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Gefährliche Altlasten im Grundwasser | Manuskript
Gefährliche Altlasten im Grundwasser
Bericht: Heidi Mühlenberg
Andreas Springer geht Öl zapfen. Nicht an die Tankstelle, sondern aus dem Erdreich. Da, wo
eigentlich Grundwasser stehen müsste, stößt er auf giftiges Schmieröl und Benzin, das oben
auf dem Grundwasser schwimmt - eine „Phase“, wie das der Fachmann nennt. In elf Metern
Tiefe.
Andreas Springer, Alenco GmbH:
So, da haben wir die erste Phasenprobe und jetzt merkt man auch, dass es Benzin ist. Das
riecht wie auf der Tankstelle und das ist auch nicht ganz ungefährlich. Ich geb‘s Ihnen zu
treuen Händen, gehen Sie bitte sorgsam damit um.
Im letzten Jahr hat er 5.000 Liter aus dem Boden geholt – im Auftrag einer großen
Chemiefirma. Das klingt viel, ist es aber nicht. Denn fast die tausendfache Menge –
mindestens vier Millionen Liter - schwimmen noch im Untergrund. Wir sind in Böhlen,
südlich von Leipzig, ein uralter Chemiestandort. Seit 1936 werden hier Kraftstoffe für Autos
und Flugzeuge produziert. Als Neuinvestor ist Dow Chemical freigestellt von der Altlast. Die
Sanierung trägt das Land Sachsen.
Wir bringen unsere Probe zu einer Freiberger Spezialfirma. Im Labor wollen wir testen, wie
gefährlich die Probe noch ist - nach Jahren unter der Erde. Zuerst der Zündtest. Reicht ein
heißer Draht, um das Ganze zu entflammen?
Tammo Redeker, Explosionsschutzexperte IBEXU:
Sie sehen ne starke Rußentwicklung. Das ist ne unvollständige Verbrennung. Das heißt, da
ist ein großer Anteil von Aromaten drin, zum Beispiel Benzol. Benzol ist kanzerogen, das
heißt, wenn Ihr Körper diesen Stoff aufnimmt, können Krebserkrankungen hervorgerufen
werden.
Eine zweite Gefahr ist das Tempo, mit dem sich die Dämpfe ausbreiten. Dieser Test zeigt,
was passiert, wenn sie in die Kanalisation geraten und eine Zündquelle finden. Dann breiten
sich die Flammen blitzschnell aus.
Autorin / Tammo Redeker:
Frage: Hat das Produkt an Gefährlichkeit verloren? – Nein, natürlich nicht.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Gefährliche Altlasten im Grundwasser | Manuskript
An heißen Tagen dampft Benzol aus der Erde, dort, wo das Benzinölgemisch nahe an die
Oberfläche gelangt. Diese Computer-Animation macht die unsichtbaren Gase sichtbar. Die
Lage ist ernst. Das Gift breitet sich aus.
Wir treffen Experten der Umweltbehörde, die heute im Ruhestand sind und die mit uns
offen über den Skandal sprechen. Wilfried Mahrla hat als Geologe Jahrzehnte die Altlast
Böhlen erkundet. Mit seiner früheren Kollegin sucht er den Ort, wo er schon vor 30 Jahren Öl
zapfte.
Wilfried Mahrla, Geologe, ehem. Staatliches Umweltfachamt:
Der Kraftfahrer, mit dem ich hierhin transportiert worden bin, der fuhr mit nem
Moskwitsch dorthin. Und wir mussten ja dann irgendwo mit dem abgeschöpften Material
hin. Und da haben wir das in den Tank von dem Moskwitsch gekippt. Und der Moskwitsch
fuhr glänzend und da haben wir noch die Kanister gefüllt. Und so war das dann eben
laufend, wenn wir dort gearbeitet haben.
Sieben Meter dick schwamm in den 80er-Jahren die Ölbenzinschicht auf dem Grundwasser.
Doch die Verseuchung begann schon früher. Ein Luftbild von 1945 zeigt Bombenkrater in
Böhlen. Tanks und Kessel wurden damals getroffen und liefen aus. Zu DDR-Zeiten leckten Öl,
Benzin und andere Chemieprodukte aus undichten Rohren. Berichtet wurde das natürlich
nicht.
Aktuelle Kamera, 1972
Kombinat Betrieb Otto Grotewohl Böhlen heute Vormittag zehn Uhr. Sechs Tage vor dem
Staatsplantermin beginnt der Dauerbetrieb der primären Erdölverarbeitung 1. Dazu
Glückwünsche von Betriebsdirektor Dr. Richard Marwald für die Anlagenbauer und
Chemiearbeiter, die Techniker und Chemiker.
