19. Berliner Dialog

Bittere Pillen für das Gesundheitswesen
Potenziale und Herausforderungen einer zukünftigen
modernen Arzneimittelversorgung
19. Berliner Dialog, 26. November 2015
Ingo Kailuweit, Vorstandsvorsitzender KKH
Agenda
1 Kostenentwicklung für Arzneimittel
2
Analyse der Kostensteigerungen und die Wirkung der Nutzenbewertung
3
Weitere Determinanten der Ausgabenentwicklung
4
Handlungsbedarf
2
Pharma in Deutschland - schlechte Zeiten oder
paradiesische Zustände?
15.10.2015 13:12
Pharmaunternehmen fühlen sich benachteiligt, Kassen beklagen den Kostenanstieg.
Wer leidet tatsächlich?
3
Nahezu gleichmäßiger Anstieg von Verordnungsmengen
und Preisen – kein Grund zur Sorge?
Ausgaben für Arzneimittel und verordnete Mengen bei der KKH
Mio.
1.000
800
600
Einführung der frühen
Nutzenbewertung
400
Einführung Preismoratorium
und erhöhter Herstellerrabatt.
200
0
2007
2008
2009
2010
Kosten in Mio. €
2011
2012
2013
2014
Tagesdosen in Mio.
Von der Politik wurden Maßnahmen ergriffen, die nicht zu einer dauerhaften Eingrenzung
des Preisanstiegs führten. Dieser entwickelt sich in den Marktsegmenten unterschiedlich.
Quelle: KKH (2015)
4
Hohes Preisniveau der Originale ist besorgniserregend
800
700
600
Originale**
Millionen
Millionen
Generika
800
700
600
500
500
400
400
300
300
200
200
100
100
0
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Tagesdosen in Mio.
Kosten in Mio €
0
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Kosten in Mio. €
Tagesdosen in Mio.
Der Mengenzuwachs bei den Generika ist auf demografische Effekte sowie die Zunahme
von generisch verfügbaren Wirkstoffen zurückzuführen. Nachdem der Kostenanstieg bei
den Originalen nach dem AMNOG stagnierte, setzt er sich nun weiter fort.
Quelle: KKH (2015), **nur patentgeschützte
5
Bilanz nach fast 5 Jahren AMNOG:
Angestrebte Einsparungen wurden nicht erreicht
Wunsch und Wirklichkeit
Mit den Maßnahmen des AMNOG wurden Einsparungen
von ca. 2 Mrd. € pro Jahr angestrebt.
In den Berechnungen war auch die Bewertung des
Bestandsmarktes enthalten.
2014 betrug das Einsparvolumen 443 Mio. €*.
Gründe
Neue Arzneimittel werden mit extrem hohen Preisforderungen der Pharmaindustrie in den Markt eingeführt.
Ursprünglich sollte der erhöhte Herstellerabschlag durch
die Einsparungen aus der Bestandsmarktbewertung
abgelöst werden.
Der Aufruf der Bewertung des Bestandsmarktes wurde
zurückgenommen, der Herstellerabschlag aber nicht auf
dem Niveau von 2010 gehalten.
Die Einführung der frühen Nutzenbewertung stellt einen gesundheitspolitischen
Meilenstein dar und ist absolut zu begrüßen. Dennoch ist ihre Wirkung limitiert.
*Quelle: Arzneiverordnungsreport (2015)
6
Agenda
1 Kostenentwicklung für Arzneimittel
2
Analyse der Kostensteigerungen und die Wirkung der Nutzenbewertung
3
Weitere Determinanten der Ausgabenentwicklung
4
Handlungsbedarf
7
Einführung der frühen Nutzenbewertung –
ein wichtiger und richtiger Schritt
Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung für neu zugelassene Arzneimittel
Anzahl
70
60
60
50
37
40
30
30
20
17
20
10
10
1
1
4
3
7
6
1
10
10
2
6
9 11
3
0
2011
2012
erheblicher Zusatznutzen
nicht quantifizierbarer Nutzen
16
2013
2014
beträchtlicher Zusatznutzen
kein Zusatznutzen
1
14
6
0
2
1
2015*
Gesamt
geringer Zusatznutzen
Festbetrag
* Stand 26.10.2015
2015 wurde einem Arzneimittel erstmals ein erheblicher Zusatznutzen attestiert.
