Unerheblichkeit einer Pflichtverletzung bei einem behebbaren Mangel

Prozesspraxis
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Ob die Sachverständigenkosten anschließend tatsächlich zu einer (erfolgreichen) Nacherfüllung führen, ist für den zuvor bereits wirksam entstandenen
Ersatzanspruch ohne Bedeutung.
MERKE | Der Bevollmächtigte kann so mit seiner Partei auf das Ergebnis eines
eingeholten Gutachtens auch noch sachgerecht, vor allem aber auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten reagieren. Das sollte Anlass sein, die Fragegestaltung für das Sachverständigengutachten entsprechend auszurichten.
Optionen für Berater
Das gilt nach dem BGH insbesondere auch, wenn der Verkäufer anschließend
weiterhin jegliche Mängel bestreitet und deshalb der Käufer eine Nacherfüllung auch im Fall einer Fristsetzung unter keinen Umständen erwarten
konnte, sodass für ihn gemäß § 437 Nr. 2, § 440, § 323 Abs. 2 Nr. 1, § 441
Abs. 1 BGB der Weg zur Kaufpreisminderung eröffnet ist.
In prozessualer Hinsicht gilt es zu beachten, dass es sich um einen materiellrechtlichen Anspruch handelt, der als solcher im Hauptsacheverfahren geltend gemacht werden muss. Ob daneben auch ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch besteht, muss im Einzelfall entschieden werden.
Anspruch im
Hauptsacheverfahren geltend machen
ARCHIV
↘↘ WEITERFÜHRENDE HINWEISE
Ausgabe 9 | 2013
Seite 154
•Erstattung der Kosten eines Privatgutachtens, PAK 13, 154
•Privates Sachverständigengutachten: Kosten sind erstattungsfähig, PAK 13, 124
•Enge Voraussetzungen für Kostenerstattung bei Privatgutachten, PAK 08, 123
KAUFVERTRAGSRECHT
Unerheblichkeit einer Pflichtverletzung
bei einem behebbaren Mangel
PDF erstellt für Gast am 22.04.2016
Die Beurteilung der Frage, ob eine Pflichtverletzung unerheblich im Sinne
des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB ist, erfordert eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls. Bei einem behebbaren Mangel ist im Rahmen dieser Interessenabwägung von einer Geringfügigkeit des Mangels und damit von einer Unerheblichkeit der
Pflichtverletzung gemäß § 323 Abs. 5 S. 2 BGB jedenfalls in der Regel
nicht mehr auszugehen, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises übersteigt (BGH 28.5.14, VIII ZR
94/13, Abruf-Nr. 141740).
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Abruf-Nr. 141740
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen
Neuwagen zum Preis von 29.953 EUR. Der Kläger machte mehrere Mängel,
u.a. eine Mangelhaftigkeit der Einparkhilfe geltend. Mit als „letzter Nachbesserungsversuch“ überschriebenem Schreiben rügte der Kläger neun Mängel,
darunter die o.g. Mangelhaftigkeit der Einparkhilfe, und setzte der Beklagten
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Prozesspraxis
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– erfolglos – eine Frist zur Mängelbeseitigung. Nachdem die Beklagte mitteilte, die Einparkhilfe funktioniere einwandfrei und entspreche dem Stand der
Technik, erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangt die
verzinsliche Zahlung von 27.257,23 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe und
Rückübereignung des Fahrzeugs. LG und OLG haben die Klage abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Hat der Schuldner die Leistung nicht vertragsgemäß bewirkt, kann der Gläubiger nach § 323 Abs. 5 S. 2 BGB vom Vertrag nicht zurücktreten, wenn die
Pflichtverletzung unerheblich ist. Die im Fall des BGH aufgeworfene Frage,
wann ein Mangel unerheblich und deshalb ein Rücktritt vom Kaufvertrag
ausgeschlossen ist, hat wegen der Vielzahl der betroffenen Fälle hohe praktische Bedeutung.
Hohe praktische
Bedeutung der
Entscheidung
Der BGH stellt drei Grundsätze auf, die einer breiten und nicht immer zu
strukturierenden Instanzrechtsprechung einen deutlichen Rahmen gibt und
prozessual zu berücksichtigen ist:
CHECKLISTE 
/ Drei Grundsätze des BGH zur Erheblichkeit eines Mangels
„„ Die Frage der Erheblichkeit ist anhand aller Kriterien des Einzelfalls zu entscheiden. Ein Verstoß gegen eine
Beschaffenheitsvereinbarung indiziert dabei in der Regel die Erheblichkeit der Pflichtverletzung (BGH NJW-RR 10,
1289).
„„ Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist das Verhältnis des Mängelbeseitigungsaufwands zum Kaufpreis nur
ein Belang. Dabei ist zu unterscheiden, ob es sich um einen behebbaren oder nicht behebbaren Mangel handelt. Im
ersten Fall ist auf das Kostenverhältnis abzustellen, im zweiten Fall auf den Umfang der Funktionsbeeinträchtigung.
PDF erstellt für Gast am 22.04.2016
„„ Ein Ausschluss der Interessenabwägung nach § 323 Abs. 5 S. 2 BGB wegen Unerheblichkeit des Mangels kommt
nicht mehr in Betracht, wenn der Mängelbeseitigungsaufwand fünf Prozent des Kaufpreises übersteigt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Wertfeststellung ist der Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Käufers (BGH NJW 11, 3708).
Mit dem letzten Grundsatz entscheidet der BGH nun eine Streitfrage in der
Rechtsprechung der Instanzgerichte, die er bisher offen gelassen hat. Er hatte lediglich ausgeführt, dass jedenfalls Mängel, deren Beseitigung Aufwendungen von nur knapp einem Prozent des Kaufpreises erfordern, ohne Zweifel als unerheblich im Sinne des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB einzustufen sind,
sodass auf sie ein Rücktritt nicht gestützt werden kann (BGH NJW 05, 3490;
NJW 11, 2872; NJW 08, 1517).
BGH entscheidet
Streitfrage
Eine generelle Erhöhung der Erheblichkeitsschwelle über fünf Prozent des
Kaufpreises hinaus ist nach Ansicht des BGH mit dem durch den Gesetzeswortlaut und durch die Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten
Willen des Gesetzgebers, dem Sinn und Zweck des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB
sowie der Systematik der Rechte des Käufers bei Sachmängeln nicht zu vereinbaren. Die Erheblichkeitsschwelle von (nur) fünf Prozent des Kaufpreises
stehe auch im Einklang mit den Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie.
Eine entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung aufgrund vergleichbarer Fallgestaltungen sieht der BGH nicht.
Keine Anhebung der
Erheblichkeitsschwelle auf über
fünf Prozent
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