der Brief in voller Länge.

Göttingen, den 4.12.2015
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Rehn,
anlässlich der Eröffnung Ihrer neuen Filiale in Göttingen bekam ich am Montag den 1.12.
einen Angebotsflyer zur Eröffnung mit meiner Tageszeitung. In diesem Flyer fanden sich
unter anderem auch Bananen und Ananas im Angebot. Der Preis für die Bananen war mit
1.29 € und der Preis für die Ananas mit 1.72 € angegeben. Diese Preise haben mich sehr
erstaunt. Unsere Abgabepreise an den Naturkostfachhandel sind für die Bananen 1.39 € und
für die Ananas 2.10 €.
Als Mitbegründer und Gesellschafter der Biotropic kenne ich die Projekte, aus denen die
Bananen und die Ananas kommen. Beide Projekte sind mit viel Mühe und Fleiß aufgebaut
worden, um auf der einen Seite gute ökologische Produkte zu bekommen, aber auch um den
Menschen, die vor Ort leben und in den Projekten arbeiten ein gutes Einkommen und ein
menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.
Da Sie auch schon lange Zeit im Fachhandel tätig sind und nun auch schon mehrere Jahre mit
der AG Wert Gruppe zusammenarbeiten, dürften auch Ihnen diese Projekte bekannt sein.
Um so unverständlicher und für mich nicht nachvollzierbar ist es, dass Sie diese
hochwertigen Produkte verramschen. Alle Beteiligten in den Projekten müssen sich auf
Grund dieser Preisgestaltung mit Verlaub „ verarscht“ vorkommen. Besonders die Arbeit der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort wird dadurch missachtet und nur dem Markt
geopfert.
In Ihrem sonstigen Tun geben Sie sich immer der ökologischen Bewegung sehr zugewandt
und lassen keine Gelegenheit aus, die Bewegung zu unterstützen. Offensichtlich ist Ihnen
inzwischen aber das Wachstum Ihrer Firma und die Marktmacht, die Sie mit der Marke
Alnatura erreichen wollen, wichtiger. Die Menschlichkeit, der ökologische Anbau und die
ländlichen Strukturen leiden darunter. Bei der weiteren Expansion und dem wachsenden
Wettbewerbsdruck werden zunehmend auch die bisherigen Strukturen des
Naturkostfachhandels, besonders im Bereich der Produktion, darunter leiden.
Ich frage mich, was ist das Ziel, auf das Sie zusteuern. Eine Verbesserung der ökologischen
Produktion, und damit eine Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse in der
Produktion, eine Verbesserung des Klimaschutzes und eine nachhaltigere Wirtschaftsweise
ist in den von Ihnen betriebenen Strukturen nicht erkennbar. Das Feilschen um den letzten
Cent, das besonders von den großen Playern zu denen die Alnatura gehört, bekannt ist, führt
zu einer immer weiteren Verlagerung der Strukturen in der Produktion. Es ist aus meiner
Sicht nicht zukunftsweisend, dass Investoren Tausende von Hektar kaufen um dann,
subventioniert durch die EU, günstige Rohstoffe zuliefern, die dann von den großen,
marktbeherrschenden Lebensmittelkonzernen verarbeitet werden, nur damit billige
Produkte bei den Filialisten im Regal stehen. Es kann auch nicht in Ihrem Sinne sein, dass
Rohstoffe importiert werden, von denen man nur ein Biozertifikat hat, aber man nicht weiß,
wie und unter welchen Umständen diese Ware produziert wurde. Die bekannt gewordenen
Betrügereien der letzten Jahre sprechen da eine deutliche Sprache. Dieses Handeln führt zu
Verlust der regionalen Strukturen, sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Produktion.
Der Ansatz der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes wie auch der Erhalt von sozialen
Strukturen trifft dafür nicht zu.
Ich habe diesen Brief als offenen Brief geschrieben weil es mir wichtig ist, dass über die
Entwicklung des Biomarktes diskutiert und gesprochen wird. Besonders in der heutigen Zeit,
in der wir eine Völkerwanderung erleben, ist es wichtig darüber nachzudenken und zu
diskutieren, wie man gemeinsam Zukunft gestalten kann.
Mit freundlichen Grüßen
Hermann Heldberg