Innovationen und Arzneimittel ohne Zusatznutzen werden als solche erkannt.
Sind damit alle Probleme beseitigt?
Quelle: G-BA Jahresbericht (7/2015)
8
Frühe Nutzenbewertung im Überblick
Erstattung des Listenpreises
Erstattung Verhandlungspreis
Einigung
Rabatt auf Herstellerpreis
(Rückwirkend) Rabatt auf Herstellerpreis
Preisverhandlungen über
Erstattungspreise
Zusatznutzen
Pharmaunternehmen
erhält Zulassung für
Dossier
Arzneimittel oder
Anwendungsgebiet
Keine Einigung
Beschluss zum
Zusatznutzen
durch G-BA
Schiedsstelle*
Keine Einigung
Erstattungspreise auf
Basis Therapiekosten
der Vergleichstherapie
Kein Zusatznutzen
(Rückwirkend) Rabatt auf Herstellerpreis
Rabatt auf Herstellerpreis
Einigung
Zuordnung zu einer
Festbetragsgruppe
möglich
Zeit
≤ 3 Monate
Beschluss
Festbetrag
≤ 6 Monate
12 Monate
15 Monate
* Bei Klageverfahren auf Antrag Kosten-Nutzen-Bewertung durch IQWIG
9
Frühe Nutzenbewertung im Überblick
Kein Zusatznutzen – Zuordnung zur Festbetragsgruppe
Erstattung des Listenpreises
Erstattung Verhandlungspreis
Rabatt auf Herstellerpreis
Einigung
(Rückwirkend) Rabatt auf Herstellerpreis
Preisverhandlungen über
Erstattungspreise
Zusatznutzen
Pharmaunternehmen
erhält Zulassung für
Dossier
Arzneimittel oder
Anwendungsgebiet
Keine Einigung
Beschluss zum
Zusatznutzen
durch G-BA
Schiedsstelle*
Erstattungspreise auf
Basis Therapiekosten
der Vergleichstherapie
Kein Zusatznutzen
(Rückwirkend) Rabatt auf Herstellerpreis
Einigung
Zuordnung zu einer
Festbetragsgruppe
möglich
Zeit
≤ 3 Monate
Beschluss
Keine Einigung
Rabatt auf Herstellerpreis
Festbetrag
≤ 6 Monate
12 Monate
15 Monate
Die Nutzenbewertung funktioniert, Arzneimittel ohne Zusatznutzen werden erkannt.
Aber: Häufig fehlen passende Festbetragsgruppen, Preisverhandlungen sind notwendig.
* Bei Klageverfahren auf Antrag Kosten-Nutzen-Bewertung durch IQWIG
10
Frühe Nutzenbewertung im Überblick
Kein Zusatznutzen – Preisverhandlungen erforderlich
Erstattung des Listenpreises
Erstattung Verhandlungspreis
Einigung
Rabatt auf Herstellerpreis
(Rückwirkend) Rabatt auf Herstellerpreis
Preisverhandlungen über
Erstattungspreise
Zusatznutzen
Pharmaunternehmen
erhält Zulassung für
Dossier
Arzneimittel oder
Anwendungsgebiet
Keine Einigung
Beschluss zum
Zusatznutzen
durch G-BA
Schiedsstelle*
Keine Einigung
Erstattungspreise auf
Basis Therapiekosten
der Vergleichstherapie
Kein Zusatznutzen
(Rückwirkend) Rabatt auf Herstellerpreis
Rabatt auf Herstellerpreis
Einigung
Zuordnung zu einer
Festbetragsgruppe
möglich
Zeit
≤ 3 Monate
Beschluss
Festbetrag
≤ 6 Monate
12 Monate
15 Monate
* Bei Klageverfahren auf Antrag Kosten-Nutzen-Bewertung durch IQWIG
11
Folge: Auch Wirkstoffe ohne Zusatznutzen erzielen
hohen Erstattungspreis
Beispiel Dimethylfumarat zur Therapie von Multipler Sklerose
Mio. €
Fumarsäure ist schon lange am
Markt und wurde bisher in der
Dermatologie eingesetzt.
