AMNOG ( PDF, 108 KB , nicht barrierefrei)

Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz als
Ergebnis des Pharmadialog
Grundsätzliche Bewertung
Mit dem Referentenentwurf für das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AM-VSG) setzt die
Bundesregierung die Ergebnisse aus dem so genannten Pharmadialog um. Am Pharmadialog waren die Bundesregierung, Verbände der pharmazeutischen Industrie sowie eine Industriegewerkschaft und Wissenschaftler beteiligt. Die Krankenkassen waren ebenso wenig Partner, wie Ärzte,
Apotheker oder der Gesetzgeber. Damit fehlten im Pharmadialog die maßgeblich an der Arzneimittelversorgung und deren Steuerung beteiligten Akteure.
Aus Sicht der Techniker Krankenkasse sind die im Referentenentwurf enthaltenen Instrumente
weitestgehend ungeeignet, die Arzneimittelversorgung zukünftig nachhaltig sicherzustellen. Nur an
wenigen Stellen gelingt es, die Interessen der pharmazeutischen Unternehmen mit der Notwendigkeit der Versorgungssicherheit und der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung auszubalancieren.
Arztinformationssystem
Die Techniker Krankenkasse begrüßt ausdrücklich, dass sich die Bundesregierung und in seiner
Folge der Gesetzgeber der Frage animmt, wie die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung besser
in die Arztpraxis und damit in den Versorgungsalltag kommen. Der Vorschlag die Bewertungsergebnisse in das Arztinformationssystem zu integrieren ist daher positiv zu bewerten. Eine kurze,
praxisorientierte Zusammenfassung der Bewertungsergebnisse in der Arztinformationssoftware
erscheint am sinnvollsten, um das Ziel "Verbesserung der Qualität der Arzneimittelversorgung" zu
erreichen. Die geplante Beteiligung der pharmazeutischen Industrie bei der Ausgestaltung der Abbildung der Bewertungsergebisse in der Software muss jedoch strikt zurückgewiesen werden. Zum
Wohle der Patienten ist es notwendig, dass eine neutrale Darstellung erfolgt. Diese Aufgabe sollte
von der gemeinsamen Selbstverwaltung übernommen werden.
Umsatzschwelle
Im ersten Jahr nach der Markteinführung, während der Zusatznutzen für ein neues Präparat festgestellt wird, können die Pharmahersteller die Preise frei und unbegrenzt festlegen. Verordnet ein
Arzt das neue Arzneimittel, müssen die gesetzlichen Krankenkassen für die Kosten aufkommen.
Das führte in der Vergangenheit dazu, dass neue Arzneimittel im ersten Jahr zu sehr hohen Preisen in den deutschen Markt gebracht und während oder nach den Preisverhandlungen wieder vom
Markt genommen wurden, sofern diese aus Sicht des Herstellers nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt hatten.
Position der Techniker Krankenkasse - September 2016 │ 1 von 3
Die freie Preisgestaltung im ersten Jahr entbehrt jeder Logik und steht im Widerspruch zu der Koppelung von Nutzenbewertung und Erstattungsbetrag. Dieses Zugeständnis an die Industrie ist
auch unter Qualitätsaspekten nicht sinnvoll. Denn es garantiert dem Arzneimittel für die ersten
zwölf Monate einen hohen Preis, auch wenn es gar keinen Zusatznutzen aufweist. Die Erfahrungen nach fünf Jahren AMNOG zeigen, dass bei Weitem nicht jede Neuentwicklung mit echtem medizinischen Fortschritt gleichzusetzen ist. Aus fachlicher Sicht wäre es daher sinnvoll und folgerichtig, dass der Erstattungsbetrag rückwirkend ab dem Tag der Markteinführung gilt und nicht erst ab
dem zweiten Jahr.
Der Referentenentwurf sieht stattdessen eine Umsatzschwelle vor, jenseits derer bereits im ersten
Jahr nach Markteinführung der verhandelte Erstattungspreis gelten soll. Dieser Vorschlag ist jedoch nicht konsequent in Bezug auf die Logik des AMNOG: Arzneimittelpreise sollen sich schließlich am Zusatznutzen orientieren. Es ist nicht zu verstehen, warum die Versichertengemeinschaft
bis zu einer Schwelle einen - gemessen am Zusatznutzen - zu hohen Preis für ein Präparat zahlen
soll. Im Entwurf werden als Umsatzschwelle 250 Mio. Euro genannt. Diese Schwelle ist zudem
derart hoch angesetzt, dass sie tatsächlich kaum zum Tragen kommen würde. So hätten bisher
nur wenige neue Präparate diesen Umsatz im ersten Jahr nach Markteinführung überhaupt erreicht. Folglich hätten kaum Hersteller für ihr Präparat rückwirkend den Erstattungsbetrag gewähren müssen.
Aufweichung der Nutzenbewertung
Die Bundesregierung hält grundsätzlich an der Nutzenbewertung fest. Jedoch ändert sie im AMNOG-Prozess einige wichtige Stellschrauben, was der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung abträglich sein wird. Für die im Referentenentwurf vorgesehene generelle Möglichkeit des Evidenztransfers gibt es aus Versorgungssicht keinen Bedarf.
