6 Klassifizierung der einfachen Lie-Gruppen

55
6 Klassifizierung der einfachen Lie-Gruppen
6
Klassifizierung der einfachen Lie-Gruppen
Es geht darum, die einfachen Lie-Gruppen zu klassifizieren. Wie wir bereits gesehen haben,
können wir in einer Rang r Lie-Gruppe r einfache Wurzeln finden (vgl. Abschnitt 3.3 auf S. 33).
Diese müssen als Konsequenz von (3.35) und (3.38) die geometrische Relation
α(i) · α(j)
n
= − 12 (p − q) =:
α(i) · α(i)
2
(6.1)
erfüllen. Die Idee ist nun, zu sehen, welche Dynkin-Diagramme (die ja die geometrischen Relationen
der einfachen Wurzeln wiedergeben) mit (6.1) konsistent sind. Es stellt sich überraschenderweise
heraus, dass es abgesehen von den Dynkin-Diagrammen der klassischen Gruppen nur fünf weitere
Dynkin-Diagrammen gibt.
Wir führen nun den Begriff des π-Systems als eine Menge von Vektoren ein, die die notwendigen
Bedingungen der einfachen Wurzeln erfüllen.
Definition 6.1. Ein System von Vektoren {α, β, . . . } heißt π-System, falls die Vektoren folgende
Bedingungen erfüllen:
(π.1) Die Vektoren sind linear unabhängig.
(π.2) Für beliebige Vektoren α, β gilt:
2
α·β
ist eine nichtpositive ganze Zahl zwischen −3 und 0.
|α|2
(6.2)
(π.3) Das System der Vektoren ist unzerlegbar, d.h. es kann nicht in zwei orthogonale Teilsysteme
aufgespalten werden.
Offensichtlich sind π-Systeme Kandidaten für einfache Wurzeln einfacher Gruppen.
Folgerung. Betrachte einfache Wurzeln, die ein π-System bilden. Dann garantiert die Bedingung
(π.3), dass das zugehörige Dynkin-Diagramm zusammenhängend ist.
Im Folgenden werden wir zu einem gegeben Rang r die erlaubten Dynkin-Diagramme finden.
Wir kauen zunächst die Fälle 1 ≤ r ≤ 3 durch, dann betrachten wir allgemeine r. Die erlaubten
Dynkin-Diagramme sind diese in Tabelle 6.1 aufgeführt.
Rang
1
2
Dynkin-Diagramm
3
Bezeichnung
A1
A2
B2
G2
A3
rellle Lie-Algebra
su(2) ≃ so(3) ≃ sp(2)
su(3)
so(5) ≃ sp(4)
su(4)
=
=
(
B3
C3
so(7)
sp(6)
Tabelle 6.1: Erlaubte Dynkin-Diagramme für Rang 1 ≤ r ≤ 3.
Weitere zulässige Dynkin-Diagramme gibt es nicht. In Abbildung 6.1 sind drei Diagramme
aufgelistet, welche auf linear abhängige Wurzelvektoren führen. Die weiteren Diagramme sind
ebenfalls geometrisch ausgeschlossen, denn die Winkel zwischen positiven Wurzeln können nicht
größer als 360◦ sein.
Für Rang r ≥ 3 gibt es folgende Regeln:
56
Gruppentheorie
(b)
(c)
(a)
2
120◦
120◦
120◦
120◦
150◦
90◦ 3
1
(d)
(e)
135◦
135◦
90◦
(f)
Abbildung 6.1: Die unzulässigen Dynkin-Diagramme zu Rang 3. Die Geometrie ist jeweils so gestaltet, dass die
Wurzeln linear abhängig sind. Beispielsweise ist die Lage der Wurzeln von Diagramm 1(a) in 1(d) wiedergeben. Die
drei Vektoren liegen automatisch in einer Ebene und können somit nicht linear unabhängig sein. Dies trifft auch
auf die Diagramme 1(b) bzw. 1(c) zu, wie die zugehörigen Skizzen 1(e) bzw. 1(c) zeigen.
Satz 6.1. Eine unzerlegbare Teilmenge eines π-Systems ist ebenfalls ein π-System.
Beweis. Die drei definierenden Eigenschaften eines π-Systems übertragen sich offensichtlich auf
unzerlegbare Teilmengen.
Folgerung. Beliebige drei zusammenhängende Vektoren eines π-Systems können nur in der Form
oder