70
60
Nach neuen Forschungsergebnissen folgte die Zulassung für die
Indikation Multiple Sklerose.
50
40
Nutzenbewertung ist erforderlich.
30
Ergebnis: Kein Zusatznutzen
20
Aber: Als zweckmäßige Vergleichstherapie wurde Interferon-beta mit
seinem Preisniveau herangezogen.
10
0
2007
2008
2009
2010
2011
2012
Übrige Arzneimittel bei der Indikation MS
2013
2014 2015*
Dimethylfumarat
Folge: Hoher Erstattungspreis auch
für Dimethylfumarat.
*Hochrechnung
Dem hohem Preis bei Markteintritt folgt eine Absenkung nach der Nutzenbewertung, durch
die hochpreisige, zweckmäßige Vergleichstherapie verbleibt der Preis auf hohem Niveau.
Quelle: KKH (2015)
12
Gerade bei Fumarsäure steht eine alternative
Verordnungsform zur Verfügung
Fertig-Arzneimittel
alternativ
Tecfidera®
(56 Kapseln)
1.250 €*
Herstellung von 56
Kapseln Dimethylfumarat 240 mg
durch die Apotheke
200 €**
Wenn jeder 5. Betroffene eine Verordnung für eine Rezeptur in der Apotheke erhalten würde,
ließen sich GKV-weit ca. 33 Mio. € einsparen.
Eine solche Verordnungspraxis würde eine echte Entlastung für die Kassen bedeuten,
allerdings ist der systematische Nachbau von Fertig-Arzneimitteln in der Apotheke
untersagt. Vorhandenes Potenzial kann nicht gehoben werden.
* Kosten für das Fertig-Arzneimittel nach Nutzenbewertung und Erstattungspreisverhandlungen
** Kosten gemäß aktueller Einkaufskonditionen für den Ausgangsstoff inkl. Kosten für die Zubereitung in der Apotheke
13
Frühe Nutzenbewertung im Überblick
Geringer Zusatznutzen und trotzdem hohe Preise
Erstattung des Listenpreises
Erstattung Verhandlungspreis
Einigung
Rabatt auf Herstellerpreis
(Rückwirkend) Rabatt auf Herstellerpreis
Preisverhandlungen über
Erstattungspreise
Zusatznutzen
Pharmaunternehmen
erhält Zulassung für
Dossier
Arzneimittel oder
Anwendungsgebiet
Keine Einigung
Beschluss zum
Zusatznutzen
durch G-BA
Schiedsstelle*
Keine Einigung
Erstattungspreise auf
Basis Therapiekosten
der Vergleichstherapie
Kein Zusatznutzen
(Rückwirkend) Rabatt auf Herstellerpreis
Rabatt auf Herstellerpreis
Einigung
Zuordnung zu einer
Festbetragsgruppe
möglich
Zeit
≤ 3 Monate
Beschluss
Festbetrag
≤ 6 Monate
12 Monate
15 Monate
* Bei Klageverfahren auf Antrag Kosten-Nutzen-Bewertung durch IQWIG
14
Hohes bestehendes Preisniveau kann nicht
durchbrochen werden
Beispiel neue Gerinnungshemmer:
vorher
Vitamin-KAntagonisten wie
Marcumar® sind
generisch verfügbar
und zu einem
geringen Preis am
Markt vorhanden
(ca. 0,20 €/Tag)
Neu eingeführte
orale Antikoagulantien
(NOAK)
etablieren sich
mit einem hohen
Preisniveau als
Therapiealternative
(ca. 3 €/Tag).
Neue Preisfestsetzungslogik seit 2011
Vergleichstherapie:
Marcumar® und Generika
Ergebnis:
Geringer Zusatznutzen für bestimmte
Indikationen
Verhandlungsgrundsatz Pharmaindustrie:
Etabliertes Preisniveau darf nicht
unterschritten werden.
Folge:
Verhandlung der neuen NOAKs zu einem
weitaus höheren Preis als für die nach der
alten Preisfestsetzungslogik.
?
?
?
Was
rechtfertigt
diesen
Treppenstufeneffekt?
?
?
?
