Demnächst Preisverhandlungen - ECV Editio Cantor Verlag Aulendorf

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Thomas Postina · Postina Public Relations GmbH, Berlin/Seeheim-Jugenheim
Demnächst Preisverhandlungen
Pharm. Ind. 73, Nr. 11, 1935 – 1936 (2011)
© ECV ∙ Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)
duktsegment, dem der innovativen Arzneimittel, die Preishoheit
nimmt. Auf den Erstattungspreis,
der de facto der Marktpreis ist, da
er auch für Selbstzahler und Privatversicherte gelten wird, müssen sie
sich entweder in Verhandlungen mit
dem GKV-Spitzenverband einigen
oder – gelingt dies nicht – den von
der Schiedsstelle festgelegten Preis
akzeptieren.
Ob die Rahmenvereinbarung hält,
was sich die Verhandlungsparteien
davon versprechen, darüber waren
sich auch die Mitgliedsfirmen der
Verbände gar nicht so sicher. Beim
Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) war sogar eine außerordentliche Mitgliederversammlung
notwendig, die das Verhandlungsergebnis dann allerdings ohne Gegenstimmen absegnete.
Nun muss die Praxis zeigen, ob die
anfänglichen Bedenken tatsächlich
unbegründet waren. Ab Anfang 2012
wird mit den ersten Preisverhandlungen gerechnet. Man braucht kein
Prophet sein, um zu wissen, dass
dann noch viele Detailfragen auftauchen werden, für deren Lösung viel
guter Wille auf beiden Seiten nötig
sein wird.
Vorauszusehen ist auch, dass
mancher Arzneimittelhersteller froh
wäre, überhaupt vor solchen Detailproblemen zu stehen. Denn die Hürden, um in diesen Verhandlungsprozess eintreten zu können, sind hoch.
Die Rahmenvereinbarung beeinflusst
nämlich nicht die vorgeschaltete frühe Nutzenbewertung.
Sie ist bei jedem innovativen Arzneimittel, das erstmals in den deutschen Markt eingeführt wird, vorgeschrieben. Das Institut für Qualität
und Wirtschaftlichkeit im Gesund-
Nur für den privaten oder firmeninternen Gebrauch / For private or internal corporate use only
Es war eine schwierige Geburt. Neun
Monate hatten der GKV-Spitzenverband und die Verbände der Arzneimittelindustrie miteinander verhandelt. Doch das Kind, das am
13. Oktober nach einem finalen Verhandlungsmarathon das Licht der
Welt erblickte, kann sich durchaus
sehen lassen. Die „Rahmenvereinbarung zur Verhandlung von Erstattungsbeträgen für Arzneimittel
mit neuen Wirkstoffen“, die künftig
die Grundlage für die Einzelverhandlungen von GKV-Spitzenverband
und einzelnen Herstellern bildet,
ist umfassender und präziser ausgefallen als viele dieses überhaupt
noch erwartet hatten. Sie legt die
formalen Abläufe der durch das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz
(AMNOG) vorgeschriebenen Preisverhandlungen zwischen Hersteller
und Kassenseite genauso fest wie die
Kriterien zur Ermittlung von Jahrestherapiekosten.
Lediglich ein Punkt blieb offen:
nämlich, welche europäischen Länder mit ihren Preisen als Referenz
bei der Preisbildung in Deutschland
herangezogen werden sollen. Erstmals muss die Schiedsstelle in Aktion treten, die künftig immer dann
eingeschaltet wird, wenn sich GKVSpitzenverband und Hersteller nicht
einigen können. An sie wurde diese
Frage überwiesen. Auf die personelle
Zusammensetzung der Schiedsstelle
hatten sich Pharmaverbände und
GKV-Spitzenverband bereits im Mai
einvernehmlich geeinigt. Ihr unparteiischer Vorsitzender ist der ehemalige Abteilungsleiter im Gesundheitsministerium Dr. Manfred Zipperer.
