SWR2 DIE BUCHKRITIK

SWR2 MANUSKRIPT
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SWR2 DIE BUCHKRITIK
Ibn Arabi: Der Übersetzer der Sehnsüchte
Liebesgedichte aus dem Arabischen Mittelalter
Aus dem Arabischen übersetzt, kommentiert und mit einem Vorwort versehen von Stefan
Weidner
Verlag Jung und Jung
180 Seiten
25 Euro
Rezension von Brigitte Neumann
Donnerstag, 19.05.2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Von Brigitte Neumann
Kennen Sie die Enzensbergersche Konstante? Der deutsche Lyriker und
Mathematikliebhaber Hans Magnus Enzensberger hat sie entdeckt. Sie beträgt 1354 – das
ist laut Enzensberger die Anzahl von Menschen in jeder Sprachgemeinschaft der Welt, die
Gedichte liest.
Nun aber kommt Ibn Arabi. Der Islamwissenschaftler und Essayist Stefan Weidner hat
seinen Gedichtzyklus „Der Übersetzer der Sehnsüchte“ erstmals vollständig ins Deutsche
übertragen. Ibn Arabi gilt als einer der bedeutendsten mystischen Dichter und Schriftsteller
des islamischen Mittelalters.
Stefan Weidner hat ein halbes Dutzend Preise für seine Essays und Übersetzungen
erhalten und ist Gründungsmitglied der Kölner Akademie der Kulturen der Welt.
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Brigitte Neumann über seine Übertragung des Gedichtzyklus‘ von Ibn Arabi „Der
Übersetzer der Sehnsüchte“ …
Ich hatte mir viel versprochen von diesem Buch: Ibn Arabis Hauptwerk, „Der Übersetzer
der Sehnsüchte“, Liebesgedichte aus dem islamischen Mittelalter. Auf jeden Fall, dass
endlich mal eine Tür aufgeht hinter diese Bühne, auf der sich der Islam derzeit häufig als
Religion der Intoleranz und Gewalt präsentiert. Ich wollte etwas über die spirituellen
Urgründe dieser Kultur erfahren. Der Übersetzer und Herausgeber Stefan Weidner, so die
Hoffnung, würde da Licht ins Dunkel bringen. Er ist Islamwissenschaftler. Und er ist
Journalist, weiß also, wie man so etwas macht. Und der 1165 im spanischen Murcia
geborene Ibn Arabi war ein Sufi und Mystiker, also genau der richtige Mann für meine
Erwartungen.
Der Spross einer einflussreichen und wohlhabenden Familie im Dienste des spanischen
Kalifen mochte das mondäne Leben nicht. Schon als 15-Jähriger, so die Legende, suchte
er spirituelle Lehrer auf. Während seiner Reisen durch die gesamte, damals islamische
Welt, verfasste Ibn Arabi 846 Werke. Stefan Weidner hält ihn für einen der größten
Schriftsteller überhaupt. „Der Übersetzer der Sehnsüchte“, Ibn Arabis berühmtestes
poetisches Werk, das nun erstmals in vollständiger Übersetzung vorliegt, gehe auf die vorund frühislamische Vorstellungswelt zurück, schreibt er. Wann war das? Weidner hilft uns
da nicht weiter. Laut Lexikon etwa bis zum 6. Jahrhundert. Mit „Der Übersetzer der
Sehnsüchte“ taucht Ibn Arabi also in eine für ihn schon historische Atmosphäre ein, als der
Koran noch nicht alleiniges Regelwerk für Gesetz, Gebräuche und Glauben der Muslime
war. Rekurriert Ibn Arabi auf vorislamische Zeiten, weil sie freier waren als die Zeit, in der
er lebte? Wir erfahren es nicht.
Wenn es aber so war, dann hat der Dichter vielleicht deshalb nicht nur Gott als ultimativen
Geliebten angebetet, wie für Poeten der Zeit üblich, sondern, und das war nach Weidner
im 12. Jahrhundert bereits ein Wagnis, auch die Geliebte als göttliches Wesen. So
schreibt Ibn Arabi:
„Ich bekenne die religion der liebe gleich / Wohin ihre karawane mich führt die liebe / Ist
mein glaube meine religion“
Es geht immer um Liebe, und manchmal sind die - in der Regel reimlosen - Zeilen
zauberhaft wie diese eben und intuitiv verständlich. Aber meist wird, wie in einem
surrealen Mantra, der immer gleiche Kummer - die Geliebte ist verschwunden, der Dichter
ist untröstlich und macht sich auf die Suche nach ihr - mit seltsamen Metaphern
beschworen:
„gibt es unter den zelten der sicheldüne/ einen platz für meinen topf/ kann ich ein
mittagsschläfchen halten / im schatten des reinigungsbaums“
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Dass die meisten Verse verschlossen bleiben, liegt gewiss nicht an ihrem Übersetzer
Stefan Weidner - auch frühere Teilübersetzungen des Zyklus gelten als weitgehend
hermetisch. Aber es liegt an ihrem Deuter Stefan Weidner. Er schreibt in seinem Vorwort,
der Koran bleibe ohne Auslegung unverständlich, und fügt hinzu, auch die Gedichte Ibn
Arabis seien ohne Exegese „unzugänglich“. Genau dies hätte dafür gesprochen, sie
ausführlicher zu erläutern, und zwar indem man sie einbettet in eine Schilderung der
politischen und historischen Gegebenheiten der Zeit ihrer Entstehung. Etwa so wie Dieter
Kühn uns Leben und Werk des spätmittelalterlichen Tiroler Dichters Oswald von
Wolkenstein näherbrachte. Kühn zeigte alles: Rüstung und Femegericht, Kriegsgerät und
Währungsgrößen, Belagerungstechnik und Pilgerwesen und mittendrin platzierte er die
von ihm übersetzten Gedichte Oswalds. Kühns Bestseller „Ich Wolkenstein“ trat einen
Boom der Mittelalterbücher los.
Meine Hoffnung wäre also, dass Stefan Weidner sich noch einmal an die Arbeit macht, um
das schmale Bändchen mit Gedichten und Erläuterungen zu erweitern, und zwar zu einem
Buch mit Panoramablick auf Ibn Arabis Zeit. Bislang können wir nur erahnen, dass es „Der
Übersetzer der Sehnsüchte“ von Ibn Arabi verdient hätte.
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