Die Wirkung des AMNOG seit 2011 ist begrenzt. Mit der Rücknahme des
Bestandsmarktaufrufs fehlt ein Instrument, um das dortige Preisniveau zu regulieren.
15
Anteil der NOAKs nimmt zu
Ausgabenentwicklung in Mio. €
Anzahl der Tagesdosen
Mio. €
Mio. €
20
20
18
18
16
16
14
14
12
12
10
10
8
8
6
6
4
4
2
2
0
0
2010
2011
2012
2013
2014
2010
2011
2012
2013
Neue orale Antikoagulantien (NOAK)
Neue orale Antikoagulantien (NOAK)
Vitamin-K-Antagonisten (VKA)
Vitamin-K-Antagonisten (VKA)
2014
Seit 2010 steigen die Kosten und die Anzahl der Verordnungen für Gerinnungshemmer
bei der KKH rasant an. Vor allem neu einzustellende Patienten erhalten die NOAKs.
Quelle: KKH (2015)
16
Frühe Nutzenbewertung im Überblick
Hoher Zusatznutzen und hohe Preise
Erstattung des Listenpreises
Erstattung Verhandlungspreis
Einigung
Rabatt auf Herstellerpreis
(Rückwirkend) Rabatt auf Herstellerpreis
Preisverhandlungen über
Erstattungspreise
Zusatznutzen
Pharmaunternehmen
erhält Zulassung für
Dossier
Arzneimittel oder
Anwendungsgebiet
Keine Einigung
Beschluss zum
Zusatznutzen
durch G-BA
Schiedsstelle*
Keine Einigung
Erstattungspreise auf
Basis Therapiekosten
der Vergleichstherapie
Kein Zusatznutzen
(Rückwirkend) Rabatt auf Herstellerpreis
Rabatt auf Herstellerpreis
Einigung
Zuordnung zu einer
Festbetragsgruppe
möglich
Zeit
≤ 3 Monate
Beschluss
Festbetrag
≤ 6 Monate
12 Monate
15 Monate
* Bei Klageverfahren auf Antrag Kosten-Nutzen-Bewertung durch IQWIG
17
Sind die extrem hohen Preise gerechtfertigt?
Beispiel Sovaldi zur Therapie von Hepatitis C
Mio. €
60
50
40
30
20
10
0
2010
2011
2012
2013
Übrige Arzneimittel Hepatitis C
2014
Sovaldi
2015*
Harvoni
Frühe Nutzenbewertung bestätigt einen
beträchtlichen Zusatznutzen.
Pharmaunternehmen fordert sehr hohen
Preis und strapaziert die Zahlungsbereitschaft der Akteure im Gesundheitssystem
extrem.
Preisspirale mit System:
– Rechtzeitig vor Ablauf der freien Preisbildung kam das Folgeprodukt Harvoni®
auf den Markt.
– Sovaldi® dient bei der Bewertung von
Harvoni® als zweckmäßige Vergleichstherapie und gibt damit den Maßstab für
den Preis vor.
*Hochrechnung
Die Jahrestherapiekosten haben sich von 2010 bis 2015 pro Betroffenem
mehr als verfünffacht. Trotz AMNOG offenbaren sich Schwachstellen,
welche die Etablierung eines hohen Preisniveaus zulassen.
Quelle: KKH (2015)
18
Hohe Preisforderungen sind kein neues Phänomen
Nach wie vor werden Preise mit hohen Forschungs- und Entwicklungsausgaben begründet.
Die Pharmaindustrie ist nicht zur Offenlegung der tatsächlichen Produktions-, Forschungsund Entwicklungskosten und ihrer Verteilung auf die einzelnen Wirkstoffe verpflichtet.
Damit ist den Kassen eine wirtschaftliche Betrachtung entzogen.
Mit den eigentlichen Kosten – Herstellungskosten zzgl. Gewinnmarge –
haben die Markteintrittspreise nichts zu tun.
Das Problem ist nicht neu, nimmt aber immer größere Ausmaße an.
19
Nutzenbewertung hat systemische Schwachstellen
1
2
Freie Preissetzung im ersten Jahr
Fehlende Regulierung bei Markteintritt erlaubt den Pharmaunternehmen die Etablierung eines
hohen Preisniveaus.
Dem ist in den Preisverhandlungen
nur bedingt beizukommen.
