Forderungen der TK zum Pharmadialog

Forderungen der TK zum Pharmadialog
Die qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Arzneimittelversorgung ist das Ziel des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) von 2011. Bereits kurz nachdem die Nutzenbewertung der
ersten Wirkstoffe abgeschlossen war, wurde von einem "lernenden System" gesprochen und es
wurden Nachbesserungen in Aussicht gestellt. Dabei haben sich vor allem zwei Probleme abgezeichnet.
1.
Qualität: Nutzenbewertung kommt nicht im Versorgungsalltag an
Derzeit erhalten einige Patienten neue Therapien nicht schnell genug, andere bekommen teurere
Präparate, die keinen Zusatznutzen haben. Die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Nutzenbewertung müssen stärkeren Eingang in die Verordnungsentscheidung der Ärzte
finden.
2.
Finanzierung: Einsparziele werden nicht erreicht
Die erwarteten jährlichen Einsparungen von ca. 1,9 Mrd. Euro konnten nicht annähernd erreicht
werden. Im Jahr 2013 wurden durch die Erstattungsbeträge ca. 109 Millionen Euro eingespart, im
Jahr 2014 ca. 321Millionen Euro. Dies ist nicht allein auf den Verzicht des Bestandsmarktaufrufs
zurückzuführen, denn die entgangenen Einsparungen sollen durch Verlängerung des Preismoratoriums bis Ende 2017 und durch Erhöhung des Herstellerrabattes von 6 % auf 7 % kompensiert
werden.
Die Arzneimittelausgaben der Krankenkassen waren 2014 auf einem Rekordhoch von 33 Milliarden Euro. Im Jahr 2015 stiegen die Ausgaben erneut um etwa fünf Prozent auf circa 35 Milliarden
Euro. Kostentreiber sind vor allem teure innovative Arzneimittel gegen Hepatitis C und Kombinationstherapien gegen Krebs.
Vorschlag der Techniker Krankenkasse
Die Techniker Krankenkasse (TK) hat fünf konkrete Vorschläge, wie die Umsetzung des AMNOG
verbessert werden kann. Diese sichern eine bessere und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der Pharmaindustrie.
Position der Techniker Krankenkasse - April 2016 │ 1 von 4
1.
"Preisanker“ muss tatsächliche Preise berücksichtigen
Wenn ein pharmazeutischer Hersteller für sein Präparat in der frühen Nutzenbewertung keinen Zusatznutzen nachweisen kann, darf der Erstattungsbetrag per Gesetz nicht teurer sein als die günstigste zweckmäßige Vergleichstherapie. Das bedeutet, dass für Präparate ohne Zusatznutzen, sofern die zweckmäßige Vergleichstherapie generisch ist, auf den Listenpreis des Generikums abgesenkt werden muss.
Die Industrie beklagt diesen "Preisanker" und führt an, dass es schwer ist für Präparate gegen
chronische Erkrankungen wie z. B. Typ 2-Diabetes einen Zusatznutzen nachzuweisen. Eine Lockerung dieses Preisankers würde allerdings zu erheblichen Mehrausgaben für die gesetzlichen
Krankenversicherungen führen.
Zudem müsste der Preisanker eigentlich noch viel niedriger sein. Denn die Kassen haben meist
Generikarabattverträge mit den Herstellern abgeschlossen, so dass die tatsächlich für Generika
gezahlten Preise deutlich niedriger sind. Da die Rabattverträge an dieser Stelle nicht berücksichtigt
werden, sind die Preise für Präparate ohne Zusatznutzen mit generischer Vergleichstherapie daher
noch zu hoch.
2.
Rückwirkende Preise ab Markteinführung
Im ersten Jahr nach der Markteinführung, während der Zusatznutzen für einen neuen Wirkstoff
festgestellt wird, können die Pharmahersteller die Preise frei und unbegrenzt festlegen. Verordnet
ein Arzt den neuen Wirkstoff, müssen die gesetzlichen Krankenkassen für die Kosten aufkommen.
Das führte in der Vergangenheit dazu, dass neue Arzneimittel im ersten Jahr zu sehr hohen Preisen in den deutschen Markt gebracht und während oder nach den Preisverhandlungen wieder vom
Markt genommen wurden.
Dieses Zugeständnis an die Industrie ist auch unter Qualitätsaspekten nicht sinnvoll. Denn es garantiert dem Arzneimittel für die ersten zwölf Monate einen Preis, den es ohne Zusatznutzen nie
bekommen würde. Bei Weitem nicht jede Neuentwicklung ist mit echtem medizinischen Fortschritt
gleichzusetzen. Aus fachlicher Sicht wäre es sinnvoll, dass der Erstattungsbetrag rückwirkend ab
dem Tag der Markteinführung gilt und nicht erst ab dem zweiten Jahr.
3.
AMNOG muss in die Arztpraxis
Die Marktzahlen der neuen Arzneimittel lassen keinen Einfluss der Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung auf das ärztliche Verordnungsverhalten erkennen. Eine im Auftrag der TK von DocCheck durchgeführte Arztbefragung bestätigte, dass die Ärzteschaft die Ergebnisse der frühen
Nutzenbewertung nicht als wesentliche Informationsquelle ansieht, wenn es um die Verordnung
von neuen Präparaten geht. Als wichtigste Quellen wurden hier Fortbildungsveranstaltungen,
Fachzeitschriften und der Pharma-Außendienst genannt.
