Borsuk-Vermutung Johannes Lindl, 27. Juni 2015 Karol Borsuk’s Aufsatz ”Drei Sätze über die n-dimensionale euklidische Sphäre” aus dem Jahr 1933 ist berühmt, weil er ein wichtiges von Stanislaw Ulam vermutetes Resultat enthält, das man jetzt als den Borsuk-Ulam-Satz kennt: Jede stetige Abbildung f : S d → Rd bildet zwei gegenüberliegende Punkte der Sphäre S d auf denselben Punkt im Rd ab. Am Ende dieses Aufsatzes wird aber auch noch ein berühmtes Problem gestellt, dass als Borsuk-Vermutung bekannt geworden ist: Kann jede Menge S ⊆ Rd von beschränktem, positivem Durchmesser in höchstens d + 1 Mengen von kleinerem Durchmesser zerlegt werden? Die Schranke d + 1 ist dabei bestmöglich: Wenn S ein reguläres d-dimensionales Simplex (d+1 Ecken; Dreieck ist 2-dim Simplex, Tetraeder ist 3-dim Simplex...) ist, oder aber auch nur die Menge seiner d + 1 Ecken, dann kann kein Teil einer Zerlegung in Teile von kleinerem Durchmesser mehr als eine der Ecken enthalten.Wenn f(d) die kleinste Zahl bezeichnet, so dass jede beschränkte Menge S ⊆ Rd eine Durchmesser-reduzierende Zerlegung in f(d) Teile hat, dann zeigt also das Beispiel des regulären Simplex, dass f(d) ≥ d + 1 ist. Die Borsuk-Vermutung wurde für den Fall bewiesen, wenn S eine Sphäre ist (von Borsuk selbst), für glatte Körper S, und auch für d ≤ 3... aber die allgemeine Vermutung blieb offen. Die beste allgemeine obere Schranke für f(d) ist (1,23)d für alle großen d (von Oded Schramm). Aber 1993 konnten Jeff Kahn und Gill Kalai zeigen, dass √ d f(d) ≥ (1, 2) für alle großen d gilt, was die Vermutung deutlich widerlegt. Folgendes Gegenbeispiel für d = 561 ist eine Abwandlung, die von Andrei M. Raigorodskii und Bernulf Weißbach stammt. Heute wissen wir, dass die BorsukVermutung schon ab Dimension 64 falsch ist (Wikipedia). Satz. Sei q = pm eine Primzahlpotenz, sei n := 4q - 2, und sei d := n2 = (2q - 1)(4q - 3). Dann gibt es eine Menge S ⊆ {+1, −1}d von 2n−2 Punkten im Rd , so dass jede Zerlegung von S in Teile von kleinerem Durchmesser mindestens 2n−2 Pq−2 n−1 i=0 ( i ) Teile benötigt. Für q = 9 impliziert dies, dass die Borsuk-Vermutung in Dimen√ sion d = 561 falsch ist. Weiterhin folgt daraus f(d) > (1, 2) d für alle sehr großen d. 1 Beweisskizze. Die Konstruktion der Menge S geschieht in vier Schritten. (1) Sei q eine Primzahlpotenz, n := 4q - 2, und sei Q := { x ∈ {+1,-1}n : x1 = 1, #{ i : xi = -1} ist gerade}. Dieses Q ist eine Menge von 2n−2 Vektoren im Rn .Wir werden sehen, dass hx,yi ≡ 2 (mod 4) für alle Vektoren x, y ∈ Q gilt. Wir nennen x, y fast orthogonal, wenn |hx,yi| = 2 ist.Wir werden zeigen, dass eine Teilmenge Q’ ⊆ Q, diePkeine fast n−1 orthogonalen Vektoren enthält, ”klein” sein muss: für sie gilt |Q’| ≤ q−2 i=0 i (2) Aus Q konstruieren wir die Menge R := { xxT : x ∈ Q} von 2n−2 symmetrischen (n×n)-Matrizen vom Rang 1.Wir interpretieren sie als Vektoren mit 2 n2 Komponenten, R ⊆ Rn . Wir werden zeigen, dass es nur spitze Winkel zwischen diesen Vektoren gibt: sie haben positives Skalarprodukt, das mindestens 4 ist. Und wenn eine Teilmenge R’ ⊆ R keine zwei P Vektoren mit minimalem n−1 Skalarprodukt 4 enthält, dann ist |R’| ”klein”: |R’| ≤ q−2 i=0 i n (3) Aus R erhalten wir eine Menge von Vektoren im R( 2 ) , deren Koordinaten durch die Einträge unter der Diagonalen der entsprechenden Matrizen gegeben sind: S := { (xxT )i>j : xxT ∈ R}. Die Menge S besteht aus 2n−2 Punkten. Den maximalen Abstand zwischen diesen Punkten erhält man genau dann, wenn die entsprechenden Vektoren x, y ∈ Q fast-orthogonal sind. Wir schließen daraus, dass jede Teilmenge S’ ⊆ S von kleinerem Durchmesser als S ”klein” sein muss: Pq−2 n−1 |S’| ≤ i=0 i (4) Abschätzungen: Aus (3) sehen wir, dass jede Durchmesser-reduzierende Zer24q−4 Teile hat. Deshalb gilt legung von S mindestens g(q) := Pq−2 4q−3 i=0 ( i ) f(d) ≥ max{g(q), d + 1} für d = n2 = (2q - 1)(4q - 3). Also haben wir ein Gegenbeispiel für die Borsuk-Vermutung in Dimension d = (2q - 1)(4q - 3) gefunden, wenn g(q) > (2q - 1)(4q - 3) + 1 ist. Wir werden nachrechnen, dass g(9) > 562 ist, und damit ein Gegenbeispiel in Dimension d = 561 erhalten, und √ 27 q e d weiterhin g(q) > 64q2 ( 16 ) was die asymptotische Schranke f(d) > (1,2) für alle großen d liefert. Die Borsuk-Vermutung ist für d≤3 bewiesenermaßen richtig, aber sie konnte bisher für keine größere Dimension gezeigt werden. Im Gegensatz dazu ist sie wahr bis d = 8, wenn wir sie auf Teilmengen der Form S ⊆ {1,-1}d einschränken, wie in der obigen Konstruktion. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass es auch in ”vernünftig kleinen” Dimensionen schon Gegenbeispiele zur Borsuk-Vermutung gibt. Quelle: Martin Aigner, Günther M. Ziegler: ”Das Buch der Beweise” 2
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