Der seinerzeit gefundene politische
Kompromiss offenbart gravierende
Schwachstellen.
Keine Richtwerte für die Nutzenklassifikation
Kein direkter Zusammenhang
zwischen dem Preis und dem
festgestellten Nutzen.
Allein durch hohe Ausgaben für
Forschung und Entwicklung sind
die extremen Preise für Spezialpräparate nicht begründbar.
20
Erkenntnisse aus der Nutzenbewertung kommen nicht in
der Versorgungspraxis an
Nutzenbewertung differenziert nach einzelnen Indikationsbereichen.
Nutzen ist häufig nur für eine kleine, abgegrenzte Patientengruppe belegt.
Verordnungsmengen spiegeln das nicht wider: Die Versorgungsrelevanz neuer Arzneimittel
liegt deutlich über dem, was der Grad des ermittelten Zusatznutzens vermuten lässt.
Folge: Patienten erhalten nicht immer die für das System wirtschaftlichste Versorgung.
Instrumente, die diese Fehlentwicklung verhindern, fehlen.
Die Kostenentwicklung wird zusätzlich dadurch belastet, dass neue Arzneimittel
nahezu ohne Einschränkungen verordnet werden, obwohl der Nutzen häufig nur für
einen kleinen Indikationsbereich nachgewiesen ist.
21
Auswirkungen des AMNOG im internationalen Vergleich
Vergleich
Niederlande
27 der 30 umsatzstärksten patentgeschützten Arzneimittel sind in
Deutschland teurer.
Beispiel: Gerinnungshemmer Pradaxa®
kostet ca. 25 € je Packung mehr.
Innovationen haben bei Markteintritt in
Deutschland zwar einen höheren Preis,
nach Nutzenbewertung und Preisverhandlungen pendelt sich der Preis zunehmend
unter dem niederländische Niveau ein.
Extrem hochpreisige Arzneimittel bleiben
die Ausnahme: Z. B. bleibt Sovaldi® in
Deutschland rund 300 € teurer, Tecfidera®
sogar ca. 750 € je Packung.
Frankreich
Nach Einführung des AMNOG liegen die
Nettokosten in Deutschland für Innovationen unter dem französischen Niveau.
Nach Verhandlungen und weiteren, vertraulichen Rabatten konnten beispielsweise die Kosten für Sovaldi® um ca.
50 % gegenüber dem dortigen Listenpreis
gesenkt werden.
Anders im Bestandsmarkt; das Preisniveau liegt um ca. 16 % über dem
französischen Preisniveau.
Auch nach dem AMNOG bleibt die schnelle Verfügbarkeit
von Innovationen am Markt erhalten.
Quelle: Arzneiverordnungsreport (2015), Busse, Panteli, Henschke (2015)
22
Fazit der KKH nach 5 Jahren Nutzenbewertung
Pro
Nutzenbewertung ist an klare
Regeln geknüpft, die auch
funktionieren.
Verhandelte Preise werden weitgehend von den Marktbeteiligten
und auch von der Pharmaindustrie
akzeptiert.
Marktdurchdringung reiner Analogpräparate („Me-Too“) wird
verhindert.
Contra
Pharmaunternehmen bestimmen
weiterhin ab Markteinführung für
die ersten 12 Monate den Preis.
Würde der verhandelte Preis von
Anfang an gelten, wären in 2014
GKV-weit Einsparungen von ca.
275 Mio. € möglich gewesen.*
Verhältnismäßigkeit der Preisforderung innovativer Arzneimittel
ist fraglich.
Durch die Rücknahme des
Bestandsmarktaufrufs bleiben die
etablierten Preise unangetastet
und prägen das zukünftige Niveau.
Wichtige Probleme wurden mit der Einführung der frühen Nutzenbewertung
angegangen, für weitere gibt es bisher keine Lösung.
