SWR2 DIE BUCHKRITIK

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Hrsg.: Gerd Frank: Und der Kondor zog vorbei
Quechua Dichtung der Inka
Deutsch Spanisch
Nach spanischen Quellen neu übersetzt
Teamart Verlag, Zürich 2016
144 Seiten
21Euro
Rezension von Eva Karnofsky
Donnerstag, 02. Juni 2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Der Züricher teamart Verlag ist inzwischen dafür bekannt, dass er in ansprechenden
Ausgaben spanisch- und portugiesischsprachige Lyrik von der iberischen Halbinsel und
aus Lateinamerika in der Originalsprache und in deutscher Übersetzung auf den Markt
bringt, die abseits des Mainstream liegt. Dies gilt auch für den vorliegenden Band Und der
Kondor zog vorbei. Quechua Dichtung der Inka, den Gerd Frank herausgegeben und
übersetzt hat. Eva Karnofsky hat ihn gelesen.
Machu Picchu, die heilige Stätte der Inka, zählt zu den beliebtesten Reisezielen der Welt.
Die Kulturen der indigenen Völker, die vor der 1520 einsetzenden spanischen Eroberung
in Südamerika gelebt haben, üben bis heute eine große Faszination aus, nicht zuletzt, weil
über ihre Lebensweise Vieles im Dunkeln liegt. Der Hauptgrund dafür ist, dass die Inka
über keine Schriftsprache verfügten. So ist ihre mündlich überlieferte Lyrik erstmals durch
katholische Mönche niedergeschrieben worden. Quechua, die Sprache der Inka, wird
heute übrigens immer noch von deren Nachfahren gesprochen, rund zehn Millionen
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Menschen, die in Argentinien, Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Peru leben. Nach wie vor
entsteht Lyrik auf Quechua.
Die Texte des zweisprachigen Bandes Und der Kondor zog vorbei. Quechua Dichtung der
Inka wurden von Herausgeber Gerd Frank nicht aus dem Original, sondern aus dem
Spanischen ins Deutsche übertragen. Und wie des Öfteren in der ansonsten so
interessanten Lyrik-Reihe des Züricher teamart Verlages, lässt die Übersetzung
verschiedentlich zu wünschen übrig. Es werden gelegentlich ganze Zeilen vergessen,
einige grammatische Bezüge stimmen nicht und manche Worte werden falsch übersetzt,
doch vor allem verleiht Gerd Frank den Texten gern ein Pathos, das im spanischen
Original meist nicht zu erkennen ist. Dass es auch anders geht, beweist die bereits 1988
von Wilfried Böhringer und Arthur Wagner unter dem Titel Llaqtaq Takiy herausgegebene
und übersetzte Lyrik- und Textsammlung. Sie wurde direkt aus dem Quechua übertragen.
Einige Gedichte sind in beiden Büchern zu finden und somit vergleichbar. Böhringer und
Wagner nennen auch die Quellen und Ersterscheinungsdaten der Gedichte, die Frank
vermissen lässt.
Doch nun zum Inhalt. Er umfasst einen Prosatext zur Schöpfungsgeschichte sowie
sechzig Mythen, Gebete, Sinnsprüche, Klage- und Liebeslieder. Die Namen der Dichter
sind unbekannt. Die ältesten Texte stammen vom Beginn der Kolonialzeit, so die Elegie
auf den Tod Atahualpas, den 1533 von den Spaniern ermordeten letzten Inka-König. Die
Witwe, ein anrührendes Gedicht über eine trauernde Frau, wurde erstmals 1791
veröffentlicht, wie man allerdings nur bei Böhringer und Wagner nachlesen kann. Leider
weiß man nicht, welches der jüngste Text in Franks Band ist und aus welchem Jahr er
stammt. Frank hat Die Witwe auch auf Quechua abgedruckt, in lateinischer Schrift. Reime
waren nicht üblich, allerdings legte man Wert auf den Klang.
Viracocha heißt der Schöpfergott der Inka, der aus einer Lagune entstiegen ist und aus
Stein die Menschen geschaffen hat. Die wohl älteste überlieferte Hymne vom Beginn der
Kolonialzeit ist ihm gewidmet. Zu Viracocha betete man „Oh Schöpfer!/Der du am Ende
der Welt bist,/Der du ohnegleichen bist,/Der du dem Menschen Sein und Wesen gibst/ ...
Höre mich an,/ Antworte mir,/Sei mir gnädig.
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Auch Sonne und Mond wurden verehrt. Aus dem Gebet einer Frau an die Mutter Mond
geht die Klage hervor, dass die Frauen den Männern untergeordnet waren, wenn es heißt
„Es sind unsere Gatten,/es sind unsere Männer,/die uns schlagen,/Die uns schimpfen.“
Die Frauen hatten gleichwohl die Freiheit, ihre Männer zu verlassen, die sie offensichtlich
auch nutzten. Zumindest handelt es sich bei zahlreichen Gedichten um die Klagen
verlassener Männer, die sich verbal nicht lumpen ließen, um der geliebten Frau zu
schmeicheln: Weiße Taube/Goldschnäbelchen,/mit silbernen Flügeln,/Flieg nicht davon.
Man liebte Metaphern, wobei die Bilder immer aus der Natur stammen, der man ebenfalls
huldigte. Somit ähneln die Gedichte am ehesten unserer Lyrik der Romantik.
Der Band Und der Kondor zog vorbei. Quechua Dichtung der Inka verrät Einiges über die
Kultur der Inka. Dies allein macht ihn – trotz der Ungenauigkeiten in der Übersetzung –
lesenswert. Doch wer Liebesgedichte und romantische Lyrik mag, wird die Inka-Dichtung
ebenfalls mögen.
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