Spenden sammeln statt Praktikum Bericht: Anett Wundrak Eine

Spenden sammeln statt Praktikum | Manuskript
Spenden sammeln statt Praktikum
Bericht: Anett Wundrak
Eine junge Frau bittet in einer Siedlung nahe Osnabrück um Spenden. Wir beobachten die
Szene vom Auto aus, fragen Anwohner, wofür sie sammelt.
Anwohnerin
„Die wollte für heilpädagogisches Reiten …Also ein bisschen kommt mir das Spanisch vor.“
Mit uns im Auto sitzt Kristine. Auch sie ist monatelang so von Tür zu Tür gelaufen, im Auftrag
eines Vereins. Und dabei war ihr eigentlich eine Festanstellung als Reit-Assistentin in
Aussicht gestellt worden.
Aber der Reihe nach. Kristine ist 19 und in Zeitz zu Hause. Nach einer abgebrochenen Lehre
suchte sie Arbeit, bzw. eine andere Ausbildung. Genau wie John aus Radebeul, der nach
einer Ausbildung als Chemikant arbeitslos war. Wir haben uns mit den beiden bei Kristines
Eltern verabredet.
„Wollen wir reingehen? Es ist kalt!“
Sie haben bei dem gleichen Verein aus Nordrhein-Westfalen schlechte Erfahrungen
gemacht. Der wirbt – anscheinend vor allem im Osten - mit Annoncen in Lokalzeitungen.
„Ach da! Vereinshelfer!“
Mitarbeiter im Alter bis zu 28 Jahren werden gesucht. Laut Internetauftritt ist der Verein
namens „Schimmelreiter“ Mitglied im Kuratorium für therapeutisches Reiten und im
amtlichen Vereinsregister eingetragen. Auf Kristines Vater, Thomas Schade, macht das
zunächst einen guten Eindruck.
Thomas Schade, Vater
„Ich sage mal, es sieht alles super aus, und sieht auch sehr seriös aus.“
Versprochen werden angemessene Vergütung und ein sicherer Arbeitsplatz.
John
„1.200 Euro Gehalt, Führerschein, der von der Firma übernommen wird und halt flexible
Arbeitszeiten. Als Tierpfleger?! Ja. Hast Du denn irgendwas mit Tieren zu tun gehabt? Nein,
eigentlich nicht, nur seinen Hund halt mal gestreichelt!“
Kristine
„Wir sind von Tür zu Tür gerannt und haben nach Spenden gefragt.“
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verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Beide waren nicht sozialversichert, seien immer wieder hingehalten worden, was
Arbeitsvertrag und Lohn betrifft. Statt einer ordentlichen Arbeit Klinkenputzen? Wir wollen
uns die Geschichte vor Ort ansehen und fahren mit Kristine nach Werl in NordrheinWestfalen. Sie zeigt uns, wo sie letztes Jahr von Juli bis Dezember gewohnt hat.
Kristine
„Da hatten wir halt zwei Wohnungen. Pro Wohnung haben da halt vier Leute gewohnt.“
Alle aus dem Osten, erzählt Kristine. Seit Kristine weg ist, gibt es offensichtlich schon wieder
neue Spendensammler. Genau wie zu ihrer Zeit beim Verein, verlassen mehrere junge Leute
das Haus Punkt 9.15 Uhr.
Kristine
„Die kenne ich nicht. Die ist neu. Dahinter kommt der Herr (...) und noch ein Neuer. Und
noch ein Neuer. Drei Neue.
Kristine erzählt, sie habe sogar sonnabends, also sechs Tage die Woche, für den Verein
Spenden sammeln müssen.
Kristine
„Wenn wir halt unser Soll, also 115 Euro zum Beispiel jetzt, erreicht hatten, dann haben
wir fünf Euro bekommen, und wenn wir 125 Euro hatten, dann haben wir halt zehn Euro
bekommen. Direkt von dem Spendengeld!
Meistens musste Kristine von 5 Euro am Tag leben. Das reichte nicht einmal für die Fahrkarte
zurück nach Hause. Die haben schließlich die Eltern bezahlt.
Auch an diesem Tag gehen die jungen Leute von Tür zu Tür. Hochgerechnet könnten mit
diesem Modell bei acht Spendensammlern im Jahr Einnahmen von mehr als 200.000 Euro
zusammenkommen! Steuerfrei für einen Verein.