*Quelle: Arzneiverordnungsreport (2015)
23
Agenda
1 Kostenentwicklung für Arzneimittel
2
Analyse der Kostensteigerungen und die Wirkung der Nutzenbewertung
3
Weitere Determinanten der Ausgabenentwicklung
4
Handlungsbedarf
24
Pharmaunternehmen wählen sorgsam ihren Markt
Kriterien für Entwicklungsaktivitäten
in einem Indikationsbereich
Menge der
Patienten
Kostenniveau der
Vergleichstherapie
Wettbewerbssituation
Ziel: Gewinnmaximierung
Wenig Forschung & Entwicklung
Antibiotika
Viel Forschung & Entwicklung
Hepatitis C
Krebs
Alzheimer
Diabetes
25
Erforschung neuartiger Antibiotika kaum attraktiv
„Wenn wir im Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen nicht bald handeln, bedeutet dies
das Ende der modernen Medizin.“
Prof. Dr. Sally C. Davies, Chief Medical Officer for England beim 7. World Health Summit
Fakten
Jedes Jahr entstehen bis zu 600.000
behandlungsassoziierte Infektionen mit bis
zu 15.000 Todesfällen. Dabei spielen
Antibiotika-Resistenzen eine große Rolle.*
Zur Behandlung bakterieller Infektionen
stehen nur noch wenige wirksame
Antibiotika zur Verfügung.
Nur wenige nationale oder internationale
Hersteller investieren in die Entwicklung
neuer Wirkstoffe.
Zum letzten Mal wurde vor einem Vierteljahrhundert eine neue Antibiotikaklasse
entdeckt; gegenwärtige Neuentwicklungen
basieren auf bekannten Substanzklassen.
* Quelle: BMG (2015)
Hemmnisse
Gewinnmaximierung durch eine hohe Marktdurchdringung steht dem Ziel eines
zurückhaltenden Antibiotikaeinsatzes zur
Vermeidung von Resistenzen entgegen.
Einnahme von Antibiotika ist nur für kurze
Zeit vorgesehen, Entwicklung von Arzneimitteln für chronische Erkrankungen sind
deshalb attraktiver.
Preisniveau auf dem Antibiotikamarkt ist
gering.
26
Problem in der Politik angekommen
Pro Jahr werden in der Humanmedizin 700 bis 800 Tonnen
und in der Tiermedizin 1.200 Tonnen verbraucht.*
Aktuell wurde Bekämpfung der Antibiotikaresistenzen auf der
G7 Gesundheitsministerkonferenz im Oktober 2015 beraten.
Strategien enthalten
zwei Kernelemente
Verbrauch reduzieren
Einsatz von Antibiotika drastisch
reduzieren und nur dann anwenden,
wenn es wirklich notwendig ist.
Maßnahmen auf nationaler Ebene
der DART-Strategie auch international vorantreiben.
Forschung fördern
Ausbau von Netzwerken zwischen
Forschern, Industrie u. a.
Förderung der Zusammenarbeit
einzelner Forschungsinitiativen.
Auflegen eines globalen Fonds.
Diese Ansätze müssen weiterverfolgt werden, der angekündigten Förderung der
Forschung müssen dringend Taten folgen.
* Quelle: Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (2015), Bundesministerium für Gesundheit (2015)
27
Im Gegensatz: Wachstumsmarkt Onkologie
Hintergrund
Großteil der Krebserkrankungen tritt im Alter auf.
Alterung der Bevölkerung lässt deutlichen Anstieg
von Krebserkrankungen erwarten.
Bis zum Jahr 2030 wird ein Anstieg der Krebsneuerkrankungen von ca. 500.000 um 20 %
auf etwa 600.000 pro Jahr erwartet.*
Forschung
Innovative Krebstherapien stehen im Zentrum der
Forschung.
Therapieergebnisse der neuen, zielgerichteten
Wirkstoffe sind häufig enttäuschend.
Lebenserwartung kann überwiegend nur um wenige
Wochen verlängert werden.
Zusätzliche Lebenszeit wird oft durch erhebliche
Nebenwirkungen belastet.
Neue onkologische Arzneimittel zählen zu den besonders hochpreisigen. Zusammen mit
den steigenden Erkrankungszahlen kommen hohe Kosten auf die Kassen zu.
Quelle: Destatis (2015), Deutsche Krebshilfe (2015)
28
Kostensteigerungen und kein Ende in Sicht
Kostenentwicklung von Krebsmedikamenten der neuen Generation bei der KKH
Mio. €
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015*
*Hochrechnung
Bereits bei den etablierten Krebstherapeutika, den parenteralen Zubereitungen, ist entsprechend der zunehmenden Prävalenz ein Anstieg bei den Mengen und Kosten festzustellen. Die neuartigen Krebstherapeutika kommen als zusätzliche Therapieoption hinzu.