Damit das AMNOG auch zu einer qualitativen Verbesserung der Versorgung führt, sollten die Bewertungsergebnisse daher verbindlich in die Leitlinien-Prozesse integriert werden.
Außerdem sollte die Industrie auch nach Zulassung zur Durchführung von qualitativ hochwertigen
Versorgungsstudien verpflichtet werden. Denn trotz der frühen Nutzenbewertung zeigt sich, dass
zum Zeitpunkt der Markteinführung oftmals noch keine ausreichenden Erkenntnisse darüber vorliegen, welchen therapeutischen Fortschritt neue Arzneimittel im realen Versorgungsalltag darstellen.
Position der Techniker Krankenkasse - April 2016 │ 2 von 4
Ergänzend versucht die TK durch diverse Aktivitäten wie z. B. die pharmazeutische Arztberatung
die Ergebnisse der (frühen) Nutzenbewertung in die Arztpraxis zu bringen.
4.
Zusätzliche Herstellerabschläge für Kombinationstherapien in der Onkologie
Bereits heute zeichnet sich ab, dass in naher Zukunft durch die Kombination von teuren Arzneimitteln in der Onkologie extrem hohe Therapiekosten entstehen werden. Pharmazeutische Unternehmen müssen durch zusätzliche Herstellerabschläge bei Kombinationstherapien ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Denn Therapiekosten für onkologische Präparate im sechsstelligen Bereich pro Patient und Jahr werden das System gefährden und sollten durch die Politik
verhindert werden.
5.
Ergänzender Rabattvertrag bei Arzneimitteln ohne Zusatznutzen
Pharmazeutische Unternehmer betonen den besonderen Verhandlungsdruck, unter dem sie in
Deutschland stehen, weil die hier ausgehandelten Preise öffentlich sind und als Referenz für die
Preisbildung in anderen Ländern gelten (Referenzpreisland). Deshalb wird hier auch besonders
hart verhandelt - manchmal mit dem Ergebnis, dass das pharmazeutische Unternehmen ein Präparat in Deutschland vom Markt nimmt, um die Preise nicht auch in anderen Ländern senken zu
müssen. Wären die Erstattungsbeträge zumindest in Teilen geheim, ließen sich günstigere Preise
für die deutschen Krankenkassen aushandeln und in bestimmten Fällen Marktrücknahmen vermeiden.
Nicht jede Marktrücknahme bedeutet einen Verlust für die Patienten. Für Arzneimittel, die im Rahmen des AMNOG-Prozesses keinen Zusatznutzen bekommen haben, stehen immer mindestens
gleichwertige Therapieoptionen zur Verfügung. Begünstigt durch Pharmaberater und Werbung
wurden in einigen Fällen jedoch schon im ersten Jahr nach der Markteinführung viele Patienten auf
die neuen Mittel eingestellt. Mit Blick auf die Versorgungsrealität kann es daher unter gewissen Voraussetzungen im Einzelfall sinnvoll sein, auch Medikamente ohne Zusatznutzen im Markt zu halten.
Durch ergänzende Rabattvertragsregelungen der einzelnen Kassen bei Arzneimitteln ohne Zusatznutzen könnten die Krankenkassen besser auf die Versorgungsrealität reagieren. Diese Verträge
könnten die Kassen in Verbindung mit den Preisverhandlungen des GKV-Spitzenverbandes auf
Basis des § 130c SGB V schließen. Eine in Teilen geheime Einigung auf einen Erstattungspreis
müsste nach dem folgenden Schema ablaufen:
•
•
•
Können sich GKV-Spitzenverband und Pharmaunternehmen in den Preisverhandlungen nicht
einigen, wird die Schiedsstelle angerufen. Die Schiedsstelle erhält Kenntnis über den vom
GKV-Spitzenverband geforderten und den vom pharmazeutischen Unternehmer angebotenen
Preis.
Hat das jeweilige Präparat nach Auffassung des GKV-Spitzenverbandes einen gewissen
Stellenwert für die Versorgung, nennt er einen weiteren Preis: Dieser umfasst einen höheren
Erstattungsbetrag, der jedoch um geheime Rabatte nach § 130c SGB V ergänzt wird. So wird
die Differenz zu der ursprünglichen Forderung ausgeglichen.
Die Schiedsstelle entscheidet über den Erstattungsbetrag. Wählt sie die Variante mit
geheimem Zusatzrabatt, so ist das Zustandekommen an Bedingungen geknüpft:
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Das pharmazeutische Unternehmen muss innerhalb von drei Monaten mit der Mehrheit der Kassen (z. B. wenn sie insgesamt 80 Prozent der Versicherten repräsentieren) einen Vertrag nach § 130c SGB V schließen.
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Dieser Vertrag muss auf dem jeweiligen Standardvertrag der Einzelkasse basieren.
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Der Unternehmer muss mindestens die vom GKV-Spitzenverband genannte zusätzliche Rabatthöhe gewähren.
Wird das Quorum nicht erreicht, gilt automatisch der ursprünglich vom GKV-Spitzenverband
geforderte niedrigere Preis - ohne geheime Preiskomponente.
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