auftreten.
Folgerung. Das einzige π-System mit einer dreifachen Verbindungslinie ist
.
Satz 6.2. Ist
A
B
α
β
ein π-System, wo die Kasten A und B für beliebige π-Systeme stehen, so ist
A
B
α+β
ebenfalls ein π-System.
Beweis. Seien α und β die beiden Vektoren, die zusammengezogen werden sollen, und bezeichne
Γ alle anderen Vektoren. In Γ kann es keinen Vektor geben, der sowohl mit α und β verbunden
ist, denn dieser Vektor zusammen mit α und β ist nach 6.1 ebenfalls ein π-System, und wir hatten
uns überlegt, dass das Diagramm 1(a) nicht zulässig ist. Der Vektor α + β hat die gleiche Länge
wie α und β, denn
(α + β)2 = α2 + β 2 + 2 α2 cos ∢(α, β) = α2 .
Sei γ ∈ Γ ein Vektor, der mit α verbunden ist; dann gilt
γ · (α + β) = γ · α .
57
6 Klassifizierung der einfachen Lie-Gruppen
Analog hat man für einen Vektor γ ′ ∈ Γ, der mit β verbunden ist, dass
γ ′ · (α + β) = γ ′ · β .
Somit hat die Menge {α + β} ∪ Γ alle Eigenschaften eines π-Systems, falls das auf {α, β} ∪ Γ
zutrifft.
Folgerung. Kein π-System enthält mehr als eine Doppellinie.
Folgerung. Kein π-System enthält Schleifen.
Satz 6.3. Ist
α
A
γ
β
ein π-System, so ist
α+β
oder
1
(α
+ β)
2
A
γ
ebenfalls ein π-System.
Beweis. Aus dem Diagramm folgt, dass
α · β = 0 und 2
α·γ
β·γ
β·γ
α·γ
= 2 2 = 2 2 = 2 2 = −1 .
α2
γ
β
γ
Damit folgt, dass
2
γ · (α + β)
γ · (α + β)
= −2 und 2
= −1 .
γ2
(α + β)2
Das liefert die Behauptung.
Folgerung. Ein π-System enthält entweder genau eine Doppellinie oder genau eine Verzweigung
oder keines von beidem.
Satz 6.4. Die folgenden Kombinationen können in einem π-System nicht enthalten sein:
(a)
(b)
,
,
58
Gruppentheorie
und
(c)
(d)
.
Beweis. Diese Aussagen beweist man, indem man die zu den Dynkin-Diagrammen geörigen
Cartan-Matrizen ermittelt, und nachrechnet, dass diese verschwindende Determinanten besitzen.
Da aber die Zeilen der Cartan-Matrix die einfachen Wurzeln beinhalten (in der Dynkin-Basis),
bedeutet das, dass die Vektoren linear abhängig sind.
Folgerung. Zusätzlich zu den in Tabelle 5.2 aufgeführten Dynkin-Diagammen der klassischen Gruppen gibt es lediglich fünf weitere zulässige Dynkin-Diagramme. Diese führen tatsächlich auf einfache Lie-Algebren bzw. Gruppen, welche als exzeptionelle Lie-Gruppen bzw. Lie-Algebren
bezeichnet werden. Je nach Anzahl der auftretenden Doppellinien kennzeichnet man sie mit einem
der Großbuchstaben E, F oder G. Die exzeptionellen Gruppen sind in Tabelle 6.2 aufgelistet. Die
zugehörigen Cartan-Matrizen findet man analog zu Beispiel 4.3.
Bez.
Dynkin-Diagramm
Cartan-Matrix
G2
F4
α(6)
E6
α(1) α(2) α(3) α(4) α(5)
α(7)
E7
α(1) α(2) α(3) α(4) α(5) α(6)
α(8)
E8
α(1) α(2) α(3) α(4) α(5) α(6) α(7)
2
−1

2
−1

0
0
2
−1

0

0

0
0
2
−1

0

0

0

0
0
2
−1

0

0

0

0

0
0
−3
2
−1
2
−1
0
−1
2
−1
0
0
0
−1
2
−1
0
0
0
0
−1
2
−1
0
0
0
0
0
0
−2
2
−1
0
−1
2
−1
0
−1
0
−1
2
−1
0
0
−1
0
−1
2
−1
0
0
0
−1

0
0

−1
2
0
0
0
0
−1 0
2 −1
−1 2
0
0
0
0
0
0
−1 0
2 −1
−1 2
0 −1
0
0
0
0
0
0
−1 0
2 −1
−1 2
0 −1
0
0
0
0
Tabelle 6.2: Die fünf exzeptionellen Lie-Gruppen bzw. -Algebren.

0
0

−1

0

0
2

0
0
0
0

0 −1

0
0

−1 0 

2
0
0
2

0
0
0
0
0
0

0
0 −1

0
0
0

−1 0
0

2 −1 0 

−1 2
0
0
0
2