Quelle: Kosten Antineoplastischer Mittel (L01), KKH (2015)
29
Besonderes Phänomen:
Orphan Drugs - kleine Nutzergruppe, großer Benefit
Nutzenbewertung von Orphan Drugs
Anzahl
Steigende Anzahl von Orphan Drugs zeigt
sich besonders bei den onkologischen
Erkrankungen.
Problematisch: Der Zulassung für kleine
Patientengruppen folgt häufig eine rasche
Ausweitung auf weitere Indikationen.
Hohe Gewinnaussichten als Anreiz.
Beispiel:
Umsatz des Antibiotikums Avalox® betrug
für den Zeitraum 2002 bis 2012 4,2 Mrd. €.
Orphan Drugs und Onkologika erreichen
diese Umsatzhöhe in nur einem Jahr!
20
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0
2011
2012
2013
2014
2015
Stand 13.11.2015
Die Entwicklung neuer Arzneimittel für seltene Erkrankungen, von denen nur wenige
Menschen betroffen sind, ist grundsätzlich zu begrüßen. Ihre Sonderstellung in der
Nutzenbewertung darf aber nicht zur reinen Gewinnmaximierung ausgenutzt werden.
Quelle: G-BA (2015)
30
Onkologische Arzneimittel sind und bleiben Top-Seller
Führende Krebsmedikamente: Weltweiter Umsatz 2014, Prognose für 2020 (in Mio. US-Dollar)
Mio. $
12.000
10.000
8.000
6.000
4.000
2.000
0
Revlimid®
(Celgene)
Opdivo®
(Bristol-Myers
Squibb + Ono)
Avastin®
(Roche)
2014
Imbruvica®
(J&J + Pharmacyclics)
Herceptin®
(Roche)
2020*
Insgesamt wurde 2014 ein Umsatz von 74,4 Mrd. $ mit onkologischen Arzneimitteln erzielt.
Aufgrund der zu erwartenden Kostenentwicklung droht ohne die Implementierung weiterer
Instrumente zur Eindämmung dieses Anstiegs die Überforderung des Systems.
Quelle: Evaluate, Statista (2015), IMS Health, Statista (2015)
31
Weiterer Umsatzgarant: Intensive Vermarktungsstrategie
Informationsquellen des Arztes – Befragung von 62.295 Ärzten
Sonstiges
4,1
Telefondienste und Hotlines von Pharmafirmen
13,6
Audiovisuelle Medien (CD-ROM etc.)
17
Elektronische Medien (Radio, TV etc.)
18,8
Aussendungen
25,4
Gespräche mit Kollegen
58,8
Internet, Online-Dienste
63,9
Pharmareferenten
66,6
Fachbücher
71,9
Tagungen, Kongresse und Vorträge
81,4
Fachzeitschriften
93,3
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Für die Vermarktung wird noch einmal das Doppelte der Forschungs- und Entwicklungsausgaben aufgewendet. Allein für die direkte Vermarktung sind ca. 15.000 Pharmaberater
eingesetzt, die ungefähr 20 Mio. Besuche bei Ärzten durchführen. Dies steht dem Bild
entgegen, welches die „forschenden Pharmaunternehmen“ von sich entwickeln möchten.
Quellen: Gagnon M-A, Lexchin J (2008); Statista, Horizont (2013); Lieb, Brandtönies (2010)
32
Einfluss der Pharmaindustrie bleibt nicht ohne Wirkung
Beispiel Antibiotika-Versorgung
Werbemaßnahmen der
Pharmaindustrie
Können „Spreu vom
Weizen“ trennen
49 % der niedergelassenen Ärzte
65 % der
Krankenhausärzte
Am Beispiel von Antibiotikaverordnungen geben zudem 60 % der befragten
Ärzte an, dass sich die Qualität durch Beratungs- und Fortbildungsangebote
von Pharmaunternehmen nicht verbessert hat.
