19. Pantaenius-Immobilientagung am 19. November 2015 in Hamburg Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch – § 906 BGB RA Dr. Jan-Hendrik Schmidt, Hamburg S. 1 § 906 BGB [Zuführung unwägbarer Stoffe] (1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Eine unwesentliche Beeinträchtigung liegt in der Regel vor, wenn die […] festgelegten Grenz- oder Richtwerte […] nicht überschritten werden. […] (2) Das Gleiche gilt insoweit, als eine wesentliche Beeinträchtigung durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind. Hat der Eigentümer hiernach eine Einwirkung zu dulden, so kann er von dem Benutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt. (3) […] S. 2 § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB • Generalnorm des zivilrechtlichen Nachbarschutzes • Wegen der zentralen Bedeutung wird die Vorschrift über ihren zu engen Wortlaut hinaus wahnsinnig weit ausgelegt. Der Jurist spricht von Analogie, der Nichtjurist vom »Siebenfachen Rittberger« • Z.B. ist § 906 II 2 BGB nicht auf unwägbare Stoffe und feinstoffliche Einwirkungen beschränkt, sondern umfasst auch sog. Grobimmissionen wie z.B. Niederschlags- und Leitungswasser • Z.B. nicht nur unter Eigentümern, sondern unter Umständen auch anderen berechtigten Besitzern wie etwa Mietern S. 3 Fall 1: Wasserschaden im Ärztehaus – Part I Der Beklagte betreibt als Mieter eine Arztpraxis. Über Osterfeiertage platzt Zuleitungsschlauch zum Waschbecken. Wassereinbruch in der Praxis darunter (ebenfalls Mieträume). Schäden an Räumen und Inventar 190.915,46 DM, die Versicherer reguliert und vom Beklagten wieder haben will. Haus ist nicht nach WEG aufgeteilt. (Fall nach BGH vom 12.12.2003 – V ZR 180/03) S. 4 BGH, Urteil vom 12.12.2003 – V ZR 180/03 Beeinträchtigungen, die von einer Mietwohnung auf eine andere Mietwohnung im Haus einwirken, berechtigen einen geschädigten Mieter nicht zu einem verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB gegen den Mieter der anderen Wohnung. S. 5 Fall 2: Riss im Durchlauferhitzer Haus mit 3 Wohnungen gehört 3 Eigentümern. Nicht nach WEG geteilt, aber jedem Eigentümer ist eine Wohnung zur Alleinnutzung zugewiesen. Riss am Durchlauferhitzer in Dachgeschosswohnung. Miteigentümer darunter verlangt ca. EUR 7.500,00 Schadensersatz für beschädigten Hausrat. (Fall nach BGH vom 10.02.2012 – V ZR 137/11) S. 6 BGH, Urteil vom 10.02.2012 – V ZR 137/11 Im Verhältnis von Bruchteilseigentümern, die sich jeweils eine Teilfläche (Wohnung) zur Alleinnutzung zugewiesen haben, finden der verschuldensunabhängige nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf Beeinträchtigungen, die von einem Nutzungsbereich auf einen anderen Nutzungsbereich einwirken, keine Anwendung. S. 7 Fall 3: Nicht ganz dicht Der Wohnungseigentümer K verklagt seine WEG auf 4.300,00 EUR Mietausfall. Wohnung vermietet. Ende März 2006 zeigte sich Wasserfleck an Wohnzimmerdecke. Erste Reparatur an Regenrohr half nicht. Mai 2006 Beschluss der EV über Einschaltung Architekt. Trotz weiterer Reparaturversuche Wassereinbrüche Juni bis August 2006. Danach als Ursache ein defektes Tür-Fenster-Element in der Wohnung über K entdeckt. Mängel wurden behoben. (Fall nach BGH vom 21.05.2010 – V ZR 10/10) S. 8 BGH, Urteil vom 21.05.2010 – V ZR 10/10 Wird die Nutzung des Sondereigentums durch einen Mangel am Gemeinschaftseigentum beeinträchtigt, so steht dem Sondereigentümer kein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zu. Argumente: Keine Regelungslücke im Gesetz, da das WEG mit § 14 Nr. 4 Halbsatz 2 einen verschuldensunabhängigen Ersatzanspruch kennt. Das schadensursächliche Gemeinschaftseigentum gehört allen, also auch dem K. S. 9 Fall 4: Wasserschaden im Ärztehaus – Part II Der Beklagte betreibt als Mieter eine Arztpraxis. In der Nacht auf 8.4.2007 platzt Zuleitungsschlauch. Wassereinbruch in der Praxis darunter (ebenfalls Mieträume). Schäden an Räumen und Inventar 165.889,76 EUR, die Versicherer reguliert und vom Beklagten wieder haben will. Das Haus ist nach dem WEG aufgeteilt. (Fall nach BGH vom 25.10.2013 – V ZR 230/12) S. 10 BGH, Urteil vom 25.10.2013 – V ZR 230/12 Wird die Nutzung des Sondereigentums durch rechtswidrige Einwirkungen beeinträchtigt, die von im Sondereigentum eines anderen Wohnungseigentümers stehenden Räumen ausgehen, kann dem betroffenen Wohnungseigentümer ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zustehen; das gilt auch im Verhältnis von Mietern solcher Räume. S. 11 Danke für Ihre Aufmerksamkeit! S. 12
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