Im Internet gibt der Verein an, Therapiestunden auf dieser Reitanlage durchzuführen. Ob
wenigstens ein Teil des gesammelten Geldes diesem Zweck dient, weiß Kristine nicht. Sie
war nur einmal hier, als die Vereinschefin ihr den Hof beim Bewerbungsgespräch zeigte.
Kristine
„Ich liebe halt Pferde über alles und wollte halt unbedingt etwas mit diesen
wunderschönen Tieren machen, vielleicht mal eine Reitstunde, vielleicht mal ein bisschen
unterstützen, die Kinder halten oder so. Aber das war ja gar nicht!“
Wir treffen Manfred Schröder, er ist Chef der Reitanlage und gar nicht gut auf den Verein
„Schimmelreiter“ zu sprechen.
Manfred Schröder, Reitanlage Eichengrund
„Der Verein hat bis Anfang des Jahres hier von mir die Genehmigung gehabt,
therapeutisches Reiten abzuhalten. Dafür musste der natürlich an mich einen bestimmten
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Obolus bezahlen, hat das aber nicht gemacht. Und dann haben wir mal nachgehört, wo
bleibt das Geld, da sind wir übelst beschimpft worden, haben daraufhin die Notbremse
gezogen und ihnen eine fristlose Kündigung geschickt.“
Ob der Verein therapeutisches Reiten überhaupt gemeinnützig – wie im Internet dargestellt
-anbietet, bleibt offen. Wir fragen beim zuständigen Finanzamt nach der Gemeinnützigkeit
von „Schimmelreiter“, bekommen aber keine Auskunft. Das unterliege dem
Steuergeheimnis.
Wie prüft man die Seriosität eines Vereins eigentlich, fragen wir Burkhard Wilke vom
Deutschen Institut für soziale Fragen. Und erfahren, dass das so gut wie unmöglich ist.
Burkhard Wilke, DZI
„Vereine sind im Unterschied zu Aktiengesellschaften, GmbHs nicht verpflichtet, eine
Einnahme-Ausgaben-Rechnung, einen Jahresabschluss zu veröffentlichen. Und selbst
gegenüber den Mitgliedern reicht häufig eine mündliche Berichterstattung über die
finanzielle Situation aus. Außenstehende, und zu denen gehören eben auch Spenderinnen
und Spender, haben keine Möglichkeit, auf finanzielle Einsichtnahme zu bestehen.“
Wer steckt hinter dem Verein? Kristine und John hatten es meist mit einem Mann zu tun.
Der taucht auf der Vereinsseite nicht auf. Auf youtube präsentiert er sich aber als
Waffenfreund.
Youtube-Video
„Nobi und Petra wünschen einen guten Start ins Jahr 2016.“
Kristine
„Genau. Das ist ..., der hat uns zum Sammeln geschickt!“
Der Mann ist unter derselben Adresse polizeilich gemeldet, die auch „Schimmelreiter“ als
Vereinssitz angibt. Auf unser Klingeln öffnet der Waffenfreund die Tür.
Autorin / Norbert J.
„Sie annoncieren regelmäßig, dass Sie Arbeitsplätze anbieten für junge Leute, wie zum
Beispiel für die Kristine, was ist denn mit diesen Festanstellungen? Was sind das für
Arbeitsstellen?
„Würden Sie bitte die Kamera ausmachen und sich identifizieren!“
Dass er die Leute zum Spenden sammeln geschickt hat - kein Wort dazu. Die
Vorstandsvorsitzende, die auch hier wohnt, zeigt sich nicht. Unsere schriftlichen Fragen
werden auch innerhalb einer guten Woche nicht beantwortet.
Für Kristines Familie ist die Geschichte noch nicht ausgestanden: dass der Verein keine
Krankenversicherungs-Beiträge abgeführt hat, müssen sie nun ausbaden.
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Antje Schade, Mutter
„Wie gesagt, das ist eine Rechnung, wo wir erst einmal maßlos geschockt waren.“
Über 4.300 Euro fordert die Krankenkasse als Nachzahlung. Inzwischen hat Kristine
Strafanzeige gegen den Verein gestellt.
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