Quelle: BMG (2012) Kurzbericht: Einflüsse auf die ärztliche Verschreibung von Antibiotika in Deutschland (EVA-Studie).
33
Viele Ärzte können Informationen nicht filtern –
wie soll es den Patienten gelingen?
Pharmaunternehmen beeinflussen auch direkt die Patienten, besonders im Fokus:
Selbsthilfegruppen und Patientenorganisationen.
Zielgruppe: Chronisch Kranke und Erkrankte mit einem spezifischen Arzneimittelbedarf.
Ziele der Pharmaunternehmen:
- Gewinnung von Testpersonen für klinische Prüfungen
- Förderung der Anspruchshaltung gegenüber dem Arzt
- Mund-zu-Mund-Propaganda
2013 wurden 5,6 Mio. € von Arzneimittelherstellern an Patientenorganisationen gezahlt.
Während die GKV Selbsthilfegruppen neutral fördert (2014 45 Mio., 2016 voraus. 73 Mio. €),
unterstützt die Pharmaindustrie nur Betroffene, wenn es im Sinne des Unternehmens ist.
Patienten erhalten von der Pharmaindustrie gefilterte Informationen, nehmen dies
aber nicht als solches wahr. Folge: Oftmals ein fehlgeleiteter Patient!
34
Pharmaindustrie bestimmt die Versorgung maßgeblich mit
PHARMALOBBY
Pharmaunternehmen wählen sorgsam
ihren Markt und investieren nur dort, wo es
sich lohnt.
Der Bedarf an innovativen Wirkstoffen ist
dabei nicht immer entscheidend.
Marktversagen mit Entwicklungsstillstand
kann die Folge sein.
Der Entwicklung folgt eine aggressive
Vermarktungsstrategie, um eine hohe
Marktdurchdringung zu erreichen.
Es ist fraglich, ob die Akteure infolgedessen
immer zum Wohl der Patienten handeln.
Am Ende schluckt der Patient
die (bittere) Pille.
* Quelle: Gagnon M-A, Lexchin J (2008): The Cost of Pushing Pills: A New Estimate of Pharmaceutical Promotion Expenditures in the United States.
35
Agenda
1 Kostenentwicklung für Arzneimittel
2
Analyse der Kostensteigerungen und die Wirkung der Nutzenbewertung
3
Weitere Determinanten der Ausgabenentwicklung
4
Handlungsbedarf
36
Fazit
Der Arzneimittelbereich ist ein entscheidender Kostenfaktor im Gesundheitswesen.
Die Pharmaindustrie trägt mit ihren Strategien maßgeblich zum Kostenanstieg bei.
Marktgesetze greifen im Arzneimittelmarkt nicht, es kommt zu Marktversagen.
Die Vermarktung der Pharmaindustrie ist nicht immer am Nutzen für die Patienten
orientiert.
Der Profitmaximierung der Pharmaindustrie zu Lasten des solidarisch finanzierten
Gesundheitssystems muss wirksam begegnet werden.
37
Neuer Rahmen für innovative Arzneimittelversorgung
Nutzenbewertung
Erstattungspreise
Gültigkeit des nach Nutzenbewertung verhandelten Preises
rückwirkend ab Markteintritt.
Bestandsmarktbewertung
Aufruf von Arzneimitteln des Bestandsmarktes, wenn neuer Wirkstoff
für den jeweiligen Indikationsbereich bewertet wird.
Verordnung
Erstattung
Entwicklung von Instrumenten für eine nutzenorientierte Erstattung.
Forschung
Staatliche Unterstützung..
… von Forschung auf Gebieten, wo diese als Folge von Marktversagen nicht stattfindet.
Bsp. Antibiotika
Förderung universitärer Grundlagenforschung (national/international)
sowie rasche Umsetzung bereits angekündigter Maßnahmen.
Informationen
Für Ärzte
Verlässliche, unabhängige Informationen für eine sichere,
bedarfsgerechte und wirtschaftliche Arzneimittelversorgung.
Für Versicherte
Interessenfreie Informationen + pharmaunabhängige Selbsthilfe.
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Die Ausgabenentwicklung
droht das Gesundheitssystem langfristig zu
überfordern. Dem muss jetzt
mit geeigneten
Instrumenten entgegengewirkt werden!
www.kkh.de
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