Seit der Wende wurden einzelne Kippen und Böden für neue Anlagen saniert – jedoch nur an
der Oberfläche, nicht darunter.
Wilfried Mahrla, Geologe, ehem. Staatliches Umweltfachamt:
Wir wissen es eigentlich schon viel zu lange, wie die Situation dort aussieht. Aber es wird
viel getan. Aber nicht das, um die Situation zu entschärfen. Man untersucht und
untersucht, gibt viel Geld dafür aus, statt anzufassen und die Phase vom Grundwasser zu
entfernen.
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Gefährliche Altlasten im Grundwasser | Manuskript
Uns werden brisante Karten zugespielt. Sie beweisen: Bis in 20 Meter Tiefe ist das
Grundwasser verseucht. In den Zentren der Schadstoffherde werden Horrorwerte – bis zu
70.000 Mikrogramm giftiges Benzol pro Liter gemessen. Zulässig ist ein Mikrogramm.
Es kommt noch schlimmer: Die Karte zeigt, wie sich das Benzol in Zukunft ausbreiten könnte
- weit über die Grenzen des Werksgeländes. Denn das Gift im Boden wandert mit dem
Grundwasser unter das Gelände des Kraftwerkbetreibers Vattenfall, wo mit viel Geld der
Baugrund saniert wurde. Nach Süden driften die Schadstoffe in Richtung des Tagebaus
Peres, der später ein Badesee werden soll. Tonnen von Benzol könnten den See verseuchen.
Seit der Wende haben sich die Schadstoffe dramatisch ausgebreitet. Sie haben bis heute
schätzungsweise 366.000 Kubikmeter Grundwasser verseucht. Es ist die schwerste Altlast in
Sachsen. Wir fragen nach im Sächsischen Umweltministerium. Warum wird die Ausbreitung
der Schadstoffe nicht gestoppt?
Wolf-Dieter Dallhammer, Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft Sachsen:
Ich kann ne wirkliche Verzögerung eigentlich nicht erkennen. Altlastensanierung von so
nem Großstandort ist immer ein iterativer Prozess. Ohne das geht es einfach nicht. Man
muss immer wieder prüfen, was geht, was geht nicht. Und es ist ne Frage auch der
Verhältnismäßigkeit, was im Einzelfall geht. Denn es sind immerhin Steuergelder, die hier
eingesetzt werden.
Die Steuergelder stecken hier drin. Insgesamt 100 laufende Meter Akten: Gutachten,
Studien, Gegengutachten und immer neue Pläne. Zehn Millionen Euro seit 2008. Ein großer
Anteil ging an die Ingenieurbüros. Kontrolliert werden die vorwiegend von privaten
Gutachtern. Dieses System fördert das ewige Planen der Ingenieurbüros, nicht das Bauen,
meint Gundula Schön, die in einer Staatlichen Umweltbehörde angestellt war.
Gundula Schön, Chemikerin, ehem. Staatliches Umweltfachamt:
Die haben auf alle Fälle Interesse daran, viele Projekte über lange Zeit laufen zu lassen.
Das ist ne sichere Einnahmequelle. Und dann ist es ja auch so, dass nach der
Honorarordnung für Architekten und Ingenieure das Honorar umso größer ist, je größer
das Projekt ist. Je teurer man plant, desto mehr verdient man daran.
Die Grünen im Sächsischen Landtag fordern jetzt eine genaue Aufklärung über die
Verwendung der Millionen Euro Sanierungsgelder für Böhlen.
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Wolfram Günther, MdL Sachsen, Grüne Fraktion:
Dass dort in solchem Ausmaß Altlasten liegen, dafür können weder die Bundesrepublik
was noch der Freistaat Sachsen. Aber was man erwarten kann ist, dass man es in so ner
Zeit einfach schafft, dass sich das nicht weiter ausbreitet. Und aktuell wissen wir, dass sich
das übers Grundwasser in Größenordnung ausbreitet von dort. Und wir wissen auch, dass
spätestens seit 2009 mittlerweile auch schon Pläne da liegen, das zumindest einzudämmen
und das passiert ganz offensichtlich nicht. Und das ist schwer vermittelbar.
Bekommen Andreas Springer und seine Kollegen nicht bald Verstärkung durch Filterbrunnen
und Pumpen, dann bleibt das Abschöpfen eine Sisyphusarbeit – geschätzt für die nächsten
400 Jahre.
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