen Seitenwechsel von der Politik in die Wirtschaft nähren
die Zweifel an der Gemeinwohlorientierung der Politik“, stellte z.B. der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold
fest. Auch aus Barrosos Heimatland tönte heftige Kritik am Verhalten des früheren Anführers der maoistischen Studenten in Portugal. Barroso sei Teil einer „schamlosen europäischen Elite“ sagt beispielsweise der
Chef des portugiesischen Linksblocks, Pedro Filipe Soares. Und ein französischer Staatssekretär schrieb:
„Barroso hat den Bürgern nicht gedient – und bedient sich jetzt bei Goldman Sachs. Er ist ein unanständiger Repräsentant eines alten Europa, das unsere Generation verändern wird.“ Für die Chefin des
französischen Front National, Marine Le Pen, ist Barrosos Seitenwechsel darüber hinaus „keine Überraschung für Menschen, die wissen, daß die EU nicht den Menschen dient, sondern der Hochfinanz“.
Nicht zu vergessen sind vor diesem Zusammenhang aber auch die zum Teil spektakulären Wechsel aus
der Bank heraus in europäische Spitzenpositionen. So stand z.B. der heutige EZB-Chef Mario Draghi lange
Zeit auf der Gehaltsliste von Goldman Sachs und auch Italiens Ministerpräsident Mario Monti diente
nach seiner Zeit als EU-Kommissionschef der Bank, bis er wieder in die Politik ging. Ein Narr, wer Böses
dabei denkt . . .? (tb)
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Für Sie aufgelesen:
„Diktaturen bieten ,Sicherheit’ in Zuchthäusern.”
Herausgeber: Verlag Arbeit und Wirtschaft – Verlag und Versand – OHG, Postfach, D-78266 Büsingen. Bankverbindung: Sparkasse EngenGottmadingen (BLZ 69251445) Konto-Nr. 8104440. Verantwortliche Redakteure: Dipl.-Ök. Thomas Brügmann (tb), Dr. Eike Hamer v.V. (eh).
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