Bereits heute ist das AMNOG-Verfahren an einigen Stellen von Seiten der pharmazeutischen Industrie strategieanfällig, weshalb der Referentenentwurf richtigerweise einen Preisabschlag bei unvollständigen Dossiers vorsieht. Mit der Möglichkeit, auch vor Ablauf eines Jahres, eine erneute
Nutzenbewertung zu verlangen, wird aber gleichzeitig ein neuer Ansatz für Hersteller geschaffen:
Durch eine Fülle neuer Verfahren könnten diese den AMNOG-Prozess strategisch behindern und
die Preisverhandlungen hinauszögern.
Die Ausweitung der Nutzenbewertung auf den Bestandsmarkt ist zu begrüßen. Aus Gründen der
Qualitätssicherung und der Wirtschaftlichkeit sollte die Beschränkung auf wenige eng umrissene
Ausnahmen noch einmal überdacht werden. Ändern sich Patientenpopulation bzw. Therapielinien
oder gibt es neue Kombinationsmöglichkeiten, sollte eine Nutzenbewertung folgen.
Vertraulichkeit des Erstattungsbetrags
Laut Referentenentwurf darf künftig der zwischen Hersteller und Spitzenverband verhandelte Erstattungsbetrag nicht mehr öffentlich gelistet werden. Er wird nur solchen Institutionen mitgeteilt,
die ihn zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben benötigen. Die genaue Ausgestaltung der Vertraulichkeit wird per Rechtsverordnung geregelt.
Grundsätzlich ist es fraglich, wie die Umsetzung der Vertraulichkeit nach den Vorgaben des Referentenentwurfs ohne weitreichende Eingriffe in die Funktionsfähigkeit der GKV möglich sein soll,
bzw. ob der Erstattungsbetrag unter den Gegebenheiten als vertraulich angesehen werden kann.
Die TK sieht jedoch die Notwendigkeit in Ausnahmefällen eine Regelung zu schaffen, damit Präparate, die offensichtlich einen Zusatznutzen für die Patienten aufweisen, diesen aber noch nicht
Position der Techniker Krankenkasse - September 2016 │ 2 von 3
nachweisen konnten, im Markt verbleiben. Sofern der öffentlich gelistete Preis zu der Marktrücknahme und damit der Umstellung vieler Patienten (verbunden mit hohen Folgekosten) führen
würde, sollte der Erstattungsbetrag in Teilen geheim gehalten werden. Die TK hat daher bereits ein
Modell vorgeschlagen, das die Verbindung des Erstattungsbetrags mit ergänzenden geheimen Rabattverträgen nach § 130c SGB V vorsieht.
Preisanker
Wenn ein pharmazeutischer Hersteller für sein Präparat in der frühen Nutzenbewertung keinen Zusatznutzen nachweisen kann, darf der Erstattungsbetrag per Gesetz nicht teurer sein als die günstigste zweckmäßige Vergleichstherapie. Das bedeutet, dass für Präparate ohne Zusatznutzen, sofern die zweckmäßige Vergleichstherapie generisch ist, auf den Listenpreis des Generikums abgesenkt werden muss. Die Industrie beklagt diesen "Preisanker" und führt an, dass es schwer ist für
Präparate gegen chronische Erkrankungen wie z. B. Diabetes mellitus einen Zusatznutzen nachzuweisen. Eine Lockerung dieses Preisankers würde allerdings zu erheblichen Mehrausgaben für
die gesetzlichen Krankenversicherungen führen.
Genau das sieht der Referentenentwurf vor. Unter der Fahne eines "fairen Ausgleichs zwischen
Innovation und Bezahlbarkeit" sollen künftig "im begründeten Einzelfall" auch bei nicht belegtem
Zusatznutzen überhöhte Erstattungsbeiträge vereinbart werden können. Auch sollen die europäischen Vergleichspreise als Orientierungspunkt der Preisfindung gestrichen werden. Zudem sollen
die Vereinbarungen auch mengen- und umsatzbezogene Elemente enthalten. Besonders der erste
Vorschlag ist geeignet, den Preisanker mittelfristig auszuhebeln. Wird dieser Vorschlag umgesetzt,
droht die Aufweichung einer wichtigen Stellschraube der Preisbildung im AMNOG.
Zudem müsste der Preisanker eigentlich noch viel niedriger sein. Denn die Kassen haben meist
Generikarabattverträge mit den Herstellern abgeschlossen, so dass die tatsächlich für Generika
gezahlten Preise deutlich niedriger sind. Da die Rabattverträge an dieser Stelle nicht berücksichtigt
werden, sind die Preise für Präparate ohne Zusatznutzen mit generischer Vergleichstherapie daher
noch zu hoch.
Für Rückfragen der Politik
Techniker Krankenkasse
Büro Berlin
Luisenstraße 46
10117 Berlin
Telefon: 030 - 28 88 74-10
[email protected]
Für Rückfragen der Medien
Techniker Krankenkasse
Unternehmenskommunikation
Bramfelder Straße 140
22305 Hamburg
Telefon: 040 - 69 09-1783
[email protected]
Position der Techniker Krankenkasse - September 2016 │ 3 von 3