Der ganze Aufwand ist Folge des
AMNOG, das den Herstellern auch
auf dem letzten verbliebenen Pro-
■ ■ AU T O R
Thomas Postina,
Postina Public Relations GmbH,
Residenz am Deutschen Theater,
Reinhardtstr. 29,
10117 Berlin (Germany),
und Alte Bergstr. 27,
64342 Seeheim-Jugenheim (Germany),
e-mail: [email protected]
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Dass hier nicht schwarz gemalt
wird, machen die Entscheidungen
von Novartis sowie Boehringer Ingelheim und Eli Lilly deutlich. Novartis
hat den Vertrieb eines neuen Blutdruck-Senkers gestoppt, Boehringer
Ingelheim und Lilly, die geplante
gemeinsame Einführung eines Antidiabetikums zunächst aufgegeben.
In beiden Fällen hielten die Firmen
die Wahl der Vergleichstherapie für
nicht angemessen und rechneten
sich aus, in den späteren Verhandlungen keinen akzeptablen Preis
erzielen zu können.
Die Entscheidungen der Firmen
haben auch in der politischen Öffentlichkeit für Irritationen gesorgt. Denn
sollten die Beschlüsse des G-BA-Unterausschusses stets solche Folgen
zeitigen, dann dürfte es bald schlecht
bestellt sein um den Standard der
Arzneimittelversorgung in Deutschland.
Die Bundesländer haben darauf
erstaunlich schnell reagiert. Ginge
es nach dem Bundesrat, dann sollten
auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie
des Paul-Ehrlich-Institut bei der
Festlegung der Vergleichstherapie
zu Rate gezogen werden. Dadurch
ließen sich – so die Hoffnung –
möglicherweise Widersprüche zu
den Zulassungsstudien vermeiden.
Entsprechende Regelungen hat die
Länderkammer für das GKV-Versorgungsstrukturgesetz vorgeschlagen.
Vermutlich wird das erste Medikament, mit dem ein Hersteller in
Preisverhandlungen mit dem GKVSpitzenverband eintritt, ein Arzneimittel von Astra Zeneca sein, das die
Sterblichkeit nach Herzinfarkt senken soll. Das Unternehmen hatte sich
ganz bewusst zur Einführung unter
AMNOG-Bedingungen entschlossen
und die Aufregung des ungewissen
Ausgangs der frühen Nutzenbewertung auf sich genommen. Die Firma
spricht daher von einer Art „Modellverfahren“. Es könnte prägend für die
ganze Branche werden und ein Signal aussenden, wie und in welchem
Umfang künftig noch der Wert von
Innovationen anerkannt wird.
Vermutlich ist dies auch G-BA
und GKV-Spitzenverband bewusst
und sie wägen ihre Entscheidungen
und ihre Strategien in Hinblick auf
mögliche politische Implikationen
entsprechend sorgfältig ab.
Pharm. Ind. 73, Nr. 11, 1935 – 1936 (2011)
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heitswesen (IQWiG) bewertet dazu
den medizinischen Zusatznutzen
eines neuen Medikaments gegenüber bekannten Therapien. Das Maß
des Zusatznutzens ist dann die Basis
für Preisverhandlungen. Wird kein
Zusatznutzen festgestellt, fällt das
Medikament einer Festbetragsgruppe zu.
Ob und wie umfassend ein Zusatznutzen ausfällt, hängt davon, welche
Vergleichstherapien heran gezogen
werden. Die Entscheidung hierfür
trifft der Unterausschuss Arzneimittel des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) – nicht öffentlich
und damit wenig transparent.
Und genau hier liegt das Konfliktpotenzial. Denn die Vertreter
von Krankenkassen, die sowohl im
Unterausschuss wie später bei den
Preisverhandlungen mit am Tisch
sitzen, sind nicht frei von Eigennutz.
Sie können kein großes Interesse daran haben, dass ein erheblicher Zusatznutzen attestiert wird – weil sie
die Zeche am Ende in Form höherer
Erstattungspreise zahlen müssen.
Ein hoher Zusatznutzen schwächt
nur die Verhandlungsposition des
GKV-Spitzenverbands.